Arbeiten bis zum Umfallen ist keine Ausnahme mehr, auch nicht in der Metallindustrie. Jodok Schwarzmann berichtet aus Kennelbach.

 

Faurecia gehört zu den zehn größten Automobilzulieferern weltweit. 110.000 ArbeiterInnen schuften in 300 Fabriken in 35 Ländern für den Profit der Eigentümer und Manager. Ein Standort liegt in Kennelbach in Vorarlberg. Seit Jahren erreichen uns aus diesem Werk immer wieder Schilderungen katastrophalster, krankmachender Arbeitsbedingungen.

Das französische Unternehmen gehört mehrheitlich dem Autokonzern PSA Peugeot Citroën. Faurecia ist seit über zwei Jahrzehnten auf einem rücksichtslosen Expansionskurs. Ständig werden neue Firmen und Konzerne zugekauft und ausgeschlachtet. Die einzelnen Standorte werden gegeneinander ausgespielt. Unter brutalsten Arbeitsbedingungen wird modernste Technologie produziert, der Konzern behauptet von sich führender Anbieter von „Clean Mobility“ zu sein. Der Jahresumsatz lag 2017 bei 22,2 Mrd. €.

Ausbeuter-Konzern am Bodensee

Im Bodenseeraum existierten bis vor kurzem zwei Werke von Faurecia: in Lindau (Deutschland) und im 20km entfernten Kennelbach. Noch kurz nach 2010 beschäftigte Faurecia hier etliche Menschen. Innerhalb weniger Jahre erlebten die ArbeiterInnen beider Standorte allerdings in mehreren Schüben die Vernichtung hunderter Arbeitsplätze.

In einer ersten Rationalisierungswelle 2013 – Funke-AktivistInnen der SJ Vorarlberg intervenierten damals in und außerhalb der Fabrik in einem heftigen Arbeitskampf – wurden von den 450 Arbeitsplätzen in Kennelbach ca. 130 nach Lindau verlegt, ein weiterer Teil des Werks landete in Polen, zahlreiche Stellen wurden abgebaut. Das Kennelbacher Werk war damals aufgrund der von uns veröffentlichten arbeitsrechtlichen Skandale in aller Munde, dümpelte aber bald nach der breit angelegten Stellenstreichung als unterbesetztes „Fabrik-Geisterschiff“ mit nur einer Abteilung mehrere Jahre vor sich hin, der Medienrummel verstummte.

Für einige Zeit setzte der Konzern auf den Ausbau des Lindauer Werks. Die nächste Kürzungswelle ließ allerdings nicht lange auf sich warten, diesmal in umgekehrter Richtung: ab 2017 demontierte Faurecia sukzessive sein Werk in Lindau, seit Anfang 2019 ist es Geschichte. 160 der 350 Lindauer Arbeitsplätze plus die Forschungsabteilung wurden nach Kennelbach rückverlagert. Damit lag im März 2019 der Mitarbeiterstand in Kennelbach (und somit im gesamten Bodenseeraum) bei etwa 240 ArbeiterInnen.

Gratis-PR-Abteilung: der Vorarlberger Medienkonzern

In den Regionalmedien lief diese zweite Stellenvernichtungsaktion unter dem Schlagwort „Aufwertung von Kennelbach“, mit Betonung der Übernahme von „Forschung und Entwicklung“ nach Vorarlberg. Ein typischer Fall von bürgerlichem Wirtschaftsjournalismus: der Russ-Konzern übernimmt unverändert die PR-Aussendungen eines regionalen Arbeitgebers. Die zehn Jahre hinweg abgewickelte, strategische Arbeitsplatzvernichtung in der Region wird zur „Aufwertung“ und „Modernisierung“ eines Werks hochgejubelt.

Die Stimmung im Betrieb ist dabei alles andere als gut. ArbeiterInnen berichten uns von einer Häufung dubioser und unbegründeter Kündigungen (auch langjähriger MitarbeiterInnen). Viele Beschäftigte glauben, dass die neuen Arbeitsstellen in Kennelbach nur kurz zwischengeparkt werden, Gerüchte über eine Betriebsschließung machen bereits wieder die Runde. Diese sind begründet, die ArbeiterInnen in Kennelbach haben schließlich schon viele Erfahrungen gesammelt, insbesondere jene, dass der Faurecia-Arbeiter fürs Management nur ein Kostenfaktor ist.

