Die jahrzehntelange Unterdrückung der Palästinenser ist nach den Angriffen der Hamas am 7. Oktober und den darauffolgenden Bombardements des Gazastreifens durch die israelische Armee wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Als Marxisten stehen wir auf der Seite der Unterdrückten gegen die Unterdrücker. Doch um die Befreiung der Palästinenser tatsächlich erkämpfen zu können, müssen wir die historischen und gesellschaftlichen Grundlagen für diese Unterdrückung verstehen. Florian Keller analysiert.

Die Unterdrückung der Palästinenser kann man nicht verstehen, ohne den Staat Israel zu verstehen. Und dessen Entstehung ist untrennbar mit dem Zionismus verbunden. Dabei ist die Gleichsetzung des Judentums mit dem Zionismus falsch. Zahlreiche Juden auf der ganzen Welt sehen sich nicht als Zionisten und stellen sich auch offen gegen die Unterdrückung der Palästinenser. Der Zionismus ist eine politische Ideologie und Bewegung, und als solche müssen wir ihn analysieren.

Als nationalistisches und politisches Projekt formierte sich der Zionismus mit der Gründung der Zionistischen Weltorganisation durch den österreichisch-ungarischen Journalisten Theodor Herzl im Jahr 1897. Ihr zentrales Ziel war die Schaffung einer Heimstätte für Juden in Palästina. Es war der Versuch, die verstreut lebenden Juden zu sammeln, um eine jüdische Nation herauszubilden – also eine bürgerlich-nationalistische Bewegung, die de facto die Bildung der Nationalstaaten in Europa nachvollziehen sollte. Tatsächlich war der Zionismus einer von vielen verschiedenen Versuchen, ab dem Ende des 19. Jhdt., eine Antwort auf die sogenannte „Judenfrage“ zu finden, auf die brutale Unterdrückung der Juden in Europa mit regelmäßig wiederkehrenden blutigen Pogromen und der Verwehrung grundlegender Rechte.

Doch zu Beginn war der Zionismus keine Massenbewegung. Jüdische Arbeiter kämpften massenhaft in den Reihen der sozialistischen Arbeiterbewegung in ihrem jeweiligen Land um ihre Emanzipation und hielten politisch hart gegen den Zionismus, der vom unmittelbaren Kampf um Befreiung ablenkte. Insbesondere die erfolgreiche Russische Revolution im Jahr 1917 gab Millionen die Hoffnung, die „Judenfrage“ durch eine sozialistische Weltrevolution zu lösen. Doch nachdem die Revolutionen in Europa eine nach der anderen scheiterten, sich in der isoliert geblieben Sowjetunion die stalinistische Konterrevolution durchsetzte und ab Anfang der 30er der Faschismus in einem Land nach dem anderen an die Macht kam, änderte sich das. Der Zionismus bekam so einen gewaltigen Schub und zum ersten Mal einen wirklichen Massencharakter.

Vor allem die Verbrechen der Nazis und der Holocaust führten dazu, dass unter den überlebenden Juden in Europa eine Massenflucht einsetzte. Verstärkt wurde das noch durch die Erfahrung, dass auch die Tore der „demokratischen“ Imperialisten für viele vor den Naziverbrechen flüchtenden Juden geschlossen blieben. Alleine 1946 schlossen sich so fast 2 Millionen Menschen der zionistischen Organisation an – das waren 20% der Juden weltweit. Waren es 1931 noch 175.000, lebten 1947 in Palästina etwa 600.000 Juden (ca. 1/3 der Bevölkerung), die damit begonnen hatten, eine neue hebräische Nation und den Embryo eines Staates zu bilden.

Die Palästinenser

Doch Palästina war ganz und gar nicht leer und damit kein „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, wie ein zionistischer Slogan lautete. Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte hier das osmanische Reich mit eiserner Faust vor allem über muslimische Araber, aber auch Christen, Juden und andere. Die arabischen Fellachen (Bauern) wurden dabei extrem ausgebeutet und unterdrückt. Mit dem Zerfall des alten Feudalsystems begann zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch eine arabische Nationalbewegung zu entstehen.

