Der internationale Aufruf für die Verstaatlichung von Airbus/EADS hat hohe Wellen geschlagen und eine breite Debatte in der Linken entfacht. Wir dokumentieren eine im Labournet veröffentlichte Kritik von Joachim Hirsch sowie eine Antwort von Hans-Gerd Öfinger (Der Funke Deutschland).

Siehe auch: Aufruf unserer französischen Schwesterströmung La Riposte

Verstaatlichung – wieso und für wen?

von Joachim Hirsch

Französische Gewerkschaftler haben einen internationalen Aufruf verbreitet, der eine Verstaatlichung des Airbus-EADS-Konzerns, seine demokratische Kontrolle und Arbeiterselbstverwaltung fordert. Das klingt nicht schlecht, hat aber einige Haken.

Erst einmal ist das Airbus-Konsortium so rein privat nicht, wie der Aufruf suggeriert. Gegründet wurde es mit erheblicher staatlicher Nachhilfe, weil die europäischen Luftfahrtkonzerne zu kapitalschwach waren, um eine derartige Produktion allein auf die Beine stellen zu können. Zusammengeschlossen sind darin zwar mehrere private Firmen aus Frankreich, Deutschland und Spanien (die British Aerospace ist inzwischen ausgeschieden, um sich wieder ganz dem Rüstungsgeschäft widmen zu können), aber der Airbus ist zugleich einiges der prominentesten Beispiele staatlicher „europäischer“ Industriepolitik, die relativ erfolgreich darauf abgezielt hat, die Monopolstellung des US-Konzerns Boeing auf dem internationalen Flugzeugmarkt zu brechen. Ohne staatliche Protektion und Subvention könnte das Unternehmen bis heute nicht bestehen. Dies gilt im Übrigen auch für den US-Konkurrenten, der maßgeblich von Rüstungsaufträgen profitiert. Der Konzern ist auch insofern politisch gesteuert, als sowohl in der Zusammensetzung der Führungsgremien als auch bei der Lokalisierung der Produktionsstandorte genau darauf geachtet wird, dass vor allem der deutsche und der französische Einfluss penibel austariert bleibt. Dies ist ein höchst konfliktträchtiges Arrangement, weil die französische Regierung alles tut, um ihre Kontrolle über das Unternehmen nicht zu verlieren und darüber gelegentlich auch mit der deutschen ins Gerangel kommt. Dies hat erhebliche wirtschaftliche und organisatorische Folgen, nämlich erhöhte Produktionskosten und technische Koordinationsprobleme, die neben dem üblichen Managementversagen zu den Schwierigkeiten geführt haben, in denen Airbus derzeit steckt. Daher nun der „Plan 8“, der umfangreiche Rationalisierungen, Werksschließungen und Auslagerungen beinhaltet – zu Lasten der Beschäftigten. Insofern passiert bei Airbus allerdings auch nur das, was inzwischen in fast allen Branchen zum kapitalistischen Alltag gehört.

Überhaupt ist die Frage, wie weit unter den Bedingungen eines globalisierten Kapitalismus die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat trägt. Eine strikt „nationale“ Wirtschaftspolitik gibt es nicht mehr, nicht einmal auf europäischer Ebene. Auch staatliche Unternehmen stehen unter den Zwängen des Weltmarkts. Sie befinden sich keinesfalls außerhalb des in der Tat herrschenden „Gesetzes des Dschungels“. Das Prinzip der Gewinnmaximierung gilt auch für sie. Dafür, dass sich staatliche Unternehmen ziemlich gleich wie private verhalten (müssen), gibt es Beispiele genug. Siehe zum Beispiel die Deutsche Bahn, die sich ja bislang auch noch im Staatseigentum befindet. Auch eine Arbeiterselbstverwaltung, hält man dieses Ziel einmal für realistisch, würde diese Zwänge nicht außer Kraft setzen. Möglicherweise würde sie allerdings dazu beitragen, Rationalisierungsmaßnahmen konsensualer und vielleicht etwas sozialverträglicher durchzusetzen – immerhin.

