oder Das Scheitern eines Keynesianistichen Versuchs
Inhaltsverzeichnis
1.Vorwort
2. Volkswirtschaftliche Daten
3. Ökonomischer Hintergrund
3.1. Die Besonderheiten der österreichischen Entwicklung bis 1974/75
4. Exkurs: Austrokeynesianismus
4.1. Merkmale des Austrokeynesianismus
4.2. Der Austrokeynesianismus als österreichisches Spezifikum?
5. Die Krise 1974/75
5.1. Besonderheiten der österreichischen Situation
5.2 Kreiskys Hartwährungspolitik
6. Kurswechsel, 1977 und zweiter Ölpreisschock
6.1. Budget- und Finanzpolitik 1977-1981/82
6.2. Neue Gewichtung in der Budgetpolitik
7. Der Austrokeynesianismus bröckelt
8. Politischer Umschwung in Folge der zweiten Ölpreiskrise
9. Resümee
Literaturverzeichnis
1.Vorwort
Die Budget- und Finanzpolitik der Regierung Kreisky war und ist Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Während sie für neoliberale Ökonomen und konservative Politiker als der Sündenfall par exellence gilt, wird sie vor allem im Gewerkschaftsbereich und natürlich innerhalb der Sozialdemokratie als erfolgreiche Krisen- und Modernisierungspolitik betrachtet. Von gewerkschaftlicher Seite wird darüber hinaus insistiert, dass die damalige Politik auch heute ihre Gültigkeit hat. Vor allem im Angesicht einer schwächelnden ökonomischen Entwicklung und der selbstverschuldeten Defensive der Gewerkschaften wird die antizyklische Krisenpolitik zum vielgesuchten Rettungsanker. Die Wirtschaftspolitik der 60er und 70er Jahre, die als die Hochjahre des Keynesianismus gelten, wird noch immer mit linker Politik gleichgesetzt, die im Gegensatz zur heutigen Politik des Neoliberalismus steht. Es ist bezeichnend für die Situation der Sozialdemokratie, das Kreisksy mittlerweile den Nimbus eines Linken hat - der Bruno Kreisky, der die in den 60er Jahren ohnehin schon von Linken gesäuberten SPÖ noch weiter nach rechts öffnete und zu einem verlässlichen Partner der Industriellenvereinigung machte.
Auf der anderen Seite steht die heute in Politik und Wirtschaft vorherrschende neoliberale Strömung, die die angeblich zügellose ausgabenseitige Politik der 70er Jahre aufs schärfste kritisieren. Ausufernder Wohlfahrtsstaat, Schuldenberg, Krise der Verstaatlichten und ähnliches sei die Erblast der Kreisky Jahre, mit der wir uns bis heute herumschlagen müssen. Für sie ist das "Scheitern, dieser Politik, der Beweis dafür, dass ein überbordender Sozial- und Wohlfahrtsstaat nicht nur unbezahlbar ist, sondern auch die unternehmerische Initiative lähmt und damit das Wachstum einer Ökonomie entscheidend schwächt. Staatseingriffe in die Ökonomie, die nicht direkt mit den Investitionsinteressen der UnternehmerInnen verbunden sind, seien Gift für jede Volkswirtschaft. Langfristig wird das mit niedrigerem Wachstum und höherer Arbeitslosigkeit bezahlt. Die von Kreisky zumindest rhetorisch verfolgte Politik, wonach ein paar Milliarden Schilling Schulden weniger bedenklich sind als hunderttausend Arbeitslose mehr hat nach neoliberaler Ansicht letztlich zur dazu geführt, dass Österreich mit beidem konfrontiert war: einem Schuldenberg und steigender Arbeitslosenzahl.
Die kurze Einführung soll zeigen, dass die Auseinandersetzung mit der Finanzpolitik der SP-Alleinregierungen eine sehr aktuelle Bedeutung hat und das es gerade für die Gewerkschaftsbewegung von großer Wichtigkeit ist, welches theoretische Verständnis man vom Kapitalismus und von kapitalistischen Krisen hat.
2. Volkswirtschaftliche Daten
Will man zu einem Urteil über die Politik der SPÖ der 70er und frühen 80er Jahre kommen, kommt man nicht umhin einen Blick auf einige wichtige volkswirtschaftliche Daten zu werfen.
Die Regierung Kreisky startete 1970 mit einem Budgetüberschuss von 2% des BIP. Bei ihrem Abtritt 1983 hinterließ sie ein Budgetdefizit von 4% des BIP. In dieser Periode lag das Budgetdefizit über dem OECD-Durchschnitt. Die Inflation blieb in all den Jahren in Österreich deutlich unter dem OECD-Schnitt. Zu den zwei Inflationshöhepunkten 1974 und 1980 betrug die Inflation im OECD-Raum 13% (1974) und 12% (1980). Die Vergleichswerte für Österreich betragen 9"2% und 6"5%. Was die Wachstumsraten des BIP in der "heißen, Phase zwischen 1974-1979 betrifft, lag Österreich mit 2"7% im internationalen Durchschnitt. Die Westdeutsche Volkswirtschaft wuchs im selben Zeitraum im Schnitt um 2"8%; Frankreich um 3"1%; die USA um 3"3% und Großbritannien um 1"9%.
Bemerkenswert ist die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Sie überstieg bis 1981 nicht 2"5%. Damit lag Österreich wesentlich besser als zum Beispiel Deutschland, wo die Arbeitslosenrate im Schnitt 4% betrug und etwa auf dem Niveau von Norwegen, Schweden und Japan.
3. Ökonomischer Hintergrund
Wenn man versucht, die Budget- und Wirtschaftspolitik zu analysieren, ist es unerlässlich, das vor dem Hintergrund der allgemeinen ökonomischen Entwicklung zu tun. Die Jahre zwischen 1948-1973/74 waren durch den längsten Aufschwung in der Geschichte des Kapitalismus gekennzeichnet. Grund dafür war weniger, dass heute von Teilen der Linken wiederentdeckte System fester Wechselkurse oder keynesianistische Politik, sondern eine Reihe außergewöhnlicher Rahmenbedingungen, sowohl wirtschaftlicher als auch politischer Natur.[1] Aufschwung soll freilich nicht heißen, dass es in dieser Periode keine Rezessionen gegeben hätte. Diese waren aber immer recht kurz und flach und regional begrenzt. Das heißt, für die betroffenen Länder war es möglich, sich mit Hilfe verstärkter Exporte aus der Misere zu ziehen. Dieser Aufschwung begann Ende des 60er Jahre an seine Grenzen zu stoßen, augenscheinlich ausgedrückt durch einen signifikanten Fall der Durchschnittsprofitrate verbunden mit einem rasanten Wiederaufleben des Klassenkampfes.