Im Ersten Weltkrieg wurde die arabische Nationalbewegung durch die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien ausgenutzt, indem ihr versprochen wurde, sie im Falle eines Aufstandes gegen die Osmanen zu unterstützen. Gleichzeitig versprach Großbritannien in der sogenannten Balfour-Deklaration aber auch, dass in Palästina eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ errichtet werden könnte. Mit dieser Strategie wollte der britische Imperialismus sicherstellen, auf Basis europäischer Einwanderer eine feste Basis in der neuen Kolonie zu bekommen, aber gleichzeitig mithilfe einer „Teile-und-Herrsche“-Strategie dafür zu sorgen, dass keine der Gruppen stark genug werden würde, um sich gegen die britische Kolonialmacht zu stellen.

Dabei förderten die zionistischen Organisationen eine breite ökonomische und politische Kluft zwischen den arabischen und den jüdischen Massen. Auf dem Land kaufte der von den zionistischen Organisationen finanzierte „jüdische Nationalfonds“ Land von arabischen Großgrundbesitzern, um dort sogenannte „Kibbuzim“ zu errichten, landwirtschaftliche Arbeitskollektive. Doch damit einhergehend wurden oftmals die arabischen Bauern vom Land vertrieben, die damit ohne jede Einkommensquelle zurückgelassen und in bittere Armut und Verzweiflung gestürzt wurden.

In den Städten nahm selbst die Arbeiterbewegung auf nationalistischer Basis ihren Anfang. So organisierte die zionistische Histadrut-Gewerkschaft, die 1920 gegründet wurde, nach dem Prinzip der „jüdischen Arbeit“ in bewusster Zusammenarbeit mit „ihren“ Kapitalisten, eine Aussperrung arabischer Arbeiter. Das führte dazu, dass diese in der sonst extrem unterentwickelten Wirtschaft kaum Arbeit fanden. Die neu gegründete Kommunistische Partei, die für eine Organisierung von Arbeitern über nationale und religiöse Grenzen hinweg argumentierte, wurde deswegen 1924 sofort aus der Histadrut ausgeschlossen. Um den Arbeitskräftemangel auszugleichen, wurden billige jüdische Arbeitskräfte aus anderen arabischen Ländern ins Land geholt, die mit den europäischen Siedlern kaum etwas gemein hatten. Die rassistische Spaltung zwischen Juden unterschiedlicher Herkunft (und Kultur) ist eine weitere Spaltungslinie, die bis heute in der israelischen Gesellschaft existiert und mit jeder neuen Einwanderungswelle etwa aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Äthiopien etc. eine neue Dimension erhält.

Gleichzeitig organisierte die Gewerkschaft – auch mit Gewalt – einen Boykott „arabischer“ Waren durch jüdische Konsumenten. Aus zionistischer Sicht war das deswegen notwendig, weil die Produkte wegen der geringeren Löhne von Arabern billiger waren: 1944 verdienten Araber durchschnittlich etwa die Hälfte, in der Landwirtschaft sogar nur 1/3 so viel wie Juden.

Diese Situation der tiefen Unterdrückung und Ausbeutung von Arabern führte immer wieder zu Ausbrüchen der Gewalt und schließlich 1936–39 zu einem verzweifelten Aufstand, der für etwa 10% der männlichen Araber im arbeitsfähigen Alter mit dem Tod, Verhaftung oder auf der Flucht endete. Er scheiterte letztendlich aber nicht nur an der Brutalität der britischen Kolonialmacht, sondern auch an ihrer eigenen klerikal-nationalistischen Führung, die mit ihren reaktionären Zielen und Methoden völlig unfähig dazu war, einen Weg nach vorne aufzuzeigen.

Die ökonomische Apartheid-Politik der zionistischen Organisationen in dieser Periode war ein Vorgeschmack auf die Situation nach der Gründung des Staates Israel, als eine ähnliche nationalistische Politik gegenüber den Palästinensern mit staatlicher Gewalt durchgesetzt werden sollte.

