„Ich fühle mich als ob wir im Treibsand lebten. Je älter wir werden, desto länger arbeiten wir, desto ärmer scheinen wir zu werden.“ Fiona, 54, Arbeiterin

Eine Krise jagt die nächste. Gestern war es die COVID-Pandemie (die nicht vorbei ist), jetzt fressen die Preise Löcher ins Leben der Arbeiterklasse. Die Herbstlohnrunde ist ein wichtiger Hebel, um das Leben der Arbeiterfamilien zu stabilisieren. Um dies zu erreichen ist zweierlei notwendig: Illusionen in den Fäulnis-Kapitalismus zu überwinden und die sozialpartnerschaftliche Praxis zu durchbrechen.

Denn die Bürgerlichen und ihre „Experten“ plädieren offensiv dafür, die neu aufziehenden Krisen sofort auf die Schultern der Arbeiterklasse abzuwälzen: durch Lohnverzicht und Sparpakte. Die Besserung soll später als Nebeneffekt der ökonomischen (womit sie heute auch meinen: der militärischen) Stabilisierung des globalen Krisenkapitalismus eintreten.

EZB-Chefökonom Lane argumentiert diese Zentrallinie der herrschenden Klasse: „Es werden einige Versuche unternommen, damit der Lebensstandard der Arbeitnehmer nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Es wird aber auch anerkannt, dass es kontraproduktiv wäre, die Arbeitnehmer vollständig zu bewahren, indem man die Inflation in den Lohnabschlüssen eins zu eins ausgleicht.“ Um dann gleich die Notwendigkeit kommender Sparpakete zu argumentieren: „Es geht eher darum, im nächsten Jahr sicherzustellen, dass sich die Defizite weiter verringern“. Zur Rolle der EZB: „Wir haben die Banken mit unserem Programm der gezielten längerfristigen Kredite unterstützt“ und zur Teuerung: „Der Rückgang der Inflation wird größtenteils daher kommen, dass sich die Energiepreise stabilisieren und die Lieferengpässe nachlassen.“ (Der Standard, 27.9.)

Hierzulande rücken die „neutralen“ Experten aus, um diese Angriffslinie zu befestigen. Sie warnen vor „Rechenfehlern“ und „übertriebenen Forderungen“ der Gewerkschaften. Das WIFO hat im Frühjahr noch 2,6% Reallohnverlust als Ziellosung ausgeben, jetzt hat es auf minus 4,2% erhöht. Dies wäre der größte Aderlass an der Arbeiterklasse seit der Nachkriegszeit (Siehe S. 6-7). Dahinter steckt das blanke Eigeninteresse der Kapitalisten, die in den vergangenen Monaten Profite wie noch nie scheffelten und sich daraus satte Dividenden gönnen: die 18 größten Aktiengesellschaften des Landes schütteten sich 3,39 Mrd. € aus.

Allerdings: Eine einfache Rechnung ergibt, dass die von den Metallern geforderten 10,6% nicht ausreichen, um den bisherigen Lebensstandard aufrecht zu erhalten. Tatsächlich ist der Preis des Miniwarenkorbs der täglich gebrauchten Waren um über 20% gestiegen – und die Dynamik hält an.

Die Logik der Spitzen-GewerkschafterInnen von PROGE und GPA lautet: die Durchschnittsinflation des vergangenen Jahres plus allgemeines Wirtschaftswachstum ergibt 10,6%. Sie setzen an dem an, was sie für „vernünftig“ argumentierbar halten, wobei eine ihrer Annahmen (nämlich die Errechnung einer „Jahresdurchschnittsinflation“ von 6,3%, anstatt zumindest die tatsächlich bereits eingetretene Inflation von 9,3% heranzuziehen) bereits extrem zugunsten der Unternehmer angelegt ist.

Einen besseren Ansatz wählen hier andere Kollektivvertragsverhandler, wie etwa die der Wiener Privatspitäler und der Eisenbahner. Sie setzen näher an dem an, was aus Sicht der ArbeiterInnen und Angestellten notwendig ist: Sie fordern monatlich 500€ mehr.

Die Einzelgewerkschaften und der Dachverband ÖGB verzichten im „Gesamtinteresse des Standortes“ auf eine Generalkampflinie für alle Lohnrunden. Sie tun dies mit Rücksicht auf die Profitinteressen „ihrer“ spezifischen Arbeitgeber und um sich die politische Option einer neuerlichen Regierungsbeteiligung der SPÖ nicht zu verbauen.

