Das neue Regierungsprogramm erfüllt die Wünsche des Kapitals und ordnet die Arbeiterbewegung noch weiter unter den Willen der Wirtschaft unter. Doch die Widersprüche sind dadurch nicht aufgehoben.
Um das alles und weitere geplante Konterreformen (wie etwa die weitere Verschärfung des Zuganges zur Uni) durchzusetzen, reicht für die Regierung das Streuen von Illusionen und Rhetorik allein nicht aus – zu viel Vertrauen hat die Große Koalition in den letzten Jahren schon verspielt. Deswegen stützt sich das Regierungsprogramm auch auf unverhohlenen anti-muslimischen Rassismus und Abbau demokratischer Rechte. Die Vollverschleierung soll völlig aus dem öffentlichen Leben verschwinden, andere Symbole von Religiosität wie Kreuze in Gerichtssälen bleiben unangetastet. Alle „Integrationsmaßnahmen“ für Flüchtlinge haben durchwegs Zwangscharakter. Der Ausbau des Hochsicherheitsstaates wird durch Überwachung aller Verkehrswege, Vorratsdatenspeicherung, präventive Fußfesseln und die Schaffung neuer politischer Straftatbestände vorangetrieben. Die Festschreibung, dass das Bundesheer in Zukunft auch im Inland sicherheitspolitische Tätigkeiten vollziehen darf, ist ein Bruch mit der bisherigen Praxis der 2. Republik und knüpft am blutigen Februar 1934 an.
Dieses Programm repräsentiert den Versuch, die Koalition auf Basis eines verschärften pro-Unternehmer Kurses zu stabilisieren. Nach Brexit und Trump ist Stabilität international durchaus ein Wettbewerbsvorteil. In Österreich gelang es der von der Raiffeisenbank angestrengten nationalen Kraftanstrengung, den sicheren Kandidaten des Establishments, den liberalen Van der Bellen ins Amt zu hieven. Schon am Tag eins seiner Präsidentschaft entpuppte sich die Mehrheitspolitik in der Linken, das „kleinere Übel“ zu unterstützen, als Schuss ins Knie. Unter einem Präsidenten VdB würden die „Kampfbedingungen gegen rechts“ besser sein, lautete das Argument dafür, mit zugehaltener Nase den Liberalen zu wählen. Das Gegenteil ist der Fall. Van der Bellen deckt nicht nur die tanzenden Nazis in seiner Hofburg, sondern er gab der Regierung den klaren Auftrag, nun Resultate im Sinne des Kapitals zu erzielen. Das Ergebnis ist ein Regierungsprogramm, das den EU-Apparat Hoffnung schöpfen und die faschistischen „Identitären“ jubeln lässt.
Die Neuauflage der GroKo heißt nicht, dass blau-schwarz oder ähnliches verhindert ist. Im Gegenteil: Ganz nach den realen Auswirkungen der Politik des „geringeren Übels“ bereitet dieses „geringere Übel“ das „größere Übel“ nur umso machtvoller vor. Am Ende des Wahlzyklus wird das österreichische Kapital eine offen bürgerliche Regierung brauchen, um einen Generalangriff auf die Arbeiterrechte zu starten. Kern weiß das, und versucht verzweifelt, diesen Prozess aufzuhalten, indem er die SPÖ zwingt diese Drecksarbeit selbst zu erledigen.
Denn es stimmt tatsächlich, wenn die SPÖ-Spitze in einer Aussendung an die Parteimitglieder jubelt: „Viele Ideen Christian Kerns aus dem „Plan A für Österreich“ haben Eingang ins neue Arbeitsprogramm gefunden“. Doch das heißt nicht, dass das Programm ein progressives wäre, im Gegenteil: Das Nachrichtenmagazin „Profil“ formulierte in Bezug auf Kerns Plan: „Sein in Wels vorgestellter Plan A liest sich streckenweise wie ein ÖVP-Programm.“
Trotz alledem ist die Stabilisierung nur eine sehr kurzfristige und oberflächliche. Die Tinte unter dem Pakt war noch nicht trocken, als Wolfgang Sobotka mit seinem anti-demokratischen Vorstoß den nationalen Schulterschluss von noch weiter rechts wieder unter Druck brachte (siehe Seite 2). Er repräsentiert jenen Flügel der ÖVP und des Kapitals, der mit den umfassenden Angriffen nicht mehr länger warten will. Den Arbeitsauftrag der Regierung an die „Sozialpartner“ beantwortete die Wirtschaftskammer mit einem Vorstoß in Sachen Arbeitszeitflexibilisierung, der einen Vorgeschmack auf einen solchen Generalangriff bietet. Die Normalarbeitszeit soll auf täglich zehn Stunden ausgeweitet werden, die Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden, der Durchrechnungszeitraum für Überstunden auf zwei Jahre. Das wäre nicht nur ein weiterer Schritt in Richtung Flexibilisierung und „Arbeit auf Abruf“, sondern praktisch das Ende von Überstundenzuschlägen, was für die ArbeiterInnen in Österreich jährlich zwischen 1,3 und 1,6 Milliarden € Lohnverlust bedeuten würde. Dieser Vorschlag sorgte selbst unter den Gewerkschaftsspitzen, die sonst so bemüht sind, Ruhe und Ordnung im nationalen Schulterschluss zu bewahren, für offen zur Schau getragenen Unmut. Gleiches an den Universitäten: die Aussicht auf die Studienplatzbewirtschaftung weckt sofort Begehrlichkeiten bei den Rektoraten den Zugang weiter zu beschränken.
