Der Gewerkschaftstag entscheidet über die weitere Ausrichtung der PRO-GE, die eine Schlüsselrolle für die Zukunft der gesamten Gewerkschaftsbewegung einnimmt. Emanuel Tomaselli hat sich das Arbeitsprogramm angeschaut.

 Der Gewerkschaftstag findet vor dem Hintergrund anhaltender wirtschaftlicher, sozialer und politischer Krisen in Europa statt. Es liegt auf der Hand, dass gewerkschaftliche Interessensvertretung heute inhaltlich und methodisch schwieriger und herausfordernder ist als in der Vergangenheit, weil die Verteilungsspielräume immer geringer werden. In den Unternehmen herrscht ein gnadenloser Druck hohe Kapitalrenditen zu erwirtschaften, der internationale Wettbewerb wird immer härter, tausenden ArbeiterInnen in der Industrie sitzt die Angst um den Arbeitsplatz im Nacken. Die PRO-GE hat sich in den letzten Jahren dieser Herausforderung gestellt, indem sie versucht die Organisation wieder kampagnenfähig und kampfbereit zu machen. Der heurige Gewerkschaftstag ist eine Möglichkeit Bilanz über diesen Kurs zu ziehen und die eigenen Methoden einer breiten Debatte zu unterziehen. Die Spitze der PRO-GE hat dazu ein Arbeitsprogramm für die kommende Periode vorgelegt. 

Wir haben in den vergangenen zwei Jahren sehr intensiv versucht, die Kämpfe der PRO-GE solidarisch zu begleiten und zu unterstützen. In unserem Diskussionsbeitrag zum vorliegenden Arbeitsprogramm wollen wir uns aber insbesondere auf die Punkte konzentrieren, die aus unserer Sicht nicht geeignet sind das von Kollegen Rainer Wimmer ausgegebene Ziel der Stärkung der „Kampagnenfähigkeit“ argumentativ zu untermauern und auf sichere Füße zu stellen. Mit dieser Kritik wollen wir einen Beitrag zur inhaltlichen Stärkung der Gewerkschaftsbewegung leisten.

