Sebastian Kurz konnte für die ÖVP einen fulminanten Wahlsieg erzielen. Nun formiert er seinen Bürgerblock neu. Die Grünen sind dabei seine erste Option als Koalitionspartner.
Diesem Ergebnis ging ein denkbar unpolitischer Wahlkampf voraus. Es ging hauptsächlich um Korruption und kriminelle Machenschaften in der Politik. Wahlentscheidend war Ibiza nicht; jeder weiß, dass Politik im Allgemeinen ein dreckiges Geschäft ist. Allein das knapp vor den Wahlen bekanntgewordene selbstbereichernde Zulangen des Ehepaars Strache und Hofers an den Finanzen der Partei erschütterte den Glauben der FPÖ-WählerInnen und trieb sie massenweise zu Kurz oder hielt sie ganz von den Urnen fern.
Sebastian Kurz gewann mit einem ÖVP-Wahlkampf, der für Stabilität stand. Er parierte die ÖVP-Leaks, die die Partei als Erfüllungsagentur des Großkapitals bloßlegte, mit ständiger Offensive.
Sein kaltschnäuziger Siegeswille wirkte ansteckend und daher war er der erste Kandidat für alle, die ihre persönlichen Lebensumstände in den letzten Jahren als zumindest stabil wahrnahmen. Dank der sinkenden Arbeitslosenzahlen und des erstmals seit Jahren stabilen Realeinkommens, konnte Kurz sich auf diese Grundstimmung stützen und verwandelte sie zielsicher in Stimmen. Entscheidend dabei war der Umstand, dass niemand ihn politisch angriff. Alle Parteien buhlten um seine (Koalitions-)Gunst, es stand den ganzen Wahlkampf über fest, dass er auch der nächste Bundeskanzler sein wird.
Die Grünen wiederum brauchten keinerlei politisches Genie, um zuzulegen. Die Klimabewegung ist die einzige große soziale Bewegung dieses Jahrs und die Grünen präsentierten sich als der „natürliche“ Verwalter dieses brennenden Anliegens, für das sich Zehntausende mobilisierten.
Nun versucht Kurz den Bürgerblock unter liberalen Vorzeichen neu aufzusetzen. Sein strategisches Ziel - die Profite für die Reichen hinaufzuschrauben - gibt er dabei nicht auf. Im Gegenteil - neue profitable Geschäftsfelder und frische gesellschaftliche Unterstützung für sein Eliten-Projekt möchte er aus der Klimapolitik ziehen. Aus jedem Gesichtspunkt sind daher intensive Türkis-Grüne Koalitionsverhandlungen das nächste große Manöver. In zynischer Weise werden dabei die „Friday for Future-Kids“ (Österreich-Herausgeber Fellner) zur moralischen Rechtfertigung für ein „Parlament for Future“ (Werner Kogler) missbraucht werden.
Dem Grünen-Chef wird hier die Rolle eines Klima-Wirtschaft-Infrastruktur-Minister zugeschrieben, er selbst sieht sich eher in der Rolle als Zuchtmeister für den GrünenParlamentsklub, um dort das neue politische Projekt der Reichen und Kapitalbesitzer abzusichern. Van der Bellen wird hier einmal mehr all sein Können einsetzen, um die nächste Lieblingsregierung des Kapitals spruchreif zu machen.
Für die Arbeiterklasse und die Jugend ist das Projekt einer türkisgrünen Regierung nicht weniger feindlich, als es die Regierung Kurz I war. Statt sich des spaltenden Rassismus zu bedienen, setzt man jetzt auf die scheinbar klassenverbindende Idee der Klimarettung. Eine Trendwende im Sinne der arbeitenden Menschen ist hier wie dort ausgeschlossen. Die Ausbeutung der Massen durch fortgesetzten Sozialabbau, Ausgabenobergrenzen in der Gesundheit, CO2-Massensteuern, die Zurückdrängung der Kollektivverträge etc. wird – ideologisch aufgefrischt - weitergehen.
Selbst der tödliche Rassismus wird nicht zur Debatte stehen, solange dieser möglichst effizient im Mittelmeer organisiert werden kann.
Das erste Motto lautet daher: selbst aktiv in die gesellschaftliche Auseinandersetzung gegen den Kapitalismus eintreten!
Die herrschende Klasse hat mehrere Parteien, die ihre Interessen in all ihren ideologischen Schattierungen vertritt: ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos. Die Arbeiterklasse hat als ihr – wenn auch abgestumpftes – politisches Werkzeug nur die SPÖ und die mit ihr verbundenen Gewerkschaften. Der allgemeine Zustand der Partei und ihr politisches Programm ist daher die zentrale Frage für die Erfolgsaussichten des Klassenkampfes.
Bei diesen Wahlen wurde wieder deutlich, dass die Führung der Sozialdemokratie ihre Eingebundenheit im politischen System der Sozialpartnerschaft und in „kleineren Übel“-Koalitionen als zentrale Aufgabe der Partei begreift. „Themen“ wurden im Stakkato gesetzt, aber allen war klar, dass dies eine rein wahltaktische Stimmenmobilisierung ist, und bei Koalitionsverhandlungen in Kleingeld umgemünzt werden soll.
