Oder: Was sagt einem der „Hausverstand“ bei Schimmel im Fundament und Feuer am Dach?
Ein Vorarlberger Bauarbeiter redete sich die Wut aus dem Bauch und erhielt im Netz Zustimmung und Bestätigung von tausenden von Menschen. Jodok Schwarzmann zu Ereignissen und Hintergründen.
„So, kurzes Statement hier“ – so beginnt die Ansage eines wütenden Bregenzerwälder Bauarbeiters, der sich Anfang November kurzentschlossen sein Handy schnappt, um mitten auf der Baustelle in einem knapp zweiminütigen Video schonungslos die unhaltbaren Zustände am Bau anzuklagen. Die Aufnahme stellt er auf Facebook, innerhalb einer Woche wird sie von 17.000 Leuten gesehen, bevor er sie wieder vom Netz nimmt.
Die Situation am Bau
Was bringt einen einzelnen Arbeiter dazu, vollkommen offen und schonungslos mit der eigenen Branche abzurechnen? Den Ausschlag zum Video gibt eine Anordnung des Bauleiters, bei der sich auch jedem Bau-Laien der Magen umdrehen muss: trotz Feuchtwetterlage und komplett unvollständiger Trocknung des Rohbaus wird bereits Gipskarton („Rigips“) verbaut. Eine tickende Zeitbombe für Schimmel im Gebäude.
Im Video wird dann der Grund für die hirnrissige Anordnung erklärt: ein krankhafter und allgemein verbreiteter Termindruck, der jeder Vernunft am Bau den Garaus macht. „Heute ist es doch nur noch schnell, schnell, und Hauptsache noch schneller, und noch mehr, in noch kürzerer Zeit“, „Hauptsache Rigipsen, und Hauptsache weiter! Koste es was es wolle“. Schließlich folgt eine wahre Tirade zu den skandalösen Arbeitsbedingungen: man wird behandelt „wie ein Nümmerchen, wie ein Stück Scheiße im Prinzip“, und jedem Stück Vieh werde von seinem Bauern eine bessere Behandlung zuteil als heute den Bauarbeitern.
Zeitdruck führt zu Pfusch am Bau. Bild: freie Nutzung.
Das Video wurde stark frequentiert, aber wie gesagt bald vom Netz genommen. Es folgte ein einschlägiger Artikel auf vol.at. Darin enthalten ist eine Umfrage, in der von mehreren tausend Teilnehmern 75% die Schilderungen des Bauarbeiters vollauf bestätigen. Zusammen mit den Aussagen mehrerer Bauarbeiter aus unserem Umfeld lässt sich ein groteskes Bild über die Arbeitsrealität am Bau zeichnen.
„Ich weiß nicht, ist mein Hausverstand komplett im Keller?“
Es gibt ein vorherrschendes Element auf unseren Baustellen: Zeitdruck! Vor allem bei Großbauten herrscht bei nach wie vor guter Auftragslage schärfste Konkurrenz, und die irrationalen Kalkulationen führen zu bizarren Zuständen; ein Physiker müsste wohl sagen: zu einer Verzerrung der Raumzeit! Räumlich nämlich verschwimmen oft Baustelle und fertiger Bau miteinander: gerade im Industriebau wird bei Werkserweiterungen in noch unfertigen Hallen bereits auf Hochtouren produziert, während nebenan schon die nächste Erweiterung stattfindet. Gebuckelt wird mitunter direkt zwischen dem Werkverkehr, der aufgrund der räumlichen Enge durch die Baustelle geschleust werden muss.
Zeitlich fußen solche Verhältnisse auf schier unmöglichen Terminvorgaben. Die Baupreise in Vorarlberg sind exorbitant hoch: Baugrund ist knapp (auch aus politischen Gründen, da hier die Erben und Agrargemeinschaften viel Geld machen) und sehr teuer, die Firmen verlangen für ihre Bauleistungen extreme Preise. Mieter ächzen, Häuslebauer bleiben hier auf der Strecke. Investoren und Baufirmen drängen auf schnellen Baufortschritt: die einen, weil die Preise steigen und sie am Markt weiter wachsen wollen, die anderen, weil die hohen Investitionskosten in neue Gebäude schnell Rendite abwerfen sollen.
