Fraktionswesen. AK-Wahlen und Personalvertretungswahlen rücken heuer die Fraktionen in der Gewerkschaftsbewegung wieder einmal ins öffentliche Bewusstsein. Ein Diskussionsbeitrag von Johann Linsmaier über das Fraktionswesen.
In den 27 Jahren meiner Funktionärszeit habe ich von allen im ÖGB vertretenen Fraktionen Funktionäre kennengelernt, die Handschlagqualität haben und denen die Interessen der KollegInnen wichtiger sind als die eigenen Interessen. Ich habe auch Funktionäre kennen gelernt, den eigene Interessen wichtiger sind, als die Ihrer KollegInnen. Meiner Meinung nach wird ein solches Verhalten durch das herrschende Fraktionswesen strukturell gefördert.
Nach meiner Erfahrung konnte man in überfraktionellen Arbeitsgruppen, in denen Themen der Arbeitnehmerschaft diskutiert wurden, oft keinen Unterschied zwischen den einzelnen Funktionären feststellen. Auf Sachebene (bei sachlicher Arbeit für die Arbeitnehmerschaft) wurden gemeinsam dabei die Interessen der ArbeitnehmerInnen diskutiert, bearbeitet und positive Ergebnisse erreicht.
Funktionäre der Gewerkschaft brauchen Macht um wirkungsvoll tätig zu sein, ohne der funktioniert Gewerkschaft nicht. Ich frage mich: Ist es unter diesem Aspekt von Vorteil für die ArbeitnehmerInnen, wenn es fraktionelle Gruppierungen innerhalb der Gewerkschaft gibt? Sollte nicht das gemeinsame Interesse für die ArbeitnehmerInnen frei und demokratisch ausdiskutiert werden?
Im heutigen System der Fraktionen in der Gewerkschaft werden in den Fraktionen Machtpositionen von oben her verteilt. Dies wird von egoistischen Funktionären oft missbraucht, um persönliche Macht- und Verdienstmöglichkeiten zu erreichen. Fraktionen entscheiden entfernt von den ArbeitnehmerInnen. Es gibt keine direkten Kontrollmöglichkeiten mehr für die ArbeitnehmerInnen. Die Funktionäre sind nicht direkt von der Basis kontrollierbar und beeinflussbar. Durch Fraktionen entstehen Abhängigkeitsverhältnisse nach oben, statt nach unten zur Basis.
Aus der Praxis
So erlebte ich das in der voestalpine-Stahl: Von 24 Betriebsräten waren 19 von der FSG, 3 von den freiheitlichen Arbeitnehmer und zwei von der LGS (meine Liste nach meinem Ausschluss aus der FSG). Der Betriebsrat arbeitete in entscheidenden Fragen nur mit 75 % Kraft. Bei den wichtigen Fragen waren die anderen Fraktionen ausgeschlossen, wirklich an den Entscheidungen mitgestalten zu können. Was zu beschließen war, bekamen wir meistens einen Tag vorher mit der Einladung zur BR-Sitzung mitgeteilt. Einmal wurde sogar ein Beschluss vom Arbeitsgericht aufgehoben, weil er am
selben Tag wie die Sitzung auf die Tagesordnung genommen wurde. Die Abstimmung leitete damals BRV-Stv. NR Keck. Dieser wurde auch von mir vor der Abstimmung über seine nicht rechtskonforme Vorgehensweise aufmerksam gemacht. Zuerst wurden immer die FSG-Betriebsräte in der Fraktionssitzung oder über das wöchentliche Jourfix der FSG-Betriebsräte informiert. Im Arbeitsverfassungsgesetz sind Minderheitenrechte festgelegt, die garantieren sollten, dass bei wichtigen Sitzungen und Entscheidungen immer zumindest ein Betriebsrat von jeder Fraktion dabei ist. Hier merkt man, dass die rechtliche Ausgestaltung des Betriebsrates weitaus demokratischer ist, als die gelebte Praxis. Dies kommt sicher auch daher, dass das Betiebsrätegesetz unter dem Eindruck der revolutionären Rätebewegung nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen wurde. Das Fraktionswesen gewann erst in der sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung der Gewerkschaft, besonders nach dem Oktoberstreik 1950, stark an Bedeutung.
Beispiel: In der voestalpine hat ein Betriebsrat einer kleineren Fraktion einen Arbeitsgerichtsprozess gegen die voestalpine in erster Instanz gewonnen. Er hatte geklagt, weil er die einem Betriebsrat zustehende Lohnerhöhungen nicht bekommen habe. Der Betriebsratsvorsitzende (BRV) hat dies meiner Meinung nach aus fraktionellen Gründen verweigert. Der BRV hatte ein Vorschlagsrecht für Lohnerhöhungen der BR-Mitglieder, das im Wesentlichen vom Unternehmen genehmigt wurde. Skurril ist, dass ein Gewerkschaftler einem anderen Gewerkschaftler Rechte verweigert, nur weil der in der „falschen Fraktion“ ist. Grundsätzlich hat ein jeder einen Egoismus, aber jeder hat die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wo die Grenze zum Machtmissbrauch für persönliche Interessen beginnt. Sehr enttäuscht bin ich, wenn Kollegen aus meiner ehemaligen Fraktion der FSG ihre Position missbrauchen.
Für mich ist es ein Fraktionsunwesen geworden, das abgeschafft gehört. Die Basis muss wieder der bestimmende Faktor sein.
Es sollte auch eine Entflechtung von politischen und gewerkschaftlichen Funktionen geben. Das soll nicht bedeuten, dass Gewerkschaftsmitglieder keine politischen Funktionen innehaben können. Es soll eine Trennung von Funktionen geben. Die Gewerkschaftsmitglieder können ja dann in den Parteigremien gewerkschaftliche Positionen einbringen.
Wenn man sich dem unmittelbaren von oben diktierten Regierungsbedürfnissen entzieht, dann wäre eine bessere Gewerkschaftsarbeit für unsere KollegInnen möglich. Das würde die Gewerkschaft stärken.
Diese Zeilen von mir sollen zum Nachdenken anregen und eine Diskussionsgrundlage sein, denn zu viel gewerkschaftliche Energie wird durch das Fraktionswesen in der Gewerkschaft verschwendet. Sie könnte sinnvoller genützt werden.