Die bolivarische Revolution geht in die entscheidende Phase. Wir begrüßen die jüngsten Maßnahmen von Hugo Chávez, um die Revolution voranzutreiben, weil sie gegen das Privateigentum an den Produktionsmitteln gerichtet sind. Doch der "Point of no return" ist längst nicht erreicht. Der Schlüssel für den Sieg der Revolution liegt nun bei der Selbstorganisation der ArbeiterInnenklasse und der Bauernschaft.

Die Revolution in Lateinamerika wirft viele Fragen auf, deren Beantwortung für die weitere Entwicklung des Kontinents und darüber hinaus von großer Bedeutung ist. MarxistInnen genügt es nicht, die Dinge ein für allemal zu kategorisieren und dann abzuhaken. Lebendige Prozesse erfordern eine konstante Diskussion, um möglichst effizient die notwendigen nächsten Schritte in die revolutionäre Bewegung hineinzutragen. Dies ist eine komplett andere Herangehensweise, als wir sie sonst irgendwo in der internationalen ArbeiterInnenbewegung (und besonders an ihren Rändern) sehen können. Diese Revolution kann besiegt werden, der „Point of no return“ ist nicht annäherungsweise überschritten.

In dieser Situation ist es nicht die Aufgabe von MarxistInnen nach einer möglichen Niederlage Recht zu bekommen. Im Gegenteil: Wir müssen unser Gewicht in die Waagschale werfen, um einen Sieg der Bewegung zu ermöglichen. Die Internationale Marxistische Strömung, zu der der Funke in politischer Solidarität steht, verfolgt diese Politik seit einigen Jahren und sieht keine Veranlassung dies zu ändern. All ihre Ideen und Perspektiven der letzten Jahre haben sich als grundlegend richtig erwiesen – und sie ist daher aus ihrer Rolle einer reinen Kommentatorin zu einer Akteurin der lateinamerikanischen Revolution geworden, die aktiv in den revolutionären Prozessen interveniert und diese vorantreibt. Zudem hat sie sich eine politische und moralische Autorität aufgebaut, die weit über ihre materiellen Kräfte hinausgeht.

Am 3. Dezember wurde Chávez mit 63% wieder gewählt. Davor gab es eine recht schwache Wahlkampagne, die Stimmung änderte sich erst als am November 200.000 bis 300.000 Oppositionelle demonstrierten. Die Antwort darauf war das „rote Meer“ mit zwei bis drei Millionen RevolutionärInnen in den Straßen von Caracas. Wieder einmal bedurfte es der Konterrevolution, damit die Revolution einen Schritt vorwärts macht. Diese erst kurz vor den Wahlen erfolgte Mobilisierung entzog den geplanten konterrevolutionären Aktivitäten rund um die Wahlen völlig den Boden. Die Opposition musste sich einmal mehr geschlagen geben und den Sieg von Chávez anerkennen. Diesen Umstand nutzten reformistische und bürokratische Teile des Bolivarianismus zu einem „Ausgleich“ mit der Opposition, was einer konterrevolutionäre Offensive der reformistischen Sektoren des Bolivarianismus gleichkommt.

In diese Phase hinein fällt die erste Demonstration der ArbeiterInnen von Sanitarios Maracay, als erster revolutionärer Gegenschlag gegen die Offensive der Bürokratie. Diese Demo ging auf die Initiative der GenossInnen von der CMR (unserer Schwesterströmung in Venezuela) und der FRETECO (der Einheitsfront der besetzten Betriebe und Betriebe in Mitbestimmung) zurück.

Chávez selbst stellte sich gegen die bürokratische Offensive, indem er klarstellte, dass dieser Wahlsieg ein Auftrag sei den Sozialismus zu errichten. Er zählte in seinen Reden die wichtigsten Weichenstellungen (die so genannten fünf Hebel) auf, und umreißt damit dieselben Problemfelder, die auch die venezolanischen MarxistInnen im Vorfeld der Wahlen ins Zentrum ihrer Analyse stellten: Privateigentum, der bürgerliche Staatsapparat und das Fehlen einer revolutionären Massenorganisation und Partei. Die wichtigsten Maßnahmen, die er ankündigt, sind die Verstaatlichung von zentralen Betrieben (Elektrizitätswirtschaft, Telefongesellschaft und die Erdölförderung am Orinoco), sowie die Bildung einer revolutionären Massenpartei (PSUV). Zur schnellen Durchsetzbarkeit dieser Politik erlässt das Parlament ein Sondervollmachtengesetz, das es Präsident Chávez über 18 Monate erlaubt direkt in diesen Prozess einzugreifen. Was Bürgerliche bis hin zu Linksradikalen als Festigung einer Diktatur oder Schritte Richtung Bonapartismus bezeichnen, ist in Wirklichkeit das genaue Gegenteil. Die PSUV ist von Chávez als Mittel gedacht, die unfähigen und völlig bürokratischen bolivarischen Blockparteien durch eine demokratische Massenorganisation zu ersetzen.