Eine Perspektive hätte das jedoch nur, wenn das Unternehmen dauerhaft und noch nachhaltiger am Tropf der Staatshaushalte hängen bliebe. Nun könnte man das unter dem Gesichtspunkt akzeptieren, dass auf diesem Wege längerfristig Arbeitsplätze gesichert werden. Das Problem ist allerdings, wofür diese Mittel ausgegeben werden, nämlich für die Produktion immer weiterer Klimakiller und von Transportgeräten, die den internationalen Warenaustausch beschleunigen und damit die Voraussetzung für weitere Rationalisierungen und Arbeitsplatzvernichtung anderswo schaffen. Wenn also staatlich subventionierte Produktion, warum nicht für sinnvollere Zwecke? Was bedeutet unter diesen Bedingungen überhaupt die merkwürdige Formulierung „Bedürfnisse und Ziele der Industrie“? Kann denn eine Industrie Ziele und Bedürfnisse haben, oder ist das nicht eher eine Angelegenheit der Menschen? Deren Bedürfnisse stimmen allerdings mit denen der „Industrie“ öfters nicht so richtig überein. Was in dem Aufruf vornehm verschwiegen wird ist die Tatsache, dass Airbus nicht nur eine 80%ige Tochter des Rüstungskonzerns EADS (European Aeronautic, Defence and Space Company) ist, sondern selbst in größerem Umfang Militärflugzeuge herstellt. Rüstungstechnische Unabhängigkeit von den USA war ein wesentlicher Grund für diese Sparte europäischer Industriepolitik. Auch das gehört zu den „Bedürfnisse und Ziele“, die es nach Ansicht der Autoren des Aufrufs zu respektieren gilt – im Interesse der Arbeitnehmer selbstverständlich. So gesehen, ist die Lage der Airbus-ArbeiterInnen wahrlich verzwickt, und man kann es ihnen nicht übel nehmen, wenn sie zwecks Sicherung ihrer materiellen Existenz nach einer Verstaatlichung rufen.

Bei dieser etwas traditionslinken Orientierung wird aber vergessen, dass Verstaatlichung weder Arbeiterselbstverwaltung, noch demokratische Kontrolle bedeutet und schon gar nicht kapitalistische Mechanismen außer Kraft setzt. Eine gewerkschaftliche Politik auf der Höhe der Zeit hätte das zumindest in Rechnung zu stellen. Und es gälte nicht zuletzt zu erwägen, welche Rolle die Verstaatlichungsforderung im Machtpoker zwischen den beteiligten Unternehmen und Staaten spielt. Nun wissen die Gewerkschaftler sicher selbst, dass sich auch in diesem Falle eigentlich wieder einmal die Systemfrage stellt. Und dass sie deren Lösung nicht für ein Nahziel halten, ist auch verständlich. Verstaatlichung ist allerdings kein Ersatz für starke gewerkschaftliche Aktionen, und für diese stehen die Bedingungen gegenwärtig schlecht. Grundsätzlich bliebe aber zumindest im Auge zu behalten, dass der isolierte Kampf um Arbeitsplätze vor allem dann, wenn er mit untauglichen Mitteln geführt wird, die ArbeiterInneninteressen spaltet und zumindest auch dazu tendiert, das System zu stabilisieren, das verbal attackiert wird. Das ist linker Konservatismus.

Übergangsforderungen führen weiter

von Hans-Gerd Öfinger

Ist der Aufruf von Hubert Prévaud für die Verstaatlichung von Airbus/EADS wirklich eine Ausgeburt von „linkem Konservatismus“ und ein „Ersatz für starke gewerkschaftliche Aktionen“ oder gar ein Mittel, das „dazu tendiert, das System zu stabilisieren“? Professor Hirsch vermittelt diesen Eindruck. In Wirklichkeit rennt er mehrfach offene Türen ein und unterstellt Hubert Prévaud platte Aussagen, die so in dem Appell gar nicht gemacht werden. Manche seiner Bemerkungen fördern zudem eher Passivität statt starke Aktionen. Wer Hubert Prévauds Text, der in Frankreich offenbar viel Beachtung gefunden hat, genau liest und wer – wie ich – Hubert Prévaud persönlich kennt, der weiß, dass die Kritik an diesem Aufruf ins Leere greift.

