... weil du auch einE ArbeiterIn bist. Oft gesungen, oft nicht verstanden. Emanuel Pegger zeigt welche Fehler der deutschen ArbeiterInnenbewegung zur Machtergreifung der Nazis führten.

Die Sozialdemokratie saß seit ihrem Verrat an der deutschen Revolution von 1918 zwischen zwei Stühlen. Sie organisierte weiterhin die Mehrheit der deutschen ArbeiterInnenklasse, betrieb aber eine offen konterrevolutionäre Politik und stellte somit eine wesentliche Stütze des bürgerlichen Status quo in der Weimarer Republik dar. Mit dem Beginn der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre verschärfte sich dieser Widerspruch zunehmend. Angesichts des wachsenden Masseneinflusses der NSDAP im KleinbürgerInnentum – auf Kosten der bürgerlichen Parteien –, und der Unmöglichkeit, auf den wackeligen Grundfesten der bürgerlichen Demokratie den deutschen Kapitalismus aus der Krise zu führen, begann die bürgerliche Klasse zunehmend auf die Karte des Nationalsozialismus zu setzen.

Die große Hoffnung der SPD, mit der sie dem Faschismus entgegentreten wollte, war einerseits die „eiserne Front“, ein Bündnis zwischen Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und den schwindenden bürgerlichen Parteien. Andererseits pflegte sie ein unerschütterliches Vertrauen in Polizei und Militär, die den Vormarsch des Faschismus aufhalten sollten. Diese Haltung erwies sich als gefährliche Illusion, da die Nazis den bürgerlichen Parteien zunehmend ihre Basis entzogen bzw. die Exekutive wie auch die Judikative großteils offen mit den Nazis sympathisierten.

Wieso setzte die SPD ihre Hoffnungen nicht auf ihre eigene Basis, die ArbeiterInnen? Die Politik der damaligen SPD lässt sich zusammenfassen in dem Ausspruch von Friedrich Ebert, der angesichts der Revolution von 1918 meinte, er „hasse die Revolution wie die Sünde“. Die Führung der SPD hatte schlichtweg Angst, dass eine antifaschistische Mobilisierung in Zeiten der wirtschaftlichen Erschütterung zu einer kraftvollen sozialistischen Bewegung außerhalb der Kontrolle der SPD heranreifen würde und entschied sich deshalb für die Staatsmacht und gegen ihre Basis.

Die Folgen dieser Politik ließen nicht lange auf sich warten: Das Kleinbürgertum sah, dass die SPD trotz der zahlenmäßigen Stärke ihrer Organisationen nach Staat und Verfassung rief, und folgerte daraus die Ohnmacht der Sozialdemokratie – ein verhängnisvoller Katalysator für die Machtergreifung der NSDAP.

Viele sozialdemokratische ArbeiterInnen blickten mit Hoffnung auf die erstarkende Kommunistische Partei. Doch wie verhielt sich die KPD in der Praxis tatsächlich gegenüber den sozialdemokratischen ArbeiterInnen, den Unterdrückten und Ausgebeuteten und der Gesamtheit der ArbeiterInnenklasse?

Einheitsfront

Anstatt ein wirkliches Angebot zur gemeinsamen Aktion an die SPD-Führung zu machen, sie damit auch dem Druck ihrer eigenen Basis auszusetzen und sich auf die Organisation aller ArbeiterInnen in gemeinsamen Komitees im Kampf gegen den Faschismus zu konzentrieren – wie Trotzki und die UnterstützerInnen der Linken Opposition es unermüdlich forderten – wurde den ArbeiterInnen quasi ein Ultimatum gestellt: „Schließt euch der KPD an, ansonsten seid ihr konterrevolutionäre ‚Sozialfaschisten’.“ Was die KPD aufgrund ihrer Stalin-Hörigkeit nicht durch politische Überzeugung schaffen konnte, nämlich die Mehrheit der ArbeiterInnenklasse an sich zu binden, sollte durch bürokratischen Kadavergehorsam wettgemacht werden. Diese „Sozialfaschismus-Theorie“ stellte aber ein gewaltiges, unüberbrückbares Hindernis für gemeinsame Aktionen der ArbeiterInnen gegen den Faschismus dar.

Neben dieser Ultimatums-Politik gegenüber der Sozialdemokratie verfolgte die KPD auch zunehmend eine nationalistische Phraseologie mit dem Ziel, das Anwachsen des Nationalsozialismus durch Konzessionen in der Rhetorik einzudämmen: aus der proletarischen Revolution wurde die „Volksrevolution“, die Partei propagierte die nationale Befreiung und redete vom „Schandfrieden von Versailles“. Die KPD-Führung erreichte damit das genaue Gegenteil, stiftete nur Verwirrung in den eigenen Reihen, und erleichterte damit Teilen des Proletariats wie des Kleinbürgertums den Übertritt ins Lager des Faschismus.

Sozialfaschismus?

Der Kurs der KPD schwankte in der Periode der Weimarer Republik zwischen offen opportunistisch und einem zerstörerischen Linksradikalismus, der wesentlichen Anteil an Aufstieg wie Machtergreifung der Nazis hatte. Ihre Legitimation fand diese Ausrichtung in der Theorie des Sozialfaschismus, die verheerende Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen SPD und KPD hatte. Im Wesentlichen lässt sich diese irrige Auffassung, die künstlich zur Theorie aufgeblasen wurde, auf einen einfachen Nenner bringen: Der Gegensatz zwischen parlamentarischer Demokratie und Faschismus sei eine rein liberale Konstruktion. Die Sozialdemokratie, die sich auf den Parlamentarismus stützt, bereite somit den Faschismus vor und sei – konsequent zu Ende gedacht – sozialfaschistisch.