Dass diese Maßnahme so und nicht anderes zu interpretieren ist, wird in einer Fernsehrede des sichtlich erzürnten Chávez am 5. März deutlich:

„Diese Revolution beginnt jetzt erst. Es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, sie zu vertiefen. Welche politische Partei - ob MVR oder irgendeine andere - welche Partei hat mitgemacht im Kampf gegen den Großgrundbesitz, der vom Präsidenten ausgerufen wurde? – Keine! Eher noch haben sie in einigen Fällen die Großgrundbesitzer beschützt, von hier von dort, von überallher sind die schützenden Hände gekommen. Im Kampf gegen die Korruption, im Kampf gegen die spekulativen Preiserhöhungen – wo sind da die Parteien? Im ideologischen Kampf – wo bleiben die Parteien? In der Auseinandersetzung um eine revolutionäre Bauerneinheitsfront – wo sind da die Parteien? In der Schaffung einer revolutionären ArbeiterInnenbewegung, wenn es darum geht, ihr eine Stimme zu geben – wo bleiben da die Parteien? Es gibt sie nicht! (...) Ich lade euch aber ein, tatsächlich eine solche Partei zu schaffen. (...)

Einige Führer der Linken - sagen wir es wie ist - sagen jetzt sogar ... sie bräuchten nicht mitzumachen, sie müssten einfach nur erklären, warum ihnen diese Idee nicht gefällt. Mehr brauche es nicht. Sie sollen offen und ehrlich sein. Ich gehe meinen Weg weiter, sie mögen ihren gehen. Einige von ihnen rollen jetzt die Fahne der Rechten aus. Sie greifen uns von innen her an, wenn sie sagen, dass sie kein „Einheitsdenken“ akzeptieren könnten. Das ist das Argument der Rechten. Einheitsdenken? Wer hat hier, wann und wo, von Einheitsdenken geredet? Der Imperialismus wirft uns das vor. Der Kapitalismus verbreitet das eigentliche Einheitsdenken! Sagt die Wahrheit, ihr habt doch nur Angst eure Spielwiesen zu verlieren!“

Genau deshalb ist der Widerstand von der Bürokratie gegen dieses Projekt sehr groß. Auf lokaler und regionaler Ebene sehen wir nun ein Wettrennen um die Partei: BasisaktivistInnen gegen lokale Bürokratie. Diese Partei wird keine revolutionäre Partei im marxistischen Sinne werden. Sie ist bereits im Formierungsprozess zum Schlachtfeld zwischen Revolution und Bürokratie geworden. Die Initiative dafür ist von den revolutionären Massen begeistert aufgenommen worden. Die existenten Parteien haben jeden Kredit verspielt – und das Bedürfnis nach einem revolutionären Instrument wird immer drückender.

Allein aus dieser Erwägung heraus werden die BürokratInnen alles daran setzen, sich entweder unter den Mantel der neuen Partei zu retten, oder aber das Projekt von Anfang an durch Verzögerungen etc. zum Scheitern bringen. Drei der großen bolivarischen Blockparteien sind seit der Ankündigung dieses Projektes in eine tiefe Krise geschlittert. Die Bürokratien von Podemos und PTT zerfetzen sich in internen Streitereien. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihre Parteibasis wie das Teufel das Weihwasser fürchten zu scheinen. Die Kommunistische Partei versucht die Flucht nach vorn und kündigt einen Sonderparteitag an, der wahrscheinlich in einer Spaltung münden wird.

