Die Jahre 2001 bis 2010 markieren eine dunkle Epoche für die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft. Selten zuvor lieferte sie so viele Fehlprognosen, von denen sich jede einzelne als für die Allgemeinheit sehr kostspielig erwiesen hat. Von Martin Zuba.
Um eine “harte Landung” der Wirtschaft nach dem Platzen der dotcom-Blase 2000/2001 zu verhindern, setzten die westlichen Industriestaaten, allen voran die Vereinigten Staaten, auf eine Expansion des Kreditwesens. Die Banken, die schon in den Jahren zuvor sämtliche Kontrollauflagen durch „freiwillige Selbstregulation“ ersetzt hatten, vergaben Kredite zu günstigen Konditionen. So entstanden die Subprime- oder NINJA-Kredite (No Income, No Job, No Assets [Vermögenswerte]). Ermöglicht wurde dies durch von den Zentralbanken billig zur Verfügung gestelltes Geld. So erkaufte sich die Wirtschaft einen Anstieg des Privatkonsums. Die Anhäufung von Krediten mit hoher Ausfallswahrscheinlichkeit, so wurde damals argumentiert, sei kein Problem, solange riskantere Kredite mit weniger riskanten Krediten vermischt und gebündelt verkauft werden – wie sich spätestens 2008, bei der Pleite des Investmenthauses Lehman Brothers herausstellte, das einen Tag zuvor noch mit der Bestnote AAA bewertetet wurde. Der Versuch, den Markt durch Kredit auszudehnen, war gescheitert, und das ganze Finanzsystem stand am Rande des Abgrunds.
Die koordinierten Rettungsaktionen der folgenden Monate standen ganz im Zeichen des Versuchs, eine ähnliche Kettenreaktion wie 1929 zu vermeiden. Überall in den westlichen Industriestaaten wurden Banken „rekapitalisiert“, Spareinlagen gesetzlich garantiert, Haftungen übernommen. Effektiv wurden die Schulden der Privatbanken in Staatsschulden umgewandelt. Die damalige politisch-ökonomische Führungselite verkaufte das als klugen Plan, schließlich könnten Staaten nicht Pleite gehen und deshalb zu viel günstigeren Konditionen Kredite aufnehmen. „Das Bankenrettungspaket ist ein guter Deal für die Republik“, ließ uns 2009 Finanzminister Pröll wissen – ebenfalls ein Irrtum, wie wir seit den Pleiten der Hypo-Alpe Adria und Kommunalkredit wissen, die die österreichischen SteuerzahlerInnen Milliarden gekostet haben. Dabei steht Österreich wesentlich besser da als eine Reihe von Ländern, denen dieser Irrtum weitaus mehr gekostet hat, und die in Folge der Krise und der Krisenrettungspakete zahlungsunfähig wurden. Die katastrophale Wirtschaftssituation Ungarns könnte jedoch noch sehr gefährliche Nachwirkungen für das österreichische Bankensystem haben.
Doch das ist alles kein so großes Problem, sagen die FinanzministerInnen der Eurozone in regelmäßigem Abstand. Denn wenn es ein System wie den EU-Rettungsschirm gibt, wo bankrotte Staaten teilweise von anderen Staaten gestützt werden, müssen erstere nur genügend sparen, und alle Schulden können zurück gezahlt werden. Diese Zeitung argumentierte seit Ausbruch der Griechenland-Krise, dass die Vorstellung, der griechische Staat würde die Schulden bedienen können, völlig absurd ist. 2011 mussten auch die ExpertInnen in Politik und Wirtschaft ihren nächsten Irrtum einsehen – der Haircut bedeutet, dass Staaten und Banken ihre Griechenland-Anleihen teilweise abschreiben müssen. Griechenland wurde konsequent kaputt gespart, mehr Sparpakete werden folgen und trotzdem droht heuer eine “unkontrollierte Staatspleite” (O-Ton Premier Papademos). Das nächste Banken-Rettungspaket zeichnet sich somit ab …
Alles kein Zufall
Bei genauerer Betrachtung der Ereignisse stellt sich aber heraus, dass die scheinbaren Irrtümer vielmehr zwingendes Resultat bewusster Entscheidungen sind. Klarerweise hätte die US-Zentralbank zu Beginn des Jahrtausends darauf verzichten können, mit billigem Geld die Wirtschaft anzukurbeln. Ohne die Konjunkturlokomotive US-Konsum wäre die Weltwirtschaft schon viel früher in die Krise geschlittert, und die AktienbesitzerInnen hätten sich nicht über Rekordgewinne und -dividenden freuen können. Zumindest für die Reichen der Reichen hat sich der vermeintlich Irrtum, das Projekt mit Kredit den Absatzmarkt auszuweiten, durchaus bezahlt gemacht. Denn die Zeche zahlten nicht sie.
