Arbeitslosigkeit. 420.000 Menschen sind in Österreich derzeit ohne Job. Selbst in den optimistischsten Szenarien der Wirtschaftsforscher/innen ändert sich daran in den kommenden Jahren nichts. Von Martin Zuba.
Arbeitslosigkeit gibt es erst, seitdem es Lohnarbeit gibt. Die Unterdrückten vergangener Gesellschaftsformen – SklavInnen, Leibeigene – konnten nicht frei über ihr Arbeitsleben entscheiden und waren demnach auch nicht mit dem Problem der Arbeitslosigkeit konfrontiert. Die freie Berufswahl gab es nur in den Städten, wo Zünfte das Wirtschaftsleben regulierten.
Als mit der Industriellen Revolution die Erwerbsfreiheit für die Mehrheit der Menschen zur Realität wurde, stellte sich rasch heraus, dass für viele damit auch die Freiheit von Arbeit, also die Arbeitslosigkeit, einherging. Paradoxerweise bedeutete der industrielle Aufschwung Reichtum für die Nationalökonomien, aber Armut und Verelendung für die ArbeiterInnen, in deren Folge die ArbeiterInnenorganisationen gegründet wurden. Der Kampf um den Achtstundentag, in Österreich 1919 durchgesetzt, damals freilich noch bei einer Sechs-Tage-Woche, war einer der wichtigsten Programmpunkte der ArbeiterInnenbewegung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte dann eine Epoche, in der die Soziale Frage für viele gelöst schien. Während des Nachkriegsbooms erlebte der Reformismus seine Blütephase. In den 1960er und 1970er Jahren sank die Arbeitslosigkeit auf ca. 2 %. Ohne besorgte Kommentare seitens der Industriellenvereinigung wurde die Wochenarbeitszeit schrittweise erst auf 45 (1959), dann auf 40 Stunden (1975) reduziert.
Seit 1980 steigt die Arbeitslosigkeit wieder an. Die ÖGB-Kampagne für die 35-Stunden-Woche wurde mit Verweis auf den Standort Österreich von der Industriellenvereinigung besiegt. Nur in einigen Ländern (z.B. Frankreich) erfolgte eine Arbeitszeitreduktion; in Österreich gab es in einigen Branchen eine Verringerung auf 38,5 Stunden. Gleichzeitig erzeugte die steigende Produktivität der Arbeitskraft immer höhere Profite.
Wer ist schuld?
Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer, kennt zwei „Gründe“, warum die Arbeitslosigkeit so hoch ist. Auf der einen Seite würden sich laut ihm die Arbeitslosen nicht genug bemühen, einen Job zu finden. Wahrscheinlich seien, so ergänzt Finanzminister Hans Jörg Schelling, Arbeitslosengeld und Sozialhilfe „zu hoch“. Diese Worte drücken den blanken Zynismus aus, mit dem die Millionärsfraktion in Regierung bzw. ÖVP auf die Arbeitslosen herabblickt. Gleichzeitig ist diese Aussage auch Programm: Wenn die Unterstützung knapper, die Menschen verzweifelter werden, dann können die Unternehmen niedrigere Löhne zahlen und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.
Ein weiterer Grund, warum die Arbeitslosigkeit laut Leitl so hoch ist, seien die Lohnnebenkosten – also die Beiträge an die Sozialversicherung, die die Unternehmen neben dem Lohn selbst für die Beschäftigten zahlen müssen. Diese hohen Lohnnebenkosten würden es Unternehmen verunmöglichen, Jobs zu schaffen. An dieser Stelle fragen wir: Wenn die Unternehmen keine Jobs schaffen, weil die Lohnnebenkosten so hoch sind, wie können dann noch so „willige“ Jobsuchende einen Arbeitsplatz bekommen? Doch auch diese Aussage ist Programm: Eine Reduktion der Lohnnebenkosten würde einen Abbau des durch die Lohnnebenkosten mitfinanzierten Sozialsystems bewirken. Mehr Geld stünde dem privaten Sektor der Wirtschaft zur Verfügung, in dem die Unternehmen Profite erwirtschaften könnten.
Arbeitszeitstatistik
Schuld an der Arbeitslosigkeit sind tatsächlich weder die Arbeitslosen selbst noch ein vermeintlich zu großzügiges Sozialsystem. Die Arbeitszeitstatistik (Statistik Austria) zeigt: 20 % der Angestellten in Österreich, insgesamt 530.000, haben eine All-in-Vereinbarung, in der eine Überstundenpauschale im Grundgehalt inkludiert ist. Am stärksten betroffen ist neben Führungskräften (54 %) und AkademikerInnen (30,4 %) der Handel (26,6 %). Aber auch unter Angestellten (19,8 %) und ArbeiterInnen (8,9 %), die Hilfs- bis mittlere Tätigkeiten ausführen, ist im Gesundheits- und Sozialwesen (12 %) oder im Bildungsbereich (22,7 %) die Überstundenpauschale oft anzutreffen.
