Das diesjährige Festival der International Union of Socialist Youth (IUSY) findet Ende Juli am Attersee statt. Anlass genug, um auf die revolutionären Wurzeln der proletarischen Jugendbewegung zurückzublicken. Von Manuel Reichetseder.
Das Studium der Geschichte der eigenen Organisationen ist auch für heutige AktivistInnen der sozialistischen Bewegung von zentraler Bedeutung. Dabei geht es nicht darum damalige Erfahrungen kritiklos auf die heutige Zeit umzumünzen, sondern die Lehren aus den Fehlern der vergangenen Generationen zu ziehen und an den positiven Ansätzen anzuknüpfen.
Jugendliche sind bei allen Revolutionen – von der französischen Revolution über die Pariser Kommune, der russischen Revolution bis hin zu den heutigen revolutionären Bewegungen im arabischen Raum und den Protestbewegungen in Europa – an vorderster Front anzutreffen. In der Jugend lodert die Flamme die verknöcherten gesellschaftlichen Verhältnisse umzuwälzen und dieser Enthusiasmus ist noch wenig von den Erfahrungen verlorener Kämpfe gedämpft. Sie ist auch ein empfindlicher Barometer in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs. Kämpfe der der organisierten ArbeiterInnenklasse werden oft durch jugendliche, studentische Proteste eingeleitet.
Obwohl die ersten Organisationen der ArbeiterInnenbewegung bereits Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden, gründeten sich proletarische Jugendorganisationen erst gegen Ende des Jahrhunderts. Dafür waren vor allem zwei Faktoren entscheidend:
Jugendliche Arbeitskräfte, darunter auch Kinder, wurden im Kapitalismus seit jeher für die Produktion verwendet und unter barbarischen Umständen ihre geistige und körperliche Gesundheit verheizt. Im 19. Jahrhundert erkämpfte die ArbeiterInnenklasse eine starke Einschränkung und teilweise sogar Abschaffung der Kinderarbeit. Jedoch in das Zeitalter des Imperialismus gegen Ende dieses Jahrhunderts (Monopolisierung, Bildung von Kapitalverbänden, Entstehung des Finanzkapitals) fällt eine zahlenmäßig und auch relativ zur Gesamtzahl der ArbeiterInnenschaft stärkere Verwendung von jugendlichen ArbeiterInnen. Diese ungelernten oder nur angelernten Arbeitskräfte – oft nur reine Anhängsel einer Maschine – waren sehr viel billiger als erwachsene ArbeiterInnen und konnten aufgrund ihrer schutzlosen und rechtslosen Lage besser ausgebeutet werden. Der verstärkte Einsatz von Jugendlichen in der Produktion schuf das Bedürfnis sich zusammenzuschließen und sich für die eigenen wirtschaftlichen Rechte zu organisieren. Eine wichtige Triebfeder bei der Gründung der proletarischen Jugendorganisation in Österreich spielte das große Lehrlingselend. Unmittelbarer Anlass zur Gründung der norddeutschen Arbeiterjugendvereine waren etliche Selbstmorde misshandelter und gequälter Lehrlinge.
Der zweite Faktor war die wachsende Opposition gegen den Militarismus und die verstärkte Einberufung jugendlicher zum Militärdienst. In vielen Ländern war gerade die Überzeugung der Notwendigkeit eines organisierten, besondern Kampfes gegen den Militarismus, welche die ArbeiterInnenbewegung dazu veranlasste besondere Organisationen der proletarischen Jugend zu schaffen. In Belgien zum Beispiel wurde das Militär häufig zur Niederschlagung von Demonstrationen und Streiks gebraucht. Das Ziel lautete deshalb den Militarismus von innen her zu zersetzen und „die Bajonette denkend zu machen“. So wurde 1886 mit Unterstützung der belgischen ArbeiterInnenpartei die „Jungen Garden“ gegründet, mit dem Ziel sozialistische und antimilitaristische Aufklärung unter den Jugendlichen vor dem Militärdienst und Agitation unter dem Militär durchzuführen.