3.1. Die Besonderheiten der österreichischen Entwicklung bis 1974/75
Österreich befand sich in Anfang der 70er Jahre in einer gewissen Sonderstellung, von der die SP-Regierung stark profitieren sollte. Die Wachstumsraten, vor allem in der Industrie blieben im internationalen Vergleich hoch. Die Regierung Kreisky startet 1970 mit einer beachtlichen Wachstumsrate des BIP von 6%. Die erste verallgemeinerte Rezession 1971/72, die Europa erfasste (die USA blieb vorläufig noch verschont) schlägt sich in Österreich kaum nieder. Die Gründe dafür liegen allerdings nicht in einer wie auch immer gearteten antizyklischen Politik, sondern vor allem in zwei Faktoren.
Seit den Ende der 60er Jahre fand eine verstärkte Öffnung der damaligen EG zu den EFTA-Staaten statt. Schrittweise Zollsenkungen gipfelten am 1.Jänner 1973 in einem Freihandelsabkommen zwischen den beiden Organisationen.[2] Für die Europa- und vor allem die Deutschlandorientierung der österreichischen Industrie war das von entscheidender Bedeutung. Nutzen konnte das österreichische Kapital die Situation vor allem aufgrund seiner ausgezeichneten Kostensituation. 1969, noch unter der ÖVP-Regierung Klaus, zog man bei einer 9"3% Aufwertung der DM nicht mit was die Exportchancen erheblich verbesserte.[3] Hinzu kommt, dass die Löhne in Österreich im Vergleich noch immer niedrig waren, verstärkt wurde das durch den gezielten Einsatz von Arbeitsimmigranten als Lohndrücker.
Das erste Drittel der 70er Jahre stellte wichtige Weichen für die weitere ökonomische aber auch für die politische Entwicklung. Es brachte eine massive Stärkung der österreichischen Industrie. Vor allem im Vergleich mit dem in Österreich traditionell dominanten Klein- und Mittelgewerbe. Die größere ökonomische Bedeutung der Industrie erhöhte folgerichtig auch ihre politische Bedeutung und brachte sie mehr und mehr auf Konfrontationskurs mit dem klassischen Mittelstand. Für die Industrie hatte eine Modernisierung und eine Öffnung nach außen zentrale Bedeutung - der kleine österreichische Markt war längst zu eng geworden. Für den Mittelstand war diese Perspektive alles andere als verheißungsvoll, bedeutet sie doch mehr und billigere Konkurrenz verbunden mit einem beinharten Verdrängungswettbewerb.
Durch diese Entwicklung sah sich die klassische Partei des österreichischen Bürgertums, die ÖVP, vor eine schwierige Situation gestellt. Sie war und ist eben nicht nur eine Partei des Großkapitals, sondern muss verschiedene soziale Interessen unter einen Hut bringen. Die traditionelle soziale Basis der Volkspartei ist das Kleingewerbe und der Bauerstand. Die Volkspartei war aufgrund dieser sozialen Zusammensetzung immer weniger in der Lage, die Interessen der Industrie wahr zu nehmen und zu befriedigen. Es entstand daher die paradox anmutende Situation, dass das österreichische Kapital, vertreten durch die Industriellenvereinigung, verstärkte "Hoffnungen, auf die Sozialdemokratie richtete und die Furcht vor einer SP-Alleinregierung eher beschränkt war. Das soll freilich nicht heißen, dass die SPÖ die neue Partei der Großbourgeoisie wurde - die benutzte die Sozialdemokratie nur für einen beschränkten Zeitraum, um sie dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen.
Neben der Europaorientierung war es vor allem die Währungspolitik der SPÖ, die es der Industriellenvereinigung angetan hatte. Der Schilling war bis zum Antritt der SP-Regierung eher unterbewertet, was in den 60er Jahren auch zu einem ständigen Inflationssog führte. Die Kreisky-Regierung setzte jetzt auf eine Hartwährungspolitik, die im Sinne einer "Strukturpeitsche, wirken sollte. Dadurch sollte die Industrie gezwungen werden, Modernisierungsinvestitionen durch zuführen. Man darf nicht vergessen, dass Österreich noch in 60er Jahren im europäischen Vergleich ein überaus rückständiges Land war, was nicht zuletzt eine Widerspiegelung der chronischen Schwachbrüstigkeit der österreichischen Bourgeoisie war. Diese Modernisierungspolitik war mit der Industriellenvereinigung abgesprochen und wurde gestützt durch ein ausgeklügeltes System von staatlichen Exportgarantien für das Privatkapital.
Kreisky und die SPÖ agierten und sahen sich auch als Modernisierer des österreichischen Kapitalismus. Dieses Selbstverständnis findet in der Regierungserklärung von 1971 plastisch Ausdruck: "Es ist die Überzeugung der Bundesregierung, dass sich Österreichs Beteiligung an der europäischen Integration in dem Maße friktionsfrei gestalten wird, als es gelingt, Österreich auf vielen Gebieten europareif zu machen. Dies gilt im besonderen für die Wirtschaft, die systematisch von den Fesseln überholter protektionistischer und bürokratischer Bürden befreit werden muss. Der Prozess der Strukturverbesserungen soll beschleunigt fortgesetzt werden. Mittel hierzu sind die Erleichterungen der Unternehmensfinanzierung, der Förderung der Forschung und technischer Innovationsprozesse, sowie der Institutionen zur Aus- und Weiterbildung, insbesondere zur Managerschulung. Konzentrations- und Kooperationsvorgänge im Unternehmensbereich, die Weckung und Stärkung der unternehmerischen Eigeninitiative und die Förderung eines freien und geordneten Wettbewerbes sollen zu einer Modernisierung und ständigen Erneuerung wirtschaftlicher Aktivität in neue, zukunftsträchtige Bereiche führen."[4] Nicht unbedingt das Programm, das man von einer "sozialistischen, Alleinregierung erwartet.
Eine 5% Aufwertung des Schillings im Mai 1971 war der sichtbare Ausdruck der Politik des starken Schillings. Diese Hartwährungspolitik blieb eine Konstante der Regierung Kreisky. Eine Tatsache, die nach 1975 zu Auseinandersetzungen in der Regierung selbst zwischen Kreisky und Finanzminister Androsch führten und ab 1976 zu verstärkten Friktionen zwischen Regierung und Teilen der Industrie, die im Angesicht der Krise auf eine weniger restriktive Währungspolitik drängte.
