Wer seinen Zorn auf Flüchtlinge konzentriert, hat bereits verloren. Denn hinter den Kulissen werden Sozialkürzungen und der Lohnraub organisiert. Es gilt eine Linie in den Sand zu ziehen und laut zu sagen: Nein!
Während in den Medien und den öffentlichen Regierungsverlautbarungen die Administration und die Finanzierung der „Flüchtlingsflut“ bis ins kleinste Detail diskutiert wird, spielen die wirklichen Probleme kaum eine Rolle: Die ständig steigende Arbeitslosigkeit, die finanzielle Aushöhlung des Spitalswesens, die Hypo-Skandale, die Unternehmer-Aggressionen im Kollektivvertrags-Wesen, die mangelnde Finanzierung eines antiquierten Schulwesens, neue Verschlechterungen bei den Pensionen, die anhaltenden Reallohnverluste von LohnbezieherInnen oder die Trockenlegung des Familenlastenausgleichsfonds (Kinderbeihilfen, Freifahrten, etc.).
Es ist erstaunlich wie es die Bürgerlichen schaffen sich ihre wirtschaftlichen Bedingungen zulasten der Lohnabhängigen ohne gesellschaftlichen Widerstand, ja fast ohne gesellschaftliche Debatte zu verbessern: Egal ob es die kriminellen Hypo-NutznießerInnen sind oder alle UnternehmerInnen durch niedere KV-Abschlüsse und Kürzungen der Familienleistungen. Der Rassismus hat dabei eine wichtige ideologische Funktion. Er stellt ein virtuelles Kollektiv von schützenswerten rot-weiß-roten Fleißigen her, die vorgeblich an den Grenzen, aber auch im Inneren gegen AsylwerberInnen, Arbeitslose und NiedrigverdierInnen im allgemeinen beschützt werden müssen.
Das Bundesbudget 2015 fasst diese Ideologie in Zahlen: Die Ausgaben für die Innere Sicherheit werden mit 500 Mio. deutlich erhöht (+ 20%). Das Bildungsbudget hingegen ist bereits heuer unterfinanziert, es fehlt bei den Mieten für die Schulen, weil schlicht kein Geld da ist. Hier wird das Budget jedoch um nur 100 Mio. € oder 1,1 % angehoben. Damit ist budgetär festgeschrieben, dass nicht mal die heuer aufgetürmten Mietschulden der Schulen bezahlt werden können, Einsparungen in naher Zukunft sind die logische Folge.
Die Verknappung von Einkommen, Daseinsfürsorge und gesellschaftlichen Aufstiegschancen werden immer von der Einschränkung demokratischer Rechte und einer Stärkung der staatlichen Unterdrückungsmaßnahmen begleitet. Den Einstieg dazu in eine neue Runde liefert die Flüchtlingsbewegung. Mitte November wird das Asylwesen gesetzlich weiter ausgehöhlt. Etwa zum gleichen Zeitpunkt dürfte der Zaun an Österreichs Südgrenze errichtet werden. Neue antidemokratische Maßnahmen wie die Wiedereinführung der gerichtlich aufgehobenen Vorratsdatenspeicherung sind bereits in der Pipeline: Terrorismus, Flüchtlinge, Bettlermafia,… egal was gerade da ist, es wird dazu verwendet, die staatliche Unterdrückung zu verschärfen und sich gleichzeitig sozialer Verantwortung zu entledigen.
Die Offensive der Bürgerlichen ist dabei allumfassend. Das Tempo, mit dem Österreich und Europa auf Linie einer radikalen, autoritären Wettbewerbsarena für den Profit gebracht wird, ist atemberaubend.
Die Ursache dafür ist leicht erklärt: Die Sozialdemokratie hat keine von den Bürgerlichen unabhängige Strategie, der kapitalistischen Krise entgegenzutreten, verhindert gesellschaftlichen Widerstand im Rahmen ihrer Möglichkeiten und setzt die Wünsche des Kapitals auch brav mit um. Wer den Kapitalismus akzeptiert, muss sich letztendlich auch seiner Funktionsweise unterordnen. Diese Herangehensweise ist nicht das Ergebnis eines abgekapselten ideologischen Prozesses, sondern Ausdruck von materiellen Interessen. Nach Jahrzehnten der Sozialpartnerschaft und der Regierungsbeteiligung würde ein Wegbrechen dieser die gesellschaftliche Marginalisierung für eine breite Schicht an FunktionärInnen und BürokratInnen bedeuten. Der Verbleib in den Ämtern steht über allem anderen und wird als Voraussetzung für alles andere argumentiert. Das macht erpressbar und treibt einen Keil zwischen den Selbstanspruch der AktivistInnen der Arbeiterbewegung und dem was aus ihr tatsächlich geworden ist, tiefer und tiefer ins eigene Fleisch.
