Die Bürgerlichen sind in der Defensive – Jetzt kann die Arbeiterklasse vorankommen.

 

Sebastian Kurz muss sich in den letzten Wochen wohl ähnlich betrogen fühlen, wie der römische Diktator Julius Cäsar. Dieser soll im Augenblick seiner Ermordung tödlich verwundet ausgerufen haben: „Auch du, mein Sohn Brutus?“, nachdem er unter den Mördern seinen Adoptivsohn erkannte. Warum musste der karrierebewusste Wunder-Wuzzi abtauchen?

Das Problem der Korruptionsvorwürfe und der geleakten Handy-Nachrichten ist, dass sie die Verschränkung von Parteien, Staatsapparat, Wirtschaft und „freien“ Medien in aller Öffentlichkeit preisgeben. Das untergräbt die Stabilität des Gesamtsystems. Ein offenes Torpedieren der Arbeit eines Teils der Justiz (der WKSta) durch den Regierungschef ist – bei aller Liebe zum ‚Sebastian‘ - für die Herrschenden zu destabilisierend.

Jetzt hoffen sie wohl vor allem auf unsere Vergesslichkeit. Doch wir vergessen nicht: Jahrelang haben uns die öffentlichen Meinungsmacher die türkise Politik als „notwendige Maßnahmen“ verkauft: Der 12-Stunden-Tag, die Zerschlagung der Sozialversicherungen, die Angriffe auf die Arbeitslosen und die reichen Geldgeschenke an Unternehmen auch während der Corona-Krise. Die andauernde rassistische Spaltung sollten den Charakter dieser Politik verschleiern.

Und diese Politik zahlte sich für die Kapitalisten aus: In Summe sind die Profite der Unternehmen in Zeiten der Coronakrise bis Anfang 2021 laut einer Studie der Arbeiterkammer (AK) um ganze 5,1 Mrd.€ gestiegen.

Doch während die Eigentümer fette Gewinne einstreichen, werden die Bedingungen, unter denen die ArbeiterInnen ausgebeutet werden, immer unerträglicher. Dieselbe Studie der AK errechnet, dass die Lohneinkommen durch Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen gleichzeitig um 5,5 Mrd.€ gesunken sind. Und seitdem ist die Situation nicht besser geworden.

Die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen betrifft Beschäftigte im öffentlichen (Krankenhäuser, Kindergärten, …) und privaten Bereich gleichermaßen und Jugendliche ganz besonders. In der Industrie folgte auf eine Phase der Kurzarbeit in vielen Betrieben, die enorme Lohneinbußen bedeutete, eine Aufschwungsphase. Jetzt muss bis zur Erschöpfung gearbeitet werden – wenn nicht gerade Vorprodukte fehlen und die Maschinen daher stillstehen. Der Druck steigt auch in der Gastronomie, im Büro, im Homeoffice, auf dem Bau.

Gleichzeitig wird ständig alles immer teurer. Die Inflation liegt im Oktober bei 3,6%. Die Energiekosten explodieren, was Tanken, Heizen und Essen teurer macht – also genau das, wofür ArbeiterInnen einen Großteil ihres Lohnes ausgeben müssen. Und die Inflation ist gekommen, um zu bleiben.

Wir zahlen für die rasant steigenden Profite mit unserem Schweiß, unseren Nerven und einem immer leichter werdenden Geldbeutel. Für die Bürgerlichen sind wir dabei nicht mehr und nicht weniger als Lohnsklaven, ein Anhängsel ihrer Maschinen und Verkäufer ihrer Dienstleistungen. Besonders unverschämt drückte dies der Chefverhandler der Metallbarone, Christian Knill, in seiner Reaktion auf die Streikankündigung der Gewerkschaften aus: „Wir haben genug Herausforderungen, mit den Materialien, mit den Transporten, mit den Preisen, da brauchen wir jetzt so einen künstlichen Wirbel nicht wirklich.“

Nach Jahren des Klassenkampfes von oben ist ein Punkt erreicht, wo es für Millionen Menschen nicht mehr so weitergehen kann wie bisher. Daraus entwickeln sich weltweit auch immer mehr kollektive Kämpfe: In den USA streiken ArbeiterInnen des Traktorherstellers John Deere enorm entschlossen und erfolgreich (Seite 4) wie auch Beschäftigte im Gesundheitssektor. In der Türkei führt die Inflation zu einer Welle militanter Streiks in vielen Branchen. In Deutschland streiken nach dem Boom des Onlinehandels in der Pandemie erstmals Beschäftigte an allen sechs Standorten von Amazon.

