In den Ministerien verwaltet eine Dreiparteien-Koalition die Staatsgeschäfte. Kurz geht derweil davon aus, dass er nach diesem kurzen Interregnum gestärkt an den Sozialabbau gehen wird.

 

Dabei läuft es für ihn die letzten Wochen gar nicht so gut. Er hat sich mehrfach verkalkuliert. Zuerst spekulierte er darauf, dass die FPÖ ihren Ultraflügel um Kickl für den Erhalt der schwarz-blauen Koalition opfern würde. Diese Rechnung ging nicht auf, weil Kickl heftigen Widerstand gegen seine Entfernung angekündigt hat, woraufhin die gesamte FPÖ-Ministerriege (außer der Ex-Außenministerin) zurücktrat, um eine Parteispaltung zu verhindern. Dann glaubte Kurz, dass das Parlament so servil sei, dass es seine Alleinregierung akzeptieren würde. Auch hier dachte er zu kurz, nämlich nur an die schläfrigen Abgeordneten im Parlament. Er übersah die Dynamik, die das Ibiza-Videos in der Gesellschaft aufgewirbelt hatte. Während FPÖ-AnhängerInnen auf Parteiveranstaltungen bis dahin nur dem Vorsitzenden zujohlten und zur John-Otti-Band schunkelten, stimmten sie nun „Kurz muss weg“-Sprechchöre an. Den Meuchelmord in der schrecklich netten Koalition, die nie gestritten hat, konnten sie weder verstehen noch akzeptieren.

Und auch den SPÖ-ParlamentarierInnen wurde über tausende Parteikanäle mitgeteilt, dass sie den Wahlkampf allein bestreiten würden, wenn sie Kurz nicht stürzten. Die SPÖ-Basis forderte den Kopf von Kurz. So trat dann Pamela Rendi-Wagner, wie sie selbst vor GenossInnen im Tirol gestand, mit „schlotternden Knien“ vor das Parlament, um der Regierung Kurz das Misstrauen auszusprechen.

Seit dem Antritt von Türkis-Blau dominierte die Regierung Kurz die innenpolitische Dynamik beinahe vollständig. Die rassistische Spaltung der Gesellschaft wurde in Permanenz vorgetragen. Mal wurde das Kopftuch im Kindergarten verboten, um dann die Ausweitung derselben Maßnahme auf Volksschulkinder zur Debatte zu machen.

Ein großer Apparat an Medienmanagern in den Ministerien produzierte Meldungen und Bilder mit Spin am laufenden Band. Großteils wurden diese Stories unhinterfragt von den Medienkonzernen weitertransportiert. Dafür wurden die Planposten der Ministerien extrem ausgeweitet. Allein Kanzler Kurz stellte 90 neue MitarbeiterInnen ein, HC Strache 40, hinterlegt wurde diese Manpower mit großen Geldtöpfen. Kurz gönnte sich einen Sondertopf mit 51 Mio., Strache immerhin noch 15 Mio. € (für eine Budgetperiode). Drohte man in die Defensive gedrängt zu werden, wurden kurzfristig angesetzte Pressekonferenzen abgehalten, wo über pensionierte russische Spione oder angebliche neue Fluchtrouten Auskunft gegeben wurde.

Die parlamentarischen Regeln wurden exzessiv ausgedehnt. Der 12-Stundentag überfallsartig mittels Initiativantrags durchgepeitscht, das Kapern der Sozialversicherungen durch die Finanzhaie wurde auch überfallsartig abgewickelt. Die Konflikte in der Regierung wurden extrem hart, aber hinter den Kulissen ausgetragen. Allein der Machtkampf um die Kontrolle des Sicherheitsapparates zwischen Kickl und der ÖVP (Stichwort: BVT-Affäre) drang an die Öffentlichkeit. Letztendlich nahm das Kapital die Position ein, dass man der FPÖ keine Machtpositionen im Staatsapparat überlassen dürfe, insbesondere der Sicherheits- und Justizapparat soll unbedingt in der Hand der ÖVP bleiben. Daran scheiterte die Regierung.

Der wichtigste Faktor der Stabilität des Bürgerblockes war jedoch die schwache Opposition. Am meisten überrascht von der 100.000-Demonstration gegen den 12-Stunden Tag war die Spitze des ÖGBs selbst. In den drauffolgenden Wochen setzte die ÖGB-Spitze alles daran, den aufgekochten Zorn zu dämpfen und in ungefährliche Bahnen zu lenken. Die angelegte breite Front gegen den 12-Stundentag wurde in einzelne Kollektivvertragskämpfe aufgespalten. Der Kampf zum Erhalt der Sozialversicherung wurde nie geführt, es reichte nur zu einer symbolischen Betriebsversammlung der Krankenkassen-Angestellten. Noch vor der Gesetzwerdung schauten sich private Investoren in den Ambulatorien um. Heute werden unsere Krankenkassen von einem Lobbyisten der Industriellenvereinigung und einem Investmentbanker gemanagt. Das zweite wichtige Projekt der österreichischen Kapitalisten wurde somit noch geräuschfreier über die Bühne gebracht, als die Deregulierung der Arbeitszeiten.

