Angesichts der Auswirkungen der internationalen Finanzmarktkrise veröffentlichen wir die Zusammenfassung eines Artikels des britischen Sozialisten Rob Sewell und einen Kommentar der Sozialistischen Jugend Vorarlberg.

Der Kapitalismus hat versagt

“Ich mag Diebe. Einige meiner besten Freunde sind Diebe. Erst letzte Woche war der Präsident der Bank bei uns zum Abendessen.” W.C. Fields

Das kapitalistische System steht vor der schwersten Finanzkrise seit der Großen Depression. Diese Meinung vertritt nicht nur der Milliardär George Soros sondern auch der IWF und alle ernsthaften bürgerlichen Kommentatoren.

Der Hurrikan, der Mitte September die Kreditmärkte, Börsen und das Banksystem durcheinander gewirbelt hat, war ein Ergebnis all der Widersprüche, die sich in den Grundfesten des Kapitalismus in den vergangenen zwei Jahrzehnten angesammelt haben. Was wir jetzt erleben, ist weit mehr als eine temporäre Verkühlung sondern die Vorzeichen einer ausgewachsenen Weltwirtschaftskrise. Der Sturm ist noch lange nicht vorüber, daran wird auch die Ankündigung des historisch einzigartigen Rettungsplans durch die US-Notenbank und das US-Finanzministerium nichts ändern. Die Finanzkrise hat bereits ein derartiges Ausmaß erreicht, dass kaum ein Stein auf dem anderen geblieben ist. Dieses Haus wiederaufzurichten ist nahezu unmöglich. Die Schockwellen dieser Krise werden in den kommenden Monaten die gesamte Weltwirtschaft erschüttern.

Bis vor kurzem galt der ehemalige US-Notenbankchef Greenspan noch als der Guru des modernen Kapitalismus. Durch die Art und Weise, wie er auf das Platzen der Internet-Blase im Jahr 2001 reagierte und eine tiefe Rezession verhinderte, brachte ihm den Beinamen “Der Mann, der die Welt rettete” ein. Greenspan selbst erklärte den Erfolg seiner Politik damit, dass durch das komplexe System an Derivaten, die auf den Finanzmärkten einen immer größeren Stellenwert bekommen haben, die Risiken so geschickt auf viele Schultern verteilt worden seien, dass eine schwere, systemumgreifende Krise verhindert werden könne.

Greenspans “wirtschaftliche Stabilität” wurde in Wirklichkeit aber nur hergestellt, weil Milliarden Dollar an zweifelhaften Derivaten in die Ökonomie gepumpt wurden. Der Tycoon Warren Buffet bezeichnete diese Finanzinstrumente als “finanzielle Massenvernichtungswaffen”. Im Grunde wurde das kapitalistische System mit dieser Injektion von neuen Finanzmitteln vergiftet und die Krise nur hinausgeschoben. Diese Deriviate sind in den Worten von Marx nichts anderes als “fiktives Kapital” und ein wichtiges Element im modernen Casinokapitalismus. Wie mit allen Formen von Kredit haben auch sie die Wirkung den Kapitalismus eine Zeit lang über seine Grenzen hinaus antreiben zu können. Wenn sich der Prozess jedoch in sein Gegenteil verkehrt, was ab einem bestimmten Punkt passieren muss, dann stellen sie eine gefährliche Giftmischung dar.

Greenspan hat die Krise nicht gelöst sondern einfach hinausgezögert, indem er eine unvorstellbar große Dosis an fiktivem Kapital in das System gepumpt hat. Wie wir damals schon erklärt haben, musste das die unvermeidliche Konsequenz haben, dass eine zukünftige Krise noch schwerwiegender sein würde. Genau das passiert heute vor unseren Augen.

Die Kapitalisten haben heute kein Interesse mehr an Investitionen in die Produktion, der einzigen realen Quelle von Reichtum, sie setzen lieber auf Spekulation und Casinospiele. Dies zeigt wie degeneriert die kapitalistische Klasse längst schon geworden ist. Sie nimmt in diesem System eine vollkommen parasitäre Rolle ein.

Solange Milliardengewinne möglich waren, hat sich natürlich niemand um die Konsequenzen gekümmert. Die Widersprüche, die mit diesen künstlich aufgeblasenen Märkten bei Krediten, Derivaten, Aktien und Immobilien einhergingen, wollte niemand beachten. Alle waren der Meinung diese Spirale zu immer größerem Reichtum würde niemals enden. Alles was sie wollten waren freie Märkte und keine Regulierungsmechanismen. Es war wie ein nie enden wollender Karneval des Geldmachens, die Banken borgten riesige Summen Geld her, als gäbe es kein Morgen mehr. Vor allem auf den Immobilienmärkten war das Ausmaß dieser Praktiken bereits völlig von der Realität abgekoppelt. Doch die Bewegungsgesetze des Kapitalismus hörten nicht auf zu wirken, und auf den Boom folgte die Krise.