In der skizzierten Phase bis 1974/75 werden auch die wichtigsten Reformen der Regierung Kreisky beschlossen. Die Starthilfe für junge Ehepaare, der Geburtenzuschuss, der Ausbau der Familienbeihilfen, die Einigung über das Arbeitsverfassungsgesetz, die Einführung der Schülerfreifahrt, kostenlose Schulbücher und die Abschaffung der Hochschulstudiengebühren fallen in diese Jahre.[5] Viele dieser Reformen waren ein klarer Fortschritt und verbesserten die Situation der Lohnabhängigen. Gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass alle Reformen streng sozialpartnerschaftlich ausgehandelt wurden und damit einer von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften gewählten Selbstbeschränkung unterlegen waren. Es wurde nur ein Bruchteil dessen durchgeführt, was aufgrund des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses durchsetzbar gewesen wäre. Auch in diesem Fall ermöglichte die Ideologie und Praxis der Sozialpartnerschaft die Reformen im Sinne der Arbeiterklasse nicht, sondern im Gegenteil verhinderte sie viel radikalere Reformpolitik.[6]
Das österreichische Kapital konnte mit dieser Politik recht gut leben. Man war sich darüber im klaren, dass Kreisky nicht in der Lage wäre, eine ihnen gemäße Politik durchzuführen, ohne sozialpolitische Zugeständnise an die Arbeiterklasse zu machen. Gleichzeitig hatten sie die Garantie, dass die SP-Führung alles verhindern würde, was zu einer Infragestellung der Machtverhältnisse im Betrieb hätte führen können.
4. Exkurs: Austrokeynesianismus
4.1. Merkmale des Austrokeynesianismus
Die Wirtschaftspolitik, vor allem nach 1974, wurde und wird bis heute als österreichisches Spezifikum gesehen. Der Begriff Austrokeynesianismus selbst, wurde erst im nachhinein vom Wirtschaftsforscher Hans Seidl geprägt und meint offensichtlicher Weise, dass es eine besondere, österreichische Form des Keynesianismus gegeben hat.
Gunther Tichy nennt als Basis des Austrokeynesianismus einen "radikalen Keynesianismus", der nicht nur im Sinne einer Konjunkturfeuerwehr agiert - das tut schließlich auch der Neoliberalismus - sondern der versucht, als dauerhafter Stabilisator zu wirken.[7] Keynes sah das Hauptproblem des Kapitalismus nicht in seinen ökonomischen Widersprüchen, sondern in der vorhanden Unsicherheit der Akteure. Ihm und den Austrokeynesianismus geht es letztlich um eine Reduzierung dieser Unsicherheit auf marktwirtschaftlicher Grundlage. Damit das möglich wird, müssen die Entscheidungsgrundlagen von Unternehmern und Arbeitnehmern vorhersehbar gemacht werden. Das soll durch folgende Komponenten passieren:
- vorhersehbar und moderate Lohnpolitik
- stabile Preisentwicklung
- Garantien für Investitionsförderungen (v.a. Exportsubventionen) für das Privatkapital
- stabile nominelle Zinsentwicklung[8]
Im Prinzip war der Austrokeynesianismus nichts anderes als eine Mischung aus einigen keynesianistischen Elementen des Nachfragemanagements (die oben erwähnte Reformpolitik) verbunden mit einer ganzen Reihe von angebotsseitigen Maßnahmen.
Wie bereits von Keynes angestrebt war es der Versuch die Investitionen des Privatkapitals ohne Verstaatlichungen zu beeinflussen.
4.2. Der Austrokeynesianismus als österreichisches Spezifikum?
Bei näheren Hinsehen stellt sich die Frage, ob diese Politik wirklich so österreichspezifisch war oder ob im nachhinein ein Mythos konstruiert wurde.
Sowohl für Österreich als auch international lässt sich sagen, dass der Keynesianismus nur die Zustimmung des Kapitals gefunden hat, weil er die ökonomische Kraft des Staates zu antizyklischer Konjunkturpolitik entgegen der Position von Keynes nicht aus einer Erhöhung der Gewinnsteuern und damit aus einer direkten Senkung der Profite zog, sondern ausschließlich aus einer Erhöhung der Staatsschulden.[9] Durch die Krise 1974/75 fielen die Profitraten stärker als zuvor. Staatliche Konjunkturprogramme, auch wenn sie allgemeine Förderungen für das Privatkapital beinhalten, wirken über eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nur indirekt auf die einzelbetrieblichen Profitraten ein. Das Interesses des Kapitals, mit staatlicher Hilfe direkt die einzelbetrieblichen Profitraten zu steigern, wird aber mit fallenden Profitraten stärker. Daher werden direkte Gewinnsteuersenkungen gefordert, was wiederum die staatlichen Finanzmittel verknappt. Diese Entwicklung liegt der gegenwärtigen Krise der Staatsfinanzen zugrunde. Aufgrund der realen Anwendung des Keynesianismus erklären einige Autoren, dass der Niedergang des Keynesianismus nicht seine Widerlegung sei, sondern das Ergebnis der eindeutigen Abweichung von seiner theoretischen Grundlage.[10] Bis zu einem gewissen Grad haben sie sogar recht. Keynes will höhere Gewinnsteuern, will brach liegendes Kapital abschöpfen, sieht in der kapitalistischen Ressourcenverschwendung ein großes Problem. Keynes will aber auch das Privatkapital, den Privatbesitz an den Produktionsmittel erhalten.[11] Und damit begibt er sich in einen Widerspruch, den er nicht lösen kann. Er will im Interesse des Gesamtkapitals agieren und kollidiert doch permanent mit den Interessen der Einzelkapitalien. Aus der Sicht des Gesamtkapitals ist es keine schlechte Idee, Kapital abzuschöpfen und damit staatlicherseits gesamtgesellschaftliche Nachfrage zu erzeugen, die wiederum helfen kann, den Wirtschaftsmotor am Laufen zu erhalten und die Profitraten zu stabilisieren. Aus der Sicht des Einzelkapitalisten ist diese Politik aber katastrophal. Sie bedeutet, dass über höhere Gewinnsteuern "seine, Profite direkt beschnitten werden. Vor allem bei einer stockenden ökonomischen Entwicklung ist das nicht tolerierbar, bleibt ihm doch nur die vage Hoffnung, dass er seine reduzierte Profitrate auf dem Wege einer höheren Gesamtnachfrage wieder kompensieren kann. Im günstigen Falle ist das für den einzelnen Kapitalisten ein Nullsummenspiel, weitaus öfter verliert er aus seiner Sicht dabei. Keynes Doktrin wurde nie wirtschaftspolitische Wirklichkeit, weder im amerikanischen New Deal noch in den 60er und 70er Jahren, weil sie nur mit dem Mittel des Klassenkampfes verbunden mit dem Ziel einer Aufhebung des Privatbesitzes an den Produktionsmitteln umsetzbar ist - das ist aber das letzte was Lord Keynes oder die Sozialdemokratie der 70er Jahre wollte.
Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, dass sich Keynes mit konkreten Vorschlägen für die staatliche Wirtschaftspolitik zurückhielt.[12]
Dass der bürgerliche Staat eine antizyklische Politik betreibt, bzw. die Tendenz existiert, dass der Staat eine immer wichtigere Rolle in der Wirtschaft spielt, ist beileibe kein auf Österreich beschränktes Phänomen. In allen Industrieländer steigen die Staats- und Abgabequoten in den 70er Jahren und haben bis heute nicht mehr aufgehört zu wachsen. Der Grund dafür liegt nicht in einem überbordenden Sozialstaat, sondern in der Akkumulationsschwäche des Privatkapitals. Ohne staatliche Subventionen, ohne Sozialisierung des sogenannten unternehmerischen Risikos und ohne permanenter unterstützender staatlicher Eingriffe im Sinne des Privatkapitals wäre die Existenz des Kapitalismus gar nicht mehr vorstellbar. Das Kapital ist der wahre Sozialschmarotzer indem es sich auf unsere Kosten künstlich am Leben erhält.[13] In diesem Sinne sind auch die vielfältigen Investitionsförderungen, die der Austrokeynesianismus gewährte, ein allgemeines Phänomen - übrigens nicht nur der 70er Jahre, sondern verstärkt im Zeitalter des sogenannten Neoliberalismus.
Dass Nationalstaaten versuchen, die Zinsentwicklung zu beeinflussen, ist ebenfalls kein typisch österreichisches Phänomen - es gelang nur, aufgrund von verschiedenen Rahmenbedingungen die nominellen Zinsen über einen gewissen Zeitraum relativ niedrig zu halten.
Wenn man nach österreichischen Spezifika sucht kann man sie bis zu einem gewissen Grad im Verhältnis Gewerkschaften - Unternehmerorganisationen - Staat finden. Die Unterordnung gewerkschaftlicher Politik unter gesamtstaatliche Ziele, sprich die Ziele des Privatkapitals, wurde vom Österreichischen Gewerkschaftsbund im Rahmen der Sozialpartnerschaft mit besonderer Vehemenz betrieben. Die Gewerkschaftsspitze war Teil einer staatlichen Bürokratie, die unter der Leitung des österreichischen Kapitals wirtschaftspolitische Ziele festsetzte. Deshalb unter der Leitung des österreichischen Kapitals, weil nicht nur die Unternehmervertreter sondern auch die Gewerkschaftsführer eine Hauptprämisse ihres Handelns in der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse sahen. Das große Dilemma der Gewerkschaftsführung heutzutage ist, dass sie von den Vertretern des österreichischen Kapitals immer seltener als "gleichberechtigter", systemstabilisierender Partner akzeptiert wird.
Die Gewerkschaftsspitze wird solcherart nicht nur Teil des bürgerlichen Staates, sondern sieht sich auch als Vertreter von Staatsinteressen, die angeblich über dem Partikularinteresse der Lohnabhängigen stehen.
Die Eingliederung in den Staat an sich ist ebenfalls wiederum kein singulär österreichisches Phänomen. Diese Entwicklung war und ist eine internationale. Bereits in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts führte, diese Entwicklung zur Etablierung halbstaatlicher Gewerkschaften (z.B. Mexiko). Selbst der Faschismus hat durch die Transformation der Gewerkschaften in Staatsorgane nichts neues erfunden, sondern nur die vorhandenen Tendenzen auf die Spitze getrieben.[14] Bezeichnend für die Rolle der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie war eben auch ihre Anbiederung an die Faschisten. Sowohl in Deutschland wie auch in Österreich waren die Spitzen der freien Gewerkschaften bereit, mit den neuen Machthabern zusammen zu arbeiten, um ihre Stellung im geliebten Staatsapparat nicht zu verlieren. Ihr Pech war, dass der Faschismus andere Pläne für die Gewerkschaften hatte.
Um ihre ihnen vom Kapital zugedachte Rolle zu erfüllen - die Lohnabhängigen unter Kontrolle zu halten - ist es notwendig, Gewerkschaftsdemokratie so weit wie möglich einzuschränken. Das ist in Österreich besonders gut gelungen. Es gibt wohl kaum eine Gewerkschaftsstruktur, die dermaßen undemokratisch ist wie die des ÖGB. Bereits von seiner Gründung her ist er darauf angelegt, Entscheidung und Kompetenzen in Gremien zu verlegen, die erstens keine direkten Wahlen kennen und zweitens dem Druck der Mitgliedschaft so weit wie möglich entzogen sind. In der austrokeynesianistischen Jubelliteratur klingt das dann so: "Das System von bloß indirekten Wahlen spielt sowohl in den gesetzlichen als auch in den freien Interessenvertretungen einen nicht unerhebliche Rolle: Die Führungspositionen werden dadurch über Wahlmänner bestimmt, und die Führungskräfte können nicht leicht abgewählt werden; sie sind somit zu keiner populistischen Politik gezwungen und können leichter gesamtwirtschaftliche Anliegen vertreten., [15]
In der Praxis führte das unter anderem dazu, dass sich die Lohnpolitik strikt nach "gesamtwirtschaftlichen, Gesichtspunkten orientiert.[16] Auf eine Änderung der Einkommensverteilung wurde verzichtet. Lohnforderungen orientierten sich im besten Fall an den Produktivitätsfortschritten - wenn "nötig, wurden aber auch Reallohnverluste hingenommen.[17] So wurde bereits im November 1972 ein sechs monatiger Lohnstopp verhängt. Ende der 70er Jahre und zu Beginn der 80er Jahre nahm man im Angesicht der Krise neuerlich Reallohnverluste in Kauf.
Die volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Effekte dieser Politik waren einmal eine relativ niedrige Inflation, die bis heute als großer Erfolg der Wirtschaftspolitik Kreiskys gesehen wird. Einerseits führte das aber dazu, dass die Realzinsen kaum niedriger waren als international, und andererseits wurde dadurch im Laufe der 70er Jahre ein verstärktes Leistungsbilanzdefizit erzeugt. Was für die positive Einschätzung des Austrokeynesianismus und der Gewerkschaftspolitik aber wahrscheinlich noch wichtiger ist, ist die Tatsache, dass das Ausbrechen offener Klassenkämpfe weitgehend verhindert wurde. Das in einer Zeit, zu Beginn der 70er Jahre, wo große Teile Europas von heftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erschüttert wurden. Man denke nur an den Streikwelle 1971/1972 in Großbritannien, die eine konservative Regierung in die Knie zwang, oder dann später 1979 an den sogenannten "winter of discontent, (Winter der Unzufriedenheit), die Entwicklung in Italien im Anschluss an den "Heißen Herbst, 1969, und nicht zu vergessen die Entwicklung in den Diktaturen Europas, Spanien, Portugal und Griechenland. Dieses Zwangskorsett, das den Klassenkampf in Österreich stärker als anderswo einschnürte war mit die Basis für den Mythos der "Insel der Seligen".
