Wie passen Sommerloch und Nationalratswahlkampf zusammen? Mit einer beispiellosen Theateraufführung in Sachen Flüchtlinge, über die man lachen könnte, wenn die Konsequenzen nicht bitterer Ernst wären.
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Von der Diskussion über die „Balkanroute“ über die „Brennerroute“ zur „Mittelmeerroute“ haben die Österreichischen Medien es in den letzten Monaten und Jahren perfektioniert, humanitäre Katastrophen in feinstem, neutralem Beamtendeutsch darzustellen. Flüchtlinge sterben in Güterwaggons? Tausende ertrinken im Mittelmeer? Moralische Entrüstung ist nur noch ein leichtes Hintergrundrauschen in einem allgemeinen rassistischen Getöse im Blätterwald der Zeitungen.
Das liberale Gewissen wird am ehesten noch mit folgendem Gedanken beruhigt: Es gehe ja gar nicht um die Flüchtlinge, sondern um die Schlepper, die „Profiteure, die mit menschlichem Leid Geld verdienen“. Kein Gedanke wird jedoch daran verschwendet, dass die rassistische Politik den richtig dicken Fischen unter den Schleppern das Geschäft gar nicht vermiest. Letztendlich läuft der „Kampf um die Schließung der Mittelmeerroute“ darauf hinaus, dass der Schlepper von gestern zum Polizisten von heute gemacht wird, indem die EU besser zahlt, als es die Flüchtlinge können. Die EU finanziert den blutigsten und rückständigsten Diktatoren und Milizen in Nordafrika Waffen und Munition und bildet ihre Truppen aus, diese sperren dafür Flüchtlinge aus Europa unter unmenschlichen Bedingungen weg, versklaven sie, lassen sie teilweise verhungern oder ermorden sie gleich direkt.
Doch solche Fakten spielen in Wirklichkeit gar keine Rolle für das Theater, das aufgeführt wird. Die Kalkulation für das Kapital ist simpel. „Kurz“ gesagt: Über Jahre wurde Posterboy Sebastian von der Raiffeisen und Co. als Außenminister in der öffentlichen Meinung hochgepäppelt, um später als Speerspitze einer starken bürgerlichen Regierung dienen zu können, die den „Standort Österreich“ im kapitalistischen Weltmarkt wieder wettbewerbsfähig macht. Das bedeutet einen Generalangriff auf die österreichische Arbeiterklasse. Da dieses Programm genauso wenig populär ist, wie die ÖVP, darf der Fakt, dass er beides vertritt, nur in homöopathischen Dosen an die Öffentlichkeit kommen. Zum Zweck des Wahlkampfes werden alle möglichen Allgemeinplätze über „Förderdschungel“ und „Steuerbelastung“ ausgepackt, statt die Dinge beim Namen zu nennen, es darf da sogar einmal populistisch gegen das (amerikanische) Großkapital in Form von Facebook geschimpft werden, das in Österreich Steuern umgeht.
Doch die wichtigste Waffe im Arsenal der Bürgerlichen ist die rassistische Spaltung. Es darf nach Herzenslust - natürlich „gut Bürgerlich“ - gegen Flüchtlingsströme, die Mittelmeerroute, gegen „Integrationsunwillige“, gegen Islam und Terrorismus im selben Satz gehetzt werden. Der Zweck ist einfach: nach Jahren der Perspektivlosigkeit soll den ArbeiterInnen als einzige Lösung für ihre Probleme vorgegaukelt werden, dass sie nach unten treten müssen, indem sie Law-and-Order Basti als Durchgreifer wählen.
Die Sozialdemokratie macht es der ÖVP in diesem Vorhaben leicht. Vor dem Ausbruch der Krise 2008 in einer großen Koalition an die Macht gekommen, zeichnete sich die Sozialdemokratie in der Regierung für die Bankenrettungen, für Sparprogramme und Abbau demokratischer Rechte im Interesse des Kapitals mitverantwortlich. Die Übernahme von Parteivorsitz und Kanzlerschaft durch Christian Kern brachte zwar kurzfristige Umfragezugewinne, aber keine Kursänderung. Im Gegenteil – unter ihm sitzt der rechte Parteiflügel fester denn je im Sattel. Das bedeutet für das Wahlprogramm ein Aufwärmen von Kerns Plan A, der die Sozialdemokratie de Facto als die beste Krisenbewältigerin für das Kapital positionieren soll (siehe Funke Nr. 151) – mit einem „sozialeren Gesicht“ als die bürgerlichen Parteien.
So sind die Hauptquellen, aus der die Parteiführung die Notwendigkeit von sozialen Reformen argumentiert, nicht etwa die schleichend schlechter werdende Situation der ArbeiterInnen, der Jugendlichen und PensionistInnen, sondern hauptsächlich der „soziale Frieden“ (der heilige Gral des Nachkriegsösterreichs) und die Interessen des Kapitals selbst. Deutlich wird das an der kürzlich von Gesundheitsministerin Rendi-Wagner vorgeschlagenen kostenlosen Mundhygiene für Jugendliche. Diese Forderung ist nicht etwa eine Reaktion auf den berechtigten Zorn über die extremen Kosten für Zahnbehandlungen, auf denen ArbeiterInnen sitzenbleiben – sondern auf eine Effizienzstudie der „London School of Economics“ über die Sozialversicherungen!
Schlechte Umfragewerte mit dem großen Abstand zur ÖVP werden damit beantwortet, dass die „Wirtschaftskompetenz“ von Kern im Gegensatz zu Kurz hervorgehoben wird. Daneben – und so schließt sich der Kreis – bleibt der SP-Spitze aus der bürokratischen Logik nur noch der Weg, auf den „Rassismus-“ und „Law-and-Order-Zug“ mit nur leicht angezogener Handbremse selbst aufzuspringen. Das Ergebnis sind groteske Wettrennen mit der ÖVP, wer schneller Panzer an den Brenner verlegen kann.
Dieses Sonderangebot des rechten Reformismus von „bürgerlicher Politik – light“ lockt niemanden hinter dem Ofen hervor – der größte Teil der verbliebenen SPÖ-WählerInnen wird die Partei ohne jeden Enthusiasmus als „kleineres Übel“ wählen, um schwarz-blau zu verhindern. So schafft es die ÖVP im Moment, die SPÖ vor sich herzutreiben und bereitet genau so eine Bürgerblockregierung vor, die gewaltige Angriffe auf den Lebensstandard der ArbeiterInnen entfesseln soll. Die Verantwortung für diese Situation liegt bei der Führung der Sozialdemokratie, die sich ganz der Verwaltung des Status Quo verschrieben hat, anstatt eine klare Alternative aufzuzeigen.
Die rassistische Spaltung ist eine Seuche, die die Arbeiterklasse schwächt und es den Bürgerlichen ermöglichen könnte, eine Sparregierung mit komfortabler Mehrheit zu bilden. Liberale Appelle an die Moral sind absolut impotent. Doch die Decke des Rassismus ist in Wirklichkeit eine sehr dünne: Im grellen Licht der Realität und in gesellschaftlichen Kämpfen kann sie sehr schnell zerbröckeln. Nach einem entschlossenen Tritt der Arbeiterbewegung mit dem richtigen Programm würden das Kapital und sein Posterboy sehr schnell nackt dastehen.