Die Nakba (Katastrophe)

Die Zeit für die Staatsgründung Israels kam nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Teile-und-Herrsche-Politik der britischen Besatzungsmacht war in den 30er Jahren an ihre Grenzen gestoßen. Nach dem Scheitern des arabischen Aufstandes hatte so eine Kampagne des Terrors und des bewaffneten Kampfes zionistischer Organisationen begonnen, um für einen eigenen Staat zu kämpfen. Der Höhepunkt der Terrorkampagne war der Anschlag auf das King David Hotel in Jerusalem 1946 mit mindestens 91 Toten – Araber, Juden, Briten, die meisten davon Zivilisten.

In dieser Situation sah ein neuer Player die Möglichkeit, seinen Einfluss in der Region durch die Unterstützung der Gründung eines jüdischen Staates auszuweiten: Die USA. Auf ihre Initiative wurde 1947 ein Plan der Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat erarbeitet und angenommen, der jegliche „Selbstbestimmung“ der arabischen Mehrheit aus dem Fenster warf. Arabisch bewohnte Gebiete, die strategisch wichtig waren, sollten so dem zukünftigen jüdischen Staat zugesprochen werden (siehe Karte).

Israel Palästina Gebiet Entwicklung

Dabei wurden die USA von der Sowjetunion unterstützt, was nur zeigt, wie zynisch, verrottet und kurzsichtig die Politik der stalinistischen Bürokratie zu diesem Zeitpunkt schon geworden war: Prinzipien wie proletarischer Internationalismus oder der Kampf für den Sozialismus und selbst demokratische Prinzipien wie das Selbstbestimmungsrecht der Nationen waren nur noch Kleingeld, das man gerne bereit war, für kurzfristige geopolitische Überlegungen einzutauschen!

Die Folge dieses UN-Plans zur Teilung des Landes war ein arabisch-jüdischer Bürgerkrieg, der mit dem Eingreifen der Palästina umgebenden arabischen Monarchien 1948 zu einem regionalen Krieg wurde. Nachdem die zwei größten Mächte der Welt das entstehende Israel unterstützten, fuhren die verrotteten arabischen Regimes aus Königen und Klerikalen eine Niederlage ein.

Die Folge war eine riesige Welle der ethnischen Säuberungen und Vertreibungen von Arabern, insbesondere ab der israelischen Unabhängigkeitserklärung im Mai 1948. Zehntausende Familien mussten über Nacht ihre Ländereien verlassen, auf denen sie seit Generationen gewirtschaftet hatten, ad-hoc Gesetze sorgten dafür, dass diese Ländereien enteignet wurden. Insgesamt wurden 80% der arabischen Bevölkerung aus den Gebieten vertrieben, die Israel bildeten – und das waren noch viel größere Gebiete, als im UN-Teilungsplan vorgesehen (siehe Karte). Die 20%, die in Israel blieben und später israelische Staatsbürger wurden, wurden oft trotzdem gezwungen ihre Dörfer zu verlassen und enteignet. Von 550 arabischen Dörfern, die die Nakba überlebten, existierten wenige Jahre später nur noch 100. Die Nakba ist die Wurzel der Unterdrückung der Palästinenser, die bis heute anhält.

Palästinensisches Nationalbewusstsein

700.000 Palästinenser wurden so aus ihrer Heimat vertrieben und mussten, wie auch ihre Nachkommen, zukünftig in Flüchtlingslagern im Gazastreifen und im Westjordanland, aber auch im Libanon, Syrien und Jordanien unter katastrophalen Bedingungen leben. Im 6-Tage-Krieg 1967 besetzte Israel neben anderen Gebieten auch Ostjerusalem, das Westjordanland und den Gazastreifen. Doch der israelische Staatsapparat hatte sich verrechnet. Anstatt unter den palästinensischen Massen zu weiterer Resignation und einem Gefühl der Niederlage zu führen, war es genau dieses Ereignis, das die Dynamik drehte. War bisher unter den Palästinensern die Hoffnung auf eine Intervention von außen das bestimmende Moment gewesen, regte sich jetzt der Wille zum selbständigen Widerstand. Das machte die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die 1964 gegründet worden war, zu einer Massenorganisation und Jassir Arafat und seine Fatah-Bewegung zum Führer des palästinensischen Widerstands. Aber auch andere Gruppen, wie die PFLP (Volksfront zur Befreiung Palästinas) profitierten vom Wachsen des Widerstandes. In Wirklichkeit bildete sich hier zum ersten Mal ein dezidiertes palästinensisches Nationalbewusstsein heraus.

