Das erste Mal seit langen Jahren bringt eine Protestbewegung die herrschende Ordnung gehörig ins Schwitzen: die ungehobelten und radikalen Gelbwesten.

Ihr ursprüngliches Ziel haben sie bereits erreicht. Aber sie machen weiter und ebnen breiten Sektoren der Arbeiterklasse und der Jugend den Weg in den Kampf. Es ist der unbändige Zorn der Gelbwesten, der die Herrschenden erzittern lässt, aber die große Mehrheit der Bevölkerung mit Freude und Sympathie erfüllt: endlich jemand, der sich wirklich wehrt!

„Es reicht gerade noch zum Überleben, aber das ist kein Leben“, so beschreiben die Gelbwesten ihre Motivation, jede Woche erneut auf die Straße zu strömen. Die brutale Polizeigewalt schreckt sie nicht ab – im Gegenteil, sie erinnern sich der heroischsten Momente der revolutionären französischen Geschichte und bringen die Guillotine mit auf die nächste Blockade. Sie vergleichen ihr schweres Leben mit jenem des Sonnen-Präsidenten und sagen: „Bürger Macron, dein Luxus wird nicht mehr von unseren hart erarbeiteten Steuern gezahlt werden.“

Die Bewegung der Gelbwesten markiert einen Wendepunkt in der Epoche des Krisenkapitalismus. Nach Jahrzehnten der fallenden Lohneinkommen und der harten Spar-Regierungen war die Ankündigung nochmals die Energiepreise zu erhöhen nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der bedrängte Präsident ruft nun plötzlich den „sozialen Notstand“ aus. Dies nur deshalb, weil die Franzosen und Französinnen jetzt begriffen haben, dass sie kein individuelles Schicksal erfahren, sondern alle von den gleichen Umständen – nämlich jenen des krisenhaften Kapitalismus und seiner politischen Exekutoren – bedrängt werden, und man sich dagegen gemeinsam und massenhaft wehren muss.

Dies prägt das Bewusstsein dieser sozial und politisch heterogenen Bewegung: „Egal welche Regierung, mein Leben wurde nicht besser. Der höfliche Protest der politischen Oppositionsparteien und -zirkel hat sich für mein Leben als bedeutungslos erwiesen.“

Auch das ist frisch im Gedächtnis: immer wenn die ArbeiterInnen kämpfen wollen, reiht die Gewerkschaftsführung lediglich dutzende „gewerkschaftliche Aktionstage“ aneinander, die immer so gestaltet werden, dass der Profit der Bosse nicht unter den Unbequemlichkeiten eines Arbeitskampfes leidet – diese Methode konnte die Ziele der Arbeiter nicht erreichen.
Der mutige Kampf der Gelbwesten gegen das „System“ und die „Eliten“ ist eine global wahrnehmbare Watsche für die reformistischen Führungen der Gewerkschaften, ein Tritt gegen reformerische Parteien und Ideen – die von den AktivistInnen weitgehend dem Gegenlager zugeordnet werden. Die Bewegung strebt danach, sich einen selbstorganisierteren Charakter zu geben, indem sie in mehreren Städten zu „Generalversammlungen“ lädt.

Eine besondere Bedeutung kommt nun der Bewegung an den Schulen und Universitäten zu. Die Vollversammlungen der SchülerInnen und Studierenden ist hier die Organisationsmethode des Kampfes, der aktuell an über 700 Bildungseinrichtungen mittels Besetzungen und Demos geführt wird.

Und es bahnt sich - gegen den deklarierten Willen der „dialogbereiten“ Gewerkschaftsführungen - eine Streikbewegung an. Die klassenbewussten organisierten ArbeiterInnen wollen mit den Gelbwesten und ihren Kindern an den Schulen und Universitäten gemeinsam kämpfen. Sie äußern dies in Deklarationen und wir werden es in der Praxis von hart geführten Streiks sehen.