Auch die Bankenrettungspakete und Euro-Rettungsschirme, von denen behauptet wurde, sie seien die beste Erfindung seit dem Mozarella, haben sich im Nachhinein als teurer Spaß erwiesen, für die Banken und KapitalbesitzerInnen sind sie aber nach wie vor eine Erfolgsstory. Jeder Euro, der von den Staaten in den Schlund der Krise geworfen wird, ersetzt einen Euro Verlust, der das Vermögen der Eliten schmälern würde. Der unbestreitbare und alleinige Nutzen dieser Rettungsprogramme ist die Rettung dieser Vermögen auf Kosten der Allgemeinheit. Das Motto „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ hat noch nie gestimmt. Angesichts der momentanen Krisenbewältigungspolitik wäre es treffender zu sagen „Weil’s der Wirtschaft gut gehen soll, geht’s uns allen (bald) schlecht.“
Die Vermögenden haben also ganz prächtig an den genannten „Irrtümern“ der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre verdient. Trotzdem wäre es ein Fehler zu sagen, dass es die Gier dieser wenigen war, die diese Politik alleine durchgesetzt hat. Wenn die Wahl darin besteht, den Markt durch Kredite zu stützen oder wirtschaftliche Stagnation hinzunehmen, wird sich kaum eine politische Kraft finden, die für letzteres argumentiert. Ebenso wäre es wohl nicht besser gewesen, die in Finanznot geratenen Banken allesamt in Konkurs zu schicken, da dies zweifelsohne Kettenreaktionen ausgelöst hätte und eine viel tiefere Rezession mit horrenden sozialen Folgen verursacht hätte. Der Fehler besteht darin, von Anfang an nur die genannten Wahlmöglichkeiten zu sehen und die Optionen, die den Kapitalismus in Frage stellen, nicht zu berücksichtigen.
Lackmustest für die Sozialdemokratie
Mit dem Ausbruch der Krise war klar, dass das neoliberale Dogma, demnach im freien Spiel der Kräfte am freien Markt das optimale Ergebnis für alle (fleißigen) entsteht, bestenfalls Schwachsinn ist. Sogar Karl-Heinz Grasser, Niki Lauda und Mirko Kovacs hielten sich in der Öffentlichkeit mit ihrer Meinung zur Rolle des Staats in der Wirtschaft und der Überlegenheit der Privatinitiative zurück. Mit den Banken- und Konjunkturpaketen schien der Keynesianismus eine zweite Blütezeit zu erleben. Viele sahen zu diesem Zeitpunkt auch eine Blüte der Sozialdemokratie, die sich in den Jahren zuvor kaum gegen die ideologische Übermacht der Wirtschaftsliberalen behaupten konnte, kommen. Doch obwohl sozialdemokratische PolitikerInnen betonten, eh immer schon gegen den Neoliberalismus gewesen zu sein, und froh darüber wirkten, dass nun etwas keynesianistischere Politik en vogue schien, blieben die Wahlerfolge der Sozialdemokratie in den meisten europäischen Ländern aus. Der Irrtum der Sozialdemokratie liegt darin, dass sie den Sinn staatlicher Wirtschaftspolitik nicht versteht. Die staatliche Wirtschaftspolitik vertritt das Interesse des Kapitals, daran hat sich vor und nach der Krise gar nichts geändert. Vor der Krise bedeutete das, Investitionsmöglichkeiten zu schaffen und die Nachfrage anzukurbeln, und zwar in Form von Deregulierung, Privatisierung und Niedrigzinspolitik. Seit der Krise bedeutet das, wertloses Kapital aufzukaufen, um deren vorherige BesitzerInnen vor dem finanziellen Ruin zu retten, und das notwendige Geld dafür durch Sparmaßnahmen und Massensteuern einzutreiben. Ein Politikwechsel tritt erst dann ein, wenn nicht mehr für die Kapitalinteressen, sondern für die Bedürfnisse der Menschen, notfalls gegen die Kapitalinteressen, Politik gemacht wird.