Der breite Kampf in der arabischen Welt gegen imperialistische Dominanz aus den USA, Frankreich und Großbritannien, der unter anderem in Ägypten, Syrien usw. zum Aufstieg von Regierungen mit arabisch-sozialistischem Selbstverständnis führte, sowie die offensichtliche Sackgasse, unter kapitalistischen Bedingungen die Unterentwicklung zu überwinden, hatten einen tiefen Einfluss auf die Bewegung. Oftmals wurde die Befreiung der Palästinenser jetzt als Teil einer breiteren arabischen Revolution mit sozialistischem Charakter gesehen. Das führte auch zu immer mehr Spannungen zwischen der palästinensischen Bewegung und den reaktionären arabischen Regimes, die ihrerseits die Palästinenser blutig unterdrückten – etwa im sogenannten „Schwarzen September“ 1970 in Jordanien unter König Hussein, als tausende Palästinenser von der Armee mit Unterstützung des US-Imperialismus massakriert wurden, oder später im Libanon.

Es sprengt den Rahmen des Artikels, die genauen Entwicklungen des Palästinensischen Widerstandes nachzuvollziehen. Hier sei nur so viel gesagt: Die PLO war keine marxistische Organisation mit einem Programm des Internationalismus und der sozialistischen Revolution. Sie schwankte unter Einfluss des Stalinismus und bürgerlicher Kräfte hin und her zwischen dem bewaffneten Kampf kleiner Kommandoeinheiten gegen die israelische Besatzung, der oft auch mit individualterroristischen Methoden geführt wurde, und dem Hoffen auf eine „diplomatische Lösung“ durch Verhandlungen. Das waren keine Wege, die die palästinensische Bewegung vorwärtsbrachten. Aber unter der Oberfläche brodelte es weiter im besetzen Westjordanland und dem Gazastreifen.

Das Besatzungsregime und die erste Intifada

Die israelischen Kapitalisten, die den israelischen Staatsapparat hinter sich wussten, nützten die besetzten Gebiete immer mehr als Absatzmärkte für ihre Waren. Palästinensische Kleinbauern und Handwerker wurden durch die billigen israelischen Waren, aber auch durch die Zumutungen des Besatzungsregimes immer mehr ruiniert. Gleichzeitig wurden nach der Regierungsübernahme der Rechten in Israel ab 1977 auch wieder immer mehr Familien wegen dem zunehmenden Siedlungsbau vertrieben. Außerdem waren die Palästinensergebiete für das israelische Kapital ein wichtiges Reservoir für billige Arbeitskräfte. 120.000 Palästinenser pendelten täglich für die Arbeit nach Israel– 1/3 der arbeitenden Bevölkerung des Westjordanlandes und sogar die Hälfte des Gazastreifens.

Doch diese Situation der extremen Ausbeutung und Unterdrückung bei gleichzeitiger wachsender wirtschaftlicher Integration führte zu einem Massenaufstand, der einer tatsächlichen Revolution am nächsten kam: der sogenannten ersten Intifada. Schon 1986 und 1987 gab es immer mehr Widerstandsakte und Anschläge auf Besatzungstruppen. Am 5. und 6. Juni, dem 20-jährigen Jahrestag der Besatzung, erschütterte ein Generalstreik die besetzten Gebiete. Als am 7. Dezember 1987 vier Palästinenser bei einem Zusammenstoß mit einem israelischen Armeelastwagen getötet wurden, explodierte die Lage: Zehntausende Jugendliche und Arbeiter starteten einen spontanen Aufstand, der monatelang anhielt und sowohl das israelische Besatzungsregime ins Wanken brachte, als auch die PLO völlig überraschte.