Vorab: ein solcher Appell muss naturgemäß kurz und knapp abgefasst sein und kann auf einer Seite nicht alle Probleme und Übel dieser Welt abarbeiten und lösen. Er kann aber – und das tut er – fortschrittliche Ansätze und Übergangsforderungen aufzeigen, die aus dem aktuellen Dilemma hinaus führen. Insofern ist es auch völlig unangebracht, wenn Joachim Hirsch Hubert Prévaud unterstellt, im Aufruf würden wichtige Tatsachen „verschwiegen“.

Als Airbus-Beschäftigter in Toulouse kennt Hubert Prévaud natürlich auch die Eigentumsverhältnisse im Konzern und die von Hirsch angeführten Fakten. In der Tat gibt es im Konzern eine staatliche Beteiligung und ist Airbus ein gutes Beispiel dafür, wie der bürgerliche Staat dem privaten Kapital auf die Beine hilft und ihm das Risiko abnimmt. Hirsch hat wohl überlesen, dass Hubert Prévaud ausdrücklich die Forderung der französischen Sozialistischen Partei kritisiert, mit dem finanziellen Einstieg von Regionalregierungen betroffener Regionen dem Konzern und damit den privaten Aktionären unter die Arme zu greifen. „Mit staatlichen Geldern soll die Gier der AktionärInnen gestillt werden! Nach dem Motto: Verluste verstaatlichen, Gewinne privatisieren!“, sagt der Aufruf im O-Ton. Das ist Klartext und spricht für sich.

Joachim Hirsch hebt sich wohltuend von vielen anderen, neoliberal angehauchten Professoren ab, wenn er Verständnis für die „wahrlich verzwickte“ Lage der Arbeiter zeigt, denen man es „nicht übel nehmen“ könne, „wenn sie zwecks Sicherung ihrer materiellen Existenz nach einer Verstaatlichung rufen.“ Doch dann folgt der Rückfall in professorale Belehrungen: „Bei dieser etwas traditionslinken Orientierung wird aber vergessen, dass Verstaatlichung weder Arbeiterselbstverwaltung, noch demokratische Kontrolle bedeutet und schon gar nicht kapitalistische Mechanismen außer Kraft setzt.“

Der Aufruf von Hubert Prévaud fordert klipp und klar eine europaweite Enteignung und Verstaatlichung des Konzerns, und explizit keinen Aufkauf durch den bürgerlichen Staat, keine öffentlichen Gelder für die privaten Aktionäre, kein staatskapitalistisches Management, sondern Arbeiterkontrolle und Arbeiterverwaltung. Wenn das nicht klar genug ist!

Wie eine solche Zielsetzung – „Verstaatlichung von Airbus-EADS ohne Entschädigung der AktionärInnen“ (O-Ton Hubert Prévaud) angeblich „dazu tendiert, das System zu stabilisieren, das verbal attackiert wird“ (O-Ton Hirsch), ist schleierhaft und bleibt das Geheimnis von Joachim Hirsch. Aus der Geschichte wissen wir, dass die Kapitalisten in Krisensituationen zu fast allen Zugeständnissen bereit sind und in höchsten Tönen von Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft reden können, solange sie ihr Eigentum behalten können. Wer ihnen an das Eigentum geht, der rührt an ihrem Lebensnerv.

Wohlgemerkt – es geht Hubert Prévaud nicht um das Aufkaufen einiger Konzerne für teures Geld und um den Preis einer hohen Staatsverschuldung, so wie es die erste Regierung Mitterrand in Frankreich 1981/82 oder die chilenische Regierung der Unidad Popular unter Salvador Allende 1970-73 taten. Es geht um die entschädigungslose Enteignung eines bestimmten Teils der Bourgeoisie.