Die Position der Sozialdemokratie war aber immer der Versuch beides miteinander zu vereinbaren – während der Krise stellt sich das aber als unmöglich heraus. In den unter dem Eindruck der Krise stattgefundenen Europawahlen 2009 verlor die europäische Sozialdemokratie 2,8 % und hält seitdem nur noch bei 183 von 736 Mandaten. Das verbannt jegliche Vorstellungen, über das Europaparlament sozialdemokratische Krisenbewältigungsmechanismen wie die Finanztransaktionssteuer oder eine Regulierung des Finanzwesens gegen die Interessen des Finanzkapitals durchzusetzen, ins Reich der blanken Fantasie. Ganz zu schweigen davon, dass in Europa Entscheidungen längst woanders gefällt werden.
Auch in der aktuellen Debatte zeigt sich, dass es der Sozialdemokratie nicht gelingt, eine eigenständige politische Position zu entwickeln. Es mag stimmen, dass die Sozialdemokratie in den meisten Ländern den neoliberalen Programmen der Deregulierungen, Privatisierungen und Abbau von Sozialleistungen skeptisch gegenüber stand, ihre Konzepte sahen aber stets dasselbe Programm, lediglich mit etwas weniger harten Eingriffen, vor. Sie folgt der jeweils tonangebenden Logik aus den Think-Tanks der Wirtschaft und vollzieht das Diktat der Märkte mit. Die Bankenrettungs- und Konjunkturpakete wurden als vermeintliche Form des Keynesianismus sogar begrüßt. Jetzt, wo das Credo der Wirtschaftsexperten die absolute Notwendigkeit des Sparens ist, findet sich in ganz Europa keine sozialdemokratische Partei, die die Sparlogik als Krisenbewältigungsmechanismus prinzipiell ablehnen würde. Streitpunkte sind stets nur Zeitpunkt, Höhe und konkrete Ausgestaltung der Sparpakete. „Es wird alle treffen müssen“, so das Eingeständnis der Parteispitzen. Ohne eine Gegenposition zu entwickeln wird aber die Sozialdemokratie auch nicht von dem offensichtlichen Scheitern der neoliberalen Politik profitieren können, und muss (zumindest in den Ländern, wo es keine es linke Alternative gibt) den Rechtsextremen überlassen, die einzige scheinbare Gegenposition zu liefern.
Gegenkonzepte
Dabei ist es nicht so, dass es innerhalb der Sozialdemokratie keine Versuche gäbe, solche Gegenpositionen zu entwickeln. Denken wir nur im Falle von Österreich an die „Neue Europäische Wirtschaftspolitik“ der steirischen SPÖ, Stephan Schulmeisters Modell der Vermögensbesteuerung inkl. eines neuen “New Deal” und Markus Marterbauers (AK) Buch „Zahlen bitte!“, in dem zur Krisenbewältigung Umverteilung, ausgeglichene Handelsbilanzen und Staatsinterventionismus gefordert werden.
Diese Konzepte haben dem, was in den Führungsgremien der SPÖ passiert, einiges voraus. Sie reagieren nicht bloß auf Druck der Finanzmärkte und tagespolitische Erwägungen, sondern versuchen, den Charakter der Krise zu beschreiben und aufbauend auf dieser Analyse Methoden vorzuschlagen. Für sie handelt es sich bei der gegenwärtigen Krise aber nicht um eine Krise des Kapitalismus an sich, sondern um das Scheitern einer bestimmten Gangart des Kapitalismus, und zwar des neoliberalen, unregulierten Kapitalismus. Dementsprechend meinen sie auch, dass durch geschicktes Drehen an den Schrauben des Finanz-, Handels- oder Steuersystems die Wirtschaft wieder ins Laufen gebracht werden könne. Einmal davon abgesehen, dass die Sozialdemokratie aber weit davon entfernt ist, an diesen Schrauben drehen zu können (aufgrund der fehlenden Mehrheit im Europaparlament, der EU-Kommission und den nationalen Parlamenten), ergeben sich noch weitere grundsätzliche Probleme.