Parteiobere, die schon bisher durch ihrer Unfähigkeit irgendeine politische Linie zu formulieren aufgefallen sind, versuchen die Frage auf den „Marketing“-Effekt zu reduzieren: Darf man eine alte und erfolgreiche Marke gegen eine andere austauschen? Nun hat sich die MVR aber bisher nur dadurch ausgezeichnet, kein eigenständiges politisches Profil zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass das Ende dieser „Partei“ die rechtesten ExponentInnen und korruptesten BürokratInnen arbeitslos machen wird.

Nebenbei bemerkt: Wir stehen hier nicht nur vor einer Revolution des Parteiensystems. Vor unseren Augen entblößt sich auch die Chimäre der sog. „Partizipation“, „Basisdemokratie“ usw. Was die venezolanischen revolutionären AktivistInnen unter diesen Slogans erleiden mussten, sind nur bürokratische Gängelungen. Wer sehen will, die oder der sehe! Wir können uns sicher sein, dass gerade diese Ideen aufgrund ihrer bewiesenen Harmlosigkeit auch in Europa als „neue“ Politikansätze von BürokratInnen und ReformistInnen in die ArbeiterInnenklasse getragen werden: Man beachte den „partizipativen“ Wahlkampf Ségolène Royals oder den „partizipativen Ansatz“ der Initiative „Wir sind SPÖ“: Jeder darf Vorschläge machen, aber bestimmen, was passiert und wer mitmachen darf – das tun wir!

Das Wichtige im Herausbildungsprozess einer neuen demokratischen (nicht: partizipativen) Partei und eines neuen Staatsapparates: Der Kampf gegen die Bürokratie bekommt durch die Formierung einer Massenorganisation einen institutionellen Rahmen. Bereits jetzt sind dadurch Siege gegen einzelne BürokratInnen möglich geworden (wie etwa heute in Los Teques, oder vielleicht morgen schon in Mérida).

Die Einschätzung, dass sich die Bürokratie, mit Chávez als ihrem Sprachrohr, gerade konsolidiere, ist nun jedenfalls ad absurdum geführt worden. Das Sondervollmachtengesetz ist nicht Ausdruck der Festigung der Macht der Bürokratie, sondern ein weiteres von Chávez genütztes Instrument gegen die Bürokratie. Der Gleichklang zwischen Massenbewegung und Chávez soll vereinfacht werden, in dem der Präsident schnell Entscheidungen durchsetzen kann und nicht davon abhängig ist, was in den völlig bürokratisierten Ministerien, Parlamenten etc. verzögert wird. Wir unterstützten diese Maßnahme kritisch, weil sie einerseits als Instrument zur Beschleunigung der Revolution gedacht ist, andererseits aber ein völliges unzulängliches Mittel sein muss, solange sich nicht die Arbeiterklasse an die Spitze der Enteignungen stellt.

Noch einmal: Es handelt sich um eine kritische Unterstützung. Diese Beifügung ist nicht nebensächlicher Natur. Das ist unsere generellen Herangehensweise an jedes Individuum. Bei all seinen unbestreitbaren und von uns verteidigten Vorzügen - Chávez ist kein Marxist. Tatsächlich wurden nun innerhalb einer Woche mit durch die genannten Maßnahmen mehrere Unternehmen verstaatlicht. Der Haken dabei: Es wurden Kompensationen auch für Großaktionäre bezahlt. Diese Politik wird schnell an ihre ökonomischen Grenzen stoßen. Eine wahrhaft revolutionäre Form der Enteignung wäre es, die Gewinne der ehemals verstaatlichten Betriebe hochzurechnen und das Ganze als Betrug am Konsumenten darzustellen. Durch eine fiktive Gegenüberstellung von ehemaligem Kaufspreis und den erzielten Gewinnen kann man leicht erklären, dass diese Betriebe bereits seit langem bezahlt und daher entschädigungslos zu enteignen sind. Entschädigungen sollen nur KleinaktionärInnen zustehen, die die Anteile als Sparform oder in Form von Mitarbeitermodellen besitzen.

Auf gleichem Feld zeichnet sich eine weitere Auseinandersetzung an: Im Privathandel (Lebensmittel, Elektrogeräte,...) kommt es zu spekulativen Preiserhöhungen. Daher wurde nun eine amtliche Preisfestsetzung für Lebensmittel erlassen. Damit werden die Kosten von Lebensmittel um bis zu 80 Prozent niedriger gemacht. Supermärkte, die die Festsetzungen nicht akzeptieren, werden mit Enteignung bedroht. Ende Februar wurden zudem zwei große Kühlhäuser besetzt und sofort enteignet. Der Kampf gegen SpekulationsgewinnerInnen in der Lebensmittelversorgung wird sich weiter verschärfen.