Die Diskussion über Frankreich ist auch eine Diskussion über unsere Zukunft. Ähnliche Bedingungen bringen ähnliche Resultate, dies gilt nicht nur in der Physik, sondern auch im Klassenkampf. „Österreich steht heute gut da“ referiert Sebastian Kurz die Lage des Landes im schläfrigen Wiener Parlament zum ersten Jahr seiner Kanzlerschaft. Er vergleicht die hiesige Stabilität mit all den Unsicherheiten in Europa, inklusive der „brennenden Autos und der gewaltbereiten Linken und Rechten die versucht die Champs-Élysées zu zerstören.“ Selbstsicher preist der Kanzler der Reichen seine Angriffe auf die Ärmsten der Armen im Land zynisch als „die Befreiung der Menschen aus staatlicher Abhängigkeit“.

Nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Arroganz passt kein Blatt Papier zwischen Kurz und dem einstigen Macron. Neu ist, dass der österreichische Kanzler Macron heute nicht mehr als sein großes politisches Vorbild nennt, denn auch die ÖsterreicherInnen stehen emotional mehrheitlich im Lager der Gelbwesten.

Warum ist Kurz aber noch so entspannt, warum setzt er sein allumfassendes Zerstörungswerk so leichthändig um? Die Antwort: Weil Kurz in Österreich noch denselben Spielraum wie Macron kurz nach seinem Amtsantritt im Mai 2017 hat. Die Bewegung in Österreich ist heute noch nicht zu den gleichen Schlussfolgerungen und Maßnahmen gekommen, wie unserer Brüder und Schwestern in Frankreich.

Nach 15 beinahe streikfreien Jahren hat uns der ÖGB einen „Heißen Herbst“ organisiert. Der allgemein erwartete gemeinsame Kampf blieb dabei aus. Jeder Sektor – die Metaller, die Brauer, die Eisenbahner, jetzt der Handel, und dann der Sozialsektor – wurde und wird alleine in die Auseinandersetzung mit dem aggressiven Unternehmer geschickt.

So konnten im Vergleich zu den letzten Jahren zwar relativ hohe Lohnabschlüsse erzielt werden, aber es mussten auch wichtige Verschlechterungen akzeptiert werden: 50 Wochenstunden ist für die Unternehmen jetzt in allen Branchen ein profitables Geschäft. Die Gewerkschaftsführungen übten einen höflichen Verzicht darauf, einen gemeinsamen Kampf aller Beschäftigen zu führen, und rief uns zu homöopathischen Streiks auf. Für diese Zurückhaltung werden wir vielfach bezahlen. Denn die Dynamik der sozialen Verschlechterungen in allen Bereichen ist nicht im Geringsten angeknackst, die Reichen sind hierzulande weiter am Drücker. Aber das rettet die Bourgeoisie nicht. Regierung und Unternehmer spielen sich momentan noch gegenseitig ungestraft den Ball zu, weil die Gewerkschafsführung die Verteidigung nur in ihrem eigenen Strafraum organisiert. Sie kämpft für die Aufrechterhaltung der Sozialpartnerschaft. Aber die Geduld der Arbeiterklasse wird mit dieser Taktik auf die Proble gestellt.

Wenn wir gegen die Reichen und ihre Regierung gemeinsam demonstrieren zeigen wir, dass wir das dreckige Spiel der Spaltung durchschaut haben und aktiv durchkreuzen. Doch unser Kampf wird dann an Kraft gewinnen, wenn wir auch eine einigende Forderung formulieren, die den Widerstand bündeln und orientieren kann. Unser Vorschlag dafür lautet: Kämpfen wir nicht allein für diese oder jene Teilforderung, kämpfen wir schon gar nicht für den Kompromiss mit der spalterischen Lügenregierung. Kämpfen wir für den Sturz von Schwarz-Blau! Bereite auch du den Sieg gegen Ausbeutung und Unterdrückung vor. Kämpf mit uns!

Wien, am 12.12.2018


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