Hirsch wirft die interessante Frage auf, wie weit unter den Bedingungen eines globalisierten Kapitalismus die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat trägt und verweist auf das Beispiel „Deutsche Bahn, die sich ja bislang auch noch im Staatseigentum befindet“. Natürlich propagiert niemand – auch Hubert Prévaud nicht – perfekte sozialistische Inselchen und Idyllen inmitten einer rauen kapitalistischen See. Aber – um das Beispiel der Deutschen Bahn aufzugreifen – es kann engagierten GewerkschafterInnenn und SozialistInnen nicht egal sein, ob ein Konzern wie die Deutsche Bahn noch zu 100 Prozent in Staatshänden ist oder ob Aktienpakete an private Anleger verscherbelt werden und der Konzern nach dem Vorbild von Telekom oder Siemens oder AEG auseinander gerissen und ausgeschlachtet wird oder nicht. Eine Privatisierung der Deutschen Bahn wäre genau so eine Niederlage für die Arbeiterbewegung wie die vielen bereits erfolgten Privatisierungen der letzten 20 Jahre.

Wer heute nicht öffentliches Eigentum als Errungenschaft verteidigt, selbst im bürgerlichen Staat, und wer nicht jeden Schritt in Richtung Privatisierung abwehrt und sich gleichzeitig für Arbeiterkontrolle und Arbeiterverwaltung in Staatsbetrieben einsetzt, der wird sich auch morgen kaum dazu aufraffen, weitergehende Sozialisierungsschritte anzugehen und durchzusetzen. Bei aller Kritik an dem bürgerlichen und bürokratischen Management in den noch bestehenden Staatsbetrieben gilt: eine Privatisierung selbst im heutigen Kapitalismus ist im historischen Sinne ein Rückschritt und kein Schritt zur Seite. Abhängig Beschäftigte finden selbst im heutigen globalisierten Kapitalismus in einem öffentlichen Betrieb normalerweise noch bessere Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen vor als hinterher in privatisierten Betrieben. In aller Regel zahlt die Allgemeinheit – also überwiegend die abhängig Beschäftigten als Steuerzahler – bei Privatisierungen drauf.

„Eine strikt 'nationale' Wirtschaftspolitik gibt es nicht mehr (...) Auch staatliche Unternehmen stehen unter den Zwängen des Weltmarkts.(...) Das Prinzip der Gewinnmaximierung gilt auch für sie“, wendet Joachim Hirsch ein. Diese Aussagen sind richtig und falsch zugleich. Denn die alltägliche Praxis zeigt, dass einzelne Staaten oder auch Kommunen durch politische Entschlossenheit durchaus noch den grenzenlosen Liberalisierungs- und Privatisierungsorgien einen Riegel vorschieben können. Es gibt – außer den Renditeinteressen weniger Investoren – keinen vernünftigen Grund oder unausausweichlichen Sachzwang, um etwa die Deutsche Bahn in private Hände zu legen. Es gibt keinen Zwang für den Eigentümer Bund, solche Unternehmen nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung zu führen. Die Politik hätte es in der Hand, mit staatlichen Verkehrsunternehmen Mobilität im Sinne der Masse der Bevölkerung zu gewährleisten und der Klimakatastrophe entgegen zu wirken. Es macht einen Unterschied, ob die Deutsche Bahn Rendite für die Taschen privater private AktionärInnen erzeugen muss oder ob sie eventuelle Überschüsse wieder voll in den Betrieb investieren kann.

„Auch eine Arbeiterselbstverwaltung (...) würde diese Zwänge nicht außer Kraft setzen. Möglicherweise würde sie allerdings dazu beitragen, Rationalisierungsmaßnahmen konsensualer und vielleicht etwas sozialverträglicher durchzusetzen – immerhin“, wendet Joachim Hirsch ein. Eine solche Aussage verkennt, was für eine Dynamik in Gang gesetzt werden könnte, sobald einmal ein so wichtiger Betrieb unter Arbeiterselbstverwaltung steht. Belegschaften besetzter und selbst verwalteter Betriebe machen immer wieder die Erfahrung, dass sie ohne Bevormundung durch Renditezwänge, abgehobenes Management und externe Beraterinstitute besser, stressfreier und motivierter arbeiten können. Solche Erfahrungen wecken auch Kreativität und Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse, die ansonsten unmündig gehalten und nur als Kostenfaktor betrachtet wird. Linke sollten jeden Ansatz in diese Richtung anstoßen, weiter treiben und bekannt machen und nicht von vornherein alles in Frage stellen und ein „unausweichliches“ Scheitern an die Wand malen. „Ein Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend guter Programme“, erklärte Marx in seiner Kritik zum Gothaer Programm 1875.