Die Bemühungen der belgischen Partei fanden jedoch in anderen Parteien der sozialistischen Internationale wenig Echo. Mit dem wachsenden Opportunismus und Reformismus kam die revolutionäre, antimilitaristische Tendenz der Jugendbewegungen immer mehr in Widerspruch mit den offiziellen Parteiführungen, die eine misstrauische und oft auch ablehnende Haltung dagegen einnahmen. Es war der Verdienst des linken, revolutionären Flügels (z.B. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Klara Zetkin, Lenin) der die Notwendigkeit von eigenständigen sozialistischen Jugendorganisationen erkannte.
Zwischen 1894 und 1907 gründeten sich in mehreren Ländern (Österreich, Frankreich, Schweiz, Böhmen, Italien, Schweden, Deutschland, usw.) proletarische Jugendorganisationen. Dies geschah teilweise gegen den Willen der offiziellen Parteien. Sehr früh kristallisierten sich zwei Strömungen heraus. Die revolutionäre Richtung, die damals von der Mehrheit der Jugendorganisationen vertreten wurde, sah ihre Haupttätigkeit vor allem im antimilitaristischen, antikapitalistischen Kampf und in der allgemeinen politischen Aktivität. Die reformistische Richtung konzentrierte sich auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Schutz von Jugendlichen „gegen die schlimmsten Auswüchse der Ausbeutung“ und „im Rahmen des Gesetzes“, die parlamentarische Aktion der Partei, die Vermittlung von Allgemeinbildung und lehnte die Teilnahme der Jugendorganisationen an der Politik ab. Diese Strömung war vor allem in Norddeutschland und im „Verband der jugendlichen Arbeiter Österreichs“ stark vertreten. In diesen beiden Fällen war auch die organisatorische wie politische Selbstständigkeit gegenüber der Partei eher formell. Zugute kommt dem österreichischen Verband jedoch, dass er die wirtschaftliche und rechtliche Lage der Lehrlinge und Jugendlichen gründlich untersuchte und wirtschaftliche Forderungen aufstellte, die auch in Folge von anderen Verbänden übernommen wurden.
Militarismus
ReformistInnen lehnten eine besondere Bekämpfung des Militarismus ab. Sie argumentierten, dass der Militarismus Teil des Kapitalismus sei und nur mit diesem verschwinden könne. Die revolutionären Verbände sahen im Militarismus eine wichtige Stütze des Kapitalismus zur Unterdrückung der ArbeiterInnenbewegung und zum Zweck der gewaltsamen Eroberung neuer Absatzgebiete. „Doch“, so schrieb z.B. der ungarische Verband 1905, „ist der auf der allgemeinen Wehrpflicht beruhende Militarismus nur so lange eine Stütze des Klassenstaates, bis die proletarische Jugend, woraus sich die Armee rekrutiert, zum Klassenbewußtsein erwacht“. Eine Hauptaufgabe der revolutionären Verbände bestand in der Verbreitung von sozialistischen Grundsätzen unter den Rekruten, wodurch sie die Armee zur Erfüllung ihres Zweckes unfähig machen wollten.
Sehr entwickelt war der antimilitaristische Kampf bei den „Jungen Garden“ Belgiens. In einer Resolution des Nationalkongresses 1907 heißt es: „Der Militarismus wird mehr und mehr zur Notwendigkeit für den kapitalistischen Staat; er wird deshalb nicht eher verschwinden können, als der Kapitalismus selbst; aber deshalb auch wird umgekehrt die spezielle Bekämpfung des Militarismus eines der wirksamsten Mittel im Klassenkampfe gegen den Kapitalismus.“ Sie entwickelten die antimilitaristische Tätigkeit (Soldatenzeitungen, geheime Soldatenzirkel) dabei so gut, dass selbst die militärischen Behörden zugeben mussten, dass die belgische Armee als Waffe gegen den „inneren Feind“ unbrauchbar wurde.