Insgesamt leisteten Österreichs ArbeiterInnen und Angestellte 268 Millionen Über- bzw. Mehrstunden, von denen etwa 19 % (Männer) bzw. 27 % (Frauen) unbezahlt waren. Dies entspricht in etwa 140.000 Vollzeitjobs. Eine Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden würde ca. weitere 300.000 Jobs schaffen. Vorausgesetzt, dass die momentan Arbeitslosen ausreichend Zugang zu Bildung und Ausbildung im Betrieb hätten, könnte durch eine Umverteilung der Arbeit selbst das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst werden.
Ein weiterer Faktor, der gerade für Österreich nicht unerwähnt bleiben sollte, ist ein sehr hoher Anteil an Teilzeitbeschäftigungen. Diese beträgt 27 %. Zu einem Hauptanteil sind davon Frauen betroffen. Sie machen 74 % der Teilzeitbeschäftigten aus. Das bedeutet, dass in Österreich fast jede zweite Frau „nur“ Teilzeit arbeitet. Als Hauptgründe dafür werden meist Kinderbetreuung oder Pflege von Familienangehörigen angegeben. Häufig sind Teilzeitbeschäftigungen also die einzige Möglichkeit, überhaupt einer Beschäftigung nachgehen zu können. Sie tragen daher zwar einerseits sicher zu einer hohen Frauenerwerbsquote bei, aber führen andererseits auch zu hohen Einkommensunterschieden zwischen Frauen und Männern und tragen so erheblich zur Altersarmut von Frauen bei. Außerdem wirken sie sich äußerst negativ auf die Finanzierung des Sozialsystems aus.
Im Grunde genommen ist Arbeitslosigkeit ein äußerst merkwürdiges Konzept. Menschen, die Zeit haben, und gerne einer produktiven Tätigkeit nachgehen würden, sind zu Untätigkeit verdammt. Denn mit wachsender Produktivität wird im Kapitalismus Arbeitslosigkeit produziert, da mit ihr weniger unmittelbare Arbeit nötig ist, um ein größeres Produkt zu schaffen. So können ArbeiterInnen entlassen werden, damit weniger Löhne ausbezahlt werden müssen. Dennoch gäbe es genug zu tun. Aus sehr vielen Bereichen erreichen uns regelmäßig Meldungen von Personalmangel – sei es im Pflege- oder Sozialbereich. Der Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und des Wohnungsangebots in Ballungsräumen, die Erforschung neuer Heilmethoden in der Medizin oder die Verschönerung der städtischen Parkanlagen – überall bieten sich Möglichkeiten, wo das kreative Potenzial von Menschen sinnvoll eingesetzt werden könnte. Es könnten problemlos mehr Menschen beschäftigt werden, was zur Folge hätte, dass die derzeit Beschäftigten weniger lange arbeiten müssten und das gesamtgesellschaftliche Leistungsniveau angehoben werden könnte. Dass das nicht passiert, liegt einzig und allein daran, dass diese Tätigkeiten keinen Profit abwerfen würden.
Wir fassen zusammen: Es macht für UnternehmerInnen aus betriebswirtschaftlichen Gründen Sinn, ArbeitnehmerInnen zu kündigen und dafür die restlichen Beschäftigten mehr arbeiten zu lassen. Es macht ebenso aus betriebswirtschaftlichen Gründen Sinn, Fabriken zu schließen, wenn deren Produkte zwar von den Menschen gebraucht, aber nicht bezahlt werden können. Die sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit selbst fließen in diese Rechnung nicht ein.
Verlorene Generation
Doch diese Kosten sind gewaltig. Mittlerweile wächst in den krisengeschüttelten Ländern Europas eine verlorene Generation heran. In Griechenland konnten viele Jugendliche ihre Ausbildung nicht abschließen, da die Universitäten den Betrieb eingestellt haben. In der Wirtschaftskrise wurden zahlreiche Jobs vernichtet und keine neuen geschaffen, was die Chancen der Jugendlichen auf einen Arbeitsplatz noch mehr verschlechtert.
Dieser Nachteil könnte den GriechInnen nachhängen, auch dann, wenn die Wirtschaft auf der Basis der „inneren Abwertung”, also der Zerstörung des Lebensstandards der griechischen ArbeiterInnen, wieder wettbewerbsfähig wird. Selbst wenn die GriechInnen wieder Jobs bekommen – was nach einer langen Phase der Arbeitslosigkeit sehr schwierig sein kann – die Unternehmen werden erst dann nach Griechenland zurückkehren, wenn sich die politische Situation stabilisiert hat und die Löhne so niedrig sind, dass damit kein angemessener Lebensstandard bestritten werden kann.
Für die Bevölkerung Griechenlands, Spaniens oder Süditaliens, aber auch für die Arbeitslosen Nordeuropas und die von der Arbeitslosigkeit Bedrohten, ist die Frage, ob es ein politisches Konzept zum Kampf gegen die Arbeitslosigkeit gebe, das nicht auf der Prämisse beruht, es den Unternehmen auf jeden Fall recht zu machen, essenziell. Ein solches Konzept muss den Anspruch stellen, dass menschliche Arbeit und technische Ressourcen mobilisiert werden, um gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. Es handelt sich dabei um keine abstrakte Frage der geeigneten Wirtschaftspolitik, sondern um eine des eigenen unmittelbaren Überlebens. Die politischen Formationen werden daran gemessen werden, ob sie diese Frage beantworten und diese Antwort auch in die Tat umsetzen können.