Der russische Revolutionär Leo Trotzki formulierte die Theorie nach seinen Erfahrungen der (gescheiterten) Russischen Revolution 1905. Er stellte sich die Frage, ob die Bourgeoisie in einem rückständigen Land wie Russland noch eine progressive Rolle spielen und daher ein „Bündnispartner“ der Arbeiterklasse sein könnte.

Trotzki analysierte, dass die Entwicklung von Ländern, in denen der Kapitalismus erst verspätet entsteht, nicht einfach die Erfahrungen „früher“ kapitalistischer Länder eins zu eins wiederholt:

„Ein rückständiges Land eignet sich die materiellen und geistigen Eroberungen fortgeschrittener Länder an. Das heißt aber nicht, dass es ihnen sklavisch folgt und alle Etappen ihrer Vergangenheit reproduziert. … Die Wilden vertauschen den Bogen gleich mit dem Gewehr, ohne erst den Weg durchzumachen, der in der Vergangenheit zwischen diesen Waffengattungen lag. Die europäischen Kolonisten in Amerika begannen die Geschichte nicht von neuem.“ (Trotzki: Geschichte der Russischen Revolution, S. 8)

Dies nennt Trotzki das „Gesetz der kombinierten und ungleichen Entwicklung“. Durch die verspätete kapitalistische Entwicklung, z.B. in Russland, ist die Bourgeoisie solcher Länder von Anfang an abhängig von imperialistischem Auslandskapital und sehr schwach; sie spielt keine eigenständige Rolle.

Trotzki schlussfolgerte, dass die Massen sich keinesfalls auf die Bourgeoisie verlassen können, denn diese wird den Kampf selbst um grundlegende demokratische Rechte nicht entschlossen führen. Stattdessen fällt der einzig progressiven Klasse der Gesellschaft diese Rolle zu: der Arbeiterklasse.

Diese kann aber, wenn sie die Macht erobert, nicht einfach bei einer bürgerlichen Revolution stehen bleiben und die Macht friedlich wieder den Kapitalisten in die Hand geben – damit die Revolution nicht in eine Konterrevolution umschlägt, muss sie direkt weitergehen, und die Macht der Banken und Konzerne brechen. Das heißt: sie muss die Revolution „in Permanenz“ bis zur Enteignung der Kapitalistenklasse im eigenen Land – und schließlich dem Sieg der Revolution auf Weltmaßstab führen.

Denselben Gedanken formulierten im Übrigen schon Marx und Engels selbst: Nach der Erfahrung der verräterischen Rolle der österreichischen, deutschen und französischen Bourgeoisie in der 1848er Revolution, bei denen sie sich mit dem Feudaladel gegen die Arbeiterklasse verbündete, schrieben sie:

„Wir sagten Euch, Brüder, schon im Jahre 1848, daß die deutschen liberalen Bourgeois bald zur Herrschaft kommen und ihre neuerrungene Macht sofort gegen die Arbeiter kehren würden. Ihr habt gesehen, wie dies in Erfüllung gegangen ist. In der Tat waren es die Bourgeois, die nach der Märzbewegung 1848 sofort Besitz von der Staatsgewalt ergriffen und diese Macht dazu benutzten, die Arbeiter, ihre Bundesgenossen im Kampfe, sogleich in die frühere unterdrückte Stellung zurückzudrängen.

[…Es ist] unser Interesse und unsere Aufgabe, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind […] Es kann sich für uns nicht um Veränderung des Privateigentums handeln, sondern nur um seine Vernichtung, nicht um Vertuschung der Klassengegensätze, sondern um Aufhebung der Klassen, nicht um Verbesserung der bestehenden Gesellschaft, sondern um Gründung einer neuen.

[ … Die Arbeiter] selbst müssen das meiste zu ihrem endlichen Siege dadurch tun, daß sie sich über ihre Klasseninteressen aufklären, ihre selbständige Parteistellung sobald wie möglich einnehmen, sich durch die heuchlerischen Phrasen der demokratischen Kleinbürger keinen Augenblick an der unabhängigen Organisation der Partei des Proletariats irremachen lassen. Ihr Schlachtruf muß sein: Die Revolution in Permanenz.“ (Marx & Engels: Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850, MEW Bd. 7, S. 244ff.)

Diese Sätze gelten heute, in der Periode des kapitalistischen Niedergangs und im Kampf gegen den Imperialismus, umso mehr:

„Der amerikanische Bürgerkrieg war der letzte große, radikale Akt des internationalen Kapitalismus; mit ihm endete die progressive Rolle der Bourgeoisie. Als sich der Kapitalismus über die Welt ausdehnte machte er sich alle Arten von vorkapitalistischen Beziehungen in weniger entwickelten Ländern zunutze, er passte sie an seine Bedürfnisse an und behinderte so das Wachstum einer nationalen Bourgeoisie. […] In der Periode des kapitalistischen Niedergangs klammert sich die Bourgeoisie verzweifelt an ihre Macht und ist durchwegs reaktionär, konservativ, anti-demokratisch und konterrevolutionär. (Permanent Revolution in Latin America, Roberts & Martín, S. 5)


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