5. Die Krise 1974/75
5.1. Besonderheiten der österreichischen Situation
Die Krise von 1973/74, die in Österreich mit etwas Verzögerung einsetzte, markiert das endgültige Ende des Nachkriegsaufschwunges. Unmittelbarer Auslöser waren steigende Ölpreise. Wohlgemerkt Auslöser und nicht Verursacher der Krise. Die Reaktion der österreichischen Regierung auf die Konjunkturentwicklung war im internationalen Vergleich keineswegs außergewöhnlich. Die meisten Industriestaaten betrieben nach der einsetzenden Krise eine expansive Geldpolitik. Teilweise, wie im Falle Japans, nach einer kurzen restriktiven Phase. Österreich war aber trotzdem insofern besonders, als es geschafft wurde, den Einbruch in Grenzen zu halten. So sank das BIP 1974 nur um 1% und die Industrieproduktion nur um 6"8%.[18] Was waren die Gründe für die relativ gute Performance?
Einerseits natürlich die Politik des "Deficit spendings". Schwerpunkt dieser Politik war nicht so sehr die Nachfragekomponente, sondern die Angebotsseite. So wurden zum Beispiel die öffentlichen Aufträge an die Privatwirtschaft 1975 im Vergleich zum Vorjahr um 50% erhöht. Diese Politik war aber, wie oben erwähnt, nicht auf Österreich beschränkt. Die Hauptgründe für das gute österreichische Abschneiden liegen anderswo. Es gelang, den Exportanteil in COMECON-Staaten, nach Jugoslawien und in den Nahen Osten massiv zu steigern. Er betrug schließlich 20% der Gesamtexporte.[19] Diese Tatsache zeigt recht anschaulich, dass die österreichische Neutralitätspolitik, fern von humanistischen Überlegungen, vor allem dem österreichischen Kapital gute Dienste erwies.
Auffällig ist auch, dass es gelang die Arbeitslosigkeit relativ niedrig zu halten. Während sie in vielen Ländern rasant anstieg blieb sie in Österreich 1975 und 1976 bei jeweils 2%. Zurück zu führen ist das auf mehrere Gründe. 1975 begann der Abbau ausländischer Arbeitskräfte, die vor allem in den 60er Jahren angeworben wurden. Bis 1976 reduzierte sich die Zahl ausländischer ArbeitnehmerInnen um 52.000.[20] Diese Politik wurde von der Gewerkschaftsführung voll unterstützt. Mit Hilfe des Ausländerbeschäftigungsgesetzes von 1975 schafften sich die Sozialpartner ein Instrumentarium um die Zahl der ausländischen KollegInnen in ihrem Sinne zu regulieren. Eine ähnliche Entwicklung gab es auch in anderen Staaten. Was darüber hinaus half die Arbeitslosenquote in Österreich niedrig zu halten, war zum Ersten eine Arbeitszeitverkürzung auf 40 Stunden pro Woche. Beschlossen wurde diese freilich noch von der Regierung Klaus. Stufenweise wurde die Arbeitszeit bis 1975 von 45 auf 40 Wochenstunden reduziert. Zum Zweiten expandierte in dieser Periode der Dienstleistungssektor überdurchschnittlich stark. Das war eine Art nachholende Entwicklung, die dem Expansionsprozess der Industrie folgte.[21] Insofern kann man sagen, dass der österreichische Kapitalismus in dieser Phase von seiner relativen Rückständigkeit profitierte, die bis dato auch den tertiären Sektor unterentwickelt ließ. Hinzu kam noch, dass durch die Reformen der Regierung Kreisky, vor allem im Bereich der Wissenschaft, der Universität und der Forschung dieser Aufholprozess beschleunigt wurde. In diese Zeit fällt übrigens auch der rasche Ausbau des Filialnetzes der österreichischen Banken, was damals gut für den Arbeitsmarkt war und uns bis heute die größte pro Kopf Anzahl von Bankfilialen nach Luxemburg beschert.
Dritter wesentlicher Grund für die niedrige Arbeitslosigkeit war die Verstaatlichte. Sie war zu dieser Zeit der bei weitem größte Arbeitgeber in Österreich. Die Grundstoffindustrie, in der die Verstaatlichte erzwungenermaßen tätig war, erlebte in den 70er Jahren eine schwere Krise, was international zu einem beschleunigten Arbeitsplatzabbau führte. Nicht so in Österreich - die Verstaatlichte hatte Arbeitskräfte zu "horten, und fungierte damit als Arbeitsmarktstabilisator.[22] Natürlich ist diese Politik keineswegs abzulehnen. Das Problem lag vielmehr daran, dass es weder von Seiten der Sozialdemokratie noch von Seiten der Gewerkschaften eine offensive Strategie gab. Eine Expansion über den Grundstoffbereich hinaus wurde verhindert und Mittel für Investitionen flossen in die Verstaatlichte ungleich spärlicher als in die Privatwirtschaft. Es war diese Politik die schließlich zur Krise der Verstaatlichten führte, im Zuge derer in den 80er Jahren Zehntausende Arbeitsplätze vernichtet wurden.
5.2 Kreiskys Hartwährungspolitik
Wie bereits weiter oben erwähnt, war die Hartwährungspolitik eine Konstante der Regierung Kreisky. Es ist durchaus bemerkenswert, dass sie auch in den unmittelbaren Krisenjahren aufrecht erhalten wurde. Während der Schilling zwischen 1968-1973 um 13% abgewertet wurde, wurde er zwischen 1974 und 1977 um 2"9% aufgewertet.[23] Ab 1976 gab es eine fixe Bindung an die DM - eine Politik, die vor allem Finanzminister Hannes Androsch eingefordert hatte. Das Ziel der Hartwährungspolitik war klar: Verhinderung von Inflation. Verhindert konnte sie zwar nicht werden, der inflationäre Druck war aber nicht so groß wie in den meisten anderen Ländern. Um der österreichischen Industrie diese Politik zu versüßen, gab es üppige Exportförderungen. Wohl mit ein Grund dafür, dass die Exporte im Vergleich zur BRD weniger stark zurückgingen. Diese Exportförderungen bedeuteten freilich eine weiter Belastung für das Budget. Das Defizit wuchs folgerichtig 1975 auf 4"5% des BIP ohne Zinszahlungen an. Das im internationalen Vergleich hohe Budgetdefizit sollte auch eine der Achillesfersen der österreichischen Politik bleiben. Die Staatsschulden stiegen von 61"3 Mrd. 1974 auf 100"3 Mrd. 1975.[24] Die niedrige Inflation wird andererseits mit einem, trotz der Exportförderungen, steigenden Leistungsbilanzdefizit bezahlt, das die Regierung im weiteren Verlauf der 70er Jahre zwingt, Maßnahmenpakte zur Eindämmung der Inlandsnachfrage zu schnüren.