Dies schwächt die Ausgangsposition unserer Klasse. Die ÖGB-Spitze ist aber nicht so mächtig, die Dynamik, dass ArbeiterInnen viel höhere Löhne brauchen und wollen, abtöten zu können. Und auch anderen Schichten der Gesellschaft wird der Geduldsfaden reißen, vorneweg der Jugend, die künftig nicht nur in zu kleinen und schlecht ausgestatteten, sondern nun auch in unbeheizten Klassenzimmern und Hörsälen lernen soll. Und wir sagen hier deutlich: alle bisher genannten und in Zukunft formulierten Forderungen – ob weitreichend oder bescheiden – werden ohne harte Kämpfe nicht durchsetzbar sein. Für die Arbeiterbewegung heißt das, dass klassenbewusste KollegInnen für die Vorbereitung der Streiks nicht auf das Signal ihrer Führung warten sollen.

Denn die Herrschenden sind nun gezwungen, die soziale und politische Stabilität zu riskieren, um die Probleme ihres verfaulten Systems zu bewältigen. Seit der Finanzkrise 2008 hatten sie noch den Luxus, die Krisensymptome nacheinander zu behandeln, jetzt verdichten sich alle Prozesse zu einem einzigen gordischen Knoten.

Die COVID-Krise ab 2020 und nun der imperialistische Konflikt um die Ukraine zwischen dem Westen und Russland sind zugleich Wirkung und Ursache der Krisen. Der Krieg ist gleichzeitig das Resultat und der Motor des beschleunigten Auseinanderfallens der Welt in konkurrierende Einflusszonen und Herrschaftsgebiete. Der Protektionismus und die Durchsetzung von „kurzen“ und „sicheren“ Lieferketten dominieren heute alle Weltbeziehungen. Die Globalisierung ist tot.

Die reichen kapitalistischen Länder lösten dabei im vergangenen Jahrzehnt die auftretenden Widersprüche mit viel und billigem Geld von den Zentralbanken und zuletzt auch wieder aus dem Staatsbudget. Bankenrettungsschirme und COVID-Rettungspakete an Unternehmen wurden gerade von der österreichischen Regierung sehr freigiebig an ihr Klientel weitergereicht. Diese „Stabilisatoren“ haben sich in ihr Gegenteil verwandelt und schieben die Inflation an. Besonders Energieträger sind nun zum Spielball von Sanktionen und Gegensanktionen geworden. Der nüchterne Befund lautet: Europa leidet zumindest die kommenden zwei Jahre unter Energiemangel. Die 500 Mrd. €, die die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission heuer schon zur Stabilisierung in die Energiemärkte geworfen haben, schafft kein Gas und kein einziges Windrad heran, es dient nur der Stabilisierung der Profite der Eigentümerklasse.

Ein „Winter der Deindustrialisierung“ droht und die Herrschenden bereiten uns auf das „Frieren für den Krieg“ vor. Energiekonflikte zwischen den EU-Nationen sind angelegt, ebenso wie politische Krisen und soziale Kämpfe. Sie werden Spaltungsmechanismen und Unterdrückung verstärken, was nur zum Anlass zorniger massenhafter Gegenreaktionen werden wird. In diesem Sinne: Die Herbstlohnrunden sind nur der Anfang der sozialen Auseinandersetzung.

In diesen Kämpfen in Österreich, wie auch in jedem anderen Land, wird die Spreu vom Weizen getrennt. Die Arbeiterklasse wird erkennen, dass ein geeignetes Programm gegen die Krise notwendigerweise die Enteignung der Konzerne unter Kontrolle der Arbeitenden zum Kern hat. Jene, die bereit sind, einen kompromisslosen Kampf um den Sozialismus zu unseren Lebzeiten zu führen, werden unaufhaltsam gestärkt werden. Du aber kannst diesen Schritt schon heute machen, indem du bei uns aktiv wirst.

Wien, am 27.09.2022


 Aus dem Inhalt

  • Österreich
    • Politisches Vorbeben in Tirol
    • BPW: Wir haben keine Wahl
  • Betrieb & Gewerkschaft
    • Metaller-KV: 10,6% plus kompromisslos durchsetzen
    • Leserbrief eines Metallarbeiters: Arbeitskampf unter Arbeiterkontrolle
    • SWÖ: Wir wollen +750€ und sind kampfbereit!
    • PflegerInnen über die "Preise runter"-Demo
    • Leserbrief: Gleitende Lohnskala statt gleitende Preisskala!
  • Jugend
    • Schulbeginn 2022: Es brennt an allen Ecken und Enden
    • Klassenkampf trifft auf Hollywood
    • Kriege, Krisen, Inflation? Unsere Antwort: Revolution!
    • Warum ich aktiv geworden bin
  • Schwerpunkt
    • Oktoberstreik 1950: Der Herbst, in dem alle Räder stillstanden
  • Gesellschaft
    • Leserzusendung: Neue Welt
    • Ursachen und Lösung der Stromkrise
  • International
    • Ukraine: Der Krieg der Großmächte und Konzerne eskaliert
    • "Weapons for Democracy" und weitere Märchen
    • Tschechien: Massendemonstration gegen Teuerung und Krieg
    • Frau, Leben, Freiheit: Tod dem Diktator!

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