Arbeitsbedingungen machen krank

Während das profit-strategisch zentral geplante Einstampfen und Hochziehen von Faurecia Fabriken medial zur „Aufwertung“ eines Werks verkommt, schweigt die Presse gänzlich zu den Arbeitsbedingungen bei Faurecia.
Die Zustände vor Ort sind seit eh und je haarsträubend. 2013 wehrte sich die Belegschaft gegen Repressionen bei der Gründung eines Betriebsrats, ein vollkommen aus dem Ruder gelaufenes Leasing-Regime (mit Leasing-Büros direkt im Firmengebäude) und gegen absolut bizarre Kontroll-Auswüchse wie einem mit Hunden durch die Hallen patrouillierenden Werkschutz (siehe Faurecia Angell-Demmel: ‚Moderne Sklaverei‘). Nachdem wir diese Zustände ans Licht der Öffentlichkeit zerrten, zeigte sich die Arbeiterkammer damals „schockiert“. Aber die zeitweise Empörung, die einmalige Gewerkschaftspräsenz vor Ort und das temporäre Durchbrechen der PR-Propaganda in den Regionalmedien waren nur kleine Sandkörner im Profitgetriebe des Konzerns. Was es gebraucht hätte, wäre der feste Zusammenschluss der bewusstesten und kämpferischsten KollegInnen im Betrieb. Dies verhinderte die Geschäftsleitung 2013 durch die Kündigung des „Rädelsführers“ und aller „Verdächtigen“.

So ist die Situation in Kennelbach heute ebenso skandalös wie vor sechs Jahren, obwohl die Forderung nach einem Betriebsrat in der Zwischenzeit verwirklicht wurde. Aber was ist ein Gremium wert, das keinerlei Kraft hat sich gegen das Management aufzulehnen? Die Realität im Betrieb sieht so aus:

  • Auszahlungsrückstände von über einem Jahr bei den Wochenend- und Überstundenzuschlägen, die einen Anteil von 30-40% des Gesamtlohns ausmachen (bedingt durch permanent und ungefragt angeordnete Überstunden).
  • Die große Verschubmasse an leicht kündbaren Leasingkräften existiert weiterhin. Die Mehrheit der ArbeiterInnen sind überausgebeutete MigrantInnen die kaum über ihre Rechte Bescheid wissen.
  • Die Luftverhältnisse machen krank. Arbeitszeitbeschränkungen für Einsatzorte mit besonders hoher chemischer Belastung werden ignoriert.
  • Den Werkschutz gibt’s mittlerweile ohne Hunde, stattdessen mit viel moderner Überwachungstechnik: angeblich existieren seit Kurzem überall Kameras, auch in der Produktion.

 

„Einzelfälle“...

...verdeutlichen besonders gut die Härte des Unternehmens gegen die Beschäftigten. Ein Schichtleiter Mitte 40, mehrfacher Familienvater, der dem Unternehmen über Jahre hinweg durch Dauereinsätze (an die 50 Wochenenddienste im Jahr) Extraprofite schöpfte, wurde Ende letzten Jahres aufgrund vergessenen Ausstempelns nach Schichtende von einer Kontrolle angehalten. Alle dabei Anwesenden wurden in die Büroetage zitiert und (in Anwesenheit der Betriebsrätin!) zur Gegenzeichnung einer schriftlichen Verwarnung genötigt. Der Kollege, der bis dahin sich wie ein Uhrwerk dem Betrieb verschrieben hatte, verweigerte dies und verließ aus Protest den Raum.

In der darauffolgenden Schicht erlitt selbiger Arbeiter aufgrund körperlicher und psychischer Überbelastung einen Herzinfarkt. Es folgten Herz-OP und das Legen von Stents, anschließend Reha. Die üblicherweise nach Ablauf der mehrwöchigen Reha erfolgende Wiederaufnahme in den Betrieb ließ in diesem Fall mehrere Monate auf sich warten, unter ausdrücklicher Beschwichtigung der Betriebsrätin bezüglich der Sorge des Betroffenen um seinen Arbeitsplatz. Im Mai des Jahres – nach mehrmonatigem Krankenstand trotz abgeschlossener Reha – wurde der Arbeiter schließlich gekündigt.

Gegen den Niedergang in Permanenz – gewerkschaftliche Gegenmacht aufbauen!

Faurecia ist ein Ausbeuterbetrieb, wie er im Buche steht. Aber er ist nicht die Ausnahme, sondern Ausdruck einer immer desaströsen Betriebsnormalität. Stetiger Rationalisierungsdruck, Arbeit bis zum Umfallen, all das ist Standard in unseren Werkhallen.

Wir brauchen geduldige, mutige und zähe KollegInnen, die in den Hallen und Büros einen Gegenpol zur Ausbeutermaschinerie bilden. Profit wird nur durch unsere Hände und Hirn geschaffen, und die Geschäftsleitungen haben keine Hemmung uns auszupressen und dann wegzuwerfen.

In der Vergangenheit konnte sich die Arbeiterbewegung einiges erkämpfen. Arbeitsschutzgesetze, demokratische Rechte wie Betriebsräte und die überbetriebliche Solidarität von Gewerkschaften. Alles dies wird heute politisch in Frage gestellt, und in der Praxis werden einmal erreichte Standards permanent unterlaufen.

Daher, die Mutigen voran! Gegen Ausbeutung, für Menschenwürde und Arbeit, die uns nicht kaputt macht.


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