Die Regierung Kurz II ist eine Regierung der sozialen Angriffe im umfassendsten Sinn. Es gilt die Intensivierung des Klassenkampfes vorzubereiten.
Das neue Farbenspiel verblendet den Charakter der neuen Regierung. Diese Verwirrung ist im Sinne der Herrschenden, und die Grünen tun dafür ihr Bestes. Nicht mehr und nicht weniger als die Rettung der Welt sei der Grund und tiefe Sinn dieser Regierung.
Die Grüne Clubobfrau Sigi Maurer ist eine besonders enthusiastische Überzeugungstäterin dieser Konstellation. Sie erträumt, dass die Grünen dabei die Sozialdemokratie hinter sich lassen und „zur progressiven Leitpartei werden“ würden. Sie erklärt die Koalition gar als heroischen Akt: „Die grüne Partei wurde im Widerstand sozialisiert. Jetzt leistet sie Widerstand gegen die Klimakrise.“ Begeistert proklamiert sie: „Mit dieser Regierung ist die Rechts-Links Definition endgültig gesprengt.“
Kanzler Kurz bleibt in seiner Einschätzung am Boden der Realität. Seine politische Haltung sei noch „vor drei Jahren von vielen als rechts- bis rechtradikal“ bezeichnet worden. Und er arbeitet weiter an der Durchsetzung dieser Ideen. „Anti-Migration“ und „Anti-Islam“ sind die Speerspitzen für die Hetze auf sozial Verwundbare im Allgemeinen. Nun kommt eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose. Unzumutbar ist es für den Regierungschef, dass arbeitslose WienerInnen einen Job im „Westen des Landes“ ablehnen dürfen. Es ginge auch hier um die „Abschaffung von Missbrauch“.
Die Grünen haben in den Regierungsverhandlungen tiefes Verständnis für die rassistische Spaltung der Gesellschaft entwickelt. Die Flüchtlingskrise 2015 sei ein „Trauma“ für das Team um Sebastian Kurz, so wie „Tschernobyl für die Grünen“. Man müsse dem mit Verständnis und Einfühlungsvermögen entgegentreten. Die Moral des Kleinbürgers ist billig und biegsam. Die ÖVP nützt diese Empathie-Fähigkeit, um ihre reaktionäre Politik als „österreichische Position“ für unantastbar zu erklären.
Die Liste jener, die salbungsvolle Worte und positive Empfindungen für diese Regierung haben ist lang. Sie reicht von Victor Orban über die Industriellenvereinigung bis zur EU-Kommission. Auch der rechtsextreme Identitären-Chef Martin Sellner findet Lob für einzelne Regierungsvorhaben. Der tiefere Grund dieser ungewöhnlichen politischen Einheit, die selbst viele „Bauchlinke“ in sich einschließt und verschlingt, liegt im brüchigen Gewebe der herrschenden Ordnung. Jederzeit kann eine Krise akut aufbrechen: „Stabilität!“ ruft das Kapital. Eine bürgerliche Regierung, die sich der Rettung der „einen Welt“ verschrieben hat, ohne dabei sofort öffentlich ausgelacht zu werden, ist Sauerstoff fürs System.
Der Präsident der USA steht in einem Amtsenthebungsverfahren. Ein drittes Enthüllungsbuch („A very stable genius“) gibt tiefen Einblick in die innere Zerrissenheit der herrschenden Klasse. „Ich will Kriege gewinnen. Aber wir gewinnen keine Kriege mehr“, wird der tobende Trump zitiert. Und weiter: „Wo bleibt das verfluchte Öl?“
Derweil tritt Großbritannien, die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, Ende Jänner aus der EU aus. Innerhalb von nur einem Jahr will der britische Premier Johnson parallel einen Handelsvertrag mit der EU und mit den USA verhandeln – ein Ding der Unmöglichkeit. Die drittgrößte Wirtschaft Europas droht in offenes Chaos zu versinken.
Die weltweit stattfindenden Aufstandsbewegungen gegen die herrschende Ordnung können, mangels eines klaren Zieles und einer revolutionären Organisation bisher nicht gewinnen, aber sie zerbrechen daran nicht. Die Kampferfahrung lehrt die Bewegungen entschiedener vorzugehen. Frankreich erlebt den längsten Streik im öffentlichen Verkehr seiner Geschichte, die Revolution im Libanon nimmt einen neuen, radikaleren Anlauf. Die Aufstandsbewegung in Chile kann weder durch Repression (30.000 Festnahmen) noch durch die Allparteien-Verheißung einer verfassungsgebenden Versammlung gebrochen werden. In Kolumbien gibt es einen neuen Generalstreik. Die Tötung des populären iranischen Generals Soleimani im Irak durch US-Drohnen hat weder die revolutionäre Bewegung im Irak entlang religiöser Grenzen gespalten, noch die iranische Arbeiterklasse und Jugend länger als einige Stunden hinter dem Regime der Mullahs versammelt.
