Wir freuen uns, dass wir auf Anfrage im ältesten linken Debatten-Magazin Deutschlands, dem konkret-Magazin, den Leitartikel der April-Ausgabe beisteuern durften. Funke-Redakteurin Yola Kipcak schrieb über das Konzept der „feministischen Außenpolitik“, das Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) unlängst präsentiert hat.

„Feministische Außenpolitik“ soll ab sofort auch von deutschem Boden ausgehen. Doch in der hübschen Hülse stecken wieder nur die Interessen der herrschenden Klasse.

Deutschlands Außenpolitik steckt in einer Zwickmühle. Nach dem Aufstieg zum „Exportweltmeister“ im Windschatten einer zunehmend globalisierten Wirtschaft und durch billige Energie aus Russland, zwingen jetzt Protektionismus, EU-Krise und nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine den deutschen Imperialismus, aus einer schlechten Position heraus Entscheidungen zu treffen. Der Militarismus wird daher wieder Teil der Außenpolitik, muss aber gerade in Deutschland durch eine besondere ideologische Camouflage salonfähig gemacht werden. Die Grünen, die transatlantischen Hardliner im Ukraine-Krieg, können diese liefern; das Schlagwort lautet „feministische Außenpolitik“.

Kurz vorm Weltfrauentag veröffentlichte Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) Leitlinien für die im Koalitionsvertrag festgeschriebene „feminist foreign policy“. Das Konzept ist stark an jenes der ehemaligen schwedischen Außenministerin Wallström angelehnt. Sie prägte 2014 den Begriff „feministische Außenpolitik“, ohne dabei die Waffenexporte Schwedens infrage zu stellen. Wie sie stellt Baerbock ihre Leitlinien unter das Motto der „drei Rs“: Rechte, Repräsentanz und Ressourcen. Diese sollen im „außenpolitischen Handeln mitgedacht werden“ und die „innere Arbeitsweise des Auswärtigen Amts prägen“, indem ein „feministischer Reflex“ beim Personal ausgebildet wird. In dem 80 Seiten starken Leitliniendokument wird vor allem auf bereits bestehende internationale Abkommen und Rechtsgrundlagen Bezug genommen, mit einem Fokus auf das zweite „R“: Repräsentanz, also die Einbindung von Frauen in Gremien und Entscheidungsprozesse. Anträge zu den feministischen Leitlinien im Bundestag oder Regierungskabinett sind bisher nicht geplant, dürften für die Umsetzung aber auch nicht notwendig sein. Denn es scheint hier in erster Linie um eine Durchdringung der Staatmaschinerie und -prozesse mit liberalen Frauen Baerbockscher Prägung zu gehen.

Die Ministerin selbst zügelt daher die inhaltlichen Erwartungen an ihren „Realfeminismus“, wie sie ihn nennt: „Feminismus ist kein Zauberstab. Wir sind nicht naiv.“ Die feministische Außenpolitik habe „sowohl Werte als auch Interessen deutscher Außenpolitik im Blick“, sie setze auf Pragmatismus „im größeren Kontext unserer Außen- und Sicherheitspolitik“, so das Leitliniendokument.

Genau in diesem größeren Kontext, und nicht entlang der Frauenfrage, hat sich im vergangenen Jahr allerdings die tatsächliche Wende in der Außenpolitik vollzogen. Der globale Wettstreit um Einflusszonen, Lieferketten und Märkte spitzt sich zu, der Ukraine-Krieg ist nur das wichtigste militärische Schlachtfeld. Bundespräsident Steinmeier formulierte die „Zeitenwende“ in seiner Rede an die Nation vom 28. Oktober so: „An die Stelle des Austausches, der Suche nach dem Verbindenden tritt mehr und mehr das Ringen um Dominanz. … Dazu gehört zuallererst eine starke und gut ausgestattete Bundeswehr.“

„Frieden braucht Frauen“, schrieb Baerbock 2020 und tritt nun den lebenden Beweis dafür an, was das heißt. Sie ist eine glühende Verfechterin des Sieg-Friedens und plädiert für deutsche Aufrüstung und eine potenzierte Nato. Nach dem Motto „Unsere Waffen helfen, Menschenleben zu retten“, sprach sie sich schon vor der „Panzerwende“ offensiv für die Ausweitung der Waffenlieferungen an die Ukraine aus, um das strategische Lavieren von Bundeskanzler Scholz (SPD) zu beenden.