Diese Theorie übersieht nur eine Kleinigkeit. Der Faschismus sowie der Parlamentarismus sind beides Formen bürgerlicher Herrschaft, jedoch zwei verschiedene Formen, die sich auf die jeweilige Lage innerhalb der Klassengesellschaft stützen und somit einen schroffen Gegensatz bilden. Die Stütze der Sozialdemokratie ist nicht nur der Parlamentarismus, sondern auch die Masse der ArbeiterInnen, die sich in den reformistischen ArbeiterInnenparteien organisiert und diese wählt. Mehr noch: Die Rolle der Sozialdemokratie im Parlament definiert sich über die Rolle und den Einfluss, den sie bei den Lohnabhängigen hat. Eine Sozialdemokratie, die nicht mehr das Heer der ArbeiterInnen kontrolliert und ihm durch Sozialpartnerschaft, StellvertreterInnenlogik und Staatsräson die Zügel anlegt, ist für die herrschende Klasse nutzlos.

Zudem stellt der Faschismus gegenüber der bürgerlichen Demokratie in allen Fragen der politischen Freiheit und der Unterdrückung von Individuen durch den Staatsapparat einen Rückschritt ins finsterste Mittelalter dar. Bürgerliche Prinzipien wie die Vereins- und Pressefreiheit wurden auch von ArbeiterInnen in harten Auseinandersetzungen erstritten und bildeten die Grundlage für die Organisation der ArbeiterInnenklasse. Trotz ihres Charakters als Klassenherrschaft zeugt ein Vergleich der bürgerlichen Demokratie mit dem Faschismus von fatalem Unverständnis dieses Phänomens.

Hauptziel des Faschismus als politische Manifestation der Gegenaufklärung und Fleischwerdung der Interessen des Kapitalismus ist es, die organisierte ArbeiterInnenbewegung zu zerschlagen und ihren Mitgliedern jedwede Möglichkeit zu rauben, sich zu organisieren und ihren gemeinsamen Anliegen Ausdruck zu verleihen. Die nationale Ruhe und Ordnung des Faschismus bedeutet für die gesamte ArbeiterInnenbewegung nichts anderes als die Stille des Kerkers und der Friedhöfe. Für die Sozialdemokratie war also – nicht anders als für die KommunistInnen – das Anwachsen des braunen Terrors und die drohende Machtergreifung des Nationalsozialismus nichts anderes als eine Frage auf Leben und Tod. Die KPD fügte mit ihrer „rot = braun“-Formel dem gemeinsamen Kampf der ArbeiterInnenparteien immensen Schaden zu, schreckte die sozialdemokratischen ArbeiterInnen von gemeinsamen Aktionen ab und band sie somit an die Führung der SPD, die sich durch Passivität und Staatsvertrauen auszeichnete.

Ein weiteres Problem, das sich aus der Sozialfaschismustheorie ergab, war die Unterschätzung der Gefahr, die von der NSDAP ausging. Wenn der Faschismus in Form der bürgerlichen Parteien und der Sozialdemokratie quasi jetzt schon regiert, wieso sollte dann der Kampf gegen den Faschismus noch auf der Tagesordnung stehen? Die allgemeine Diktion der damaligen Politik der KPD war folgende: Lasst Hitler an die Macht kommen, er wird seine Unfähigkeit schnell unter Beweis stellen und die Massen enttäuschen. Dann bricht die Zeit der KPD und Sowjetdeutschlands an.

Dass die Machtergreifung der Nazis eine Katastrophe darstellte, wurde gesehen, dass danach die große Zeit der KPD anbrechen würde, erwies sich hingegen als fataler Irrglaube. Die Zeche für diese Fehlkalkulation musste schließlich die deutsche ArbeiterInnenbewegung zahlen, die durch den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg unzählige Opfer zu verbüßen hatte und um Jahrzehnte zurück geworfen wurde.

Wie kämpfen?

Einige unserer LeserInnen werden sich nun fragen, was die schwerwiegenden Fehler der ArbeiterInnenparteien in der Weimarer Republik und die Katastrophe des Nationalsozialismus mit der gegenwärtigen politischen Lage in Österreich zu tun hat. Einheitsfront, Faschismus, Sozialismus, das ist doch alles Schnee von gestern! Dennoch, die Situation weist tatsächlich einige Parallelen zu heute auf.

Die Krise des Kapitalismus wird zu einer Krise der Sozialdemokratie, die sich angesichts schwerer Wahlniederlagen und schwindendem gesellschaftlichem Einfluss an die schöne heile Welt der Sozialpartnerschaft, des Kompromisses und des Proporzes (kurz, des bürgerlichen Staates und der eigenen Rolle in diesem) festklammert oder im vermeintlichen Kampf um die Gunst der WählerInnen mit rassistischen Versatzstücken aus der Mottenkiste der Reaktion um sich wirft. Eine Lösung ist das sicher nicht.

Die Bürokratie der ArbeiterInnenbewegung verwaltet so nur ihre eigene Misere auf Kosten der ArbeiterInnen, ihrer eigenen Basis, die zunehmend in Lethargie verfällt, auf eine Wende hofft oder zutiefst verbittert das Weite sucht und den Sirenentönen der FPÖ erliegt.

Die SPÖ steht an einem Scheideweg: Entweder Nichtstun und mit nationalistischen und rassistischen Geblöke auf ein nie eintretendes Wunder hoffen, ideologischer Bankrott und das Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit, Machtübernahme des Bürgerblocks. Oder eine Politik mit und für alle Lohnabhängigen Österreichs gegen jedweden Sozialabbau, Chauvinismus und Rassismus. Letzteres ist der Weg aus der Krise und der Weg, den wir gehen müssen!


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