Auch wenn in den Jahren 1976/77 wieder eine kurzer internationaler Konjunkturaufschwung einsetzte, kann man die Krise durchaus als Zäsur betrachten. Weder in der zweiten Hälfte der 70er Jahre noch danach konnten ähnliche Wachstumsraten wie vor 1973/74 erreicht werden (Die Ausnahme bildet die USA zwischen 1996-2000). Die Krise 1974/75 markiert auch in Österreich das weitgehende Ende der Reformpolitik. Es kommt zwar nicht zum totalen Stillstand, aber es handelt sich um Kreisky zu zitieren um "Reformen, die nichts kosten". Darüber hinaus wird ab 1975/76 der gesellschaftliche Gegenwind, der der Regierung Kreisky entgegenschlägt stärker. Die enge "Koalition, mit der Großbourgeoisie beginnt zu bröckeln, eine ideologische Offensive gegen Gewerkschaftsprivilegien und die Einschränkung der unternehmerischen Freiheit begann.
6. "Kurswechsel, 1977 und zweiter Ölpreisschock
"Kurswechsel, deshalb, weil ab 1977 insgesamt tendenziell eher restriktive Impulse von der Budgetpolitik ausgehen.[25] Dass das nicht unbedingt eine weitgehende Reduzierung der angebotsseitigen Maßnahmen bedeutet hat, werde ich versuchen, etwas später zu zeigen.
1977 brummt der Konjunkturmotor eigentlich recht kräftig - das BIP wächst um 4"4%. Das Problem ist eine rapide Verschlechterung der Leistungsbilanz von 16 Mrd. 1976 auf 29 Mrd. 1977, das sind 3"5% des BIP.[26] Verschärft wurde die Situation noch dadurch, dass Italien und Großbritannien in dieser Phase ihre Währungen abwerten. Erstmals ist man in diesen Jahren auch mit einem signifikanten Kapitalabfluss konfrontiert. Neben der nunmehr eher restriktiven Budgetpolitik setzt man auch Maßnahmen zur Einschränkung der Inlandsnachfrage, um die negative Entwicklung der Leistungsbilanz in den Griff zu bekommen. Das Maßnahmenpaket 1978 sah eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Luxusgüter, die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge, eine Einschränkung der Abschreibungsmöglichkeiten u.ä.m. vor. Verbunden wurde das, in Übereinstimmung mit den Gewerkschaftsspitzen, mit sehr mäßigen Lohnsteigerungen. Dadurch schafft man es zwar, das Budget auf Konsolidierungskurs zu bringen (das Defizit sinkt bis 1981 auf 2"5%), würgt aber gleichzeitig das Wirtschaftswachstum ab, das 1978 auf 0"5% sinkt. Das versinnbildlicht ein grundsätzliches Dilemma kapitalistischer Krisenpolitik: Gelingt es einen Brandherd zu löschen, schafft man nur die Vorraussetzungen für eine Feuersbrunst anderswo.
Der zweite Ölpreisschock machte dann den kurzen Aufschwung von 1979 ein rasches Ende. Ausgehend von den USA, wo es zu einem Einbruch der Industrieproduktion kommt, bricht die internationale Konjunktur ein. In dieser Phase bleibt vom Austrokeynesianimus bzw. den damit verbunden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht mehr viel übrig.
6.1. Budget- und Finanzpolitik 1977-1981/82
Die Basis, auf der die Bundesregierung agieren musste, war 1979/80 eine andere als 1974/75. 1974 betrug das Budgetdefizit 1"9% des BIP, 1979 lag es, bereits nach einer Reihe von Konsolidierungsbemühungen, bei 3"5%. Finanzminister Salcher hatte bereits Anfang 1980 klar gemacht, dass eine Wiederholung der Politik von 1974 nicht möglich war.[27] Das soll freilich nicht heißen, dass es keine wirtschaftspolitischen Maßnahmen mehr gegeben hätte, sie bekamen aber zusehends eine andere Gewichtung. Und zwar zu Gunsten von angebotsorientierten Maßnahmen und zuungunsten der Nachfragepolitik. Das heißt, dass in steigendem Ausmaß ausschließlich das Kapital davon profitierte.
6.2. Neue Gewichtung in der Budgetpolitik
Während zwischen 1980-1982 die staatlichen Wirtschaftsförderungen an das Privatkapital von 8Mrd. öS auf 12Mrd. stiegen blieb der Anstieg der Ausgaben im Bereich soziale Wohlfahrt, Gesundheit und Wohnungsbau zurück.[28] Parallel dazu wurden Massensteuern wie die Mehrwert"- sowie die Mineralölsteuer erhöht. Als Draufgabe stiegen auch die Bahn- und Posttarife. Flankiert wurde diese Politik mit Reallohnverlusten in den Jahren 1980 und 1981. Damit war die Basis und die Struktur für die Budgetentwürfe der 80er und 90er Jahre gelegt. Die expansiven Maßnahmen, zunehmend im ausschließlichen Interesse der Kapitalbesitzer, zwangen zum Beschluss eines Budgetüberschreitungsgesetzes in der Höhe von 2"9Mrd. öS. Als das Budgetdefizit 1983 wieder bei 4% des BIP lag, war die Ursache dafür keineswegs eine überzogene Wohlfahrtspolitik, sondern die erwähnten stärken Förderungen für das Privatkapital.
7. Der "Austrokeynesianismus bröckelt
Zu Beginn der 80er Jahre beginnt der Austrokeynesianismus nicht nur als ideologisches Konstrukt zu bröckeln. Auch zentrale Rahmenbedingungen dieser politischen Doktrin sind nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Ab 1981 geht die Ära der Vollbeschäftigung zu Ende. Die Verstaatlichte sollte, die ihr in den 70er Jahren zugedachte Rolle als arbeitsmarkt- und regionalpolitischer Puffer immer weniger spielen. Hinzu kam, dass sich die Krise auf den Stahlmärkten im Zuge der Rezession schwerwiegend auswirkte. Das Übergewicht der Grundstoff- und Schwerindustrie in der Verstaatlichten, das durch das politische Verbot, in die Finalindustrie zu expandieren, lange Zeit konserviert wurde, wog nun wie ein Mühlstein am Hals. Die (meist private) Konkurrenz aus der Europäischen Gemeinschaft erhielt im Vergleich zur VOEST-Alpine aber mehr als doppelt so viel an staatlichen Subventionen, wodurch sie auf den internationalen Märkten weit billiger anbieten konnte.[29] In den 80er Jahren wurde die Verstaatlichte voll von Preisverfall und "Überkapazitäten, im Zuge der internationalen Stahlkrise getroffen.
