Arula in Vorarlberg, besser bekannt als Huber Tricot, ist eine ganz normale Textilfabrik. Oder doch nicht? Kurt Bührle berichtet über die Entwicklungen der letzten Monate.

Längst gehört die Firma einem großen chinesischen Kapitalisten, der nichts weiter mit ihr zu tun hat, außer von Zeit zu Zeit Geschäftsführer auszuwechseln und Profite zu kassieren. Die ArbeiterInnen schmeißen den Laden so gut es ohne Plan und Ziel eben geht, mal gibt es viel Arbeit, mal wenig, wie es der Markt gerade braucht. Die Löhne sind der Branche entsprechend schlecht (wer als Gelernte im 3-Schichtbetrieb anfängt bekommt gerade mal 1450€). Personal wird kaum eingestellt, ganz gleich ob sich z.B. in der Färberei aufgrund von Überbelastung die Krankenstände häufen oder die Strickerei das halbe Jahr auch samstags arbeiten muss.

Bei uns in der Abteilung (Ausrüstung) ist das halbe Jahr Flaute, wir sind häufig zum Herumsitzen verdammt und werden nicht in anderen Abteilungen eingesetzt, weil das die Firma mehr kosten würde. Vor drei Jahren wurde eine Vereinbarung über flexible Arbeitszeiten (Flexivereinbarung) abgeschlossen, die das Problem lösen sollte, indem wir bis zu 150 Stunden ins Minus bzw. Plus arbeiten können. Das gibt der Firma das Recht, an Freitagen dicht zu machen und an Samstagen arbeiten zu lassen. Das bringt viele KollegInnen in die Situation, dass sie auf dutzenden Minusstunden sitzen, während andere ebenso viele Plusstunden haben.

Die Textilbranche ist jener Industriezweig in Vorarlberg, in dem die Gewerkschaft am besten verankert ist. Trotz ständig neuer Stellenstreichungen haben auch wir einen Organisierungsgrad von ca. 90%. Und selbstverständlich auch einen Betriebsrat. Dieser ist, wie in so vielen Firmen, vor allem ein Mitverwalter des Niedergangs und segnet unliebsame Entscheidungen der Firmenleitung ab. In einem Gespräch mit mir und dem Stv. BR-Vorsitzenden hat er einmal sehr gut erklärt, warum sie als BR nicht kämpfen können: Seiner Meinung liegt das vor allem an den ArbeiterInnen, die ja nicht mal mehr einsehen würden, warum man gewerkschaftlich organisiert sein sollte. Kein Wunder also, dass noch nicht einmal der Versuch unternommen wird, ernsthaft für die Interessen der Belegschaft zu kämpfen. Das mangelnde Vertrauen in die ArbeiterInnen kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass in den letzten vier Jahren nur eine Betriebsversammlung (BV) einberufen wurde. Bei dieser wurde die Belegschaft vor vollendete Tatsachen gestellt, ihr wurde die Flexivereinbarung vorgesetzt.

Wer arbeitet weiß, dass der Unmut der KollegInnen über die eigene Geschäftsführung und die Betriebsräte beinah so groß ist wie der auf die Politik. Meist bleibt es aber bei Schimpfereien Einzelner über unfähige UnternehmerInnen und untätige Betriebsräte, diese würden “sowieso” nichts machen.

Doch das muss nicht so sein. Nach gut acht Monaten, in der Firma, in der ich vieles gehört und immer mit einer kämpferischen Perspektive geantwortet habe, hat sich die Situation grundlegend geändert. Ein ehemaliges BR-Mitglied hat sich entschieden, den Unmut zu organisieren. Mich haben KollegInnen aufgefordert, mitzumachen; aus jeder Abteilung sollte jemand dabei sein. Bald waren wir die zehn für eine Kandidatur nötigen Leute, wir trafen uns beim erfahrensten Kollegen. Auch wenn es beim ersten Treffen vor allem um die oben genannten Probleme ging, gegen die es anzukämpfen gilt, haben wir einhellig klar gemacht, dass es auch darum gehen muss, die KollegInnen dauerhaft in unsere Arbeit einzubinden. Von da an war die Arbeit nicht nur für mich eine andere. Unzählige, teils hitzige Diskussionen (BV) werden um die Probleme und das Programm, das wir umsetzen wollen, geführt. Auch wenn es vielleicht noch kein perfektes Programm ist, kommt es doch von den KollegInnen selbst und beinhalted die drängensten Probleme. (Siehe Bild)