Man kann, wenn man alle Augen zudrückt, dies alles als Maßnahmen, die im kapitalistischen Rahmen sind, durchgehen lassen. Die offizielle Politik von Chávez ist jene einer „gemischten Ökonomie“. Wir wissen aber, dass Öl und Wasser sind nicht dauerhaft vermischen lassen. Es kann unter den momentanen Bedingungen in Venezuela nur Kapitalismus heißen – oder eben Sozialismus, also die Überwindung des Privateigentums. Die Dynamik weist eindeutig in die zweite Richtung: UnternehmerInnen verschärfen ihren Investitionsboykott, die Schließung von privaten Unternehmen geht weiter, der Staat reagiert mit Zwangsmaßnahmen (Preisfestsetzung und Enteignungen), die ArbeiterInnenklasse geht weiter auf dem Weg der Betriebsbesetzungen, Polizei kann gegen Streikende nur mehr sehr bedingt eingesetzt werden usw.: Die Bürgerliche mögen heute noch riesige Spekulationsgewinne in Venezuela machen, aber einen Fuß haben sie bereits im Exil!

Entweder geht die venezolanische Revolution ökonomisch unter – oder sie beschreitet den Weg der Vergesellschaftung. Auch wenn die jetzige Verstaatlichungswelle den oben beschriebenen Schönheitsfehler aufweist, muss man doch das Gesamtbild im Auge behalten: Den KapitalistInnen geht es an den Kragen, diese Politik richtet sich völlig gegen ihre Interessen. Angesichts des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses ist es lächerlich von staatskapitalistischen Maßnahmen zu reden. Diesen Charakter könnten sie erst bekommen, wenn die Massenbewegung völlig zum Erliegen kommt, was momentan nicht absehbar ist. Im Gegenteil, ein solches Szenario ist völlig unwahrscheinlich.

Ein gutes Beispiel ist dabei die Erdölförderung am Orinoco. Dort wurden die neuen Erdölanlagen mehrheitlich verstaatlicht. Wir lehnen Joint-Ventures nicht grundsätzlich ab, da es durchaus möglich und wahrscheinlich ist, dass auch ein revolutionärer Staat auf die Technologie, das Know-how, die Finanzierungsmöglichkeiten und den Markt der Multis angewiesen ist. Nun aber ist gleichzeitig zur mehrheitlichen Verstaatlichung in fünf dieser Erdölfirmen eine Besetzung durch die Belegschaft erfolgt, nachdem die privaten Firmen, in Komplizenschaft mit der staatlichen Bürokratie noch schnell GewerkschafterInnen und revolutionäre AktivistInnen entlassen hatten. Wir sehen, wie die Politik der Verstaatlichungen die Arbeiterklasse ins Zentrum treten lässt, sofern diese die Zeichen der Zeit erkennt. Die Gewerkschaften der fünf Betriebe begründen ihre beabsichtigte und/oder bereits erfolgte Besetzung nicht nur mit der Einhaltung der Arbeitsrechte und der Gewerkschaftsfreiheit, sondern sehen ihren Kampf als Teil des "Kampfes um das Erbe der ArbeiterInnen und des gesamten Landes" – als Kampf um den Sozialismus.

Die Rolle der ArbeiterInnenklasse

Die venezolanische ArbeiterInnenklasse war im letzten Jahr völlig gelähmt. Dies ist vor allem auf die Konflikte in der UNT zurückzuführen, die auf dem 2. Kongress im Juni 2006 de facto zu einer Spaltung der UNT in mehrere Teile geführt hat. Es handelt sich dabei vor allem um eine Auseinandersetzung zwischen der Bolivarischen Arbeitsfront FBT (jetzt mit dem Zusatz „sozialistisch“, FSBT) und um den Gewerkschaftsflügel von Marcela Máspero auf der einen Seite und den Classistas (CCURA) auf der anderen, die auf dem Kongress die Mehrheit der Delegierten hinter sich hatten. Die Führung der FSBT und die Kollegin Máspero muss als Teil des reformistischen Sektors in der bolivarischen Bewegung mit einem engen Naheverhältnis zur Bürokratie gesehen werden. Doch auch die Führung der Classistas, deren wichtigste Vertreter allesamt aus einer linksradikalen, „trotzkistischen“ Tradition kommen, bestehen großteils selbst aus BürokratInnen, die von der PDVSA bezahlt werden.