In jedem kapitalistischen Boom sehen wir Elemente der Spekulation. In diesem Boom traf dies vor allem auf den Immobilienmarkt zu, was die Bedingungen für die Subprime-Krise heranreifen ließ. Durch die zunehmende Nachfrage nach Eigenheimen stiegen die Preise, und durch die steigenden Preise stieg die Nachfrage in der Hoffnung diese Häuser zu noch höheren Preisen weiterverkaufen zu können. Durch die Kreditgeschäfte der Banken wurde diese Blase immer mehr genährt.

Nun ist der Karneval vorüber. Katerstimmung macht sich breit. Und sie schlägt in Weltuntergangsstimmung um. Die Financial Times schrieb am 19. September in einem Artikel, in dem sie die Zentralbanken und Regierungen aufforderte endlich zu handeln: “Heute geht es um das Überleben.”

Die Bürgerlichen sehen sich immer mehr gezwungen einzusehen, dass der Kapitalismus versagt hat. Es ist aber nicht das Versagen einer fehlenden Regulierung sondern ein Versagen des Systems selbst. Die Marktwirtschaft konnte das zerstörte Gleichgewicht nicht mehr selber herstellen. Die Banken und Kreditinstitute waren wie gelähmt. Die Krise war nicht mehr aufzuhalten.

Diese Krise wird sich aber nicht nur darauf beschränken, dass am Papier einige Milliarden abgeschrieben werden müssen. Jetzt wird ein Dominoeffekt folgen, der in der gesamten Wirtschaft spürbar werden wird. Es sei hier nur an das Beispiel Japan erinnert.Die japanischen Banken kauften im Zuge der Blase in den 1980ern riesige Grundstücke. Als die Blase schlussendlich platzte, saßen die Banken auf enormen uneinbringlichen Schulden. Das führte in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt zu einer Rezession, die ein Jahrzehnt lang andauern sollte. Nun geht in der herrschenden Klasse die Sorge um, dass sich dieses Beispiel in den USA wenn nicht im Rest der Welt wiederholen könnte.

Die gegenwärtige Krise wird eine einzigartige Anklage gegen den Kapitalismus. Schon jetzt müssen die Prediger der Überlegenheit des freien Marktes zu den Regierungen betteln gehen, um sich mit dem Geld der öffentlichen Hand – sprich dem Geld der SteuerzahlerInnen – aus der Patsche helfen zu lassen. All jene, welche die unvorstellbaren Profite der letzten Jahre damit rechtfertigten, dass diese eine Belohnung für das unternehmerische Risiko seien, sind plötzlich ruhig geworden. Für das Sozialsystem wollten diese Herrschaften kein Geld zur Verfügung stellen, weil sich dies der Staat angeblich nicht leisten könne. Jede kleine Reform wurde damit abgelehnt, dass der Staat keine Schulden machen dürfe. Doch plötzlich ist das Geld in Unmengen da. Immerhin geht es um eine Rettungsaktion der Banken. Noch nie seit der Großen Depression plante eine Regierung in Friedenszeiten eine derartig große Interventionsmaßnahme wie jetzt die US-Administration. Dies allein zeigt wohl schon, welche Gefahren von dieser Krise für den Kapitalismus ausgehen.

Die vorgeschlagenen Rettungsaktion in den USA soll 700 Mrd. US-Dollar kosten. Uneinbringliche Schulden sollen in einer vom Staat gehaltenen Holding aufgekauft werden, mit anderen Worten sollen die Verluste der Unternehmen verstaatlicht werden. Das Chaos im Finanzsektor ist jedoch schon längst auch in den anderen Sektoren der US-Wirtschaft wirksam geworden. Die Autoindustrie musste ebenfalls schon auf Regierungshilfe in Form von Krediten und Kreditgarantien zurückgreifen. Die Bauindustrie ist bereits in der Krise. Die Arbeitslosenzahlen erreichen neue Rekordstände. Das ist der Beginn einer neuen weltweiten Rezession, die tiefer gehen könnte als alles was wir in der Nachkriegsgeschichte gesehen haben. Davor haben die Strategen des Kapitals Angst. Eine derartige Krise würde den Lebensstandard der breiten Masse bedrohen und weltweit für politische Unruhe sorgen.

Die Menschen werden sich gezwungen sehen ihre Meinung über den Kapitalismus zu überdenken. Die öffentliche Meinung wird sich drehen und antikapitalistische Ideen werden wieder ein breites Echo finden. Eine britische Zeitung schrieb treffend: “Historiker werden diese Woche einmal als den Beginn einer Zeit festhalten, in der unglückliche KonsumentInnen angefangen haben, in einem Atemzug über die Butterpreise und den möglichen Zusammenbruch des westlichen Kapitalismus zu diskutieren.”

Rob Sewell


Die Finanzmarktkrise: Das Ende von "Willkommen im Freien Markt!"


Jahrzehntelang gingen die KapitalistInnen mit den anscheinenden Vorzügen des "Freien Marktes" hausieren. Angesichts der Bankenkrise wurde es still um derartige Wortmeldungen. Ein Kommentar der SJ Vorarlberg.

