Bundeskanzler Kurz spürte „die gute Stimmung und Dankbarkeit der Masse der Menschen für die gute Arbeit“ der ÖVP. Wenige Stunden später musste der türkise Bürgermeister von Graz, Siegfried Nagl seine „schützende und helfende Hand zurückziehen“. Denn die WählerInnen haben den Schutzherrn der Nobel-Schickeria und Investoren entmachtet.

 

Im Grazer Wahlergebnis zeigt sich eine Stimmung, die überall vorhanden ist und weltweit stärker wird: der Kapitalismus versagt, eine Alternative ist notwendig. Es ist immer die Jugend, die „Kavallerie der Revolution“ (L. Trotzki) die besonders sensibel auf Veränderungen reagiert. In den USA bevorzugt eine Mehrheit der Millenials den Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus, mehr als ein Drittel glaubt, dass der Kapitalismus schlussendlich verschwinden wird und 28% der nach 1998 geborenen haben ein positives Gefühl gegenüber dem Kommunismus. Immerhin ein Zehntel der Jugend hat einen sehr klaren Begriff davon: sie wollen die Abschaffung jeden Privateigentums.

Diese Stimmung fußt auf den Erfahrungen, keine Lebenschancen mehr vorzufinden, allgemeiner Ungerechtigkeit und fehlenden Problemlösungen. Dies führt regelmäßig zu Massenbewegungen (Klimastreiks, Black Lives Matter) und zeigt sich auch in Wahlen. In Graz konnte die KPÖ so 28% gewinnen, in Berlin stimmten 56% für die Enteignung des Immobilen-Hais „Deutsche Wohnen AG“.

Wenn keine Alternative greifbar ist, vollzieht sich dieser Prozess nur im Zerfall des Alten. Deutschland stand für politische Stabilität und Berechenbarkeit. Nach dem 26. September liegen CDU und SPD aber erstmals gemeinsam unter 50%. Die SPD knapp vor der CDU, weil die Entfernung der CDU von der Macht das stärkste Wahlmotiv war. Den leichten Vorsprung der SPD interpretiert ihre Spitze als staatsmännische Verantwortung, im Dienst des Kapitals eine instabile Dreiparteienregierung der kommenden sozialen Angriffe und Enttäuschungen zu organisieren. Die Sozialdemokratie in Österreich, inklusive dem Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend, schürt in diese kommende Regierung die Illusion eines „progressiven Projekts“. Allein, es ist nur eine Regierung auf Geheiß der Deutschen Bank.

Auch Oberösterreich. Dort ergaben die Wahlen eine einzige große Wahlsiegerin: eine reaktionäre Anti-Covidmaßnahmen-Formation, die aus dem Stand einen Stimmanteil von 6,2% erreichte.

Die oppositionelle Sozialdemokratie fand keinen Ansatzpunkt, obwohl sie auf soziale Themen und gewerkschaftliche Mobilisierungsfähigkeit setzte. Am MAN-Standort Steyr konnte die Partei ihren Stimmanteil um 2,9% auf 32,5% steigern. In Linz gelang ein Plus von 1,7 % auf 26%. In absoluten Zahlen erhielt sie selbst in den „Hochburgen“ trotzdem ein Minus. Auch an Standorten, wo durch Betriebsräte und hohe gewerkschaftliche Organisierung eine starke kollektive Sicherheit erkämpft wurde, ist das Kreuz bei der SPÖ keine klare Sache mehr. Auf die weiten Teile der Arbeiterklasse Teilzeitbeschäftigte, Arbeitslose und Karenzierte, Angestellte und ArbeiterInnen in kleinen und unorganisierten Betrieben, Büros und Läden etc. übt die Sozialdemokratie keine besondere Strahlkraft aus. Es ist nicht klar für was sie steht und v.a. sie leidet an mangelnder Glaubwürdigkeit – egal welche „Themen sie setzt“.

Und hier setzt die steirische KP den Konterpunkt. Jahrelang erarbeitete Glaubwürdigkeit von Funktionären lässt sich eben nicht kaufen. Die selbstauferlegte Politikerlohn-Kürzung auf ein Facharbeiterniveau ist eine unmissverständliche Visitenkarte einer Arbeiterpartei. (Nebenbei: in SPÖ und SJ werden solche Anträge stets niedergestimmt, um weiter „Spitzenkräfte“ beschäftigen zu können.) Zudem ist die steirische KPÖ „nützlich für die Menschen“, dies ist ihr wichtig.

