Siyu (29) aus Wien berichtet darüber, wie sie bemerkt hat, dass wir im Kapitalismus im "falschen Zug" sitzen und gemeinsam für eine Veränderung kämpfen müssen.

Ich hatte gute Gründe, mich lange Zeit nicht mit Kommunismus zu beschäftigen, denn ich bin in einer Familie aufgewachsen, die aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen in der alten Heimat Angst vor den „Roten“ hatte. Aus meiner Sicht war Kommunismus „nur eine nette Idee“, die letztlich in Diktatur und politischer Verfolgung endet.

Doch die Missstände unserer Gesellschaft und die zunehmenden Krisen der letzten Jahre ließen mich immer mehr nach stringenten Erklärungen und Lösungen dürsten. Ich hörte mir auch einen Vortrag des „Funke“ zum Thema Kommunismus als Ausweg aus der Klimakrise an – aber nur um danach guten Gewissens sagen zu können, ich habe mir auch wirklich jeden Lösungsansatz angehört. Doch die marxistischen Analysen der IMT überzeugten mich wider Erwarten. Ich musste trotz meiner großen Skepsis erkennen, dass es sich sowohl beim Kampf gegen den Klimawandel als auch beim Kampf gegen Rassismus und Sexismus, der mich seit meiner Kindheit beschäftigt, um ein und denselben handelt – den Klassenkampf für eine klassenlose Gesellschaft.

Außerdem frustrieren mich tagtägliche die Zustände in meinem Beruf als Zahnärztin. Die Wissenschaft ist so viel weiter und dennoch sind wir gezwungen, jenen, die sich keine Privatleistungen leisten können, als Kassenleistung teils vorsintflutliche Therapien anzubieten. In einer planwirtschaftlich und im Sinne der Mehrheit organisierten Gesellschaft wäre eine adäquate medizinische Versorgung für ALLE Menschen möglich und die Wissenschaft würde nicht mehr durch das Profitprinzip behindert.

Ich weigere mich, zu akzeptieren, dass es Sinn des menschlichen Daseins ist, 40h/Woche zu arbeiten, nur um abwägen zu müssen, ob man den real sinkenden Lohn lieber in die steigende Miete, gesunde Mahlzeiten, das Heizen der Wohnung oder in eine adäquate medizinische Versorgung investieren will und dann mit 65+ mit physischer und psychischer Überlastung „endlich leben zu dürfen“. Nur damit eine kleine Minderheit so viel Geld hat, dass sie selbst nicht weiß, wohin damit.

Bevor ich dem „Funke“ beitrat, hatte ich überlegt, ob ich es in meiner relativ privilegierten Stellung nicht schaffe, meinen „ignorant bliss“-Schalter im Gehirn umzulegen. Alles nach dem Motto „Hinter mir die Sintflut“. Aber zu erkennen, dass doch so viele die Notwendigkeit zum Klassenkampf sehen, macht mich zuversichtlich. Zu einem erfüllten Leben gehört, nach den Werten zu handeln, die man für richtig hält, anstatt sich aus Angst vor einer großen Aufgabe dagegen zu entscheiden. Wenn man einen angenehmen Sitzplatz gefunden hat, aber im falschen Zug sitzt, bleibt man ja auch nicht dort sitzen! Auch wenn die kaputte Klimaanlage repariert wird, sitzt man immer noch im Zug, der einen zum falschen Ort bringt. Der reformierte Kapitalismus ist nicht der richtige Zug, und selbst dieser Sitzplatz ist in einem Land wie Österreich schon verdammt unangenehm geworden!

(Funke Nr. 218/25.10.2023)


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