Das Flüchtlingsthema beherrscht seit Wochen die Schlagzeilen und polariesiert die gesamte österreichische Gesellschaft. Auf der einen Seite gibt es eine riesige Solidaritätsbewegung, auf der anderen Seite kann die FPÖ auf Wahlebene massiv dazugewinnen.

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Wer als unbedarfter Beobachter auf die politische Landschaft in Österreich blickt, wird sich erstaunt am Kopf kratzen. Im Frühjahr ging die Pegida mit ihrer Anti-Islam-Hetze fulminant baden, jeder Rechte wurde auf Demonstrationen von 10 bis 20 GegendemonstrantInnen begrüßt. Dann folgten die Wahlen in der Steiermark und im Burgenland, bei denen die FPÖ genau mit Pegida-Rhetorik enorm dazugewann. Danach stand vor nur wenigen Wochen die enorme Solidaritätswelle mit den Flüchtlingen im Mittelpunkt des Tuns und der Debatte. Jetzt hat die FPÖ einen weiteren massiven Wahlsieg in Oberösterreich eingefahren.

Doch diese scheinbaren Widersprüche zeigen nur eine ansteigende Polarisierung in der österreichischen Gesellschaft an. Die Wut über den Status Quo wird immer stärker. Die Jahre der großkoalitionären Krisenverwaltung haben deutliche Risse in der „Konsensgesellschaft“ Österreichs hinterlassen. Bankenrettungen am laufenden Band bedeuten ständigen Sparzwang in allen Sozialbudgets, steigende Arbeitslosenzahlen und stagnierende Löhne ergeben eine explosive gesellschaftliche Mischung. Sowohl die SPÖ als auch die ÖVP lassen in diesem Prozess Federn, ein sicheres Zeichen dafür, dass die institutionalisierte Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit in beiden gesellschaftlichen Lagern an einer bröckelnden Akzeptanz leidet.

Doch wo man auch hinschaut, dominiert der gesellschaftliche Stillstand: Auf Regierungsebene wartet die SPÖ seit Jahren auf ein Ende der Wirtschaftskrise. Die ÖVP wartet (mit mehr Aussicht auf Erfolg) auf ein Ende der SPÖ, um die vom Bürgertum herbeigesehnten Reformen (sprich: Kürzungen) danach umso sicherer umzusetzen. Es wird für den Moment nur dann entschieden gehandelt, wenn es fürs österreichische Kapital ans Eingemachte geht – wenn etwa wieder Banken-Investoren mit Steuergeldern gerettet werden müssen. Erst letzte Woche wurden wieder 1,23 Mrd. an die Bayern LB überwiesen.

In den Betrieben hielten die Gewerkschaftsspitzen in den letzten Jahren bei jedem sich anbahnenden Lohnkonflikt den Deckel drauf, um ja nicht den „Standort Österreich“ oder das wackelige politische Gleichgewicht und damit den roten Bundeskanzler in Gefahr zu bringen. Die UnternehmerInnen gaben sich (für den Moment) mit kleinen, schmerzhaften Nadelstichen zufrieden, um die Arbeiterbewegung umso sicherer zu schwächen.

In dieser Situation ist die Frage der Flüchtlinge tatsächlich das einzige, was für gesellschaftliche Bewegung und Veränderung sorgt. Auf der einen Seite zeigt die enorme Solidaritätswelle, wie effektiv entschlossenes und massenhaftes Handeln sein kann. Zehntausende halfen nicht nur, sondern gingen aus Solidarität auch auf die Straße – letztendlich gegen die herrschende Politik. Innerhalb kürzester Zeit bewirkte diese Massenbewegung nicht nur, dass von Merkel bis Faymann die SpitzenpolitikerInnen auf einmal Kreide fraßen, sondern erzwang auch reale Zugeständnisse in Form eines faktischen zeitweisen Außerkraftsetzens des unmenschlichen Abkommens „Dublin III“.

Auf der anderen Seite aber wächst die FPÖ vom Fleisch der ehemaligen Großparteien. Ihr Beutezug in der Arbeiterklasse lebt davon, dass es keine Perspektiven mehr im kapitalistischen System gibt, aber niemand gewillt oder stark genug ist, eine sozialistische Alternative aufzuzeigen. Die einzige Lösung scheint für viele eine Entsolidarisierung zu sein, um die eigene Haut zu retten.

