Österreich mausert sich zu Europas Krisenregion Nr. 1. Das türkise Bürgerblock-Projekt bewegt sich auch in eigener Sache auf dünnem Eis.
Die Wirtschaft Österreichs ist in der tiefsten Krise seit 1945 und steht im europäischen Vergleich besonders schlecht da. Zum Jahreswechsel verzeichnete nur Spanien (-9,1%) einen tieferen Fall der Wirtschaftsleistung als Österreich (-7,8%) und für dieses Jahr lauten die Prognosen, dass das heimische Wachstum heuer das EU-Schlusslicht bilden wird. Im Tourismus gingen letztes Jahr 62% der Arbeitsstunden verloren, in Handel 43% und in der Industrie 33%.
Dass die Wirtschaft im Gesamtjahr 2020 trotzdem nur um etwa 7% eingebrochen ist, ist einerseits das Resultat der höchsten staatlichen Wirtschaftshilfen der EU – 61 Mrd. € fließen 2020 und 2021 als Hilfen und Konjunkturpakete aus dem Budget in die Volkswirtschaft. Andererseits halten sich die Unternehmen an ihren Beschäftigten schadlos, indem sie den Arbeitstakt erhöhen und das Arbeitspensum hochschrauben.
Da das Leben sich in der Pandemie zunehmend in die Haushalte verlagerte, sind insbesondere die Arbeiterhaushalte und die Frauen der Arbeiterklasse ständigem Stress und Überarbeitung ausgesetzt. Dies ist jedoch noch die „bessere“ Alternative zur Massenarbeitslosigkeit, die historische Rekordwerte erreicht: 3% weniger Beschäftigte, 27% mehr Arbeitslose und 77% mehr Langzeitarbeitslose lautet die Jahresbilanz, fast 600.000 sind aktuell beim AMS gemeldet. Eine Erhöhung des Arbeitslosengelds wird von der Regierung vehement abgelehnt.
Die Infektionszahlen verweilen auf zu hohem Niveau, weil das Virus schon im Herbst wegen fehlendem Contact-Tracing außer Kontrolle geriet. Es wurde verabsäumt, das öffentliche Leben (Kindergärten, Schulen, Unis, …) pandemietauglich zu machen, die Impfkampagne kommt nicht vom Fleck, die touristische Wintersaison ist gelaufen und nun hofft die Regierung auf den Frühling und die Gnade der Viren-Mutationen.
Die um sich greifende gesellschaftliche Unruhe beunruhigt die Herrschenden, die dem aktuellen Lockdown daher einen politischen Charakter gegeben haben: Die rechtsextreme wie auch die linksextreme Szene in Österreich würden die besonderen Herausforderungen der Corona-Pandemie nutzen, um die rechtsstaatlichen Strukturen auszuhebeln und im Hintergrund ihre Ideologie zu transportieren. „Das Ziel dieser Gruppierungen ist die Schwächung der österreichischen Demokratie“, heißt es aus dem Innenministerium. Damit werden Demoverbote (darunter auch von der ÖH und der sozialdemokratischen Volkshilfe) und die erhöhten Strafzahlungen bei Verstößen gegen Covid-Regeln gerechtfertigt.
Die derzeitige Bedrohung der Regierung kommt (noch) nicht von der Straße. Der Aufstand der Tiroler ÖVP gegen wirksame Maßnahmen zur Eindämmung der dort grassierenden Virenmutationen zeigt die tiefen Risse im bürgerlichen Lager selbst.
Die akutesten Widersprüche ergeben sich jedoch aus dem politischen Netzwerk und der Methode des Bundeskanzlers. Diese beschrieben wir 2017 so:
„Rund um Sebastian Kurz wurde ein Netzwerk von Bewunderern bzw. Abhängigen aufgebaut. Parteiübergreifende Caféhausgespräche mit politischen Eliten benutzt er dazu, eine höhere Hebelwirkung im komplizierten inneren Machtgefüge der ÖVP zu erzielen. (…) Kurz lädt außerdem regelmäßig zu informellen Gesprächen mit Wirtschaftstreibenden.“
Es stellt sich heraus, dass man mit egozentrischer Selbstüberschätzung und guter PR („message control“) politische Effekte erzielen kann – dies aber nicht auf Dauer, besonders nicht inmitten einer globalen Krise. Das Kurz‘sche Selfperformer-Personal wird zur Belastung:
- Das gesamte akademische Lebenswerk der ehemaligen Arbeitsministerin Aschbacher wurde extrem zeiteffizient verfasst.
- Der Abschlussbericht der Terror-Untersuchung zeigt, dass das BVT eine klare Einschätzung über die Gefährlichkeit des späteren Attentäters hatte und legt nahe, dass Innenminister Nehammer die Bedeutung dieses Umstandes nicht ganz erfasste.