Jugendinternationale
Die erste Konferenz der „Internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen“ fand im August 1907 in Stuttgart statt und stand ganz im Zeichen des drohenden imperialistischen Krieges. Am Stuttgarter Kongress der 2. Internationale wurde kurz zuvor ein Antrag von Luxemburg und Lenin angenommen, der beinhaltet, dass „die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen“ verpflichtet sind „alles aufzubieten“ (also auch revolutionäre Massenaktionen, Streiks), um „den Ausbruch des Krieges zu verhindern […] Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“ Der Krieg sollte in einen Bürgerkrieg, eine Revolution umgewandelt werden. Nach dem Referat von Karl Liebknecht auf dem Jugendkongress wurde auch auf diesem eine Resolution angenommen, die sich auf die soeben erwähnte Resolution bezieht und diese nochmals bekräftigte.
Weitere Diskussionen und Beschlüsse gab es zur sozialistischen Erziehungs- und Bildungsarbeit. Diese Arbeit wurde dabei so aufgefasst, dass es darum ging den jungen ArbeiterInnen die nötigen Kenntnisse zu vermitteln, damit sie sich ihrer eigenen Stellung in der Klassengesellschaft bewusst werden. Doch die theoretische Bildungsarbeit ist laut den Diskussionen der GenossInnen erst eine sozialistische Erziehungsarbeit, wenn sie mit Aktionen und Kämpfen (Teilnahme an Demonstrationen, Streiks, etc) verknüpft wird. Hierin kam die Ablehnung des Konzepts zur rein unpolitischen Allgemeinbildung der ReformistInnen zum Ausdruck.
Weiters nahm die Stuttgarter Konferenz ein Programm von wirtschaftlichen Forderungen bezüglich des Schutzes der Lehrlinge und jugendlichen ArbeiterInnen an. Zentral war die Forderung des sechsstündigen Höchstarbeitstages für alle ArbeiterInnen unter 18 Jahren. Da sich mit diesen Themen bisher vor allem die österreichischen und norddeutschen GenossInnen eingehender beschäftigt haben, ist die Resolution auch in ihrem Sinne gefärbt. So prangert sie nur die „schändlichsten Auswüchse jener Ausbeutung“ an, ohne das Ausbeutungssystem generell in Frage zu stellen. Auch bezüglich den Methoden werden die Jugendorganisationen nicht zu Aktionen für wirtschaftlichen Forderungen aufgefordert, sondern rein zur Bildung von Schutzkommissionen, welche die Aufgabe haben darauf zu achten, dass die bestehenden Vorschriften zum Schutz der jugendlichen Arbeitskräfte eingehalten werden.
Die erste Konferenz der sozialistischen Jugendinternationale stellte ein enormer Schritt vorwärts in der Organisierung der proletarischen Jugendbewegung dar. Es wurde aber kein einheitliches Programm angenommen, sondern vielmehr eine Reihe von Beschlüssen mit Teils widersprüchlichen Thesen, die die unterschiedlichen politischen Konzepte der beiden Strömungen zu Ausdruck brachten. Generell behielt jedoch die revolutionäre Strömung deutlich die Oberhand. Die Jugendinternationale war aber keine wirklich einheitliche Organisation sondern eher ein loser Zusammenschluss mehrerer Verbände. Eine Frage die nicht diskutiert und entschieden wurde, war das Verhältnis der Jugendverbände zu den Parteien – die sich in späterer Folge jedoch als zentral herausstellen sollte.
Offensive des Reformismus
In der Folge war der Reformismus in den meisten Parteien der 2. Internationale am Vormarsch. In den sozialistischen Parteien erhob sich eine Funktionärsschicht über die Mitgliedschaft. Diese materiell bessergestellte Bürokratie lies sich vom Kapitalismus einkaufen und wurde mehr und mehr an den Staat gebunden. Diese Arbeiteraristokratie vertrat nun nicht mehr die Interessen der ArbeiterInnenklasse und die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, sondern zu aller erst den Erhalt ihrer Privilegien.