Eine neue Epoche

Die kapitalistische Krise schafft völlig neue Bedingungen für unsere Gewerkschaftsarbeit. Diese werden im Papier jedoch nur ungenügend beschrieben. Das ist keine Nebensächlichkeit, denn eine Analyse der gesellschaftlichen Realität muss die Grundlage für jedes Gewerkschaftsprogramm sein. Erst auf dieser Grundlage kann man um die Einsicht und das Engagement der KollegInnen werben, sich am Kampf zur Verteidigung unserer sozialen Errungenschaften geschweige denn weiteren sozialen Fortschritt zu beteiligen.
Insofern kritisieren wir hier den Umstand, dass diese nicht enden wollende Krise als reine Finanzkrise beschrieben wird. Die Lesart, dass es die Finanzmärkte waren, die die Krise verursacht haben, ist zwar allgemein verbreitet, aber falsch. Schon die spekulative Aufblähung des Finanzmarktes selbst war bereits ein Krisensymptom. Die Profitabilität des Kapitals litt schon vor der Krise an der Überproduktion von Waren und Dienstleistungen und suchte sich daher eine neue Anlagemöglichkeit außerhalb der Realwirtschaft. Dass man an der Börse befreit vom Mühsal von Produktion, Wettbewerb und der organisierten Arbeiterbewegung scheinbar mühelos aus Geld noch mehr Geld machen konnte, hat sicherlich zur Attraktivität dieser Form der Kapitalanlage beigetragen.
Deswegen ist es gerade für die Gewerkschaftsbewegung wichtig, die wirkliche Krisenursache konkret zu analysieren. Diese liegt in der Funktionsweise des Kapitalismus selbst verborgen: Dieses System neigt dazu, mehr Waren zu produzieren als gewinnbringend verkauft werden können und mehr Kapital anzuhäufen, als gewinnbringend wieder angelegt werden könnte. Das resultiert in schärferem Wettbewerb und Preisdruck auf den übersättigten Absatzmärkten. Gegenüber allen anderen Erklärungsansätzen für die Krise lässt sich so auch die verschärfte Gangart der Unternehmer in den Betrieben und in der Frage der Kollektivverträge erklären.
Die neuen betrieblichen Realitäten – die unter diesem Druck geschaffen werden - sind aber gar nicht Gegenstand des Arbeitsprogramms. Gerade die Erfahrungen aus den Betrieben müssten aber verallgemeinert werden, damit eine gesamtgewerkschaftliche Strategie gegen die Angriffe der Unternehmer entworfen werden kann.
Wenn durch eine andere Politik, wie z.B. Umverteilung von oben nach unten und gesetzliche Regulierungen die Krise überwunden werden könnte, warum wird die Politik dann nicht geändert? Den neoliberalen Ideologen kann man sicher viel nachsagen, aber wir können davon ausgehen, dass sie liebend gern diese tiefe Krise ihres Systems, die ihnen so viel Kopfzerbrechen macht, überwinden möchten. Deswegen ist es wichtig sich zu verstehen, dass die ganzen wirtschaftspolitischen Vorschläge, die zur Debatte stehen, nicht auf einer allgemeinen Vernunft basieren, sondern Ausdruck von verschiedenen (Klassen-)Interessen sind.
Das Interesse der Kapitalseite – und dies wird im Papier treffend beschrieben – liegt darin, dass die Krisenkosten von den ArbeitnehmerInnen bezahlt werden. Was ist die Position der ArbeiterInnenbewegung? Nun, die Antwort fällt zwiespältig aus. Im Allgemeinen hält das Papier fest, dass die „Krisenverursacher“ die Kosten zu zahlen hätten. Im Konkreten jedoch wird meist eine „vernunftmäßige“ Kompromissvariante angestrebt.
Angesichts dieser Krise, die keine einfache Konjunkturdelle, sondern eine ernste Systemkrise darstellt, ist es von großer Bedeutung, dass die Gewerkschaften uneingeschränkt den Standpunkt der Lohnabhängigen vertreten: Löhne, von denen man leben kann, Kontrolle über die Arbeitszeit, möglichst umfassende Gewerkschaftsrechte im Betrieb, Erhalt der Arbeitsplätze und des Betriebes. Kurz gesagt: Das unternehmerische Risiko ist die Verantwortung des Unternehmens, die Gewerkschaftsbewegung trägt die Verantwortung für den Erhalt und die Verbesserung des Lebensstandards der ArbeitnehmerInnen. Nur wenn das unser Leitgedanke ist, können wir die Abwälzung der Krisenkosten auf unsere Schultern verhindern.
Jede andere Position, die von einem angeblichen gemeinsamen Interesse zwischen Kapital und Arbeit ausgeht, drängt die Gewerkschaftsbewegung in Zeiten der Krise automatisch in den Retourgang: Stellenabbau, die Kannibalisierung der Arbeitsbeziehungen beginnend von der Rändern (All-in Verträge, Leiharbeit usw.), Zerschlagung der Kollektivverträge, Angriffe auf demokratische Rechte und Mitbestimmung, die Drangsalierung der Betriebsräte bis hin zur Erpressung ganzer Belegschaften, wie wir es auch heuer in der Herbstlohnrunde erleben mussten. Aus der Sicht der Unternehmer sind dies vernünftige Maßnahmen als Antwort auf Preisdruck, Auftragsschwankungen und Kreditklemme. Der Fachverband der Maschinen- und Metallwarenindustrie artikuliert diese neue Situation am klarsten, aber auch andere, wie der Generaldirektor der voestalpine Wolfgang Eder, machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Eder vertritt etwa die Meinung, dass stundenlange KV-Verhandlungen gestrig sind und ein Fünftel der europäischen Stahlstandorte schleunigst zugesperrt gehören.

Gewerkschaft für alle!

Das Arbeitsprogramm positioniert die PRO-GE als „Steuerinstrument“, das gleichzeitig „keinen Kompromiss bei sozialer Gerechtigkeit kennt“, andererseits aber ein wichtiges „Element der funktionierenden Marktwirtschaft“ darstellt. Diese Doppelfunktion entspricht dem jahrzehntelang gepflegten Selbstbild, das die österreichischen Gewerkschaften im Nachkriegsaufschwung entwickelt haben. Tatsächlich gab es eine lange Periode, in der die Profitinteressen der Unternehmer und die wichtigsten sozialen Interessen der Arbeiterklasse in einem expandierenden Markt gleichzeitig befriedigt werden konnten. Unter diesen Bedingungen funktionierte auch das System der Sozialpartnerschaft. Diese Phase der kapitalistischen Entwicklung ist aber ein für allemal vorbei.
Wenn man weiter am Gedanken des ehemaligen ÖGB-Präsidenten Benya festhält, dass man nur fette Kühe melken kann, dann beschränkt man sich als Gewerkschaft heute auf einen kleinen, hochprofitabelen Sektor der Industrie, in dem aufgrund von Weltmarktführerschaft und Konzernsitz im Inland die Unternehmer noch immer zu Zugeständnissen bereit sind. Die Wirkungsmacht der Gewerkschaft verengt sich damit zunehmend auf die „privilegierten“ Sektoren in der Industriearbeiterschaft. Da aber gleichzeitig die Arbeitsbedingungen und sozialen Standards in einem Bereich nach dem anderen aufgeweicht werden, wird die Gewerkschaftsbewegung in ihrer Gesamtheit immer mehr geschwächt. Die Macht der Gewerkschaftsbewegung wird von Haus aus reduziert, wenn man den Auftrag der Sicherung der sozialen Bedingungen nicht allgemeingültig formuliert – also unabhängig von der Ertragslage der Betriebe.