Der Startschuss für eine politische und ideologische Attacke auf die Verstaatlichte war gegeben. Dem Privatkapital ging es einerseits darum, profitable Teile der Verstaatlichten fit für die Privatisierung zu machen - mit staatlichen Geldern versteht sich -, um gewinnbringende Anlagemöglichkeiten für überschüssiges Kapital zu gewährleisten und sicher zu stellen, dass keinerlei Subventionen mehr an die Verstaatlichte "verschwendet, würden. Andererseits war man aus Sicht der Industrie nicht an niedrigen Arbeitslosenzahlen interessiert, erhöhten die doch die potentielle Verhandlungsmacht der Gewerkschaften.
Folgerichtig stieg die Arbeitslosigkeit bis 1983 auf 4"5%.
Eine weitere Änderung erfolgt in der Zinspolitik. Die vor allem von Gewerkschaften bis heute als zentral angesehene Politik der niedrigen nominal Zinsen war nicht mehr aufrecht zu erhalten. Kapitalabflüsse hatten die Währungsreserven um ein Drittel reduziert. Die Inflation stieg wieder auf über 6%. 1980 steigen daher die Zinsen für den Taggeldsatz auf 10"3% und 1981 sogar auf 11"4%.[30]
8. Politischer Umschwung in Folge der zweiten Ölpreiskrise
Die Krise der 80er Jahre brachte in allen wichtigen Industrieländern einen nachhaltigen Umschwung auf politischer Ebene. Spätestens ab 1982 mit der Wahl Helmut Kohls übten die Konservativen eine klare Hegemonie aus. Vor allem in den USA und in Großbritannien begann eine beispiellose Offensive gegen die Errungenschaften der Arbeiterbewegung - eine Offensive für die freilich schon in den 70er Jahren von der internationalen Sozialdemokratie die Basis gelegt wurde. Das Scheitern des sogenannten Keynesianismus und die Etablierung des Neoliberalismus wurde auch von sozialdemokratischer Seite ideologisch mit vorbereitet. So sagte 1976 der damalige britische Ministerpräsident und Labour-Party Vorsitzenden James Callaghan: "Wir glaubten, man müsse nur genügend ausgeben, um aus der Rezession heraus zu kommen und die Beschäftigung durch Steuersenkungen und größere Staatsausgaben steigern. Ich sage euch in aller Offenheit, dass diese Option nicht länger existiert, und insofern sie jemals existiert hat, hat sie nur funktioniert, indem man die Inflation in die Wirtschaft injizierte. Und jedes Mal wenn das passiert ist, stieg das durchschnittliche Niveau der Arbeitslosigkeit. Höherer Inflation folgte eine höhere Arbeitslosigkeit. das ist die Geschichte der letzten zwanzig Jahre."[31]
Auch in Österreich verstärkten sich ab Mitte der 70er Jahre die Argumente gegen den Sozial- und Wohlfahrtsstaat und die damit verbundene angebliche Einschränkung des Wettbewerbes. Die Abkehr von keynesianistischen Vorstellungen des Krisenmanagements, die Einschränkung des Geldangebots u.ä.m., bedeutet freilich zu keiner Zeit, dass sich die ökonomische Rolle des Nationalstaates abschwächte. Auch und gerade der Neoliberalismus betreibt antizyklische Politik. In Krisenzeiten ist das offensichtlich, wenn der Staat mit Steuergeldern, die fast ausschließlich aus den Taschen der Lohnabhängigen kommen, das Privatkapital aus der Bredouille holt. Verluste werden sozialisiert, Gewinne privatisiert. Oft übersehen wird aber die Rolle des "neoliberalen, Staates in der dauerhaften Aufrechterhaltung der Profitwirtschaft. Ohne staatliche Subventionen aller Formen und Schattierungen, ohne die Sozialisierung des unternehmerischen Risikos durch staatliche Maßnahmen wäre der Kapitalismus überhaupt nicht überlebensfähig. Das Kapital erwartet vom Staat die permanente Unterstützung seiner Produktion - um die dafür notwendigen Geldmitteln aufzubringen ist eine Reduzierung der staatlichen Leistungen in anderen Bereichen notwendig.
Insofern besteht zwischen der Wirtschaftspolitik der 60er und 70er Jahre, die unter dem Begriff Keynesianismus zusammen gefasst wird, und dem Neoliberalismus unserer Tage kein grundsätzlicher Unterschied. Keynesianismus war nie Umverteilungspolitik zugunsten der Lohnabhängigen in Form von Nachfragepolitik. Das Privatkapital wurde immer staatlich subventioniert. In Österreich nicht zuletzt durch die Existenz der Verstaatlichten, die ihre Produkte weit unter Weltmarktpreis an die heimische Privatindustrie abgeben musste. Der Unterschied zwischen Keynesianismus und Neoliberalismus legt in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Der lange Nachkriegsaufschwung bot die ökonomische Basis für sozialpolitische Zugeständnisse an die Arbeiterklasse. Staat und Kapital waren aufgrund der günstigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in der Lage nicht nur angebotsorientierte Politik zu machen sondern auch Elemente der Nachfrageorientierung zuzulassen. Für das Kapital war diese Politik zu keinem Zeitpunkt mit erhöhten Gewinnsteuern verbunden. Mit der Krise von 1973/74 war diese Politik aus Sicht der UnternehmerInnen immer weniger möglich. Es begann daher ein Prozess die Nachfragekomponente zurück zu drängen. Möglich wurde das nur auf Basis einer Verschiebung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zuungunsten der Arbeiterklasse. Neoliberale Politik braucht eine Arbeiterbewegung, die sowohl politisch als ideologisch in der Defensive ist. Ab Mitte bzw. Ende der 70er Jahre verstärkte sich daher die Offensive auf soziale Errungenschaften. In einer Reihe von gesellschaftlichen Auseinadersetzungen und Abwehrkämpfen wurde die Arbeiterbewegung besiegt und so langsam aber sicher sturmreif geschossen. Diese Entwicklung entsprang keineswegs einer unabwendbaren Notwendigkeit sondern einzig und allein der völligen Unfähigkeit der Spitzen von Arbeiterparteien und Gewerkschaften effektiven Widerstand gegen die Kapitaloffensive zu organisieren. In Österreich sorgte die Gewerkschaftsspitze sogar in weiten Bereichen dafür, dass die neoliberalen Attacken ohne nennenswerten Widerstand über die Bühne gingen. Dort wo es Widerstand gab, erwies sich der ÖGB als der beste Verbündete von Kapitalinteressen.
