In einem monatelangen Arbeitskonflikt erkämpfte die Belegschaft von VW Slovakia eine Lohnerhöhung von 14,12 % und weitere soziale Verbesserungen. Dieser Erfolg markiert eine Trendumkehr in der slowakischen Arbeiterbewegung. Von Emanuel Tomaselli und Tim Horvath.
In einem von Medien als „historisch“ bezeichneten sechstägigen Streik konnten die slowakischen VW-ArbeiterInnen die Mehrzahl der von der Metallergewerkschaft KOVO erhobenen Forderungen umsetzen:
- Eine Lohnerhöhung von 14,12 Prozent in drei Schritten, beginnend mit Juni dieses Jahres bis zum August 2019, plus eine Einmalzahlung von 500 € im Juli dieses Jahres.
- Hinaufrückung aller aktuellen und zukünftigen ArbeiterInnen um eine Lohnstufe
- Zwei zusätzliche Urlaubstage pro Jahr
- Die Krankengeldfortzahlung für die ersten drei Tage des Krankenstandes wird von 25 % des Lohnes auf 40 % des Lohnes erhöht.
- Ausweitung der Arbeitspausen.
- Erhöhung der Pendlerzuschüsse.
Diese sozialen Verbesserungen sind das Resultat eines sechstägigen Streikes, der am Dienstag, dem 20. Juni begann und mit der Frühschicht am darauffolgenden Montag beendet wurde. Der Streik im VW-Werk Bratislava ist der größte Arbeitskampf in der slowakischen Industrie seit 1989. Bisher gab es in der slowakischen Privatindustrie nur kleine Arbeitskämpfe, die meist die Auszahlung von ausstehenden Löhnen zum Ziel hatten. Hier jedoch erhob sich erstmals eine Belegschaft, um kollektiv für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu kämpfen – und dies erfolgreich.
Vor wenigen Jahren noch scheiterte die Organisierung eines Arbeitskampfes im VW-Werk Bratislava. Doch jetzt war die Zeit reif. Die slowakische Autoindustrie boomt, und zahlreiche Konzerne haben in unserem Nachbarland modernste Autofabriken auf grüne Wiesen gestellt. Die Slowakei ist heute das Land mit der höchsten Automobilproduktion pro Kopf weltweit. 44 % der Industrieproduktion des Landes entfallen auf die Autobranche. Neben VW produziert auch PSA Peugeot-Citroen in Trnava und Kia bei Zilina. Es herrscht Facharbeitermangel, ein wichtiger Grund für das steigende Selbstbewusstsein der slowakischen ArbeiterInnen.
Doch höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen stellen sich nicht von selbst ein. Die Slowakei profilierte sich in den vergangen zwei Jahrzehnten als Billiglohnland mit hochqualifizierten, politisch unbewussten und gewerkschaftlich unorganisierten ArbeiterInnen, und dies alles mitten in Europa, nah an den Hauptabsatzmärkten. VW etwa transferierte nach Streiks in seinen spanischen Werken den Bau zahlreicher Automodelle in die Slowakei.
Das VW-Werk in Bratislava steht nur einen Steinwurf hinter der österreichischen Grenze an der March, gegenüber der niederösterreichischen Gemeinde Schloss Hof. Der Nettodurchschnittslohn betrug vor dem Streik unter 1000 € im Monat, für slowakische Verhältnisse ein guter Lohn, über dem Landesdurchschnitt. Mit Zulagen und 13. Monatsbezug kommt man deutlich über 1000 Euro. Damit gehörten die ArbeiterInnen von VW Slowakei auch innerhalb der Autobranche zu den Gutverdienern, in den Werken der Mittel- und Ostslowakei verdienen die KollegInnen noch deutlich weniger.