Der erste Angriff der gestärkten reformistischen Parteivorstände galt der sozialistischen Jugendbewegung, deren organisatorische wie politische Unabhängigkeit ihnen bereits länger eine Dorn im Auge war. In Deutschland wurden auf Druck des Parteivorstandes die Jugendorganisationen aufgelöst. Sie wurden durch Jugendausschüsse ersetzt, die aus Vertretern des Parteivorstandes, der Gewerkschaften und der Jugendlichen bestand – wobei in den meisten Fällen jugendliche Vertreter ganz aus den Ausschüssen ausschieden. Der Parteitag in Nürnberg 1908 stellte fest, dass sich die Ausschüsse weder mit politischen, noch mit wirtschaftlichen Fragen des Jugendschutzes beschäftigen dürfen. Die Jugendorganisation wurde liquidiert und die Ausschüsse der „Zentralstelle für die arbeitende Jugend Deutschlands“ untergeordnet. Dessen Vorsitzender war Friedrich Ebert (später unter anderem verantwortlich für die Ermordung Luxemburgs und Liebknechts). Die Tätigkeit der Ausschüsse bestand nun in einer unpolitischen Allgemeinbildung und immer mehr wurden Sport, Spiel, Tanz und Wanderungen zur einzigen Beschäftigung.
Diese Liquidierung der Jugendorganisation versuchten ReformistInnen auch in anderen Ländern umzusetzen. In Österreich wurde durch das sowieso bereits enge Verhältnis zwischen Partei und Jugendorganisation die Beschäftigung mit wirtschaftlichen Fragen der Lehrlinge zurückgedrängt und vermehrt auf Freizeitgestaltung gesetzt. Auch in Holland, Frankreich und einer Reihe von anderen Ländern brachten die Parteien die Jugendorganisationen unter ihre Kontrolle.
Die Angriffe des Reformismus wurden jedoch in den Verbänden Italien, Schweden, Norwegen und der Schweiz abgewehrt. Vor allem die italienische Jugendorganisation zeichnete sich bereits seit längerem durch eine intensive revolutionäre und antimilitaristische Tätigkeit aus und trat auch innerhalb der Partei gegen Reformismus und Opportunismus auf. So wurde ein Antrag des Parteivorstands zur Auflösung der Jugendorganisation auf dem Parteitag 1912 zurückgewiesen. Auf demselben Parteitag wurde der reformistische Parteivorstand gestürzt und die linke Strömung übernahm die Parteiführung.
Rein oberflächlich verzeichnete die Jugendinternationale nach der Stuttgarter Konferenz einen starken Mitgliederzuwachs und eine Reihe von neuen Verbänden wurden gegründet (1914 gab es 18 Organisationen mit 182.060 Mitgliedern), jedoch verflachte der politische Inhalt in den meisten Organisationen zusehends.
Bezeichnend war, dass in jener Zeit, als der Reformismus immer mehr vordrang, das Büro der Jugendinternationale – welches seit der Stuttgarter Konferenz seinen Sitz in Wien hatte – untätig blieb. Der Liquidierung der deutschen Jugendorganisation sah das Büro tatenlos zu und auch die Beschlüsse der Konferenz, insbesondere bezüglich des Kampfs gegen den Militarismus, wurden nicht umgesetzt. Karl Liebknecht, der revolutionäre Kopf des Büros, saß aufgrund seiner antimilitaristischen Tätigkeit im Gefängnis. Der Rest der GenossInnen beschränkte sich auf das Versenden von Briefen und Bulletins. Anstatt die Verbände anzuleiten verkam es zu einer reinen Auskunftsstelle.
Eine fatale Rolle spielte Genosse Danneberg, der Sekretär des Büros. Das unter seine Führung tätige Büro der Jugendinternationale schlug dem Büro der 2. Internationale in Brüssel ein Statut vor, welches beinhaltete, dass anstelle der „Verbindung der sozialistischen Jugendorganisationen“ lediglich ein Sekretariat für die Jugendbewegung im Büro der 2. Internationale treten soll. Dieser Vorschlag bedeutete nichts anderes, als die Übertragung der deutschen Organisationsform der reinen „Jugendpflege“ auf die Internationale. Dieser Vorschlag wurde von mehreren Jugendverbänden vehement abgelehnt. Die italienische Organisation machte einen alternativen Vorschlag, welcher nicht nur den Erhalt der Jugendorganisationen verteidigte, sondern auch ihren Ausbau zu einer wirklich aktionsfähigen Jugendinternationale bedeutet hätte.