Diesen Spagat zu überbrücken geht heute nur noch durch lächerliche rhetorische Akrobatik. Baut die ÖVP eine Festung an den Außengrenzen, so will die SPÖ nur von einem „Eingangsbereich mit Seitenteilen“ wissen. Allzu oft werden reale Verschlechterungen als Sieg verkauft, zuletzt etwa nach dem Metaller-KV und dem „Arbeitsmarktgipfel“. In beiden Fällen wurden heftige Verschlechterungen akzeptiert, die Ergebnisse dann aber hinterher als (Teil-)Siege verkauft. Die Führung der Gewerkschaften ist auch nicht willens, den eigenen Mitgliedern die Wahrheit zu sagen: Das würde eine Debatte ermöglichen, wie man denn nun aus dieser miserablen Defensive herauskommt, was wiederum die Sozialpartnerschaft gefährden würde. Ein PRO-GE Hauptamtlicher kommentiert seine aktuelle Situation so: „Jetzt bist nur noch unglaubwürdig, die Kampfbereitschaft der Mitarbeiter wurde sukzessive verheizt und jetzt kannst auch noch für das neue Bandbreitenmodell gerade stehen...“
Oder ein anderes Beispiel: Momentan liegt ein Gesetzesentwurf in der Begutachtung, der die medizinische Qualität an den Spitalern massiv verschlechtert. Dies ist die Einschätzung des ÖGB. Reaktion darauf: Eine lustlos geführte virtuelle Unterschriftenkampagne, man will ja der Sabine Oberhauser, unserer ÖGB-Frau in der Regierung, nicht zu hart begegnen.
Die Verfilzung von Kapital und Arbeit unter dem Dach des Staatsapparats öffnet objektiv den Weg für einen reaktionären Umschwung in der Gesellschaft. Denn so rückgratlos kann sich die Spitze der Arbeiterbewegung gar nicht geben, als dass das Kapital die permanent ausgetestete Unwilligkeit der Organisationen der Arbeiterbewegung, sich dem reaktionären Umbau der Gesellschaft ernsthaft zu widersetzen, nicht nützen würde, um eine rein bürgerliche Regierung zu bilden. Der gewöhnlich gut informierte Kurier weiß zu berichten, dass die Stimmungslage im Wirtschaftsflügel der ÖVP bereits so ist, dass man sogar eine Vizekanzlerschaft unter der FPÖ gegenüber jeder anderen Regierungsformation unter roter Beteiligung vorziehen würde.
Dieser Prozess wird schmerzhaft sein, denn selbst in Opposition würden die Spitzen von Gewerkschaften und SPÖ versuchen, sich handzahm zu bewegen, um die „gute Gesprächsbasis“ ja nicht zu gefährden. Die Wiederbelebung der Arbeiterbewegung braucht entschlossenen Widerstand gegen alle Verschlechterungen und dabei nicht zuletzt neue Ideen – revolutionäre Ideen. Der Aufgabe, diese zu entwickeln, zu verankern und zu organisieren haben wir uns verschrieben.
Wien, 4. November 2015
Weitere Themen der neuen Ausgabe:
- Österreich
- Industrielle in der Offensive
- Asyl: Von Menschlichkeit zu Krisenmanagement
- SPÖ: Die Kaste, die Krise und das große Warten
- Politisch motivierte Ausschlüsse aus dem VSStÖ
- Betrieb & Gewerkschaft
- Metaller-KV: 1,5% und weg mit Überstundenzuschlägen
- Gesundheitsbereich: Schnell und billig
- Solidarisch sein, gemeinsam kämpfen
- Kindergärten: Ausgespielt! Es reicht!
- Schwerpunkt
- NATO, Russland und das syrische Inferno
- Wir über uns
- M.I.A.U.: Der Marxismus erobert die Uni
- Veranstaltung: Von Kabul nach Wien
- Theorie & Geschichte
- Buchkritik: Was Misik denkt (über Robert Misiks Buch "Was Linke denken")
- Amerikanischer Bürgerkrieg: Der revolutionäre Krieg der USA
- International
- Großbritannien: Bewegung gegen das Establishment
- Frankreich: Straffreiheit für die ArbeiterInnen!
- Türkei: Der Soltan siegt durch Terror
Die neue Ausgabe kann zum Preis von 2 Euro (+ Porto) bei der Redaktion bestellt werden, oder auch ein Abo abgeschlossen werden (10 Ausgaben zu 25 Euro): Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder zur Abo-Bestellung