Unironisch wird nun in den feministischen Leitlinien dargelegt, dass bei den Waffenlieferungen eine „gendersensible Exportkontrolle“ durchgeführt werden soll. Indem Frauen an „rüstungskontrollpolitischen Prozessen“ teilhaben, würden Kriegswaffen auf ihr geschlechtsspezifisches Gewaltpotenzial überprüft (gedacht ist hier an Kleinwaffen und Streumunition). Und wohl dank Baerbocks feministischem Reflex soll die Forschung zu spezifischen Auswirkungen von Atomwaffen auf die Frau (!) gefördert werden.

Nicht weniger zynisch ist die feministische Auslegung der sogenannten Entwicklungspolitik. Zum Beispiel gab Baerbock am 1. März in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Entwicklungsministerin Schulze (SPD) deutsche Erwägungen zur korrekten Errichtung von Sanitäranlagen in einem nigerianischen Dorf preis. „Wenn man nach dem Geruch geht, könnte man sie am Rande des Dorfs planen.“ Dies wäre eine männliche Perspektive, für die Sicherheit der Frau erwöge man mit gendersensiblem Blick einen zentraleren Ort. Gestank im Dorf oder lange Wege zu den Sanitäranlagen lautet also das geschlechterrelevante Dilemma deutscher Außenpolitik. Zugang zu fließendem Wasser scheint im Realkapitalismus bereits zu viel der Utopie.

Doch weder Geruch noch Geschlecht bestimmen die Entscheidungsgrundlagen des deutschen Engagements in Afrika, sondern vielmehr der „Marshall Plan Afrika“ und die EU-Militärmissionen in Westafrika. Das „Handelsblatt“ bemerkt: „Ein wichtiger Hebel, um Deutschland im neuen Wettlauf um Afrika im Rennen zu halten, ist die Entwicklungszusammenarbeit.“ Die sogenannte Entwicklungshilfe ist nur das freundliche Gesicht der strategischen Ausrichtung von Staaten.

Die feministische Außenpolitik der Ampelregierung stellt sich so in die Tradition einer Hillary Clinton oder einer Madeleine Albright. Sie rechtfertigten die blutigen Kriege im Irak und in Afghanistan mit der Befreiung von Frauen und Mädchen. Das Ergebnis ist die Machtübernahme der Taliban. Es ging hier nie ernsthaft um Menschenrechte, Frauenemanzipation, nationale Selbstbestimmung oder die Rettung der liberalen Demokratie. Jede Kriegspartei findet ihre eigenen ideologischen Rechtfertigungen; am Ende jedes Räuberfriedens steht die fortgesetzte Ausbeutung und Unterdrückung. Das gilt für die imperialistische Kriegstreiberei Russlands genauso wie für die des Westens.

Letztlich ist die „feministische Außenpolitik“ nichts als ein identitätspolitisches Aushängeschild, um im Inland öffentliche Unterstützung für die Durchsetzung imperialistischer Interessen weltweit zu generieren und aufrecht zu erhalten.

Ist die feministische Außenpolitik also nur heiße Luft? Nicht ganz. Denn dort, wo die Leitlinien über kompliziertes Gender-Studies-Vokabular und Denkanstöße hinaus konkret werden, geht es immerhin um Milliardenförderungen und etliche Jobs. Bis 2025 sollen 80 Prozent der Projektmittel des Auswärtigen Amtes „gendersensibel“ ausgegeben werden. Zur Orientierung: 2023 belaufen sich die Mittel hierfür auf 5,5 Milliarden Euro. Darüber hinaus heißt das Schlagwort „mehr Frauen in Führungspositionen“ – angefangen im eigenen Amt, wo das Ziel ist, „auf allen Hierarchieebenen Parität zu erreichen.“

Somit ebnet die feministische Außenpolitik den Pfad für Hunderte steile Karrieren: als „Botschafterin für feministische Außenpolitik“ etwa, im „Stab Feministische Außenpolitik“, als Teil paritätisch besetzter Delegationen, als „Gender-Expertinnen“, „Mediatorinnen“, „Gender Officers“ bei Projekten und feministischen Nichtregierungsorganisationen oder durch „internationale Netzwerke von Frauen in Führungspositionen“. Auch Deutschlands Grüne haben verstanden, dass sich die eigenen Lebensinteressen als integraler Bestandteil der staatlichen Apparate und mit Netzwerken stabiler gestalten lassen als im Bundestag allein.

