Ein Millionär und Bankier übernimmt die Staatsfinanzen, die GewerkschafterInnen die „Sparpotential“-Ministerien. Von dieser Regierung ist nichts zu erwarten. Und jetzt spitzt sich auch noch die Krise erneut zu. Eine Analyse der Funke-Redaktion.
„2014 ist ein historisch schlechtes Jahr für Österreichs ArbeitnehmerInnen“, so begründet ÖGB-Präsident Foglar die Offensive für eine steuerliche Entlastung von Lohneinkommen. Keinen Moment zu früh kommt diese politische Offensive der Gewerkschaften. Die soziale Situation spitzt sich auch hierzulande ständig zu. Mit einer August-Arbeitslosigkeit von 355.000 wird ein neuer historischer Rekord erreicht, im Jahresvergleich steigt die Arbeitslosigkeit um 11,1%, das Heer der Arbeitslosen hat sich im Vergleich zur Zeit vor der Krise um 90.000 Menschen erhöht.
Der Druck auf die Löhne ist gewaltig. Die Realeinkommen der Lohnabhängigen stagnieren auf dem Niveau der frühen 1990er Jahre. Strukturell ist dieser Zustand mit der Kombination aus moderater Lohnpolitik der Gewerkschaften, Teuerung plus kalter Progression (das Vorrücken in höhere Steuerklassen durch die von den Gewerkschaften verhandelten Kollektivvertragslöhne) zu erklären. Aufgrund der stagnierenden Lohneinkommen wird seit zwei Jahren „entspart“, wie dies im Bank-Chinesisch heißt. Das heißt, dass die privaten Haushalte ihre Konten und Sparbücher plündern, um ihren Alltag zu finanzieren.
Allein durch die kalte Progression hat sich der Finanzminister im Jahr 2013 2,24 Mrd. € zusätzlich aus den Lohnsteuern geholt, heuer werden es bereits 2,65 Mrd. sein. Die Lohnabhängigen sind also strukturell einer jährlich steigenden Steuerbelastung ausgesetzt. Dies ist eine schreiende Ungerechtigkeit, und macht zornig wenn man daran denkt, dass Vermögen in Österreich kaum besteuert sind. Die Lohnsteuer ist die aufkommensstärkste Steuer, gefolgt von der Mehrwertsteuer, die auch von der Masse der Bevölkerung gezahlt wird. Die Steuerlast der Republik wird somit zu zwei Drittel von den Lohnabhängigen bezahlt.
Der Druck der ÖGB-Kampagne hat sich in den kommenden Wochen bemerkbar gemacht. Die SPÖ-Führung hat die Forderung der Gewerkschaft zu der ihren gemacht. In der ÖVP wurden Stimmen laut, dass man vom Betonierer-Kurs Spindeleggers abrücken müsse, um nicht völlig in der Wählergunst abzustürzen.
Die Regierungsumbildung bei SPÖ und ÖVP hat zu einer Stärkung der Sozialpartnerschaft geführt. Im SPÖ-Regierungsteam sitzen nun 4 GewerkschafterInnen. Bei der ÖVP folgte mit Wirtschaftsminister Mitterlehner ebenfalls einer aus dem Wirtschaftsflügel, der auf Kompromisse mit den Gewerkschaften setzt. Der neue Finanzminister Schelling gilt zwar als beinharter Sanierer (bei Privatunternehmen und der Sozialversicherung), war dabei jedoch immer um die Einbindung der Gewerkschaften bemüht.
Mit anderen Worten: Die Bürgerlichen setzen auf eine Politik der Einbindung der Gewerkschaften zur Durchsetzung ihrer Ziele. Insofern zeichnet sich ein Entgegenkommen der ÖVP in der Frage der Lohnsteuerreform ab. An diesem Punkt stellt sich aber die Frage der Gegenfinanzierung dieser steuerlichen Entlastungspolitik. Eins ist klar: Weder die ÖVP noch die SPÖ rücken vom Sparkurs ab. Dieser wird ihnen durch die Krise und der hohen Belastung durch die Bankenrettungspakete vorgeschrieben. Diese Regierung der Großen Koalition ist seit Ausbruch der Krise eine Regierung der Banken, und dies hat sich durch die Regierungsumbildung verstärkt. Die neue ÖVP-Führung steht wie die alte für einen Kurs des Sparens und lehnt Vermögenssteuern, wie sie der ÖGB eigentlich fordert, kategorisch ab. Finanzminister Schelling ist selbst ein schwerreicher Millionär und winkt bei dieser Forderung ab.
Ein fauler Kompromiss ist unter diesen Bedingungen greifbar. Schon hat die neue Gesundheitsministerin Oberhauser, die auch ÖGB-Vizepräsidentin ist verlautbart, dass es ihr egal ist, woher das Geld für eine Lohnsteuersenkung kommt. Mit anderen Worten: Die ÖGB- und die SPÖ-Führung werden keinen Finger rühren, um Vermögenssteuern zu erkämpfen.