„Eine Perspektive hätte das jedoch nur, wenn das Unternehmen dauerhaft und noch nachhaltiger am Tropf der Staatshaushalte hängen bliebe“, gibt Joachim Hirsch zu bedenken. Wir raten zur Vorsicht mit abfälligen Bemerkungen wie „am Tropf der Staatshaushalte“, weil solche Begriffe heutzutage auch von Neoliberalen verwendet werden, um „weniger Staat“ und „Subventionsabbau“ zu fordern und nebenbei auch die Belegschaften öffentlicher und privater Betriebe gegeneinander auszuspielen. In Wirklichkeit lassen sich private Konzerne heutzutage – quer durch die Bank – gerne und ohne Skrupel über 1001 Kanäle vom Staat auf allen Ebenen subventionieren und ihre Risiken absichern – etwa durch Investitionszuschüsse, Ausfallbürgschaften, kostengünstige Erschließung von Bauland, Lohnzuschüsse, Forschungsgelder, Steuersenkungen und Vergünstigungen aller Art. Auch der bewusste Verzicht auf die Einstellung von ausreichend FinanzbeamtInnen zur regelmäßigen Kontrolle der Firmen ist eine gezielte Förderung von Steuerhinterziehung durch weite Teile der Privatwirtschaft. Während alle Welt heute über staatliche Zuschüsse für den Schienenverkehr und ÖPNV insgesamt redet, taucht das gesamtgesellschaftliche Defizit in dreistelliger Milliardenhöhe, das der Straßenverkehr alljährlich bundesweit verursacht, in keiner öffentlichen Bilanz und in keinem statistischen Jahresbericht auf.

Wie stehen SozialistInnen zur Frage einer Teil-Verstaatlichung im Kapitalismus und im bürgerlichen Staat? Schon bei Marx und Engels finden wir in dieser Hinsicht interessante Anmerkungen. So forderte der Bund der Kommunisten Anfang 1848 die Übernahme sämtlicher Transportmittel (Eisenbahnen, Kanäle, Dampfschiffe, Wege, Posten) durch den Staat und die Schaffung einer einheitlichen Staatsbank. (MEW 5, Seite 4)

In einem Brief an Wilhelm Brake erklärte Engels 1878, „dass alle Übertragung industrieller und kommerzieller Funktionen an den Staat heutzutage einen doppelten Sinn und doppelte Wirkung haben kann, je nach Umständen: einen reaktionären (…) und einen progressiven, einen Fortschritt zum Kommunismus.“ (MEW 34, Seite 328). Aus heutiger Sicht lässt sich hierzu sagen: In einem Zeitalter, in dem die herrschende Klasse und Besitzende riesiger Kapitalvermögen so auf die Privatisierung staatlicher Betriebe und deren Ausschlachtung versessen sind und der bürgerliche Staat sein Eigentum für wenig Geld hergibt, hat schon die Verteidigung und Ausweitung des staatlichen Sektors eine fortschrittliche und revolutionäre Stoßrichtung, vor allem dann, wenn sie mit der Forderung nach Arbeiterkontrolle und Arbeiterverwaltung verbunden ist.

1880 erklärte Engels: „Das Staatseigentum an Produktionsmitteln ist nicht die Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung.“ (Aus: „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“, MEW 19, S. 222)

Der Kampf gegen eine Privatisierung und der Kampf für eine Wiederverstaatlichung bereits privatisierter Betriebe (wie Post, Telekom, Wasserwerk, Stadtwerke, Verkehrsbetriebe) könnte so zum Ausgangspunkt einer breiteren antikapitalistischen Bewegung werden. Die Stimmung ist diesbezüglich heute wesentlich privatisierungskritischer als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Auch der Kampf um die Enteignung einzelner ins Blickfeld geratener Betriebe, Konzerne und Branchen kann durchaus Sinn machen und das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer sozialisierten, demokratischen, geplanten Wirtschaftsordnung schärfen. Wann, wenn nicht jetzt sollen wir diese Forderungen aufstellen und für diese Forderungen werben, auch wenn wir dafür heute und nächstes Jahr noch keine Mehrheit bekommen werden?