Eine Entscheidung darüber fand nicht statt, denn der für den Sommer 1914 einberufene internationale Kongress konnte aufgrund des Ausbruchs des Krieges nicht abgehalten werden. Inzwischen verschwand das internationale Büro sang- und klanglos von der Bildfläche. Danneberg versuchte quasi im Alleingang die sozialistische Jugendinternationale zu liquidieren.
Weltkrieg
Nach Ausbruch des Krieges waren die Beschlüsse der 2. Internationale für den revolutionären Kampf gegen den imperialistischen Krieg – die 1907 in Stuttgart gefasst, 1910 in Kopenhagen und 1912 in Basel bestätigt wurden – schnell vergessen. Der Reformismus zeigte nun sein wahres Gesicht. Die Mehrheit der sozialdemokratischen Parteien bekannte sich zur Verteidigung „ihres“ kapitalistischen „Vaterlands“, stimmte in den Parlamenten für Kriegskredite und hetzte somit die ArbeiterInnen verschiedener Länder aufeinander. Während jedoch die 2. Internationale aufgrund des Verrats der Opportunisten zusammenbrach, behielt die Mehrheit der Jugendinternationale die klassenkämpferische Position aufrecht.
Jedoch rutschten die Jugendorganisationen, die bereits ins reformistische Fahrwasser geraten sind (wie Deutschland, Österreich, Frankreich), ins patriotische Lager ab und viele ihrer Funktionäre meldeten sich gar freiwillig zum Kriegsdienst. Danneberg und das Internationale Büro schlossen sich inzwischen der Argumentation von Karl Kautsky an, wonach die Internationale „im wesentlichen ein Friedensinstrument“, aber „kein wirksames Werkzeug im Kriege“ sei und meinten, dass eine „Wiederherstellung“ der Internationale erst nach dem Krieg möglich sei.
Es waren vor allem die Verbände, die der revolutionären Strömung treu geblieben waren – wie Italien, Schweden, Schweiz, sowie auch oppositionelle Teile der deutschen Arbeiterjugendvereine – die am Internationale Büro vorbei in einer Konferenz in Bern 1915 die Jugendinternationale vor dem Zusammenbruch rettete und neu ausrichteten.
Zentrale Scheidelinie zwischen Reformismus und revolutionären Marxismus in dem ganzen Konflikt war die Frage des Klassencharakters des Militarismus und des Krieges. Auf der Berner Konferenz wurde eine Resolution angenommen, die feststellte, dass der Krieg kein „Verteidigungskrieg“ ist sondern „das Ergebnis der imperialistischen Politik der herrschenden Klassen aller kapitalistischen Länder. […] Der Krieg steht in einem unversöhnlichen Gegensatz zu den Interessen der Arbeiterklasse.“ Die revolutionäre Strömung hielt den Internationalismus aufrecht, wies die „klassenversöhnende Burgfriedenspolitik“ der ReformistInnen entschieden zurück und verlangte die „Wiederaufnahme von klassenkämpferischen Aktionen seitens der Arbeiterschaft [um] den Frieden von den herrschenden Klassen zu erzwingen.“
Die Jugendinternationale geriet mit diesen Ansichten schnell ins Umfeld der Zimmerwalder Linken. Im November 1919 traten die revolutionären Jugendbewegungen von 13 Ländern zum 4. Kongress der „Internationalen Verbindung sozialistischer Jugendorganisationen“ zusammen, welcher den Anschluss an die Kommunistische Internationale und die Umwandlung in die „Kommunistische Jugendinternationale“ vollzog.