In ihrer Analyse und den Methoden, die sie vorschlagen, orientieren sich diese Ökonomen an der Blütezeit der Sozialdemokratie in den 1970er Jahren, als hohe Wachstumsraten es ermöglichten, die Interessen der Wirtschaft mit einem Anstieg des Lebensstandards der Gesamtbevölkerung zu vereinbaren. Es stimmt auch, dass damals die Finanzmärkte regulierter und vor allem die Kreditvergabe restriktiver waren, es existierte ein starker öffentlicher Sektor und ein umfangreicher Sozialstaat. All diese Umstände wurden aber im Laufe der 1980er und 1990er Jahre unter Mitwirkung der Sozialdemokratie geändert, nicht weil die Gier einzelner Akteure eben in dieser Zeit einsetzte, sondern weil ein Abflauen des Nachkriegsbooms diese Maßnahmen notwendig gemacht hatte, um Stagnation bei gleichzeitiger Inflation („Stagflation“) zu verhindern. Grund dafür war damals wie heute, dass während vorangegangenen Boom-Perioden so viele Produktionskapazitäten aufgebaut wurden, dass die Investition in neue Fabrikanlagen unrentabel wurde, und die Wirtschaftspolitik versuchte, einerseits die Nachfrage zu stimulieren und andererseits neue Möglichkeiten der Kapitalverwertung zu schaffen. Ähnlich war eine Ausdehnung des Kredits in der letzten Dekade notwendig, um einen Einbruch in der Nachfrage zu verhindern (was aber gescheitert ist). Der Kapitalismus ist somit nicht deswegen in die Krise geraten, weil einzelne Rädchen im System falsch gestellt waren, sondern, weil die ihm innewohnende Dynamik notwendigerweise in die Krise führen muss. Alle Alternativen, die den Kapitalismus nicht in Frage stellen, hätten ebenso in die Krise geführt.
Umverteilung und Reichenbesteuerung
Eine andere Diskussion, die in der Öffentlichkeit zur Krisenbewältigung geführt wird, ist die der gesellschaftlichen Verteilung der Kosten der Krise. Hier beobachten wir inhaltliche Verschiebungen von „Wir zahlen Eure Krise nicht“ (ÖGB 2008) bis hin zu „Fair teilen“ (ÖGB 2009). Kernstück dieser Diskussion ist in Österreich die Debatte um die Reichen- oder Vermögenssteuer, die von verschiedenen Gruppierungen in der SPÖ, allen voran der SJ, Gewerkschaft und einigen Landesorganisationen, regelmäßig gefordert wird. Eine neulich von der SPÖ in den Medien vorgestellte Zusammenstellung von Ideen, wie die Reichen zur Kassa gebeten werden sollen, umfasst die Wiedereinführung der Erbschafts- und Schenkungssteuer, eine allgemeine Vermögens- und Vermögenszuwachssteuer sowie eine höhere Grundsteuer und Körperschaftssteuer.
Diese Konzepte leiden aber an zwei Problemen. Das erste Problem ist das der mangelnden politischen Durchsetzbarkeit im momentanen politischen Kräfteverhältnis. Dieses Problem haben aber alle fortschrittlichen Programme zur Krisenbewältigung, und die Lehre, die wir daraus ziehen müssen, ist dass jedes fortschrittliche Programm nur Gewicht haben kann, wenn die Bereitschaft besteht auf dieser Grundlage eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit geeigneten Mitteln zu führen und einen Sieg gegen die Interessen der Vermögenden zu erringen. Wenn es keine Mehrheit in den Parlamenten gibt, dann müssen die Mehrheiten in den Betrieben und auf der Straße gefunden werden. Dies gilt nicht nur für ein revolutionäres Programm, in Zeiten der Krise können auch die geringsten fortschrittlichen Reformen nur auf dem Weg des Kampfes durchgesetzt werden.
Das zweite und viel grundsätzlichere Problem der Reichenbesteuerung besteht darin, dass selbst der optimistischen Rechnung der SPÖ nach alle 24 Ideen zur einnahmenseitigen Sanierung des Budgets auf maximal vier Milliarden Euro kommen (der Standard, 20.12.2011, „24 rote gegen sechs schwarze Punkte“). Um die durch die Schuldenbremse festgeschriebenen Budgetziele zu erreichen, gilt es aber bis 2017 17 Milliarden Euro einzusparen. Die kursierenden Modelle reichen also nicht einmal ansatzweise aus, um die Kosten der Krise abzudecken, von notwendigen Investitionen ins Gesundheits- und Bildungssystem kann gar nicht gesprochen werden. Die Konsequenz davon ist für die SPÖ, dass auch Sparpakete und neue Massensteuern hingenommen werden müssen, um die mit der Schuldenbremse verbundene Budgetkonsolidierung zu erreichen. Ein Lied davon singen kann die Bevölkerung der Krisenländer Italien, Griechenland und Portugal. Dort wurden im Rahmen der drakonischen Sparpakete der Großteil der von der SPÖ geforderten Steuern als „fairer Anteil der Reichen“ bereits eingeführt, Spielraum für Reformen brachte das freilich nicht. Im Gegenteil.