9. Resümee
In der historischen Darstellung ist die Politik des sogenannten Austrokeynesianismus sowohl in negativer wie auch in positiver Hinsicht überbewertet. Weder ist er für den Schuldenberg und die nachfolgenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten ursächlich verantwortlich, noch hat er dazu geführt, dass Österreich die Krise dauerhaft und ohne Opfer seitens der Lohnabhängigen überstanden hätte.
Die Krise der 70er Jahre gab es in allen wichtigen Industriestaaten. Überall führte sie zu einer Explosion der Staatsverschuldung. Nicht zuletzt auch in den Mutterländern des Neoliberalismus, Großbritannien und den USA. Der Schuldenberg resultiert nicht aus einer besonderen Form der Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern ist direktes Resultat der Verwertungsschwierigkeiten des Privatkapitals im Zuge der Weltwirtschaftskrise der 70er Jahre.
Die Politik des "Austrokeynesianismus, schaffte es, wie von seinen Apologeten gern behauptet, nicht, Österreich von der internationalen Entwicklung abzukapseln. Weder das Wachstum des BIP noch das Wachstum der Industrieproduktion waren in der untersuchten Periode höher als im internationalen Durchschnitt. Einzig die Ausschläge, sowohl nach unten als auch nach oben, waren nicht so heftig wie in eineigen anderen europäischen Industriestaaten. Dort wo es im statistischen Vergleich Vorteile gab (z.B. Arbeitslosenrate), waren diese einerseits einer nachholenden wirtschaftlichen Entwicklung geschuldet und andererseits spezieller Rahmenbedingungen, wie die Existenz einer großen Verstaatlichten Industrie. Die niedrig gehaltenen Inflation bezahlte man einerseits durch ein hohes Leistungsbilanzdefizit und in weitere Folge durch höhere Budgetdefizite.
Der Austrokeynesianismus war weder von seinem Ansatz noch von seinen konkreten Auswirkungen etwas außergewöhnliches. Die Politik Kreiskys war über weite Strecken mit den Wünschen des österreichischen Kapitals durchaus kompatibel. Als man sich schließlich begann, von der Sozialdemokratie abzuwenden, war der ausschlaggebende Grund das zu langsame Reformtempo - die Richtung stimmte aus ihrer Sicht nach wie vor. Als sich im Zuge der ökonomischen Krise die wirtschaftlichen Bedürfnisse des Privatkapitals änderten, änderte sich schließlich auch die sozialdemokratische Politik. So weit, dass man letztlich der neoliberalen Offensive nicht nur nichts entgegen gesetzt hat, sondern aktiver Träger dieser Politik wurde.
Der Austrokeynesianismus war ein weitere sozialdemokratischer Versuch die Krise des Profitsystems im Sinne der Kapitalbesitzer zu lösen. Er war weder links noch besonders fortschrittlich. Alle sozialpolitischen Fortschritte, die in der Kreisky-Ära erzielt wurden, waren keine Errungenschaften, die aufgrund der Existenz des Austrokeynesianismus und der dazu gehörigen Sozialpartnerschaft zustande gekommen sind. Was der Sozialpartnerschaft geschuldet ist, ist der amputierte Charakter dieser Reformen. Das gesellschaftliche Kräfteverhältnis hätte ungleich tiefergehende Veränderungen erlaubt. Das zu erreichen war aber nicht im Interesse der Partei- und Gewerkschaftsspitze.
Für die österreichische Gewerkschaftsbewegung wäre es fatal, sich in der heraufziehenden Wirtschaftskrise auf keynesianistische Rezepte zu verlassen. Jede Hoffnung auf ein Management von kapitalistischen Krisen führt nur zu Schaffung von Bedingungen, in denen das Kapital umso unverschämter seine Forderungen diktieren kann.
Literaturverzeichnis
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Löw, Raimund; Glanz und Grenzen der österreichischen Sozialdemokratie, in; Die Internationale Nr.17, Frankfurt/Main 1982
[1] vgl. Der Funke, Weltwirtschaft in der Krise, o.J., S.3
[2] Martin Jakob, Konjunkturschwankungen und Aufholprozess, S.177
[3] Manfred Scharinger, Österreichsicher Kapitalismus 1945 bis 1975, S.163
[4] zit. nach; Raimund Löw, Glanz und Grenzen der österreichischen Sozialdemokratie, S. 70f
[5] vgl., Hans Eder, Die Kreisky-Ära, S.191f
[6] vgl., Wilhelm Filla, Zwischen Integration und Klassenkampf, S.271ff
[7] Gunther Tichy, Austrokeynesianismus, S.213
[8] vgl., Tichy, S.214
[9] Rainer Roth, Das Kartenhaus, S.370
[10] vgl., Herbert Schui, Wollt ihr den totalen Markt, S.44ff
[11] vgl., J.M. Keynes, Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, in Roth, S.367ff
[12] vgl. Herbert Ostleitner, Die wirtschaftspolitischen Erfolge des Austrokeynesianismus unter der Regierung Kreisky, S.99
[13] vgl., www.derfunke.at/hp_artikel/staatbd.htm, 30.7.01
[14] vgl., Leo Trotzki, Trade Unions in the Epoch of imperialist Decay, S.40f
[15] Tichy, S.218
[16] "Die Gewerkschaften betrachten sich als Mitträger, als Teil der Volkswirtschaft. Sie betrachten diese Volkswirtschaft als Boden für ihr Wirken. Sie wissen, dass der Wohlstand des Volkes auf dem Gesamtertrag der wirtschaftlichen Tätigkeit beruht."; Anton Benya, Gewerkschaften in der Welt von heute, zit. nach Peter Haumer, Der Weg der Gewerkschaft, S.9
[17] Zwischen 1955 und 1986 ist die um die Beschäftigungsstruktur bereinigte Lohnquote nahezu unverändert geblieben, es ist sogar zu einer leichten Umverteilung zugunsten der Unternehmerseite gekommen. Das heißt der ÖGB hat die lange Prosperitätsphase für die Arbeiterklasse ungenutzt verstreichen lassen. Vgl., Haumer, S.37
[18] Jakob, S.177
[19] Löw, S.71
[20] Felix Butschek, Die österreichische Wirtschaft im 20. Jahrhundert, S.160
[21] Butschek, S.163
[22] vgl. Brigitte Unger, Der Austro-Keynesianismus und seine Performanz, S.169
[23] Unger, S.170
[24] Jakob, S.178
[25] vgl., Manfred Teschner, Dieter Vesper, Budgetpolitik Österreichs im internationalen Vergleich, S.33ff
[26] Jakob, S.179
[27] Löw, S.76
[28] Jakob, S.180
[29] vgl., Gernot Trausmuth, Die Geschichte der Verstaatlichten, S.13
[30] Butschek, S.170
[31] zit. nach, Der Funke, Weltwirtschaft in der Krise, S.24