Kein „echter“ Feminismus?

Von linker Seite kommt nun die Kritik, dies sei kein echter Feminismus, sondern eine als Feminismus verkleidete Machtpolitik. Tatsächlich entspringt aber die bürgerliche, imperialistische Auslegung des Feminismus dessen Essenz. Der Feminismus in all seinen verschiedenen Spielarten hat nur metaphysische Erklärungen für die Unterdrückung der Frau und kein historisch-materialistisches Verständnis für ihren Ursprung in den Produktionsverhältnissen der Klassengesellschaft.

Daher sprießen so fantasievolle Blüten wie „Eine feministische Kritik der Atombombe“, veröffentlicht von der grünen Heinrich-Böll-Stiftung. Das Pamphlet behauptet, die Atombombe sei ein Produkt des Patriarchats und entspringe der „militarisierten Männlichkeit“. Die „Taz“-Redakteurin Waltraud Schwab behauptete, der Ukraine-Krieg sei eine Vergewaltigung der „weiblich konnotierten“ Ukraine durch die „phallischen Kanonenrohre“ der russischen „Manpower und des Testosterons“: „Das ist, was Russland tut. Seine Eier sind aus Stahl. Sein Sperma ist Schwarzpulver.“

Diese Perspektive ist eine Sackgasse, eine Apologetik des imperialistischen Kriegs. Sie verschleiert die materielle, historische Grundlage der Frauenunterdrückung in der Klassengesellschaft ebenso wie die fundamental widersprüchlichen Interessen, die Frauen der herrschenden Klasse im Gegensatz zur Arbeiterklasse und den Frauen der Arbeiterklasse haben. Der Marxismus versteht, dass die Unterdrückung der Frau, genauso wie Ausbeutung und Kriege, inhärenter Bestandteil des Kapitalismus sind. Die Jagd nach Profiten führt zu Kriegen und baut auf der Spaltung durch Rassismus, Sexismus und die systematische Unterdrückung der Frau. Jeder Kampf gegen Unterdrückung und für Friede muss daher das Ziel haben, dieses System zu überwinden.

Jene feministischen Theorien, die sich das Attribut „sozialistisch“ oder „marxistisch“ geben, um ihrer imperialistischen Vereinnahmung zu entgehen, gestehen letztlich ein, dass nicht der Feminismus die Befreiung der Frau bringt, sondern der Sozialismus. Hier ist nicht der Ort, um auf die verschiedenen theoretischen Schulen einzugehen. Doch es sei gesagt, dass die Öffnung der feministischen Hintertür im Marxismus unweigerlich zu Zugeständnissen an bürgerliche und identitätspolitische Ideen und Praxis führt. Annalena Baerbocks Feminismus ist nicht der „falsche“ – er ist die letzte Konsequenz der feministischen Herangehensweise, die keine Klassenanalyse zur Grundlage hat.

Die Außenpolitik kapitalistischer Staaten wird, aller „wertegeleiteten“ Politikwissenschafts-Utopien zum Trotz, immer an den entsprechenden materiellen Interessen und Bedürfnissen der dominanten Kapitalgruppen ausgerichtet. Das Label des Feminismus dient dabei lediglich als links anmutendes Feigenblatt für diese Politik – und als Karrierechance für Frauen, die gewillt sind, sich diesen Interessen zu verschreiben.

Wirklicher Friede und eine echte Befreiung der Frau ist mit Bürgerlichen, ihren politischen Vertretern und Sprachrohren nicht zu haben. Um mit Karl Liebknecht zu reden: Der Hauptfeind steht im eigenen Land – und dank Baerbock auch die Hauptfeindin.

Yola Kipcak ist Redakteurin bei „derfunke.at“, Teil der International Marxist Tendency


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