Deutschland. Im Rahmen des erneuten Tarifkonflikts der Deutschen Bahn (DB) mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) fanden seit September letzten Jahres neun Streiks statt. Mathias Peschke analysiert.
Die GDL forderte neben rahmenrechtlichen Verbesserungen 5% mehr Lohn, von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) wurden 6% plus gefordert. Nun besteht zwar die Möglichkeit, dass eine kleinere Gewerkschaft das Verhandlungsergebnis der größeren übernimmt, ein Abkommen über das „Nachzeichnen” der Tarifverträge zwischen EVG und GDL lief aber vor ungefähr einem Jahr aus.
Der DB waren beide Forderungen zu hoch, mit der GDL sollte aber nicht einmal verhandelt werden, was das Aus für die Gewerkschaft die die Mehrheit der LokführerInnen organisiert bedeuten würde. Die LokführerInnen sind dabei im Recht, denn das Bundesarbeitsgericht hat schon im Jahr 2010 ausdrücklich das Recht auf Tarifpluralität festgestellt. Der Konflikt DB gegen GDL hatte also von Anfang an eine wichtige politische Dimension: wer darf überhaupt für die Belegschaft verhandeln? Um dieses Recht kämpfte die GDL erfolgreich in neun Streiks. Obwohl der Ausgang der gerade beginnenden 3-wöchigen Schlichtung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels noch völlig offen ist, kann die GDL nun für alle in ihr organisierten Beschäftigten sprechen und nicht nur für die einzelnen Berufsgruppen, in denen sie die größte Gewerkschaft ist.
Für die Belegschaft der deutschen Bahn hat sich dieser Kampf jedenfalls gelohnt: Auch die EVG musste ihr Auftreten verändern, schließlich wechselte eine nicht zu unterschätzende Anzahl Mitgliedern von ihr zur GDL. Ohne eigene Arbeitsniederlegungen erzielte sie ein Lohnplus von 3,5% mehr ab Juli und weitere 1,6% im Mai folgenden Jahres. Hätte die GDL aber nicht gestreikt, wäre der Abschluss der EVG wohl niedriger ausgefallen.
Hetze gegen Streikende
Sondersendungen und Schlagzeilen sind schon seit Monaten Ausdruck des öffentlichen Interesses an den Geschehnissen bei der DB. Dabei wurde bewusste Gewerkschafts- und Anti-Streik-Hetze betrieben. Die bürgerlichen Medien versuchen gezielt das Aufbrechen des sozialen Konfliktes in unserem Nachbarland argumentativ nieder zu machen, indem sie Streikende als verantwortungslose Chaoten darstellt. Diesen Chaoten werden geschädigte, und um ihre Rechte betrogene Konsumenten entgegengestellt.
Streiks sind ein zwar sich häufendes, aber an sich noch seltenes Phänomen in der Bundesrepublik. Dies liegt nicht an der Trägheit des „deutschen Michels“, sondern an der Führung des DGB und den vier großen Einzel-Gewerkschaften. Sie tragen die Politik der Großen Koalition in Berlin in allen Aspekten mit und machen auch immer wieder Dampf wenn sie das Gefühl haben, dass der deutsche Wirtschaftsstandort währungs-, handels- (TTIP) und außenpolitisch nicht aggressiv genug abgesichert wird. So wundert es auch nicht, dass der DGB-Vorsitzende Hoffmann sich beim letzten Streik der GDL-LokführerInnen offen auf die Seite des Unternehmens gestellt hat.
Die Angst, die alle, von den gemäßigten linksliberalen KommentatorInnen, bis hin zu den Industrieverbände und den Führungen der Parteien und Gewerkschaften bewegt, ist jene vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Der allgemeine Ruf lautet nun, die Bundesregierung möge doch ein Tarifeinheitsgesetz voranbringen, um kämpferische Kleingewerkschaften in Griff zu bekommen, und Schlichtungen in Arbeitskonflikten überhaupt verpflichtend machen.
„union busting“
Damit wird der erfolglose Versuch der DB die Organisation der kämpferischen KollegInnen im Unternehmen zu zerschlagen nun auf eine politische Ebene gehoben. Federführend auf Seite der DB agierte das Züricher Schranner Negotiation Institut (SNI). Das SNI wird weltweit im Auftrag von Regierungen und Unternehmen eingesetzt, „wenn Verhandlungen schwierig werden“. Es versteht sich dabei nicht als Schlichter, sondern die KundInnen sollen als GewinnerInnen und die Gegenseite als klare VerliererInnen enden. Es geht also nicht darum einen inhaltlichen Kompromiss auszuverhandeln, sondern die Gewerkschaft zu zerschlagen. Das SNI gehört zur „Union Busting“ Branche, eine in den USA etablierte Dienstleistungsbranche, die darauf abzielt Gewerkschaften zu zerstören. Der Teilerfolg der GDL gegen diese Damen und Herren ist eine gute Nachricht für alle GewerkschafterInnen.
Forderungen und Streikrecht
Die EVG und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), befürwortet nunmehr das Tarifeinheitsgesetz, schließlich wäre damit die kleinere GDL eigenständiger Kampfmaßnahmen beraubt. Was die Union-Buster nicht erreicht haben wurde jetzt mit Unterstützung der Führung der organisierten Arbeiterbewegung im Bundestag politisch durchgesetzt. Nur eine einzige SPD-Abgeordnete stimmte gegen die verschärfte rechtliche Einschränkung des Streikrechtes, allein DIE LINKE stimmte geschlossen gegen das Tarifeinheitsgesetz.
Durch dieses Gesetz werden kleinere Gewerkschaften eigenständiger Kampfmaßnahmen beraubt, was einen Eingriff in die deutschen Grundrechte bedeutet und nun eine Reihe von Verfassungsgerichtsverfahren, angekündigt etwa von der GDL aber auch der weitsichtigeren DGB-Gewerkschaft ver.di, nach sich zieht. Der Interpretationsspielraum der neuen gesetzlichen Lage ist groß, und in den industriellen Interessenvertretungen wird bereits an weitreichenderen rechtlichen Definitionen gearbeitet. Die „Friedrich Carl von Weizsäcker Stiftung“ argumentiert nun für Streikbegrenzungen oder sogar Streikverbote in der „öffentlichen Daseinsfürsorge“. Der politische Einstieg in die rechtliche Eindämmung von aktuellen und kommenden Arbeitskämpfen ist jedenfalls passiert.