Nicht nur die Löhne sind niedrig, auch die Arbeitsbedingungen sind hart. Nach dem Fall des Stalinismus 1989 wurde eine wahre Konterrevolution in den Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Die Mehrheit der 12.000 Beschäftigten bei VW Slovakia ist nicht beim Konzern, sondern über Leiharbeitsfirmen beschäftigt. Die Übernahme in die Stammbelegschaft erfolgt nach Gutdünken der Teamleiter, viele ArbeiterInnen sind bereits seit 10 Jahren im Werk ohne Teil der Stammbelegschaft zu sein. „Teamarbeit“ wird in dieser modernen neuen Welt großgeschrieben, die „flachen Hierarchien“ im VW-Werk Bratislava heißen nichts anderes als ein dichtes Netz von niederstem Management, das auf Basis von Kleinstprivilegien die Selbstausbeutung der Belegschaft organisiert. Die Arbeit ist immens verdichtet, Klopausen sind nicht vorgesehen. Allein Arbeiterinnen in der Menstruation bekommen ein rotes Armband, das ihnen das Aufsuchen der Toiletten erlaubt. Für die Einnahme des Mittagsessens bleibt den ArbeiterInnen 23 Minuten. ArbeiterInnen, die bei VW neu beginnen, müssen für das Anlernen einen Kredit von 9.000 € bei der Firma aufnehmen. Dieser wird fällig gestellt wenn sie die Mindestbeschäftigungsdauer von drei Jahren nicht einhalten.
Kein Wunder also, dass streikende ArbeiterInnen kommentierten, dass der Streikposten für sie die erste richtige Teambuilding-Maßnahme sei. Tatsächlich gewann der Streik in seinem Verlauf zunehmend an Kraft. Am ersten Streiktag beteiligten sich 40 % der Belegschaft, diese Zahl wuchs zum Wochenende auf über 90 % an. Es herrschte Ferienstimmung vor dem Werk, es wurde gegrillt, miteinander geredet, skandiert, Streikbrecher zum Niederlegen der Arbeit aufgefordert. Statt 1400 Autos liefen am zweiten Streiktag gezählte 45 Volkswagen vom Band. „Wir geben das Maximum. Gebt ihr das Minimum“ lautete einer der Slogans am Werkstor. Ein anderer: „Respektiert unsere Würde!“
Doch als einfache Bitte vorgetragen wurde dieser Wunsch von Management und Eigentümer jahrelang überhöht. Noch zu Beginn dieses Arbeitskonfliktes im Januar dieses Jahres bot VW eine Lohnerhöhung von 1,2 %. Am Vorabend des Streikes erhöhte Volkswagen das Angebot auf 8,9%, nach sechs Tagen Streik wurden 14,12 % erzielt.
Dies nicht ohne Drohungen, eine Sprecherin des Konzerns kommentierte den Streikbeginn so: „dies ist eine unverantwortliche Maßnahme und stellt die Zukunft des Standortes und die damit verbundenen Arbeitsplätze in Frage.” In Form von Gerüchten wurde diese Angst noch in den Tagen vor dem Streikbeginn auch innerhalb der Belegschaft geschürt.
Doch die Zeit war reif für einen harten Arbeitskampf, und das VW-Management musste schlussendlich klein beigeben. Einfach wird die Drohung des Managements der Produktionsverlagerung nicht umzusetzen sein. Die Gewerkschaft des zum VW-Konzern gehörenden Skoda-Werkes im tschechischen Mladá Boleslav hat angekündigt ebenfalls im kommenden Jahr in den Streik zu treten, wenn ihnen nicht dieselbe Lohnerhöhung wie ihren slowakischen KollegInnen eingeräumt wird. Und in den spanischen VW-Werken herrscht zunehmende Unruhe unter den mit neuen Verträgen eingestellten ArbeiterInnen. Diese KollegInnen verdienen etwa dasselbe wie AutomobilarbeiterInnen in der Slowakei und sind ähnlich ohne Rechte, ein Produkt der Arbeitsmarktreformen im Zuge der Krisenbewältigung des spanischen Kapitalismus.
Der siegreiche VW-Streik bringt neuen Schwung in den Klassenkampf in der Slowakei und im gesamten VW-Konzern. Aktive internationale Solidarität, anstatt sich an unterschiedlichen Standorten nach unten nivellieren zu lassen, ist die beste Waffe zur Verteidigung des Lebensstandards. Gerade die österreichische Gewerkschaftsbewegung hätte hier eine besondere Verantwortung gehabt, die leider nicht wahrgenommen wurde. Auch hierzulande gilt es, klassenkämpferische Methoden wieder anstelle fruchtloser „Sozialpartnerschaft“ zu setzen!