Was heißt das für die Bauqualität? Immer mehr Verträge, bei denen mögliche schwere Baumängel einfach in den Vertrag eingebaut werden. Schimmel, Risse – solche Dinge häufen sich auch drastisch bei Einfamilienbauten. Und gerade kürzlich erschütterte ein Statikfehler im Vorarlberger Fontanella das Image der regionalen Baubranche. Interessantes Detail hier: der Bauführer kämpfte erfolglos für eine Nachberechnung der Statik. Der Bauherr, ein lokaler Großhotelier, ignorierte die Warnungen der Arbeiter und muss sein Hotel jetzt wieder abreißen lassen.
Und für die Arbeitsbedingungen? Die Gewerke müssen möglichst in „Nullzeit“ hingeklotzt werden, die Arbeitskraft ist knapp, überall fehlen Leute – und am Ende gehen Wochenende, Wetterschicht und Feiertage drauf. Um die Kollegen nicht hängen zu lassen, ist auch am Bau krank arbeiten absolute Normalität.
Zwölf Stunden und die Gewerkschaft
Aufgrund der guten Auftragslage kann die Gewerkschaft Bau-Holz die Lohnabschlüsse der Metaller-Branche in etwa halten, ohne dafür wirklich mobilisieren zu müssen. Überstundenzuschläge gibt es in dieser Branche seit Jahren kaum mehr, da der Durchrechnungszeitraum dafür bei meist einem Jahr liegt. Die Kollegen vom Bau wissen am besten, dass Miete und Kredit jeden „Lohnzuwachs“ wegfressen. Und der allgemeine Niedergang der Arbeitsbedingungen macht am wenigsten vor dem Bau halt: Gerade in der Branche der Unfall- und Invalidenrekorde hat die Einführung des Zwölfstundentages desaströse Auswirkungen. Kein Wunder, dass Kollegen vor der Einführung des Gesetzes von einer 99%igen Streikbereitschaft gegen den 12h-Tag berichteten. Die Gewerkschaftsführung hat diese Stimmung aber weder im Kampf gegen den 12h-Tag, und noch viel weniger in den darauffolgenden KV-Verhandlungen („Wir holen uns im Herbst alles zurück!“) in eine schlagkräftige Mobilisierung umgemünzt.
Bild: Der 12-Stundentag ist für die Bau-Branche besonders hart.
Friday for Workers
Insgesamt scheint einiges an Vertrauen der Basis gegenüber der Gewerkschaftsführung vorzuherrschen. Die eigentlichen Vorstellungen zum richtigen Kurs der Gewerkschaft sprechen allerdings eine deutliche Sprache: 99% Streikbereitschaft ist kein Pappenstiel, und daraus wurde nichts gemacht. Und vor allem das Schlussplädoyer des Bregenzerwälder Kollegen spricht wohl den meisten Bauarbeitern aus der Seele:
„Im Prinzip sollte man Friday for Workers machen, und am Freitag sollten alle Bauarbeiter, alle sollten mal auf die Straße gehen, und auch mal streiken, und sagen: so nicht!“
Es lässt sich kaum leugnen: auch die aktuelle gewerkschaftliche Kultur ist eine Baustelle, und zwar eine, die im Wasser steht.
„Unser Haus brennt!“
Das Video des Bregenzerwälder Kollegen zeigt auf, wie sich die Realität darstellt, wenn Arbeiter einmal selbst zu Wort kommen. Das Interesse und die Zustimmung zu seinen Aussagen sprechen Bände über die allgemeine Lage auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Und die Schilderung, wie Häuser aufgrund der grotesken Vorgaben am Bau den Schimmel geradezu „eingebaut“ bekommen, könnte kaum ein besseres Bild für die „Fäulnis“ des heutigen Kapitalismus liefern.
Wir erleben aktuell überall auf der Welt massive Aufstände gegen dieses bankrotte System. Wir erleben eine globale Streikbewegung der Jugend gegen den ökologischen Kollaps, eingeleitet von Greta Thunberg mit dem Weckruf: „Unser Haus brennt!“
Und im ansonsten so beschaulichen Bregenzerwald bekommt ein Bauarbeiter nicht übel Lust, sich von den Kampfmethoden derselben Jugendbewegung etwas abzuschauen und ruft zu Fridays for Workers gegen die alltägliche Schinderei auf. Wir sollten solche Statements zum Anlass nehmen, all diese Kämpfe zusammenzuführen, das schimmelnde Fundament und das brennende Dach des Kapitalismus niederzureißen, und eine Gesellschaft der arbeitenden Menschen zu verwirklichen.
(Funke Nr. 179/11.12.2019)