Der KSV-lili an der Uni Wien hat vor einiger Zeit „Zur Kritik an Lenin“ geladen. Ein gewisser Raban Witt lieferte an diesem Abend eine langatmige Einleitung. Wir eine Entgegnung.

Witt stellt seine Kritik an Lenin auf drei Füße: Erkenntnistheorie, Monopolkapitalismus und Staatsfrage. Seine Methode ist die textimmanente Kritik, also jene Methode, mit der man SchülerInnen darauf abprüft, ob sie den Lesestoff tatsächlich bewältigt haben. Er begründet diese Methode damit, dass er auf der Suche nach dem „reinen Lenin“ ist, frei von historischen Umständen, zeitgenössischen Polemiken und dem damaligen Stand der Wissenschaft. Dies darum, so die merkwürdige Argumentation, weil es ihm darum ginge, den ahistorischen Lenin („frei von historischen Umständen“) in seiner historischen Bedeutung im Hier und Jetzt zu beleuchten. Witts Erkenntnisse stellen Lenin – soviel sei vorne weg verraten – ein vernichtendes (und zwar im wahrsten Sinne des Wortes) Urteil aus. Doch der Reihe nach.

Witts Vortrag kann soweit als wissenschaftlich gelten, als er langatmig, beinahe schon langweilig und möglichst kompliziert vorgetragen wurde. Doch schon bei der Hilfswissenschaft des korrekten Zitierens verlässt Witt, der auf ein Lenin-ungebildetes Publikum hoffen muss, sein selbstgestecktes Terrain und mutiert zum antikommunistischen Demagogen. Zwar sind Quellen artig angegeben und in einem Handout ausgeteilt, aber genau jene Wörter (ja: Wörter!), die Lenin zum Terroristen machen, sind stillschweigend aus Aufrufen, Telegrammen und Armeebefehlen, meist aus der Zeit des Bürgerkrieges entlehnt. Sie werden mit den zitierten Werken verwoben und ergeben so ein grausiges Bild.

Darauf angesprochen, dass er damit den Boden seiner deklarierten Methode („ahistorische Analyse Lenins“) stillschweigend gebrochen habe, kommt Witt nicht umhin, dies auch offenkundig einzugestehen. Wir fassen zusammen: Witt hat also gar keine Methode bzw. bricht stillschweigend seine frei gewählte Methode. Wissenschaftlichkeit ade, Anti-Kommunismus hallo! Und offensichtlich ist es auch ihm nicht möglich, Geschichte frei von Raum und Zeit zu erzählen.

Der „erkenntnistheoretische Amoklauf“ so Witt, sei in Wladimir Iljitsch Uljanows Buch „Materialismus und Empiriokritizismus“ angelegt. Hier walte ein „kruder Materialismus“, weil Lenin doch tatsächlich behaupte, dass „die Materie unabhängig von menschlichen Empfindungen“ (Lenin) existiert. Für Witt ist es „eine harte Sache“ zu glauben, dass „Natur unabhängig vom Bewusstsein existiere.“ Es weht der Weltgeist durch den Hörsaal. Seine Ansicht unterstreicht er damit, dass er seinen „Lieblingsbegriff“ von Hegel „die Registriermaschine“ ins anti-leninsche Feld führt. Denn während die Natur eben sehr wohl beseelt sei, reduziere Lenin den Menschen zu blinden „Reflexautomaten“. Dies deshalb, weil Lenin nirgends zwischen „Wahrnehmen“, „Widerspiegeln“ und „Denken“ unterscheide. Und wer dem Menschen das Denken abspreche, der stehe mit der menschlichen Freiheit auf Kriegsfuß.

Was als „marxistische Kritik“ an Lenin angekündigt wurde, entpuppt sich nun als ideologischer Idealismus, nur zwei Ecken vom Gottesglauben und eine Ecke von der Satansaustreibung entfernt.

Wir halten fest: Das menschliche Hirn ist reine Materie, wie alles andere sinnlich Erfassbare. Im menschlichen Schädel ist die Materie so komplex angeordnet, dass sie hier nicht nur die Vitalfunktionen des Lebens organisiert, sondern die Materie Bewusstsein über sich selbst erlangt hat. Und nur hier entsteht das „Ideale“, die Idee, dass Menschen glauben können, dass etwas in ihnen unabhängig von der Materie existieren könne. Allein der Umstand, dass Menschen individuell und kollektiv gigantische und teilweise sogar in sich stimmige Gottesbilder entwerfen können – ohne je einen Gott gesehen zu haben -, zeigt, dass weder Lenin noch Marx davon ausgingen, dass das menschliches Denken eine pure Widerspiegelung der materiellen Welt sei. Wäre das Hirn nur ein Spiegel – wie es Witt den MarxistInnen unterstellt – würde dies ja bedeuten, dass Gott (Seele, Idee, Weltgeist, Karma,…) tatsächlich in der materiellen Welt vorhanden wäre. Witt hätte also quasi im Vorbeigehen mit dem Instrument der formalen Logik den gesamten Dialektischen Materialismus ausgehebelt - und diesem Genie scheint sein philosophischer Durchbruch sogar vor sich selbst verborgen geblieben sein.