- Wirtschaftsministerin Schramböck musste offenlegen, dass das funktionsunfähige kurzlebige „Kaufhaus Österreich“ um 1,2 Mio. € von einer freundlich gesinnten Firma entwickelt wurde.
- Und dann erfolgte eine richterlich genehmigte Hausdurchsuchung bei Finanzminister Blümel, dem nun seine langjährige intime Bekanntschaft zu einem offensiv-parteispendenwilligen ex-Novomatic-CEO zum Problem wurde.
Finanzminister Blümel betont keine Spenden für eine Gegenleistung angenommen zu haben. In der ZIB 2 argumentiert er so:
„Soweit ich weiß ist es auch gut so wenn österreichische Politiker sich regelmäßig mit Vertretern von ö. Unternehmen treffen, in den verschiedensten Formen, Mittagsessens-, Abendessensrunden, was auch immer, um zu erfahren wo es eine bessere Standortpolitik braucht, was die österreichischen Unternehmen vielleicht auch im Ausland brauchen. Das passiert regelmäßig, das ist gut so.“
Karl Marx und Friedrich Engels schrieben 1848 im Kommunistischen Manifest: „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet“. Neu ist also nur der kulinarische Rahmen, der von der türkisen Clique dabei bevorzugt wird.
Die türkise Regierungspartei hat angekündigt „jeden zu verklagen, auch nicht-Prominente“, der die in ihren Augen bereits bewiesene Unschuld des Finanzministers anzweifelt. Weiters vermutet und attackiert die führende Regierungspartei eine „politisierende Justiz“, die sie in roten Netzwerken der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft vermutet. Angriffe aus dem Bundeskanzleramt auf die Justiz sind ein gefährliches Spiel, da damit die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates untergraben wird. Die Schnappatmung im Zentrum der politischen Macht zeigt an, wie eng und einsam es um die türkise Spitze ist.
Aschbacher, Faßmann, Nehammer, Schramböck, Blümel. Gegen fünf MinisterInnen werden Rücktrittsaufrufe und -anträge formuliert. Dies zeigt die tiefe Krise des Landes und das Scheitern der politischen Lösungen an. Dass Kurz von offensiver Kritik durch die Sozialdemokratie ausgenommen wird, ist eine Kapitulation der SPÖ, die einer Unterstützung der Regierung und des Kanzlers gleichkommt.
Aber selbst, wenn der Grüne Parlamentsclub nun wöchentlich auf den Knien ins Hohe Haus rutscht, um sich für den Kanzler ins Schwert zu stürzen: diese Regierung ist nur mehr ein wackeliges Kartenhaus. Oder wie es die Süddeutsche Zeitung sagt: „Bald knallt‘s“.
Eines ist dabei klar: Ohne die Enteignung des Raiffeisenkonzerns, der Novomatic und der anderen Großkonzerne wird Politik in diesem Lande immer zuerst mit und für Superreiche gemacht werden. Statt sich staatstragend und sozialpartnerschaftlich zu geben, müsste die Führung der Arbeiterbewegung den Klassenkampf organisieren – das System Kurz wäre in kürzester Zeit Geschichte. Kämpf daher mit uns für die Herausbildung eines starken sozialistischen und revolutionären Pols!
Wien, am 17.2.2021
Aus dem Inhalt der Zeitung:
- Österreich
- Kurz muss weg: Für eine sozialistische Opposition
- Porträt des Querdenkertums
- Jugendliche im Alarmzustand
- Schülerprotest gegen Abschiebung
- Impfung: Ungerechtigkeit überall
- Corona-Impfstoffe: Der Markt hat versagt - für einen Produktionsplan und Arbeiterkontrolle
- Betrieb & Gewerkschaft:
- Französischer Gewerkschaftsführer: "Das Ziel der CGT muss es sein, den Kapitalismus zu beenden"
- Leserbrief aus dem Casino
- Faurecia: Wer kämpft, kann gewinnen!
- Steyr: Niederlage ohne Kampf - oder auf eigene Kraft setzen?
- Schwerpunkt: Ist Hausarbeit ein "unbezahlter" Job?
- Über uns:
- Brot&Rosen-Seminar zum Frauentag: Jetzt anmelden!
- Spenden mit Gegenleistung
- Geschichte:
- Hilde Monte - Arbeiterwiderstand und internationale Solidarität
- International:
- Der Winder der russischen Unzufriedenheit
- Polen: Kampf gegen das Abtreibungsverbot geht weiter!
- UK: Die Labour Party zurück in die Hand ihrer Mitglieder!
- Myanmar: Was bedeutet der Militärputsch?
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