Die Kampfmethoden der Intifada (auf Deutsch: Aufstand, Abschütteln) reichten von Straßenblockaden und Angriffen von Jugendlichen mit Steinen auf Besatzungstruppen bis hin zum Boykott von Steuerzahlungen und Generalstreiks.

Selbst die brutalste Unterdrückung durch die israelische Armee konnte den Widerstand nicht brechen. Hunderte Palästinenser wurden von der Armee und rechten Siedlern umgebracht, tausende verletzt, 9000 verhaftet. Der spätere Friedensnobelpreisträger Jitzchak Rabin, der damals Verteidigungsminister war, tätigte die berüchtigte Aussage, man soll den Jugendlichen Steineschmeißern einfach „ihre Hände und Beine brechen“ – was einerseits bildlich die Brutalität der Besatzungsmacht, andererseits aber auch die Verzweiflung aufzeigt, die Bewegung nicht brechen zu können.

Zur Organisierung des Aufstandes organisierten die Massen von Anfang an überall Widerstands- und Hilfskomitees. Sie organisierten nicht nur den Kampf, sondern begannen auch damit, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zu organisieren. Als im Februar 1988 etwa die Schulen von der Besatzungsmacht geschlossen wurden, weil sie zu einem Herd des Widerstandes geworden waren, organisierten Komitees die Schulbildung selbständig weiter. Im Mai 1988 schätzten die Besatzungsbehörden, dass 45.000 (!) Komitees aktiv waren.

Der Widerstand fand aufgrund seiner Stärke und Methoden des Klassenkampfes in anderen arabischen Ländern und auch innerhalb der israelischen Gesellschaft einen Widerhall, angefangen bei den arabischen Israelis. Teile der jüdischen Jugend waren abgestoßen von den Gräueltaten des Besatzungsregimes und solidarisierten sich mit den Palästinensern. Die erste Intifada hatte das Potential, sich mit der richtigen Führung zu einer gesamthaften Revolution in Israel und Palästina zu entwickeln.

Der gescheiterte Friedensprozess und die „Zwei-Staaten-Lösung“

Innerhalb der israelischen herrschenden Klasse und von Seiten des westlichen Imperialismus sorgte die Intifada für Panik. Eine Gruppe pensionierter israelischer Generäle gab eine Erklärung heraus, die den Abzug der Besatzungstruppen forderte – wofür sie in Regierungszirkeln immer mehr Unterstützung generieren konnten. Das war kein Zeichen des Willens zum Frieden dieser Leute, sondern in Wirklichkeit ein Eingeständnis der Angst davor, dass eine weitere Besatzung der Palästinensergebiete zu einer Spaltung des israelischen Staatsapparats an Klassenlinien führen könnte.

Die PLO-Führung, die auf dem Höhepunkt der Intifada selbst keine Rolle gespielt hatte, nahm diese Signale dankend auf. Nachdem die erste Intifada aufgrund des Fehlens einer revolutionären Führung schließlich unterdrückt worden war, begannen Gespräche, die letztlich im Olso-Friedensprozess ab 1993 mündeten. Das Ergebnis dieser Friedensgespräche war der teilweise Abzug der israelischen Besatzungstruppen und die Schaffung der palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Doch diese war alles andere als der Beginn einer souveränen palästinensischen Staatlichkeit, was unter kapitalistischen Bedingungen unter den gegebenen Bedingungen eine völlige Utopie darstellt.

Die Wirtschaft des besetzten palästinensischen Gebiets war weiterhin in hohem Maße von Israel abhängig. Die israelische herrschende Klasse kontrollierte dadurch sowie mit ihrer Armee alle Hebel und hatte nicht die Absicht, die Entstehung eines palästinensischen Staates mit eigener Polizei, Militär und Wirtschaft zu erlauben. Stattdessen wurde die Palästinensische Autonomiebehörde zu einer Art Hilfspolizei und ein Verwalter der israelischen Interessen. Die Besatzung des Westjordanlandes wurde nicht etwa aufgehoben, sondern nur einzelne, isolierte Inseln von palästinensischen Siedlungen der PA übergeben (Siehe Karte). Währenddessen kontrolliert die israelische Armee die Grenzen zu Jordanien und alle wichtigen Straßen im Westjordanland zwischen den palästinensischen Siedlungen. Israel drängt durch Mauerbau, Annexionen und Siedlungsbau mit den immer einhergehenden Vertreibungen die Palästinenser immer weiter zurück und die Armee deckt jeden Übergriff, jede Demütigung, jedes Massaker der rechtsradikalen zionistischen Siedler mit Gewalt, während die Palästinenser keinerlei Rechte haben – nicht einmal die grundlegendsten bürgerlich-demokratischen. Die sogenannte „Zwei-Staaten-Lösung“ ist eine grausame Irreführung der palästinensischen Massen.