Ihr oberstes Gebot ist die politische Stabilität. Die Gewerkschaft wurde gezielt in Regierung und Partei eingebunden, damit diese den sozialen Frieden aufrechterhält.
Überall in der Gewerkschaft wird wieder ein Hohelied auf die Sozialpartnerschaft gesungen. Kollege Proyer von der GPA-djp, der während der letzten Auseinandersetzungen um den Metaller-KV die Sozialpartnerschaft schon offen kritisiert hat, weil sie den ArbeitnehmerInnen nichts bringt, spricht plötzlich wieder von der Sozialpartnerschaft als „große Hoffnung“.
Der Grund für diese defensive Haltung der Gewerkschaften ist offensichtlich. Im Frühjahr hat das schwache Wirtschaftswachstum in zentralen europäischen Ländern wieder in die Rezession gedreht, Deutschland inklusive. Bei Griechenland wird schon die Schrumpfung der Wirtschaft um 0,5 % als überraschender Erfolg gewertet, und wichtige Ostmärkte wie Slowenien, Kroatien, Rumänien erleiden seit Jahren einen pausenlosen wirtschaftlichen Niedergang. Zudem tobt in der Ukraine ein intensiver Machtkampf zwischen dem westlichen und dem russischen Imperialismus, der Österreichs Kapitalismus noch schwer treffen könnte (siehe dazu Mittelteil). Dazu kommt die Instabilität in Ländern wie Afghanistan, Libyen, Irak, wo wir die komplette Auflösung von Staatlichkeit in Gebiete konkurrierender Bandenherrschaften sehen. In dieser Situation verlautbart die EZB ein neues massives Bankenhilfspaket, um den in Kredit-Starre und Spekulationswut verfallenen Sektor trotz Abbau fauler Kredite und toxischer Finanzpapiere zu stabilisieren.
In diesem von ökonomischen und politischen Krisen geprägten Umfeld streben die Gewerkschaften nach möglichst stabilen Verhältnissen im eigenen Land. Deshalb flüchten sie sich in den nationalen Schulterschluss in Form von Großen Koalitionen und der hoffnungslosen Alternativlosigkeit von Standortdenken und Sozialpartnerschaft. Dabei legen Arbeiterparteien wie Gewerkschaften ihre historisch erworbene Unterstützung in der Gesellschaft in die Waagschale, um die Wettbewerbsfähigkeit ihres jeweiligen nationalen Kapitals zu stützen. Wer hier dagegenhält, wird von den bürokratischen Apparaten abgestraft.
Im Gedenkjahr 1914-2014 ist die Burgfriedenspolitik, die wir aus dem Ersten Weltkrieg kennen, wieder brandaktuell. Auch damals stellten sich die Führungen der Arbeiterorganisationen in ihrer großen Mehrheit hinter die von den Bürgerlichen formulierten alternativlosen politischen Notwendigkeiten – mit dem einzigen Unterschied, dass damals die militärischen Eroberungen, heute die direkte Umverteilung von der Arbeiterklasse hin zu den Kapitalbesitzern das Schlachtfeld dominieren.
Aus dieser Logik muss sich die Arbeiterbewegung befreien. Ansonsten wird es in der kommenden Periode eine Niederlage nach der anderen hageln.
Die Schlüsselfrage ist dabei, ob die Arbeiterbewegung die Große Koalition und somit Bankenrettungspakete und Sparkurs weiter unterstützt oder den Pakt mit der ÖVP endlich aufkündigt und eine eigenständige Politik im Interesse der Arbeiterklasse betreibt.
Weitere Themen der neuen Ausgabe:
- Aufgaben der SP-Linken
- Kronen-Zeitung hetzt gegen SJ
- Vorarlberg: Aufstand der Zwerge
- Offensive gegen Rechts (OGR): Antifaschismus braucht Perspektive
- Repression: Im Zweifel für den Angeklagten
- Die Piketty-Debatte: Das Gespenst der Ungleichheit
- Betrieb&Gewerkschaft: Eisenbahner-KV/Metaller-KV
- Es geht rund im Krankenanstaltenverbund - Neue Aufgabenverteilung bei Pflege
- Schwerpunkt: Götterdämmerung in Osteuropa für Österreichs Banken
- Das Erbe des Zimmerwalder Manifests und Antimilitarismus heute
- Frauenquoten in der Sozialdemokratie
- Mehr Familienbeihilfe?
- Bericht vom Weltkongress der IMT
- Ukraine: Interview mit GenossInnen aus der Ukraine und Russland
- Ukraine: Resolution für internationale Solidarität
- Ice Bucket Challenge und der Kampf gegen die Krankheit ALS
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