Um die politische Stabilität aufrecht zu erhalten, versucht die bürgerliche Spitze der SPÖ unter Kern immer mehr, ihre Programmatik ungekürzt von oben herab auch an den bereits jetzt hoffnungslos undemokratischen Strukturen der Partei vorbei durchzusetzen. Die Fokussierung auf den von Kern persönlich gestifteten „Plan A“ ersetzt die Erstellung eines neuen Parteiprogrammes, die alten Strukturen werden als „zu schwerfällig“ angesehen. Als Hauptbremser werden die Gewerkschaften identifiziert. Die Öffnung der Partei erfolgt in Richtung neuer sozialer Schichten, insbesondere aufstiegswilligen Selbstständigen, die direkt für Kerns Kampagne organsiert werden sollen. Unter Kanzler Faymann galt noch die Devise, die Gewerkschaften so weit wie möglich einzubinden und ihre VertreterInnen in Regierung und Parlament Konterreformen selbst umsetzen zu lassen. Jetzt wird aber selbst das zu wenig.
Die „Stabilisierung“ der Regierung steht auf extrem wackligen Füßen, die an ihrer eigenen Basis sägt. Nur die weitgehende Unterordnung der reformistischen VertreterInnen der Arbeiterbewegung unter Kapitalinteressen bis hin zur Selbstaufgabe stabilisiert sie noch, aber auch nur temporär. Der österreichische Kapitalismus verbraucht seine politischen Reserven mehr und mehr.
Letztendlich wird nur der selbstständige Klassenkampf der ArbeiterInnen um ihre Interessen den jetzigen Teufelskreis aus Perspektivlosigkeit, kampfloser Niederlage und Rückzug durchbrechen können. Wir MarxistInnen vom „Funke“ werden diesen Prozess daher weiter analytisch begleiten, vor allem aber entschlossen aktiv gegen jeden Versuch kämpfen, die Arbeiterbewegung noch einen Tag länger unter die Interessen der Bürgerlichen unterzuordnen. Nicht dieses oder jenes „kleinere Übel“, nur revolutionäres Programm und Praxis kann in Zeiten der Krise des Kapitalismus tatsächlich für Verbesserungen sorgen. Schließ dich uns in diesem Kampf an!
Wien, 15. Februar 2017
Weitere Themen der neuen Ausgabe:
- Österreich
- Demonstrationsrecht: Unleistbare DEMO-kratie
- Graz: KPÖ legt zu, SPÖ im freien Fall
- Betrieb & Gewerkschaft
- Alle Macht den (Betriebs-)Räten?
- Starbucks will Streikbrecher
- Werbewirtschaft: Neuer Angriff auf KV-Wesen
- Gesundheit- und Sozialbereich: Kampfbereitschaft macht den Unterschied
- Theorie
- Das Gespenst der „alternativen Fakten“
- Russland 1917: Die Februarrevolution
- Unsere Revolutionäre Tradition: Die Frauen der Februarrevolution
- Wir über uns
- MIAU: Marxismus an Unis
- Gesellschaft
- Rassismus: Die Freuden eines Innenministers
- Dr. Erwin Pröll - Sohn seiner Klasse
- International
- Großbritannien: Krise in Labour und Momentum
- Afrika: Militärintervention & Massenproteste
- USA: Ein Programm, um Trump zu besiegen
- Türkei: Erdogans Spiel mit dem Feuer
- Trump: Eine neue Normalität
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