Die FPÖ macht die Flüchtlinge zu einer Projektionsfläche für alle sozialen Probleme. Das erklärt, warum sie in der Logik der Rechten gleichzeitig Arbeitsplätze wegnehmen und dem Sozialsystem auf der Tasche liegen können. Doch warum kommt die FPÖ damit durch? Die Antwort ist einfach: Sie bläht nur demagogisch das auf, was die anderen Parteien, einschließlich der historischen Arbeiterpartei SPÖ, verschämt sagen: „Kriegsflüchtlinge“ sind OK, aber generell belasten zu viele von ihnen unsere Sozialkassen und den Arbeitsmarkt. „Wirtschaftsflüchtlinge“ sind abzulehnen – außer sie werden für „unsere“ Wirtschaft gebraucht. Die ReformistInnen beugen sich der Logik des Marktes und kapitulieren so gleichzeitig vor dem überbordenden Rassismus. Dieser wird weiterhin gezielt geschürt, um die ArbeiterInnen zu spalten und sie damit leichter ausbeutbar zu machen. Man möchte den SozialdemokratInnen in Nadelstreif und Kostüm, die von der „Dummheit“ und „Unmenschlichkeit“ der Masse der FPÖ-Wähler reden, zurufen: „Es ist die Dummheit, die Unmenschlichkeit, die ihr mit eurer entmündigenden Stellvertreter-Politik selbst gezüchtet habt!“

Denn die Arbeitslosigkeit steigt tatsächlich ständig, doch das wird wie der permanente Sparzwang nur schöngeredet. Einwände werden mit dem Hinweis abgetan, dass die Situation immer noch besser sei, als eine Regierung ohne SPÖ-Beteiligung. Doch wer Arbeitslosigkeit nicht hinter einem Verwaltungsschreibtisch als abstrakte Statistik erlebt, sondern von ihr betroffen ist oder sie dauernd im Nacken spürt, wird auf solche „Argumente“ nichts geben. Die organisierten Teile der Arbeiterklasse werden argumentativ entwaffnet, und die FPÖ stößt in das politische Vakuum als „Anti-System-Partei“ und Denkzettel-Alternative. So ist die Ironie der Geschichte möglich, dass die Freiheitlichen, die korrupteste aller politischen Formationen in Österreich, sich als Saubermänner gegen Korruption aufspielen und mit einer lupenreinen Sozialabbau-Bilanz als „Anwalt des kleinen Mannes“ darstellen können.

Man muss es ganz klar aussprechen: Die Stärke der FPÖ in der Arbeiterklasse ist ein Verdienst der SPÖ-Politik. Schuld trägt aber nicht nur die völlig verbürgerlichte Spitze, die diese Politik direkt zu verantworten hat. Auch die Linke innerhalb der Partei hält ihren Anteil, indem sie es über Jahre hinweg nicht für nötig befunden hat, entschlossenen Widerstand gegen die Parteispitze und ihre Politik zu leisten.

Doch dieses ganze fragile Gleichgewicht kann nicht mehr lange anhalten. Unter der Oberfläche rumort es gewaltig. Die Bürgerlichen werden dem Niedergang der Sozialdemokratie nicht mehr viel länger zusehen müssen und in die Offensive gehen. Das österreichische Kapital operiert nicht im luftleeren Raum, sondern in weltweit immer unsichereren Umständen sowie enger werdenden Märkten. Es muss die Kosten drücken, um wettbewerbsfähig zu bleiben, und das heißt: Lohnkürzungen, weitere Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und Sparprogramme in den Sozialsystemen.

Den kommenden Angriffen werden wir nur etwas entgegensetzen können, wenn wir die Spaltungsmechanismen in der Arbeiterklasse überwinden. Die aktuellen Provokationen der Metaller-ArbeitgeberInnen sind ein deutliches Zeichen dafür, was auf uns zukommen wird. Der Aufstieg der FPÖ und der gleichzeitige soziale Kahlschlag werden nur mit entschlossen geführten Klassenkämpfen aufgehalten werden können. Und letztendlich können auch diese nur Erfolg haben, wenn wir es schaffen, den Kapitalismus mit all seinen Grausamkeiten ein für alle Mal zu begraben.

Wien, 30. September


Weitere Themen der neuen Ausgabe:

  • Österreich
    • Banken: Die Wiederkehr der Untoten
    • FPÖ: Der Rammbock der herrschenden Klasse
    • Jugend: Generation Krise
    • Graz: Starkes Zeichen gegen Rechts
  • Betrieb & Gewerkschaft
    • Care Revolution: "Mehr von uns ist besser für alle"
    • Vorarlberg: Eine Wahl - Zwei Sieger
    • Standortlogik: Alle für Einen, Einer gegen Alle
    • Betrieb: Atemlos durch die Fabrik
  • Schwerpunkt
    • Gesetze brechen, nicht die Menschen!
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  • Wir über uns
    • Spendenkampange: Großer Erfolg
    • Uniarbeit: M.I.A.U. - Termine
    • IMT: Protest an der Grenze
  • Theorie
    • Rekordhoch der Arbeitslosenzahlen
    • Interview: "Wir sind alle Marienthal"
  • International
    • Erdogans Krieg stoppen!
    • Griechenland: Sieg des vermeintlich kleineren Übels
    • Spanien: PODEMOS am weg der SYRIZA?
  • Metaller-KV: Unternehmer-Aggression stoppen!

 

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