Für die Kapitalisten und ihre PolitikerInnen ist es ein Horror, dass ein ehrlich vorgetragener Arbeiterklasseansatz ihr gewohntes dreckiges (und lukratives) politisches Geschäft durchkreuzt. Sebastian Kurz selbst verdankt seine Machtübernahme in der ÖVP und seine zwei Wahlerfolge einer präzis eingeschätzten „Wechselstimmung“ (so sein Beraterstab) im Land, die gezielt rassistisch und ständig spalterisch bearbeitet wird. Die Grazer KPÖ hat die ÖVP-Demagogie erstmals ins Leere laufen lassen und der Wechselstimmung einen solidarischen Ausdruck verliehen. Das sind schlechte Nachrichten für die Bürgerlichen und ihre PolitikerInnen. Meterhohe Aktenberge in der Korruptionsstaatsanwaltschaft, Kickls Impfstatus, die handzahme Sozialdemokratie, Gewerkschaftsführer die sich durch ein Bier im Schweizerhaus einlullen lassen, all dies sind berechenbare Risken bürgerlicher Herrschaft. Jetzt aber hat ein neuer, unberechenbarer Faktor die politische Bühne betreten: WählerInnen, die die angebotene Rote Karte in die Hand nehmen. Kurz findet den Wahlsieg der Kommunisten daher „bedenklich“.

Nun rücken die Apologeten der herrschenden Ordnung aus, um den politischen Dammbruch abzudichten. Sie warnen vorm Eisernen Vorhang (den sie selbst gegen Flüchtlinge rund um Europa längst wieder errichtet haben). Sie rechnen die Millionen Toten des historischen „Kommunismus“ auf (bei geschätzten 30-40 Mio. Hungertoten im Jahr 2021). VP-Staatssekretärin Edtstadler findet es „befremdlich, dass die KPÖ gewonnen hat“, aber normal, dass sie an einem Wochenende eine Taxirechnung von 4.000 Euro verursacht. Die anti-kommunistische Heuchelei der Herrschenden ist leicht enttarnt. Wir stellen uns klar gegen diese durchschaubaren Angriffe.

Dies entbindet uns nicht zu benennen, wo die KPÖ leichtfertig und oberflächlich agiert. Echten Kommunismus kann man einfach verteidigen. Stalins Herrschaft und was danach kam sind jedoch ein brutaler Bruch mit der Oktoberrevolution. Hier wurden KommunistInnen verflogt, die Sowjetdemokratie ausgelöscht und das theroretische Erbe der Bewegung zum Zweck einer bürokratischen Herrschaft verfälscht. Dieses Erbe liegt bis heute schwer über der Bewegung, gerade in aktuellen Fragen des Klassenkampfes.

Auf den rechten Druck der Bourgeoisie lauten ihre jüngsten Aussagen der KP nach den Wahlen: „Kommunalpolitik hat gar nichts mit sozialistischen Maßnahmen wie Enteignung von Konzernen zu tun“. Diese scharfe Trennung zwischen dem "Fernziel Sozialismus" und der komunalen politischen Praxis entspringt diesem Erbe und schwächt uns im Klassenkampf.

Denn die bürgerliche Hysterie wird es nicht bei Worten belassen. Wenn es Elke Kahr gelingt Bürgermeisterin zu werden, wird sie einem feindlichen Block gegenüberstehen. Alles wird schwieriger werden: die Finanzierung der Kommune über den Finanzausgleich, die Verhandlungen mit den Bankern und renitenten Investoren, verzögerte Infrastrukturprojekte vom Bund, …

„Den Menschen nützlich zu sein“ bekommt so eine neue und zusätzliche Bedeutung. Wenn die KPÖ die Bedeutung des sozialistischen Programmes für die Kommunalpolitik verneint, schwächt dies ihre Regierungstätigkeit.

Die Auseinandersetzung ist nicht vorbei, sie fängt erst so richtig an, und es gilt gegen Kurz und Co zu gewinnen. Mögen die Herrschenden zittern und das Kriegsgeheul gegen den Kommunismus anstimmen. Die Periode der Ruhe und des sozialen Friedens neigt sich dem Ende zu.

Wien, am 30.9.2021


 Aus dem Inhalt:

  • Österreich
    • Graz-Wahl: Kommunistischer Erdrutschsieg
    • SPÖ-Vorarlberg: Postenkampf statt Klassenkampf
    • Schulchaos: Selbstorganisation statt Bittstellerei
  • Betrieb & Gewerkschaft 
    • Metaller wollen mehr
    • Italien: GKN kämpft weiter!
    • Nein zur Spaltung: Für eine solidarische Impfdebatte in den Spitälern
    • Leserbrief: eine Kollegin aus einem privaten Pflegeheim in der Steiermark berichtet
  • Gesellschaft
    • Lobau: SPÖ-Führung will  betonieren
    • Wohnungsfrage in Innsbruck
  • Schwerpunkt: Warum wir eine revolutionäre Philosophie brauchen
  • Herbst 2021: Organisierungsoffensive an Schulen und Unis!
  • International

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