Auch in Österreich gibt es Betriebsversammlungen, Streiks und Demonstrationen in einer Branche nach der anderen. Die Proteste von tausenden KindergartenpädagogInnen machten den Anfang (Seite 4). Beschäftigte der Privatspitäler in Oberösterreich demonstrierten, auch in den Spitälern in Wien brodelt es: Die Gesundheits-Gewerkschaften haben eine Demonstration in Wien angekündigt, weitere Mobilisierungen sind angelegt (Seite 5). Während dieser Text geschrieben wird stocken die Kollektivvertragsverhandlungen im Handel, bei den Brauereien und vor allem bei den Metallern, die schon erste Warnstreiks organisiert haben (Seite 4).

Die Anhäufung von Arbeitskämpfen ist kein Zufall. In der Pandemie wurde klar, dass die „Reinigungskraft“ im Büro relevanter ist als der Boni-Manager. Die Herrschenden mussten anerkennen, dass ohne Arbeiterklasse gar nichts „Systemrelevantes“ geht. Dann sprang die Wirtschaft rasant an, das Beklatschen machte einer noch stärkeren Auspressung Platz, jetzt steigen auch noch die Preise massiv an. In einer solchen Situation können Arbeitskämpfe gewonnen werden!

Doch die Gewerkschaften versuchen im Sinne der „Sozialpartnerschaft“ in allen Bereichen gerade nur so weit zu mobilisieren, dass es einen „annehmbaren Kompromiss“ gibt. Die Desorganisation im bürgerlichen Lager nach dem Scheitern von Kurz eröffnet den Gewerkschaftschefs die politische Perspektive, dass nun mehr Geld in das Gesundheitssystem und die Kindergärten gelenkt werden kann, also die soziale Frage durch Verhandlungen entschärft werden könnte. Diese Perspektive ist eine Sackgasse für die Bewegung. Wenn das Ziel ein Kompromiss mit den Bürgerlichen ist, heißt das in Zeiten der tiefen Systemkrise, dass die ArbeiterInnen jedenfalls verlieren werden.

Dasselbe Problem stellt sich auch auf politischer Ebene: Die Orientierung der SPÖ Spitze auf einen „stabilisierenden“ Regierungswechsel ohne Neuwahlen (und ihr Scheitern) erlaubte aufs erste die temporäre Stabilisierung der türkis-grünen Regierung nach Kurz.

Statt dieser dauernden Suche nach Stabilität und Kompromiss braucht es eine verallgemeinerte Offensive der Arbeiterbewegung, die am besten betriebliche und politische Ebene miteinander kombiniert. Überall gibt es die gleichen Probleme, überall regt sich Unmut. Eine österreichweite Konferenz der Betriebsräte und AktivistInnen der Arbeiterbewegung könnte all diese Kämpfe fest verknüpfen. Für das Ziel einer kräftigen Lohnerhöhung und einer Arbeitszeitverkürzung würden sich Hunderttausende mobilisieren lassen. So könnte der Unmut zu einem mächtigen Generalstreik gebündelt werden, der das Kapital und seine politischen VertreterInnen in Angst und Schrecken versetzt und die Frage offen aufwirft: Wer soll die Macht in der Gesellschaft haben, die Kapitalisten oder die ArbeiterInnen?

Was es dafür braucht, ist eine andere Orientierung und Führung der Arbeiterbewegung. Wir sagen: Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft! Sozialistischer Kurswechsel statt bürgerliche Politik! Dafür stehen die MarxistInnen vom „Funke“. Schließ dich uns an!

Wien, am 5.11.2021


 Aus dem Inhalt:

  • Österreich
    • SPÖ: Reservemannschaft des Kapitals
    • Graz: KPÖ führt Koalition an
    • Steuerreform: Cash für Konzerne, Posten für Grüne
    • Keine Lust, sich ins Burnout zu hackeln
  • Betrieb & Gewerkschaft 
  • Schwerpunkt: Knappheit und Engpässe entlarven die Anarchie des kapitalistischen Systems
  • In eigener Sache
    • Marxismus am Vormarsch in den USA
    • Theoriemagazin: Die zweite Ausgabe ist da!
  • Kultur
    • Ilsa Barea: Wien - Legende & Wirklichkeit
    • Squid Game: Der normale kapitalistische Horror
  • International
    • Griechenland und Italien: No parasan!
    • China: Jeder kann die tiefe Angst der herrschenden Klasse spüren
  • Gesellschaft
    • Gewalt an Frauen stoppen: Die Frau frei vom Mann - beide frei vom Kapital

Die Ausgabe ist um 2€ bzw. 5€ Solipreis erhältlich beim Funke-Verkäufer/der Funke-Verkäuferin eures Vertrauens und hier im Funke-Shop - auch als Online-Version. Abobestellungen können >>hier<< vorgenommen werden.


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