Für eine sozialistische Alternative
Wenn sämtliche Ideen zur Reichenbesteuerung nur so wenig Geld abwerfen, stellt sich die Frage, wo denn der ganze Reichtum ist, den wir in den letzten Jahrzehnten erwirtschaftet haben. Sind wir tatsächlich Pleite, wie es Politik und Medien als ewig wiederkehrende Drohung herausposaunen? Hierzu ist zuerst einmal anzumerken, dass Staatsschulden den Gesamtwohlstand nicht senken können. Wenn die Republik Österreich 217 Milliarden Euro Schulden hat, dann gibt es Vermögende, die in eben dieser Höhe Anleihen besitzen und zum Teil von den Zinsen sehr gut leben. Das Problem besteht also nicht in einem zu geringen Gesamtwohlstand – ganz im Gegenteil ist das Volksvermögen in den letzten Jahrzehnten auf ungeahnte Höhen angewachsen. Das Problem ist vielmehr die Tatsache, dass die Republik darauf angewiesen ist, Geld von Vermögenden zu leihen um ihre Zahlungen leisten zu können, und dass diese Personen deswegen die Macht haben, Einfluss auf die österreichische Politik zu nehmen. Diesen Einfluss setzen sie dahingehend ein, sodass die Politik den „Irrtümern“ der Ökonomie folgt und die Vermögenden angesichts der Sackgasse, in die der Kapitalismus zwangsläufig früher oder später geraten musste, ihren Besitz retten können. Dies wird uns beinahe tagtäglich durch die Ratingagenturen, die Interessensvertetung der KapitalgeberInnen, vor Augen geführt: Droht eine Ratingagentur mit der Abwertung, werden sogleich Milliarden locker gemacht, um „Signale an die Märkte“ zu setzen. Eine fortschrittliche Politik muss erst dieses Diktat der Märkte brechen. Wie gezeigt wurde, reichen Reichensteuern aber nicht aus, um den Staat von den KapitalgeberInnen unabhängig zu machen. Notwendig ist nichts anderes, als den KapitalbesitzerInnen zu verbieten, mit ihrem Vermögen Politik zu machen. Ihnen muss die Entscheidungsmacht, ob sie gewillt sind, einen Staat länger zu finanzieren oder in den Bankrott schicken, entzogen werden. Dies geht aber nur, wenn man ihre Verfügungsgewalt über ihr Kapital angreift.
Realisiert werden könnte so ein Programm durch die Verstaatlichung der Banken, die ohnedies auch große Teile der Industrie kontrollieren. Kapitalflucht müsste verhindert werden, indem das Abziehen von großen Beträgen verboten wird. Über die Verwendung der Vermögen müsste möglichst demokratisch unter Kontrolle der Lohnabhängigen, entschieden werden. Statt der Rendite wären die Bedürfnisse der Menschen Kriterium dafür, wofür Geld ausgegeben wird und wofür nicht. Ein derartig geführtes Bankensystem würde die Keimzelle für eine neue Wirtschaftsordnung schaffen: eine demokratische Planwirtschaft.
Marx über das Kreditwesen
„Wenn das Kreditwesen als Haupthebel der Überproduktion und Überspekulation im Handel erscheint, so nur, weil der Reproduktions-prozess, der seiner Natur nach elastisch ist, hier bis zur äußersten Grenze getrieben wird, und zwar deshalb so weit getrieben wird, weil ein großer Teil des gesellschaftlichen Kapitals von Nichteigentümern desselben angewandt wird, die daher ganz anders ins Zeug gehen als der ängstlich die Schranken seines Privatkapitals erwägende Eigentümer, soweit er selbst als Geschäftsmann fungiert.
Es tritt damit nur hervor, dass die auf den gegensätzlichen Charakter der kapitalistischen Produktion gegründete Verwertung des Kapitals die wirkliche, freie Entwicklung nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubt, also in der Tat eine innere Fessel und Schranke der Produktion bildet, die beständig durch das Kreditwesen durchbrochen wird.
Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist. Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise.“
Karl Marx, Kapital III, MEW 25, 457.