Es war erst dieses Vakuum und die daraus folgende Verzweiflung, in dem die islamistische Hamas und ihre Vorgänger eine Basis gewinnen konnte. Als Ableger der Muslimbruderschaft aus dem benachbarten Ägypten gegründet, wurde sie vom israelischen Staat geduldet und sogar unterstützt, um die Basis der revolutionären Linken im Gazastreifen von den 60er Jahren an zu unterminieren – was sie auch mit brutaler Gewalt tat. Auf ihre Machtübernahme im Gazastreifen 2007 folgte eine Verschärfung der Unterdrückung durch den israelischen Staatsapparat mit der brutalen Blockade, die jegliche Grundlage der Wirtschaft im Gazastreifen zerstörte und immer mehr Menschen auch direkt von den Hilfen der Hamas und deren reichen Gönnern aus den Golfstaaten abhängig machte.

Rechtsschwenk in Israel und die Krise des Kapitalismus

Nicht nur die Zwei-Staaten-Lösung, sondern auch Illusionen in eine sogenannte „Ein-Staaten-Lösung“, in der Israelis und Palästinenser in einem gemeinsamen, national gemischten kapitalistischen Einheitsstaat zusammenleben, sind genau das – Illusionen. Die Palästinenser haben auf militärischer Ebene gegen Israel als stärkste imperialistische Macht der Region, die von der stärksten imperialistischen Macht der Welt unterstützt wird, keine Chance, so einen Einheitsstaat zu erzwingen.

Und das israelische Kapital hat kein Interesse an einer Integration der Palästinenser in so einen Staat.

Die politischen Entwicklungen in Israel sind alle kein zufälliger Prozess, sondern folgen ganz der Logik des Zionismus. Allein die Frage zu stellen, reicht aus, um das Problem zu sehen: Was würde auf kapitalistischer Basis passieren, wenn auf einmal Millionen Palästinenser ihren Anspruch auf Ländereien geltend machen würden, die jetzt großen Agrarkonzernen gehören oder auf denen jetzt Wohnblocks im Besitz von Immobilienriesen stehen? Die israelischen Kapitalisten können nichts anderes akzeptieren, als die völlige Rechtlosigkeit der Palästinenser.

Doch die Frage hat auch eine wichtige ideologische Komponente. Die Herrschaftsgrundlage der israelischen Kapitalisten ist, dass die jüdische Arbeiterklasse ihre Ausbeutung akzeptiert aus Angst, dass nur der jüdische Charakter des Staates Israel ihrer Vertreibung entgegensteht. Das hat seine eigene Dynamik. Um den selbstdeklarierten „jüdischen Charakter“ des Staates Israel aufrechtzuerhalten, müssen so den Palästinensern systematisch alle demokratischen und sozialen Rechte verwehrt bleiben. Die einzige gangbare Herrschaftsmethode für das israelische Kapital ist die Aufrechterhaltung und Verschärfung der Apartheid.

Die israelische herrschende Klasse hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr auf den reaktionärsten Teil der israelischen Gesellschaft gestützt, die ultrarechten zionistischen Siedler, deren gesellschaftliches Gewicht immer mehr angewachsen ist. So fand in der israelischen Politik seit der Gründung des Staates auch ein immer weiterer Rechtsschwenk statt, der von einer Dominanz der linkszionistischen Parteien bis 1977 zu ihrem fast vollständigen Verschwinden jetzt geführt hat. In der jüngsten Netanjahu-Regierung kann als Finanzminister Bezalel Smotrich dienen, der sich selbst als „faschistischen Homophob“ bezeichnet hat.