Der Geist des Klassenkampfes ist aus der Flasche und lässt sich nicht mehr einfangen.
Diese globale politische Instabilität ist Ausdruck und zugleich Katalysator der tiefen Krise der kapitalistischen Produktionsweise. Die Märkte sind überfüllt, die Produktivität stagniert. Das senile System des Kapitalismus kann den Profit nur durch eine stärkere Ausbeutung der Gehirnzellen, Nerven und Muskeln der ArbeiterInnen steigern. Die „Standorte“ stehen im harten Verdrängungswettbewerb zueinander, und gleichzeitig verlangt die Massenproduktion, die globale Arbeitsteilung einen Weltmarkt. Das deutsche Wirtschaftswachstum ist heuer mit 0,6% prognostiziert, die Produktion bleibt rückläufig. Global ist das Wachstum schwach und anfällig für Schocks, die es über die Klippe ziehen werden. Die Entwicklung der Weltwirtschaft und der bürgerlichen Politik steht im Widerspruch zur Masse der Weltbevölkerung, dies ist ein Epochenmerkmal, keine temporäre Erscheinung.
Türkis-Grün gilt dem Kapital deshalb als Modell, weil diese Konstellation gesellschaftlich noch unverbraucht ist. Dies wird unter den konkreten Ereignissen ins Gegenteil umschlagen.
Wir stehen in diesem Prozess für eine vollständige ideologische, programmatische und politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von der Bourgeoisie. Diese gibt es derzeit nicht. Die Spitzen der Arbeiterklasseorganisationen suchen die Zusammenarbeit mit dieser Regierung. Die Spitze der SPÖ steht für eine „konstruktive Opposition“. Die Führungen der Gewerkschaft suchen über die Grünen Ansprechpartner für ihre Einbindung in den Staatsapparat („Sozialpartnerschaft“). Die Linke in und außerhalb der Sozialdemokratie reflektiert die Orientierung auf den Klassenkompromiss, indem sie gar keinen Anspruch auf die Organisierung des Klassen-Konfliktes erhebt, sondern ihn nur „erzählen“ oder „repräsentieren“ will.
Politisch ist ein sozialistischer Neustart der Arbeiterbewegung dringend notwendig – und das geht nur über eine direkte Konfrontation mit den Rechten in Sozialdemokratie und der sozialpartnerschaftlich orientierten Gewerkschaftsführung. Falsche Ideen hingegen verzögern den offenen Klassenkampf und verschlechtern damit die Ausgangsposition der Arbeiterklasse.
Der Klassenkampf wird sich verstärken. Der Arbeitskampf der KrankenpflegerInnen im KAV ist nur das beste, aber nicht das einzige Beispiel dafür, dass Lohnabhängige erfolgreiche Kämpfe führen können. Andere Betriebskonflikte und Auseinandersetzungen, das Ringen um die Kollektivverträge (aktuell in der Sozialwirtschaft), politische Verschiebungen bei Betriebsratswahlen etc. zeigen an, dass die Arbeiterklasse einen Ausweg aus der Defensive sucht und danach strebt, Führungen herauszubilden, die Erfolge organisieren können.
Die kommende Zeit bietet viele Ansatzpunkte die Klassenauseinandersetzung anzuheizen, das Selbstbewusstsein unserer Klasse aufzurichten und Ideen im Kampf abzutesten. Der revolutionäre Sozialismus wird so tiefe Wurzeln in der Klasse und Jugend schlagen. Dies ist die Vorbedingung für die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und damit der einzige Weg zur Rettung der Welt.
Wien, 22.1.2020
Aus dem Inhalt der Zeitung:
- Sozialwirtschaft: Vorsicht, Falle!
- Magna Graz: Klimakrise und Stellenabbau - zwei Probleme, eine Ursache
- Statt Sparzwang: Wiens Spitäler verbessern!
- Pleite eines "Startups"
- Automobilindustrie: Der Motor stottert
- Das blutige Ende des Austromarxismus
- Türkis-grün: Füllhorn für Kapital und Reiche
- Für eine sozialistische Labour Party!
- Frankreich: Wie der Streik gewonnen werden kann
- Sardinen, Flaggen und der Klassenkampf
- Die Schöpfung hat die Krise
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