Auch mit dem Hinweis auf staatlich subventionierte „Klimakiller“ und auf „Transportgeräte, die den internationalen Warenaustausch beschleunigen und damit die Voraussetzung für weitere Rationalisierungen und Arbeitsplatzvernichtung anderswo schaffen“, rennt Joachim Hirsch bei uns jedenfalls offene Türen ein. Dass hoch entwickelte Rüstungsbetriebe und Hi-Tech-Unternehmen der Luftfahrt auch auf gesellschaftlich und ökologisch sinnvollere Produkte umgerüstet werden können, steht außer Frage. Dies hat das bekannte Beispiel des britischen Rüstungshersteller Lucas Aerospace vor fast 30 Jahren deutlich gemacht. Es zeigt aber auch, dass eine ungehemmte alternative Planung und Produktion nur dann möglich ist, wenn die Betriebe den kapitalistischen Eigentümern entzogen und unter Arbeiterkontrolle gestellt werden. Auch mit der Aussage „Verstaatlichung ist allerdings kein Ersatz für starke gewerkschaftliche Aktionen“ rennt Joachim Hirsch offene Türen ein. Hubert Prévauds Appell ist kein Versuch von Gewerkschaftsapparaten, die Belegschaft mit Verstaatlichungsforderungen ruhig zu stellen, sondern der Versuch, den realen Kämpfen und dem Widerstand der Belegschaft eine klare Perspektive zu verleihen. Inwiefern hier der angeblich „isolierte Kampf um Arbeitsplätze (…) mit untauglichen Mitteln geführt wird“ und „die ArbeiterInneninteressen spaltet“, wird aus dem Papier von Joachim Hirsch ebenso wenig ersichtlich wie seine konkreten Alternativen.

Die Kritik von Joachim Hirsch widerspiegelt teilweise sicher auch die berechtigte Enttäuschung von Altlinken über Gewerkschafts- oder Parteiapparate, die in den letzten 40 Jahren viele Belegschaften mit radikal klingenden Phrasen abgespeist und am Ende dann doch Belegschaftskämpfe vorzeitig abgewürgt haben. Doch Frust ist ein schlechter Ratgeber. Marxistisch inspirierte Wissenschaftler wie Joachim Hirsch können mir ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten der Arbeiterbewegung durchaus einen Dienst erweisen und sie bereichern. Dazu ist es allerdings auch wichtig, dass sie nicht nur vom wissenschaftlichen Elfenbeinturm herunter dozieren, sondern von den realen Kämpfen und alltäglichen Erfahrungen der Klasse lernen und mithelfen, konkrete und nachvollziehbare Ziele zu formulieren. Hierzu gehört in der heutigen Zeit zweifellos die Eigentumsfrage, die sich in konkreten Konflikten ganz konkret stellt. Kritisch engagierte Kräfte aus der Wissenschaft und andere Intellektuelle sollten dazu beitragen, solche fortschrittlichen Zielsetzungen zu formulieren und das politische Niveau der arbeitenden Klasse anzuheben und ihr zu helfen, damit sie das Selbstvertrauen in ihre eigene Stärke und Fähigkeit entwickelt, an Stelle der KapitalistInnen Wirtschaft und Gesellschaft selbst und kollektiv zu leiten. Hirsch kritisiert Verstaatlichungsforderungen, deutet aber nirgendwo an, welche Forderungen er für angebracht hält, um dem Widerstand der betroffenen Belegschaften und der vorhandenen Kampfbereitschaft eine Perspektive zu verleihen. Linke WissenschaftlerInnen sollten sich davor hüten, fortschrittliche Forderungen so lange zu problematisieren und zu zerreden, bis nichts mehr davon übrig bleibt und eine deprimierte und im Stich gelassene Arbeiterklasse vor den „Sachzwängen“ kapituliert.


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