Der Konflikt zwischen diesen beiden Hauptströmungen wurde und wird mit völlig bürokratischen Mitteln ausgetragen und dreht sich in erster Linie um die organisatorische Frage, wann und wie in der UNT Gewerkschaftswahlen abgehalten werden. Die Frage der Gewerkschaftsdemokratie ist zweifelsohne wichtig. Die Aufgabe von MarxistInnen muss in dieser Situation jedoch darin bestehen, die Einheit der Klasse entlang eines revolutionären Aktionsprogramms herzustellen – vor allem rund um die Frage der Bewegung der besetzten Betriebe, der Enteignungen, der Weiterführung der Produktion und der Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle. Dies wäre der Schlüssel zum weiteren Aufbau der UNT als der Stimme des Proletariats in Venezuela und dazu, dass die ArbeiterInnenklasse zum Rückgrat und zur Speerspitze der revolutionären Bewegung wird.

Es besteht kein Zweifel, dass die Strömung der UNT, die dieser zentralen politischen Herausforderung gerecht werden kann, auch die Mehrheit der Basis hinter sich haben wird.

Die politische Einschätzung der Classistas lautete folgendermaßen: Chávez führte ein bürgerliches Projekt, die Bürokratie würde stärker und unterdrücke die Linke (also sie selbst), und nun gehe es darum, die Arbeiterklasse gegen Chávez zu mobilisieren. Diese Politik führte in eine völlige Sackgasse und erlebte einen Höhepunkt, als sie aufgrund finanzieller Erwägungen die kleinbürgerliche Partei von Lina Ron im Wahlkampf unterstützten. Die Folge davon war letztlich, dass die Classistas den Kampf in Sanitarios Maracay durch die Präsentation eines „bolivarischen Investors“ lösen wollten.

An diesem Punkt setzte sich jedoch die Belegschaft von Sanitarios über ihre Gewerkschaftsführung hinweg und leitete damit eine Kehrtwendung ihrer FührerInnen ein. Bei einer folgenden Konferenz der CCURA, übernahm diese de facto das gesamte Aktionsprogramm der FRETECO: Kampf um die Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle aufnehmen, Eintritt in die PSUV, die Bildung von Arbeiterräten in Fabriken, kritische Unterstützung von der Politik Chávez statt sektiererische Bekämpfung.

Dieser Schwenk war unter anderem möglich, weil die CMR und FRETECO auf eine Denunzierung der Classistas verzichtet haben, wie es jede Politsekte gemacht hätte. Die Rolle von MarxistInnen ist nicht die Denunzierung der FührerInnen der Arbeiterklasse und Strömungen in der Klasse, sondern die harte Verteidigung einer als richtig erkannten Strategie in einem freundlichen Ton. Die Revision der Sackgassenpolitik des letzten Jahres verdient daher den größten Respekt aller RevolutionärInnen. Fehler passieren in jeder politischen Auseinandersetzung, und es zeugt von persönlicher und politischer Größe, wenn eine als falsch erkannte Politik von den Führern der CCURA nun revidiert wird.

Diese neue Politik wurde durch die größte ArbeiterInnendemonstration (aller großen UNT-Teile!) im Caracas am 8. Februar gekrönt. Damit besteht nun wieder die Möglichkeit die ArbeiterInnenklasse ins Zentrum des revolutionären Kampfes zu rücken. Nun müssen den Worten Taten folgen: Die Bewegung der besetzen Betrieben ist nun aus der Defensive heraus gekommen, jetzt gilt es mit landesweiten Aktionstagen der Ausweitung von Betriebs- und Landbesetzungen (in Zusammenarbeit der UNT mit der Bauernbewegung FNCEZ) voll in die Offensive zu gehen.