Troika für niemanden!

„Keine Troika für alle“ lautet eine Forderung des Papiers in Anspielung auf das Spardiktat in Südeuropa. Der Umkehrschluss dieser Forderung heißt freilich: Für einige Länder ist die Troika sehr wohl notwendig. Dies ist eine katastrophale Haltung, denn so signalisiert die österreichische ArbeiterInnenbewegung die Bereitschaft, einen Teil der europäischen ArbeiterInnenklasse massiven Lohnkürzungen, Massenarbeitslosigkeit und Hunger auszusetzen. Diese falsche Position entspringt direkt dem Glaubenssatz der „produktivitätsorientierten Lohnpolitik“ und dem sozialpartnerschaftlichen Glauben an den notwendigen Interessensausgleich in der Marktwirtschaft.
Nun kann man einwenden, dass die Frage des Schicksals der KollegInnen in Griechenland und Spanien nicht von unmittelbarem Interesse für die Gewerkschaftsarbeit in Österreich ist. Aber dieser Gedanke ist von Grund auf falsch. Der soziale Kahlschlag in Südeuropa verbilligt dort die Ware Arbeitskraft und damit beginnt ein scharfer innereuropäischer Lohndumping-Wettbewerb. Christian Knill von der FMMI hat genau diese Lohnstückkostensenkung in den südeuropäischen Ländern als Argument für seine Forderungen herangezogen. Der Gewerkschaftstag der PRO-GE sollte den Nationalratsabgeordneten aus ihren Reihen ein klares Nein zu den „Rettungspaketen“ der Troika sowie zum EU-Wettbewerbspakt mit auf dem Weg ins Parlament geben! Eine Ablehnung durch den Nationalrat könnte viele dieser europäischen Maßnahmen blockieren, verzögern und hintertreiben, genau dies sollte der Auftrag an die KollegInnen sein, die im Parlament sitzen.
Und noch ein Einwurf: Das Festhalten an einer „produktivitätsorientierten Lohnpolitik“ bedeutet auch für große Teile der österreichischer Arbeitnehmerschaft Troika-Bedingungen. Die Formel „Hälfte des Produktivitätsgewinn plus Inflation“ (zumindest die offizielle Inflationsrate) hätte heuer auch in der Industrie einen Reallohnverlust bedeutet, wie die FMMI-Unternehmer genüßlich vorrechneten. In vielen Branchen werden sich die KollegInnen auch in der kommenden Periode auf einen weiteren Kaufkraftverlust einstellen müssen. Immer mehr KollegInnen sind trotz Beschäftigung heute schon akut armutsgefährdet.

Wichtige Ansätze

Das größte Plus der Linie der PRO-GE liegt im Verständnis, dass die Durchsetzung der gewerkschaftlichen Ziele heute vermehrt von der aktiven Unterstützung durch die Mitglieder abhängt. In dieser Überlegung steckt der Kern einer positiven gewerkschaftlichen Entwicklung auch in schwierigen politischen und wirtschaftlichen Zeiten (konkrete Vorschläge dafür finden sich auf Seite 4 der aktuellen Ausgabe).
Neben innovativen politischen Forderungen – wie etwa das Herausrechnen von Managergehältern aus den betrieblichen Personalkosten in einen eigenen Posten - besticht vor allem die Forderung nach einer neuen Rolle der ÖIAG: „Die ÖIAG soll wieder eine echte staatliche Beteiligungsgesellschaft werden, um Firmen und Arbeitsplätze in Österreich zu halten und zu stabilisieren.“ Hier liegt unseres Erachtens die Antwort auf die Frage, wie man – befreit von den Markterfordernissen der Unternehmer – soziale Forderungen durchsetzen kann: Wenn ein privater Unternehmer nicht mehr weiter produzieren kann oder will, weil er unsere Löhne und Rechte als zu teuer erachtet, dann muss der Standort durch einen Übergang in Staatshand erhalten werden.
Auf dem heurigen Gewerkschaftstag sollten wir klar feststellen, dass wir nicht bereit sind die Systemkrise des Kapitalismus zu unserer Krise zu machen.

November 2013


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