„Ein rot-weiß-rotes Signal der Hoffnung und der positiven Veränderung“ sei von Wien in die europäischen Hauptstädte geschickt und aufgenommen worden, so der neue Bundespräsident.
In seiner Siegesrede stellte ein glücklicher Van der Bellen die Stabilität des herrschenden Systems, als dessen Ausdruck er sich selbst versteht, in den Mittelpunkt seiner politischen Botschaft. Nur wenige Stunden später zerschellte die Regierung Renzi in Italien in einer Volksabstimmung über eine autoritäre Verfassungsreform und holte damit die europäischen Eliten wieder auf den Boden der Tatsache eines kriselnden und instabilen Systems zurück.
Doch selbst in Österreich verschafft der Wahlausgang dem Zerfall der politischen Institutionen und Parteien nur eine kleine Atempause. Mit 350.000 Stimmen Überhang fiel der Sieg Van der Bellens deutlich aus. Für was allerdings stimmten die 2,1 Millionen Van der Bellen-UnterstützerInnen? Es gibt nur einen gemeinsamen Nenner: Nein zur Chaotisierung der politischen Verhältnisse durch einen ungeprüften Rechtspopulisten Hofer mit einem fragwürdigen Freundeskreis im In- und Ausland.
Die Van der Bellen-Kampagne war die politisch heterogenste Kampagne, die die Republik jemals erlebt hat. Der Raiffeisenkonzern, ausgedrückt in dessen politischem Personal und Medien (Kurier, Profil) bildete das Rückgrat der Van der Bellen-Kampagne. Die Spitzen der Regierung, der Gewerkschaft und Kirchen stellten sich hinter ihn, und natürlich die Grünen und ihr Apparat selbst. Er selbst betonte die Rolle der gesellschaftlichen Initiative von Tausenden, die für ihn und gegen seinen politischen Mitbewerber warben. Gegensätzliche Interessen wurden hier zu einer brüchigen Koalition zusammengeschustert. Es waren insbesondere jene, die sich normalerweise nicht an den Wahlen beteiligen, die Van der Bellens Sieg sicherten.
Mit dem 4. Dezember ist diese Allianz wieder Geschichte.
Hofer andererseits stand als Kandidat der FPÖ für einen Aufbruch des Systems der Zweiten Republik, aus verschiedenen Motiven. Seine Kandidatur repräsentiert ebenfalls ein Zusammenspannen von in Wirklichkeit gegensätzlichen Kräften. 85% der ArbeiterInnen wählten ihn. Die Motive, die hier in erster Linie genannt werden, sind mit 62% „Veränderung in der Politik“ und 34% „Protest gegen die Regierungspolitik“. Bei Van der Bellen liegen diese Werte bei jeweils nur 8%. Letztendlich sind für FPÖ und Hofer die Arbeiterstimmen aber nur der Hebel, um das genaue Gegenteil zu erreichen – ein Zurückkehren an die Futtertröge der Regierung, um dort Politik gegen die Interessen der Arbeiterklasse umzusetzen. Ein Hinweis darauf, dass die FPÖ dabei in den letzten Monaten Fortschritte gemacht hat, ist einerseits die viel sanftere Sprache von Strache und Hofer, andererseits die Unterstützung von Hofer durch ÖVP-Klubobmann Lopatka und die betäubende Stille in der Vorwahlzeit aus der Richtung von Sebastian Kurz, der sich alle Optionen Richtung FPÖ offen halten will.
Im Gegensatz zu den Ergebnissen bei Brexit und den US-Wahlen gab es nun wieder einmal ein Ergebnis nach Wunsch des Kapitals. Das bringt eine gewisse Stabilisierung der Innenpolitik mit sich, die in den letzten Monaten immer chaotischer wurde. Dieser Trend wird aber insgesamt nur ein kurzzeitiger sein. Rekordarbeitslosigkeit, als „alternativlos“ geltende Kürzungen und die aus Sicht des Kapitals „zu hohen Lohnkosten“ sind eine explosive Mischung. Auch ein VdB-Sieg ändert daran nichts Entscheidendes. Die Chancen dafür, dass die Regierung bis 2018 hält, sind marginal.
Eher früher als später wird daher die Krise der amtierenden Großen Koalition wieder aufbrechen. Gerade auch das starke Wahlergebnis Hofers unter den ArbeiterInnen zeigt, dass die Sozialdemokratie nach Jahren der Krisenverwaltung im Sinne des Kapitalismus gesellschaftlich so isoliert ist wie nie zuvor in der 2. Republik. Die Parteigranden wissen das und werden im Angesicht dessen, dass mit der gesellschaftlichen Bedeutung auch ertragreiche Posten und Pöstchen dahinschwinden, früher oder später die Flucht nach vorne antreten.