Mit der Abwahl der Regierung Kurz ist es mit der schmissig vorgetragen Politik der Spaltung und Attacken vorerst vorbei. Genau deshalb argumentierten wir im Mai: „Misstrauensvotum ist ein Muss!“ Und tatsächlich zeigen sich Risse in der Fassade des Ex-Kanzlers. Die Legion seines Berater- und Öffentlichkeitsmanipulationsteams ist reduziert, die materiellen Mittel kleiner und es sind plötzlich unkontrollierte Dynamiken spürbar.

So wusste die ÖVP-Spitze sich nicht anders zu helfen, als der staunenden Öffentlichkeit zur Ablenkung ein fehlerhaftes Gutachten darüber zu präsentieren, dass sie mit gefälschten Mails zwischen Kurz und seinem Intimus Blümel in der Causa Ibiza bedroht werde. Der ÖVP-Generalsekretär Nehammer rief die türkise Gefolgschaft auf, zum Schutze der Partei vor Ibiza und anderen dunkeln Kräften, „Verdächtiges im Internet“ zu melden, wobei „verdächtig“ alles sei, was die Partei oder Sebastian Kurz diskreditiere. Die ÖVP wurde des Lügens bei Parteispenden überführt und man erfährt, dass Spenden an die ÖVP bei Flächenwidmungen helfen und sich Söhne und Töchter von ÖVP-Gönnern in vielen Fällen als ExpertInnen für die öffentlich-private Wirtschaftsposten erwiesen haben. Kurz, es läuft grad nicht rund.

Doch diese Kleinigkeiten stärken nur die Meinung jener, die bereits bisher Kurz und seinem Projekt ablehnend gegenüberstanden. Die Indifferenten gewinnt man nur durch die Propaganda der Tat. Und genau darin besteht die Hauptsorge der österreichischen KapitalistInnen. Durch den Abgang der Regierung Kurz ist die Betondecke der scheinbaren Alternativlosigkeit von Spaltung und Sozialabbau durchstoßen. Zum ersten Mal kann man nicht mit einfachsten Mitteln des Taktierens und Blendens die zentralen Projekte des Kapitals durchbringen, sondern muss im Gegenteil eine Schubumkehr befürchten.

Denn: Was, wenn ein Abgeordneter das alte Gesetz des Acht-Stundentages ins Parlament bringt? Oder eine Reichensteuer? Oder gratis-Öffis zur Reduktion des Individualverkehrs? Oder, dass die VertreterInnen von uns Versicherten wieder die Stimmmehrheit in unserer Sozialversicherung zuerkannt bekommen? Zweifellos wären dies alles sehr populäre Gesetze, die das Leben der Arbeitenden in unserem Land stabilisieren könnten und einen Wahlsieg für die Partei, die derlei vorschlägt, wahrscheinlich machen.

Genau dies fordern wir von den SPÖ-ParlamentarierInnen und SpitzengewerkschafterInnen: Zeigt, ob ihr mit der Arbeiterklasse seid, oder ob ihr unsere sozialen Interessen im Zweifelsfall doch lieber der Zusammenarbeit mit den KapitalistInnen opfert.

Wien, am 9.7.2019

Aus dem Inhalt:

  • Krise der SPÖ
  • Nicht nur ein "kurzes Gebet"
  • Sozialhilfe Neu in Niederösterreich umgesetzt
  • Welche Vertretung braucht die Pflege?
  • Kollektivvertragsflucht bei der Caritas
  • Faurecia Kennelbach: Schinden in Permanenz
  • Das freie Spiel der Kräfte
  • HTL Wels: Sagen, was ist
  • Metaller vor heißem Herbst
  • Iran-Konflikt: Neuer Krieg im Nahen Osten?
  • Brasilien: Pyjamastreik reicht nicht aus
  • Frauenstreik in der Schweiz
  • Für eine antikapitalistische Klimabewegung

 

Die Ausgabe ist um 2€ erhältlich beim Funke-Verkäufer eures Vertrauens, bei Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! und Abobestellungen können >>hier<< vorgenommen werden.


Unsere Arbeit kostet Geld. Dabei sind wir exklusiv auf die Unterstützung unserer LeserInnen und UnterstützerInnen angewiesen. Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, zögere nicht und lass uns deine Solidarität spüren. Ob groß oder klein, jeder Betrag hilft und wird wertgeschätzt.

Der Funke  |  IBAN: AT48 1513 3009 5102 5576  |  BIC: OBKLAT2L

Artikel aus der Kategorie