Die vorgesehene Ausweitung der kommunalen Räte, als Strategie zur Überwindung der Defizite des bürgerlichen Staates, bietet ein weiteres Betätigungsfeld für die Arbeiterklasse. Auf Initiative der ArbeiterInnen von Inveval hin, griff der Arbeitsminister die Idee auf, dass in allen staatlichen wie privaten Firmen "ArbeiterInnenräte" geschaffen werden sollen. Die ArbeiterInnen von Inveval, die Avantgarde der Betriebsbesetzungsbewegung, bildeten sogleich einen ArbeiterInnenrat sowie ein "sozialistisches Batallion", das den Prozess der Bildung der PSUV vorantreibt. Auch die CCURA nimmt die Idee der ArbeiterInnenräte auf, und fordert die ArbeiterInnenklasse auf geschlossen als Betriebsgruppen in die PSUV einzutreten bzw. an ihrer Schaffung mitzuwirken. Gleichzeitig erklärt Chávez am 28. Jänner öffentlich, dass die Eigentümerbeteiligung der ArbeiterInnen an enteigneten Betrieben, wie es bei Invepal und Inveval gehandhabt wurde, ein Fehler war, und dass ArbeiterInnenkontrolle das geeignete Mittel sei.

Die heute existierenden kommunalen Räte sind ein Anhängsel des bürgerlichen Staatsapparates. Sie wurden geschaffen, um die Bürokratie auf der lokalen Ebene auszuhebeln, diese Aufgabe konnten sie nicht leisten. Wie der Führer der CCURA Orlando Chirinos in einem Interview gut ausführte, sind ArbeiterInnenräte in den Fabriken viel unabhängiger und würden zum natürlichen Orientierungspunkt der kommunalen revolutionären Organisationen und Ausschüsse werden. Nur die führende Rolle der Arbeiterklasse kann den Fortgang der Revolution sichern.

Ende des Kapitalismus?

Die venezolanische Revolution stellt verschiedene theoretische Fragen, die nicht mit starren Schemata beantwortet werden können. Vorausgesetzt ist Folgendes: Venezuela ist ein Beispiel der permanenten Revolution, die sich vor unseren Augen abspielt. Sektiererische DogmatikerInnen, denen das Verständnis der Dialektik völlig fremd ist, betonen den bürgerlichen Charakter, und sehen nicht was über diesen Bogen hinausgeht, oder verstehen nicht einmal welch revolutionäre Sprengkraft in der konsequenten Umsetzung eines (Klein-)bürgerlichen Programms liegt, etwa in der Agrarreform oder in der Demokratisierung der Gesellschaft.

Die Dynamik der permanenten Revolution entspringt gerade dem Umstand, dass die Durchsetzung eines bürgerlichen Programms im Kapitalismus nicht möglich ist. Auf dieser Grundlage sahen wir, dass Staaten den Kapitalismus auch ohne direkte Intervention der ArbeiterInnenklasse überwinden konnten (China, Kuba, Osteuropa). Resultat einer solchen Entwicklung sind proletarisch-bonapartistische Regime. Der Unterschied zu Venezuela ist einerseits die internationale Situation (es gibt keine Sowjetunion mehr) und andererseits der Umstand, dass die venezolanische Revolution durch Massenkämpfe in den Städten – und nicht vom Guerillakampf – geprägt ist.

Angenommen der Boykott von Unternehmern und Imperialismus wird so drückend, dass die gesamte Wirtschaft verstaatlicht wird – auch ohne die direkte Intervention der ArbeiterInnenklasse. Das wäre eine fortschrittliche Entwicklung, da der Kapitalismus überwunden würde. Keinesfalls würde dies jedoch das Ende des Prozesses bedeuten, sondern der Klassenkampf würde um die Kontrolle der enteigneten Betriebe weitergehen. Die Hauptaufgabe der MarxistInnen bliebe dieselbe: die ArbeiterInnenklasse in die Führungsposition der Revolution zu bekommen. Das beste Werkzeug dazu ist die Organisierung der Klasse rund um die Enteignung und Kontrolle der Produktion. In diesem Kampf sind alle Elemente einer klassischen sozialistischen Revolution verdichtet.