Doch nicht alle Jugendorganisationen waren bereit mit dem Reformismus zu brechen und so kam es Anfang der 1920er Jahre zu einer Neuformierung der Sozialistischen Jugendinternationale (SJI). Nach Krieg und Faschismus gründete sich die Jugendinternationale 1946 unter der Bezeichnung IUSY wieder. Im Kalten Krieg sorgte die Sozialdemokratie unter Einflussnahme des CIA dafür, dass in der IUSY die rechten Kräfte gestärkt wurden. In den 1970ern war zwar unter dem Eindruck der Klassenkämpfe und sozialen Bewegungen in Europa ein neuer frischer Wind von links in der IUSY zu spüren. In Großbritannien hatten sogar die MarxistInnen in der LPYS die Mehrheit inne und auch in vielen anderen Ländern suchten viele junge SozialistInnen nach einer revolutionären Perspektive. Gerade in den letzten beiden Jahrzehnten machte sich jedoch der Rechtsruck der Sozialdemokratie wieder deutlich spürbar.
Und heute?
Die heutige IUSY umfasst in ihren Reihen eine breite Palette, die von Jugendorganisationen mit sozialistischem Anspruch über rechtssozialdemokratische bis hin zu offen konterrevolutionären Organisationen reicht. Vor dem Hintergrund der Krise des Kapitalismus stellt sich gerade für die linken Organisationen, die noch den Anspruch haben dieses System überwinden zu wollen, die Frage „Reformismus oder revolutionärer Marxismus“. War es 1914 die Frage nach der Haltung zum Ersten Weltkrieg, ist es heute die Frage nach dem Standpunkt der SozialistInnen zur Staatsschuldenkrise mehrerer Länder und die weltweite kapitalistische Krise im Allgemeinen. Regierungen und Medien versuchen nun die ArbeiterInnen verschiedener Länder gegeneinander aufzuhetzen, indem sie zum Beispiel von den „faulen GriechInnen“ schreiben, die für die Krise verantwortlich seien. Sozialistische Organisationen müssen dieser Propaganda entgegentreten und erklären, dass die Ursache dieser Krise in der Funktionsweise des kapitalistischen Systems zu suchen ist. Während die Banken mit Hilfspaketen geholfen wird, müssen ArbeiterInnen und Jugendliche für die Krise bezahlen. Auch das angebliche „Hilfspaket für Griechenland“ ist nichts anderes als ein zweites Bankenrettungspaket. Die Regierungen und Parlamente sind völlig dem Diktat der „Märkte“, d.h. der Banken und Finanzkonzerne, ausgeliefert. Unter den Bedingungen der schwersten Krise des Kapitalismus seit Jahrzehnten gibt es keinen Spielraum für soziale Reformen. Ganz im Gegenteil. Die Führungen der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien haben mit dem System Frieden geschlossen. Nicht einmal mehr in Worten stehen sie für eine gesellschaftsverändernde Perspektive. In den Ländern, wo sie Regierungsverantwortung tragen, sind sie gezwungen harte Einschnitte in den Lebensstandard der breiten Bevölkerung selbst umzusetzen und erledigen somit – wie 1914 bei der Zustimmung zu den Kriegskrediten – die Arbeit des Kapitals, wobei sie doch eigentlich die Interessen der Lohnabhängigen vertreten sollten.
Die heutigen Jugendorganisationen der sozialdemokratischen oder sozialistischen Parteien stehen angesichts dieser Krise und der Politik der Sozialdemokratie an einem Scheideweg. Sie müssen sich entscheiden, ob sie diesem Treiben kritiklos zusehen, oder in Opposition zu ihren Mutterparteien gehen und konsequent die Interessen der arbeitenden Bevölkerung und der Jugend verteidigen. Dies kann in der derzeitigen Situation aber nur eine Abkehr von den reformistischen Konzepten hin zu einer revolutionären, antikapitalistischen Programmatik bedeuten. Sobald die Krise sich derart zuspitzt wie im Fall von Griechenland oder Portugal ist ein dritter Weg, wie ihn die Forderung nach einer Vermögenssteuer darstellt, eine reine Utopie und bietet keinerlei Ausweg aus der Sackgasse, in der das System steckt. Es gilt heute mehr denn je die revolutionären und internationalistischen Traditionen von Karl Liebknecht und Leopold Winarsky wieder zu beleben.