Für die Apostel des „Freien Marktes“ scheint die Apokalypse angebrochen zu sein: In kürzester Zeit bricht eine Investmentbank nach der anderen zusammen. Die sogenannten „Big Five“, die größten Fünf Investmenthäuser der USA, gibt es nicht mehr. Man spricht vom „Ende einer Ära“ an der Wallstreet und von der größten Finanzkrise seit dem Schwarzen Freitag 1929. Innerhalb von wenigen Tagen wurden an den Börsen Werte in der Höhe von mehreren hundert Milliarden abgeschrieben, durch die Bankenpleite verloren zehntausende Angestellte im Bankbereich ihren Job und die Krise droht, in den produktiven Wirtschaftssektor überzuschwappen. Das Märchen, dem nach der „freie Markt“ das beste aller Wirtschaftssysteme sei und das effizienteste Wirtschaftssystem darstelle glauben nun nicht einmal mehr jene, die es am öftesten erzählt haben: Um die Finanzkrise zu stoppen, sah sich die Regierung von US-Präsident Bush, seines Zeichens einer der radikalsten Missionare des Kapitalismus, dazu gezwungen, einen Teil der maroden Banken zu verstaatlichen (!). Mit 700 Milliarden US-Dollar soll jenen Banken, die für die Krise mitverantwortlich sind, wieder auf die Beine geholfen werden. Damit werden weniger die Banken als viel mehr die Schulden verstaatlicht, die jetzt die SteuerzahlerInnen in den USA zu begleichen haben. Denn die handelnden Personen in den Banken bleiben dieselben, nur haben diese Wahnsinnigen, die bis jetzt von den Spekulationen der Banken enorm profitiert haben und die Krise mitverschuldet haben, auch noch Steuergeld zur Verfügung. Damit werden die US-amerikanischen ArbeitnehmerInnen, die unter der von den Banken hervorgerufenen Inflation am meisten leiden und denen ständig eingehämmert wird, für gesetzliche staatliche Gesundheits-, Alters- und Sozialvorsorge sei kein Geld vorhanden, jetzt erneut zur Kasse gebeten.

Eine Verstaatlichung an sich ist aus unserer Sicht etwas Positives. Die derzeitige Aktion der US-Regierung zielt allerdings nur darauf ab, Schulden auf Kosten der ArbeitnehmerInnen und sozial Schwachen umzuverteilen. Weil ihr System stottert, müssen die KapitalistInnen es mit Abermilliarden Dollars aus den Geldbörsen der Bevölkerung schmieren. Das ist eine Bankrotterklärung des Kapitalismus. Diese Finanzkrise wird höchstwahrscheinlich auf die sich abzeichnende Stagnation im produktiven Sektor einwirken. Bereits jetzt melden international mehrere Unternehmen Konkurs an, da die Banken aus Angst kaum mehr Kredite zu realistischen Zinsen vergeben. Dies führt zu steigender Arbeitslosigkeit und ist der perfekte Cocktail für eine handfeste Wirtschaftskrise, die auch Auswirkungen in Österreich haben wird. Wir leben längst in einer globalisierten und vernetzten Weltwirtschaft. Bereits jetzt sind jene, die ständig davon plappern, Österreich würde von der Krise nichts abbekommen, gänzlich verstummt. Diese Leute wollen uns glauben machen, dass um Österreich eine unsichtbare Firewall hochgezogen ist, an denen alle Probleme der Außenwelt abprallen. Doch bereits jetzt ist klar, dass Banken wie Raiffeisen oder die Erste Bank in die Krise involviert sind, anscheinend hat die unsichtbare Firewall irgendwo ein unsichtbares Loch.

Wir wollen es nicht sein, die Suppe jetzt auslöffeln müssen. Der Kapitalismus ist zu einer Bedrohung für uns alle geworden. Den Reichen ist das egal, sie werden auf der Basis dieses Systems immer einen Weg finden, es sich gutgehen zu lassen – auf unsere Kosten, versteht sich von selbst. Um das Leid von „denen da unten“ etwas zu lindern, versuchen sie sich in zynischer Art und Weise regelmäßig als verständnisvolle RatgeberInnen für „die da unten“. So meinte Fiona Swarovski, Tochter von Beruf, vor kurzem angesichts der steigenden Lebensmittelpreise: „Wer den Platz und die Möglichkeit hat, sollte zu Hause Gemüse anbauen, meine ich, dass wir alle so weit wie möglich zur teilweisen Selbstversorgung zurückkehren sollten.“
Wer wieder zurück ins Mittelalter möchte, sollte sich gemeinsam mit der Millionärin vor den Pflug spannen, um Ackerflächen in Tirol zu bearbeiten. Alle anderen sind dazu aufgerufen, sich zu organisieren und gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft nicht länger über uns herrscht sondern wir über sie. Der Kapitalismus hat seine Schuldigkeit getan, der Kapitalismus kann gehen.


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