Die Nachwahl-Debatte zeigt jetzt, dass der zentrale Apparat der Sozialdemokratie auf der Richtigkeit ihrer Perspektive beharrt: „das Personal ist gut, der Wahlkampf war gut, der Weg stimmt“ hieß es in der Parteizentrale. Die „Ausgangslage sei extrem schwierig“ gewesen, die „Themenkonjunktur unvorteilhaft“ erfährt man hier auch. Der Wiener Bürgermeister betont, dass es kaum politische Berührungspunkte mit der FPÖ gäbe, dass man folglich gar keine angewiderten freiheitlichen WählerInnen gewinnen könne. Wenn man bedenkt, dass bei diesen Wahlen deutlich mehr ArbeiterInnen die FPÖ (und die ÖVP) als die SPÖ wählten, zeigt allein diese Analyse die bürokratische Beschränktheit der SPÖFührung. Alle und alles Schuld, nur nicht der selbstgewählte politische Weg.
Die Sturheit des Bundesvorstandes drückt sich in der einstimmig getroffenen Installierung von Christian Deutsch als Bundesgeschäftsführer aus. Dieser war der Leiter des gerade gescheiterten Wahlkampfs. Deutsch und mit ihm die Wiener SPÖ-Führung und die Gewerkschaftsführungen stehen für eine Koalition mit Kurz um jeden Preis. Für diese Mini-Chance, die sich aus einem Scheitern der Schwarz-Grünen Koalitionsverhandlungen ergeben könnte, sind sie bereit, sich Kurz völlig auszuliefern.
An der Basis der Sozialdemokratie – fern der (Staats-)Apparate, Freistellungen und anderer kleiner Vorrechte, herrscht blankes Entsetzen über diese Entrücktheit in der Löwelstraße, die Entgleisungen (Tirols Dornauer) und die Absetzbewegungen in den Bundesländern, die lieber wahl- und machttaktisch auf ihre nächsten Regionalwahlen schielen.
Was es objektiv nun braucht, ist die mutig gestellte politische Frage nach dem Sinn der SPÖ: ist die Sozialdemokratie ein Wahlverein für die Verwaltung der Arbeiterbewegung in der Sozialpartnerschaft, oder aber eine kämpfende Bewegung der Arbeiterklasse? Die politische Situation wird eine zweideutige Antwort mit neuen Wahlniederlagen beantworten. Im Fall von Wien, wo im kommenden Jahr gewählt wird, kann dies eine Machtübernahme der Bürgerlichen in der letzen Hochburg bedeuten.
Die Arbeiterklasse braucht eine politische Partei und angesichts der Krise der Arbeiterorganisationen muss diese Frage ebenso radikal gestellt werden, wie es die zehntausenden GenossInnen gemeinsam mit Jeremy Corbyn in Großbritannien tun. Erinnern wir uns: die Labour Party war eine ebenso äußerlich hoffnungslos verlorene Partei - bis zur Revolte gegen den TonyBlair-Apparat. Hunderttausende strömten ruckartig in ihre Partei, als sich Jeremy Corbyn den Bürgerlichen in der Partei entgegenstellte.
Seither findet eine heftige Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Partei statt: Kapitalismus oder Sozialismus? (siehe Artikel S. 10) Diese Frage gilt es auch in der SPÖ mutig zu stellen. Alles andere ist Quark, wie Rosa Luxemburg sagen würde.
Wien, am 1.10.2019
Die Wahlergebnisse:
Quelle: BMI
Die ÖVP eroberte die Mehrheit in acht Bundesländern und 96 von 117 Bezirken des Landes. 38,29 % sind das beste Ergebnis für die ÖVP bei Nationalratswahlen seit 2002. Der Abstand zur zweitstärksten Partei SPÖ ist der historisch größte den es je bei Nationalratswahlen gab.
Die SPÖ fuhr mit 21,2 Prozent oder minus 5,7 % ihr historisch schwächstes Ergebnis ein. Selbst in Wien konnte sie in nur acht Bezirken eine Mehrheit erringen, insgesamt fiel sie in ihrer einstigen Hochburg auf 27,3%. - weniger als drei Prozentpunkte vor der ÖVP und sieben vor den Grünen. Ein solcher Fall galt ungefähr so wahrscheinlich wie das Austrocknen der Donau. Dazu kommen nur noch drei Bezirke in Oberösterreich (Linz, Steyr und Wels). Weitere historische Hochburgen sind gefallen: Kapfenberg, Leoben, Wiener Neustadt, Villach fielen an die ÖVP... Der größte Wählerabfluss ging mit ca. 200.000 Stimmen zu den Grünen. Von der implodierenden FPÖ konnte die SPÖ jedoch kaum profitieren.
Die FPÖ reduzierte ihr Ergebnis um 10 Prozentpunkte. Sie konnte nur die Hälfte ihrer UnterstützerInnen von 2017 nochmals zur Stimmabgabe bewegen. Den größten Abfluss erlitt sie zur ÖVP (256.000), fast ebenso viele ehemalige UnterstützerInnen blieben diesmal der Wahl fern (235.000).
Die Grünen hingegen machten 13,8 %. Auch die NEOS erreichten mit 8,1 % ihr bisher historisch bestes Ergebnis.
Aus dem Inhalt der Zeitung:
- SPÖ: Es rettet uns kein hö'hres Wesen
- Sozialbereich: Sozial und selbstbewusst in die KV-Verhandlungen!
- Erfahrungsbericht einer Sozialpädagogin
- KAV: Demo-Bericht / Raus zu den Dienststellenversammlungen! / Studierende solidarisieren sich
- Personalschlüssel in der Pflege
- Metaller
- Strategie gegen Massenentlassungen
- Schwerpunkt: Warum brauchen wir eine Philosophie?
- Neue Regierung in Italien
- Brexit Schlamassel & Der Kampf um eine sozialistische Labour Party
- Berichte: Antikapitalismus am Earth Strike
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