Im Zuge dieser Diskussionen treten allerdings auch die ersten Meinungsverschiedenheiten auf unserer Liste auf. Auffällig ist, dass jene KollegInnen, die lange gewerkschaftliche Erfahrung haben, mäßigend auftreten. Bei aller Mühe, die Belegschaft besser zu vertreten als der jetzige BR stehen sie doch in derselben Tradition der Stellvertreterpolitik und der “konstruktiven Zusammenarbeit” mit der Geschäftsleitung. Schon die Zusammenfassung der Forderungen der Belegschaft zum Programm war nicht unwidersprochen.

Doch der Druck von unten ist groß. Viele ArbeiterInnen wollen nicht nur einfach einen besseren BR, sondern sich nicht mehr mit schleichenden Verschlechterungen zufrieden geben. Für echte Verbesserungen im Sinne der Belegschaft zu sorgen, erfordert jedoch einen regelrechten Bruch mit den Methoden der letzten Jahrzehnte, in denen die Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene für viele BR und für die Gewerkschaft wichtiger zu sein scheint, als der Kampf um die Arbeiterinteressen.

Bereits die Wahl selbst drohte zum Kampf zu werden, da der bestehende BR sein Mandat nicht widerstandslos aufgeben will. Dabei kam es aber statt zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu, vorsichtig gesagt, Ungereimtheiten. Die BV, auf der der Wahlvorstand gewählt wurde, war zwar rechtlich korrekt vorbereitet, doch die Kundmachung wurde erst kurz vor dem Betriebsurlaub an nur einem Ort in der ganzen Firma angebracht, sodass sie kaum jemand sehen konnte. Wieder zurück vom Urlaub war die Frist zur Einbringung eines eigenen Vorschlags bereits verstrichen.

Da der BR aber nichts von einem zweiten Vorschlag wissen konnte, haben wir uns noch auf eine Änderung einigen können. Zur Betriebsversammlung selbst kamen dann 20 (!) von 111 MitarbeiterInnen, viele davon habe ich noch selbst informiert. Bezeichnend ist hierbei, dass am Tag der BV der Stv. BR mit einigen KollegInnen am Tisch saß. Ich hab sie dann gefragt, ob sie auch zur BV kommen. Keiner wusste auch nur das Geringste davon. Diese Szene spricht wohl nicht gerade für das Demokratieverständnis des BR.

Der Wechsel des BR, den die Kollegen durch ihre Wahl vollziehen können wird nicht nur einer der Personen sein. Doch um dies zu garantieren bracht es mehr als nur gute Forderungen und die Einbindung aller interessierten Kollegen. Wir ArbeiterInnen der Arula können wohl vormachen, wie man kämpft, bleiben wir jedoch isoliert, wird jeder Sieg, jeder Euro mehr, jede Entlastung unserer KollegInnen stets auf der Kippe stehen. Nur wenn wir den Anspruch haben die Arbeiterklasse über unseren Betrieb hinaus zum Kämpfen zu bewegen, nur wenn wir uns in den Kämpfen anderer solidarisch zeigen haben wir eine Chance unsere Errungenschaften dauerhaft ab zu sichern. Nicht nur als Arula MitarbeiterInnen, sondern als Teil der Arbeiterklasse.

Wir werden uns regelmäßig treffen, um zu diskutieren wie wir unseren Kampf mit dem der Internationalen Arbeiterbewegung vereinen können. Gemeinsam für den Sozialismus!


Eine türkische Übersetzung des Artikels findest du hier.


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