„Ich möchte Ihnen ans Herz legen, das Patientenwohl immer als höchste Priorität zu betrachten, wenn Sie gedenken, in dieser Branche zu bleiben.” Mit diesen zynischen Worten schickt der Geschäftsführer der ehemaligen Rentschler Fill Solutions GmbH 45 MitarbeiterInnen in die Arbeitslosigkeit. Von Sonja Kopf.
Wegen angeblicher Qualitätsmängel wird der Standort Rankweil, Vorarlberg, geschlossen, der Betrieb sofort eingestellt und Insolvenz angemeldet. Das Management übernimmt keinerlei Verantwortung und wälzt alles auf die „drittklassige Arbeit“, die die MitarbeiterInnen geleistet haben sollen, ab.
Die Firma, eng verbandelt mit dem stolzen Familienunternehmen Rentschler Biopharma in Deutschland, nahm 2017 als Startup den Betrieb auf. Die Infrastruktur samt dem Gebäude wurde von der Regös AG, ebenfalls im Besitz der Familie Rentschler, errichtet und an die Rentschler Fill Solutions GmbH vermietet.
Rentschler Fill Solutions wurde in den vergangenen Jahren von der Landespolitik als gelungenes Beispiel für eine Ansiedelung hochgelobt, bezog Wirtschaftsförderungen des Landes im Wert von 75.000 Euro und war medial-politisch bestens vernetzt.
Was übrig bleibt, sind ein Schuldenberg von über 28 Millionen Euro und zuletzt 45 MitarbeiterInnen, die ohne jegliche Sicherheit von heute auf morgen kurz vor Weihnachten (und vor der Auszahlung des Weihnachtsgeldes) auf die Straße gesetzt worden sind.
Instabilität und Arbeitsdruck
Es ist ein angekündigter Tod auf Raten. Etwa 70 MitarbeiterInnen gaben über die letzten drei Jahre hinweg ihr Möglichstes, einen stabilen Betrieb aufzubauen. Eingestellt wurden von vornherein kaum KollegInnen mit Erfahrung in der Pharmabranche, sondern nur verhältnismäßig billige Uni-AbgängerInnen.
Einarbeitungsphasen gab es keine, dafür volle Verantwortung für Projekte mit KundInnen und Aufgaben weit außerhalb des eigenen Kompetenzbereiches. Auch das Management und die Personalabteilung waren nicht vom Fach. So stimmten Stellenbeschreibungen mit dem tatsächlichen Betätigungsfeld selten überein, die Prozessabläufe waren unstrukturiert, eine tatsächliche Leitung der Arbeitsprozesse gab es schlicht nicht.
Das Personal wechselt besonders in den höheren Ebenen ständig – eine ehemalige Mitarbeiterin der Qualitätssicherung hatte innerhalb eines einzigen Jahres neun verschiedene Führungskräfte über sich.
Die Produktion – die Abfüllung von Medikamenten – findet im Reinraum statt. Ein solcher Raum darf nur in spezieller Bekleidung – einem Ganzkörperanzug – unter dauernder Belüftung betreten werden. Trotz voller Produktionsauslastung gab es im gesamten Unternehmen nur drei MitarbeiterInnen, die für diese Aufgabe qualifiziert und mangels Reinigungspersonal auch für die Reinigung zuständig waren. Um die Qualität des Wirkstoffes zu gewährleisten, kann eine Abfüllung, wenn sie erst einmal begonnen worden ist, nicht wieder unterbrochen werden.
So waren 12- oder gar 16-Stunden-Tage mit kaum planbaren Arbeitszeiten für diese MitarbeiterInnen keine Ausnahme, sondern die Regel. Die Folgen waren gesundheitliche Probleme wie Rückenschmerzen, Schwindel, Kopfschmerzen und Schlafprobleme. Der Arbeitsdruck, der durch den Personalmangel und die generell herrschende Instabilität ohnehin schon hoch genug war, wurde weiter verstärkt durch psychischen und emotionalen Druck, der bewusst auf die MitarbeiterInnen ausgeübt wurde. Schamlos wurde die Verantwortung für die Patientenversorgung auf die MitarbeiterInnen abgewälzt. So nutzte man deren Motivation und Verantwortungsgefühl aus. Mehrere ehemalige MitarbeiterInnen berichten von täglichen Nervenzusammenbrüchen am Arbeitsplatz: „Jeden Tag hat jemand anderer geweint.“
Entlassungswelle und Niedergang
Im Sommer 2019 herrscht im Betrieb eine gewisse Erleichterung, nachdem die Inspektion der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) erfolgreich verlief und eine unlimitierte Herstellungserlaubnis erteilt wurde. Die Erleichterung wird aber von einem Gefühl der Unsicherheit abgelöst, als ein Mitarbeiter im Kopierer eine Liste findet, aus der hervorgeht, dass am Standort etwa 30 MitarbeiterInnen entlassen werden sollen.
Als sich am 8. August dann verschiedene Top-Manager aus Laupheim in Rankweil einfinden, werden etwa 20 MitarbeiterInnen in die Kantine gebracht, alle anderen in einen separaten Raum. Während alle KollegInnen in der Kantine sofort entlassen und vom Gelände gebracht werden, werden die übrigen MitarbeiterInnen hingehalten und erfahren erst nach energischem Nachfragen, was eigentlich geschieht. Zwar verspricht man ihnen Bleibeprämien, aber sie müssen unter noch höherem Druck und in der ständigen Angst, womöglich als Nächste entlassen zu werden, weiterarbeiten. „Jederzeit könnte die nächste Bombe platzen”, beschrieben ehemalige MitarbeiterInnen die Situation.
Die nächste Bombe platzte dann tatsächlich im vergangenen November. Die Rentschler Fill Solutions GmbH wird umfirmiert und heißt ab sofort Impletio GmbH. Der Geschäftsführer wird ausgewechselt. Über all das werden die MitarbeiterInnen aber erst im Nachhinein informiert, als bei einer Betriebsversammlung am 28. November die Insolvenz verkündet wird. Noch am Tag der Stilllegung dementiert Rentschler Biopharma in Laupheim Verbindungen zur Impletio GmbH: „Wir haben mit der Firma nichts zu tun und unterhalten auch keine Geschäftsbeziehungen.“
Die MitarbeiterInnen werden vom Anwalt der Familie Rentschler beschwichtigt: Es werde schnell eine Lösung gefunden, das Gehalt bis März weiter bezahlt und in wenigen Tagen alles geregelt sein. Die Ernüchterung folgte dann bei einer weiteren Betriebsversammlung Anfang Dezember, bei der die MitarbeiterInnen gedrängt wurden, die vorbereiteten Ausstiegsverträge schnell zu unterschreiben. Alle wichtigen Fragen, vor allem, wie es für sie finanziell weitergehe, blieben offen. Die MitarbeiterInnen wurden – mit der Drohung, dass es Konsequenzen geben werde, wenn man sich an die Presse wende – im Regen stehen gelassen.
Verschleißware ArbeiterIn
Währenddessen distanziert sich die Familie Rentschler durch die Umbenennung in letzter Minute klammheimlich vom Unternehmen und betreibt Schadensbegrenzung.
Eines ist dabei sicher: Auf dem Schuldenberg bleiben sie nicht sitzen. Anders sieht es hingegen für die betroffenen Angestellten aus. Sie stehen vor dem Nichts, nachdem ihre Motivation und ihr Engagement monate- und jahrelang ohne Skrupel ausgepresst und sie dann wie heiße Kartoffeln fallen gelassen wurden.
(Funke Nr. 180/22.1.2020)