Gleichzeitig stehen im bürgerlichen Lager die aggressiveren VertreterInnen schon in den Startlöchern. In den Gängen und Hinterzimmern des Nationalrates stecken der Raiffeisen-Landadel der ÖVP und die blasierten Burschenschafter der FPÖ schon die Köpfe zusammen und machen sich aus, wie man den von der SPÖ enttäuschten ArbeiterInnen am besten das Messer in den Rücken rammen kann. Sie wollen nach Jahren des Kompromisses in einer kommenden Bürgerblockregierung endlich eine Generaloffensive gegen die Errungenschaften der ArbeiterInnen starten. Neidisch und immer ungeduldiger blicken sie auf Nachbarländer wie Deutschland, wo schon vor der Krise ein riesiger Niedriglohnsektor geschaffen wurde, auf Basis dessen die deutschen Industriekapitäne gewaltige Profite einstreichen.
Acht Monate Warten auf die Ergebnisse der Stichwahlen haben die politische Entwicklung in Österreich insgesamt eingefroren, dafür aber alle politischen Prozesse unter der Oberfläche stark zugespitzt. Sobald Österreich aus der weihnachtlichen Winterstarre erwacht, wird sich deswegen auch zeigen, wie die österreichische Linke nach dem VdB-Wahlkampf aufgestellt ist. Die Ausgangslage ist nicht sehr gut. Die politische Agenda Van der Bellens ist die Systemstabilität, mitsamt einer Anbiederung ans Trachten-Milieu, die Befürwortung des tödlichen Frontex-Regimes, die Befürwortung sozialer Kürzungen bei den Ärmsten der Armen (Mindestsicherung) und nicht zuletzt eine offensives Abgrenzen vom aktivistischen Antifaschismus. Schon in seiner ersten Rede nach der Wahl interpretierte er seinen Sieg folgerichtig als Sieg der gesamteuropäischen Spardiktatur und ihrer politischen Institutionen. Indem sich die Linke, teilweise begeistert, teilweise verschämt hinter ihn als das „kleinere Übel“ gestellt hat, hat sie dieser Positionierung letztendlich eine linke Deckung gegeben, anstatt eine klare Alternative zu bürgerlicher Krisenverwaltung zu formulieren. Das Ergebnis des Jahres 2016 ist die Kapitulation der Linken vor dem Liberalismus.
Nach fast einem Jahrzehnt der großen Koalition und der „Sozialpartnerschaft“ in der Krise fehlt in der österreichischen Politik völlig die eigenständige politische Stimme der Arbeiterklasse. Nur deshalb kann sich der Hass auf das politische System über den Aufstieg der FPÖ ausdrücken und die Ablehnung der Rechten über die Wahl eines neoliberalen Professors. An die Stelle der Politik des kleineren Übels muss entschlossene Klassenpolitik treten.
Die MarxistInnen von Der Funke haben sich dem neuen nationalen Schulterschluss ebenso verweigert, wie die jeder Unterordnung der sozialen Interessen der Arbeiterklasse unter Standort und Stabilität. Wir stehen für eine unabhängige Option der Arbeiterklasse und stehen damit nicht nur gegen den rechten, sondern auch gegen den liberalen und sozialpartnerschaftlichen Ausdruck der Krisenbewältigung. Wir werden auch weiterhin entschlossen gegen den Aufstieg der Rechten kämpfen, im Januar durch eine massive Bewerbung der Demonstrationen gegen die FPÖ-Burschenschafterbälle. Gleichzeitig werden wir entschlossen dafür kämpfen, dass dieser Widerstand nicht auf Basis eines hohlen Moralismus stattfindet, sondern von einem Arbeiterklassenstandpunkt mit sozialistischem Programm geführt wird. Werde aktiv und unterstütz uns dabei!
Wien, 7. Dezember 2016
Weitere Themen der neuen Ausgabe:
- Österreich
- Innenpolitik: Die FPÖ muss nur warten
- Betrieb & Gewerkschaft
- Zankapfel Mindestsicherung
- Post-Füchse am Limit
- Theorie
- Buchkritik: Misiks Geschichtsrevision
- Veranstaltungsbericht: Konflikt oder Kompromiss
- „Das Kapital verstehen“ Teil 7: Die organische Krise
- Defma: Sexismus bekämpfen – aber wie?
- Schwerpunkt: Die Kubanische Revolution muss leben!
- Wir über uns
- 100 Jahre russische Revolution
- Unsere revolutionäre Tradition: Inès Elisabeth Armand
- International
- USA: Perspektiven der Trump-Regierung
- USA: Die Frage einer Labour Party
- Italien: Der Hass auf die Eliten
- Türkei: Des Sultans neue Kleider
- Brasilien: Wer Bildung kürzt, wird gestürzt!
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