Zur Frage des Aufstandes: Eine Revolution vollzieht wie jede Bewegung keine geradlinige Entwicklung, sondern enthält Knotenpunkte der Entwicklung. Ein geradliniges Hinüberwachsen in ein sozialistisches Aufbaumodell ist auszuschließen. Hugo Chávez kann nicht beliebig lang immer weitere, kleine Teile der Wirtschaft verstaatlichen. Irgendwann muss es zu einem Entscheidungskampf kommen, indem die konterrevolutionären Kräfte im Staatsapparat noch einmal ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen werden. Allerdings ist ein Aufstand auch kein Fetisch. Der Sturm aufs Winterpalais war eine gut geplante Kommandoaktion der Avantgarde des Petrograder Proletariats, die die Tatsache der für die ArbeiterInnenklasse positiven Entwicklung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses manifestierte. Wir können heute nicht sagen, worin der venezolanische Aufstand seine Krönung findet. Es ist durchaus möglich, dass ein Aufstand aus der Defensive heraus, als Reaktion auf konterrevolutionäre Aktivitäten erfolgt. Voraussetzung ist jedoch die Existenz einer Doppelmachtstruktur. Diese kann in Form der PSUV entstehen und/oder in Fabrikkomitees ihren Ausdruck finden. Die Zerstörung des bürgerlichen Machtinstrumentes des Staatsapparates erfordert zumindest die Existenz des Embryos einer neuer Staatlichkeit.

Zur Frage der Partei: Die Aufgabe einer revolutionären Partei im marxistischen Sinne ist es, das Proletariat als eigenständige Kraft an die Spitze der Revolution zu bringen. Im Falle der Machtübernahme musss sich die Revolution auf diese im Kampf gestählten Kernschichten stützen. Nur sie sind in der Lage, den alten Staatsapparat durch eine neue, funtionierende Struktur zu ersetzen. Haben sich diese Kernschichten im Kampf um die Machtübernahme nicht herausgebildet, ist die Revolution gezwungen, sich auf unzuverlässige WeggefährtInnen, vielleicht sogar offen konterrevolutionäre SpezialistInnen verlassen. Der Weg des Aufbau eines gesunden demokratischen ArbeiterInnenstaates ist damit blockiert.

Eine revolutionäre Partei, die eine solche Aufgabe übernehmen könnte, ist in Venezuela momentan nicht vorhanden. (Den Umkehrschluss mancher Politsekten, dass es sich ja gar nicht um eine Revolution handeln könne, weil ja die revolutionäre Partei fehle, lassen wir unkommentiert.) Die Massen können nicht warten, bis ihr eine Partei angediehen wird. Eine revolutionäre marxistische Partei in Venezuela ist nur in embryonaler Form in der CMR vorhanden. Trotz ihrer numerischen Schwäche gelangen den GenossInnen entscheidende Weichenstellungen: So etwa die ersten Enteignungen bei Invepal und Inveval, die gesellschaftliche Diskussion um den Sozialismus, sowie jetzt mit der Unterstützung der Offensive der ArbeiterInnen von Sanatarios, der zum Dreh- und Angelpunkt der ArbeiterInnenbewegung geworden ist.

Doch angesichts der anstehenden Aufgaben ist dies noch bedeutend zu wenig. Strategisches Ziel muss es sein, bei den aktuellen Umgruppierungsprozessen in der Parteienlandschaft einer marxistischen Massenströmung zum Durchbruch zu verhelfen. Die Entscheidung der CCURA die sektiererische Politik gegenüber der chavistischen Bewegung einer grundlegenden Reform zu unterziehen ist daher von großer Bedeutung. Der geschlossene Beitritt der kämpferischsten Schichten der ArbeiterInnenklasse in die neue Partei, verbunden mit unabhängiger Klasseninitiative in den Betrieben, wird ein natürliches Attraktionszentrum für alle RevolutionärInnen werden. In erster Linie ist eine revolutionäre Partei Idee und Programm, erst in zweiter Linie Organisation. Ist eine allgemein geteilte Perspektive in der Klasse verankert, kann man sich auf ein landesweites Aktionsprogramm einigen. Führt man dieses geschlossen durch, wird sich die organisatorische Frage der Partei leicht lösen lassen können.

Zusammengefasst: Es besteht die Möglichkeit, dass das Jahr 2007 zu einem entscheidenden Wendepunkt der venezolanischen Revolution, und damit auch der Weltrevolution, wird. Die Überwindung des Kapitalismus ist möglich, aber nicht gegessen. Wir haben immer betont, dass die venezolanische Revolution einige Jahre Zeit hat den entscheidenden Schlag gegen Kapitalismus und Imperialismus zu führen. Diese Zeit der Entscheidungen ist nun angebrochen.

Die Funke-Strömung wird auch in diesem Jahr einen Schwerpunkt seiner politischen Arbeit der venezolanischen Revolution widmen. In Form von Berichten, Analysen und praktischer Solidarität.

Emanuel Tomaselli




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