Einzige Lösung: sozialistische Revolution

Das alles fällt in eine Periode der immer tieferen Widersprüche des Kapitalismus, die auch vor Israel nicht haltmachen. Der relative Abstieg des US-Imperialismus auf Weltebene bedeutet, dass die traditionelle Schutzmacht Israels, die etwa die israelische Armee jährlich mit Milliarden Dollar subventioniert, an Gewicht verliert. Andere zweitrangige und regionale imperialistische Mächte wie China, Russland, der Iran, die Türkei und Saudi-Arabien versuchen dieses Vakuum zu füllen.

Israel ist der einzige stabile Verbündete der USA in der Region – die daher auch dessen reaktionäre Politik und alle Verbrechen immer deckten. So erkannte Donald Trump 2017 die Verlegung der Hauptstadt Israels nach Jerusalem und die einseitige Annexion Ostjerusalems an, was der „Zwei-Staaten-Lösung“ den endgültigen Todesstoß gab. Die europäischen Regierungen sind hier, wie fast immer in der Region, die Juniorpartner Washingtons, was nicht bedeutet, dass sie die westlichen imperialistischen Interessen nicht mit gleicher oder sogar größerer Intensität schrill verteidigen.

Gleichzeitig sehen die kleineren Mächte eine Möglichkeit, die Unterdrückung der Palästinenser demagogisch für ihre eigene Zwecke zu nutzen, um ihre Interessen in der Region durchzusetzen. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der türkische Präsident Erdogan die Hamas heuchlerisch (und faktisch falsch) eine „Befreiungsorganisation“ nennt, während er selbst die Kurden im eigenen Land blutig unterdrückt.

Doch die Unterdrückung der Palästinenser produziert nicht nur imperialistische Ränkespiele – im Gegenteil. Massenproteste in vielen arabischen Ländern und darüber hinaus zeigen an, dass das Potential besteht, aus dem Aufschrei über die Unterdrückung der Palästinenser mehr zu machen – eine Revolution.

Der Weg vorwärts ist eine neue Intifada nach Vorbild der ersten, ein Massenaufstand der palästinensischen Massen, die mit ihrem Kampf ein Vorbild für die Arbeiter und Jugendlichen in der arabischen Welt sein können, eine zweite Runde des Arabischen Frühlings auf höherer Ebene einzuläuten. Gleichzeitig kann so ein Aufstand und eine Revolution in den umliegenden Ländern auch die arabischen, aber auch die jüdischen Arbeiter in Israel erfassen. Das zeigte sich 2011, als Hunderttausende in Israel unter dem Eindruck des arabischen Frühlings gegen hohe Preise demonstrierten. Die Bedingungen für eine Revolution sind wegen der tiefen Krise der israelischen Gesellschaft und den Auseinandersetzungen innerhalb der herrschenden Klasse, die schon das ganze Jahr zu Massenprotesten gegen Netanjahu geführt haben, so gut wie noch nie. Das wäre die Grundlage dafür, dass der israelische Staatsapparat an Klassenlinien aufbricht und die künstliche Spaltung entlang von Nation und Religion aufgehoben wird.

Auf Basis einer sozialistischen Revolution im Nahen Osten (und darüber hinaus!) könnte die Barbarei tatsächlich gelöst werden: Eine freiwillige sozialistischen Föderation, die allen Völkern und Religionen, seien es Araber oder Israelis, seien es Moslems, Christen, Drusen oder Juden eine Heimstatt bietet, könnte die gewaltigen natürlichen Ressourcen und Arbeitskräftepotential der Region mit der industriellen Grundlage Israels, Ägyptens und anderer Länder verbinden. Das ist die Grundlage dafür, dass es genügen Wohnraum, Einkommen und Arbeit für alle gibt und eine würdevolle Existenz für alle möglich wird. Es gibt nur einen Weg zur Freiheit Palästinas: die sozialistische Revolution.

(Funke Nr. 218/25.10.2023)


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