In Witts Detailverliebtheit – er kombiniert die Worte „zwei philosophische Richtungen“ (Seite 22) mit einem Teilsatz von Seite 143 (er scheint anzunehmen, dass dazwischen nichts von Bedeutung steht) wird aus Lenin ein intellektueller Flachwichser. Warum dies für ihn so wichtig ist, erschließt sich jedoch erst später. Dass Witt aber entweder dumm oder schlichtweg unredlich ist, ergibt sich aus Lenins Aussage selbst. Denn das was Witt ihm krampfhaft unterstellen will, dass dem Menschen nach Lenin nämlich Denken, Phantasie etc. unmöglich sei, verneint Lenin selbst (und zwar wenn man den Satz den Witt verstümmelt hat, im Original wiedergibt):

„Freilich ist auch der Gegensatz zwischen Materie und Bewusstsein nur innerhalb sehr enger Grenzen von absoluter Bedeutung: im gegebenen Fall ausschließlich in den Grenzen der erkenntnistheoretischen Grundfrage, was als primär und was als sekundär anzuerkennen ist. Außerhalb dieser Grenzen ist die Relativität dieser Entgegensetzung (zwischen Materie und Bewusstsein, Anm.) unbestreitbar.“ (S.143)

Doch Witt hat sich nun seinen Lenin zusammengebaut und kann jetzt frisch drauf los hauen, was hier nur stark zusammengefasst dargestellt werden kann. Jetzt wird „Der Imperialismus – das höchste Stufe des Kapitalismus“ auseinandergenommen. Lenins Verbrechen hier: „Er diskutiert den Kapitalismus über den Rahmen des Marxschen Hauptwerks 'Das Kapital' hinaus“. Witt konstatiert, dass es für Lenin keine blinden Kräfte mehr sind, die den Kapitalismus lenken, sondern „Monopolkapitalisten“. Hier sei nur angedeutet, dass Witt keinen blassen Schimmer vom Hauptwerk von Marx hat. Schon in Band 1 arbeitet Marx die notwendige Zentralisation der Produktion heraus, eine Idee, die im Band 3 weiterentwickelt wird. Das wichtige Faktum ist jedoch: Diese Idee hat sich auch bestätigt, nicht nur zur Zeit Lenins, sondern bis heute.

Witt ist das egal und es wird spannend! Wir kombinieren: Die geistig minderbemittelte Reflexmaschine Lenin, der seine eigene geistige Armut im „Empiriokritzismus“ zum Maßstab aller Menschen machen möchte – wogegen Witt sich tapfer wehrt - erkennt die Funktionsweise des Kapitalismus nicht an, sondern er personifiziert das herrschende System. Daher ist der nächste Schritt nur folgerichtig: Lenins Kommunismus ist kein „emanzipatorischer“, sondern ein terroristischer.

Die philosophische Entstellung Lenins hatte also nicht nur den Zweck, dem „Geist“ wieder einen würdigen Platz zu verschaffen, sondern auch jede aktiv geführte Klassenauseinandersetzung in den Dreck zu ziehen. Anstatt die historischen Bedingungen des Sieges und des Scheiterns des ersten Arbeiterstaates der Welt zu diskutieren, geht es Witt – und den Veranstaltern – darum, die Exekution der letzten Zarenfamilie als Beginn des Terrors jeder Spielart herbeizukonstruieren.

Und hier sind die Schlussfolgerungen von Witt nun klar wie Kloßbrühe: dem (kommunistischen, islamistischen, faschistischen,…) Terror gegen „Parasiten“, „Kapitalisten“, der Vernichtung der „Intellektuellen“ und Juden ziehen wir die bürgerlichen Freiheiten des herrschenden Systems vor. Hier sorgt das „Arbeitsrecht für Rechtsgleichheit“ (!) zwischen Kapital und Arbeit, und Kriege sind nicht Ausdruck eines von „Fäulnis“ (Lenin) geprägten kapitalistischen Weltsystems, sondern legale Mittel der Durchsetzung historischen Fortschritts.

Raban Witt ist ein unredlicher Intellektueller, und es ist unwürdig für eine Organisation, die den Kommunismus im Namen trägt, sich so jemanden als Referenten einzuladen.


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