Beim Maschinenbaubetrieb Voith in Sonthofen (Deutschland) mit 500 Beschäftigten hat ein ausdauernder Streik gegen die geplante Betriebsschließung stattgefunden. Nach knapp fünf Wochen wurde er mit dem 27. Mai beendet. Welche Lehren können wir daraus ziehen? Von der deutschen Funke-Redaktion.

Am Dienstag, den 26. Mai 2020, hatten 87 Prozent der abstimmenden IG Metall-Mitglieder einen mit dem Voith-Konzern ausgehandelten Sozialtarifvertrag zugestimmt. Mit den im Tarifvertrag enthaltenen Regelungen werden die Folgen des Arbeitsplatzverlustes für die Betroffenen in Form von Abfindungen finanziell abgefedert. Aus einem Härtefonds sollen nach Angaben der IG Metall zusätzliche Gelder vor allem für ältere Beschäftigte, Eltern, Alleinerziehende und Lebenspartner, die beide bei Voith arbeiten, bereitgestellt werden. Nach der Beendigung der Produktion im kommenden Herbst, für die noch kein konkreter Termin feststeht, werden die Betroffenen in einer Transfergesellschaft aufgefangen. Dort sollen sie bis zu 18 Monate lang mit Qualifizierungsmaßnahmen unter Fortzahlung eines Unterhaltsgeldes von 80 Prozent des bisherigen Lohns umgeschult werden. Damit soll die Chance auf einen neuen Job vergrößert und der Gang zur Arbeitsagentur verhindert bzw. zeitlich verzögert werden. Somit konnten durch Streikdruck einige Regelungen erreicht werden, die über das hinaus gehen, was der Gesamtbetriebsrat bereits in einem Sozialplan erreicht hatte. Beschäftigte des bisherigen Standorts in Sonthofen können unter Umständen auch an anderen Voith-Standorten weiter arbeiten. Diese sind allerdings weit entfernt und wären mit einem Umzug verbunden.

sonthofenstreik

Alle Auszubildenden können ihre Ausbildung im Betrieb bis zum erfolgreichen Abschluss fortführen. Doch danach gibt es keinen Sonthofener Betrieb mehr, in dem sie als Facharbeiter Anstellung finden und auch keine Garantie auf Übernahme anderswo. Während das Ende der Produktion in dem traditionsreichen Betrieb besiegelt ist, können knapp 170 technische Angestellte im Büro- und Entwicklungsbereich, Controlling, Produktmarketing und Service in einem neuen, tarifgebundenen „Büro Allgäu“ des Voith-Konzerns zunächst weiter arbeiten und erhalten dafür eine Beschäftigungssicherung für drei Jahre. Bisher arbeiteten sie ohne Befristung. Damit droht mittelfristig auch ein Ende dieser Arbeitsplätze in Sonthofen.

Auch wenn hohe Abfindungen für den Arbeitsplatzverlust für einzelne Beschäftigte etwa in rentennahen Jahrgängen vielleicht individuell verträglich sein mögen, ist die Schließung des Betriebs für die Stadt Sonthofen und die Allgemeinheit keineswegs „sozial verträglich“. Jeder Kollege und jede Kollegin muss sehen, wo er oder sie bleibt. Statt kollektivem Zusammenhalt einer kampfstarken und selbstbewussten Belegschaft droht nun Vereinzelung. Existenzängste machen sich breit. Kolleginnen und Kollegen, die bisher solidarisch zusammen gearbeitet haben, konkurrieren nun vielleicht gegeneinander in Bewerbungen um neue Jobs bei einem anderen Betrieb. Vor allem ist es angesichts der jetzt hereinbrechenden schweren Wirtschaftskrise, die auch die Auto- und Zulieferindustrie erfasst hat, völlig unklar, ob alle in der Region überhaupt wieder einen vergleichbaren Arbeitsplatz mit tariflicher Absicherung und ohne Befristung finden werden. Letztlich werden nun direkt oder indirekt Existenzen zerstört und manche Familien auseinander gerissen. Arbeitslosigkeit und Prekarisierung zerstören die Lebensplanung von Millionen.

Mit der Unterzeichnung des Sozialtarifvertrags endet ein achtmonatiger Kampf der in hohem Maße gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten in der „Hütte“, wie der Betrieb im Hinblick auf seine mit der Verhüttung von Eisenerz begonnene Tradition vor Ort genannt wird. Im vergangenen Herbst hatte der Voith-Konzern die Pläne zur Schließung der Produktion bekannt gegeben, obwohl der Betrieb profitabel ist. Von einer Konzentration der Produktion in der Turbosparte auf das Werk in Crailsheim (Baden-Württemberg) verspricht sich das Konzernmanagement höhere Profite. Voith hatte den Betrieb in Sonthofen erst 2007 übernommen und macht die Produktion nach fast einem halben Jahrtausend industrieller Tradition dicht. Voith war bisher der größte Arbeitgeber in der Region Sonthofen.

Das Konzernmanagement im württembergischen Heidenheim und die Eigentümerfamilie Voith, die mit ihrem Milliardenvermögen zu den reichsten Familien Deutschlands zählt, haben sich somit trotz finanzieller Zugeständnisse an die Metaller letztlich durchgesetzt. Die von der IGM geweckte Hoffnung, durch einen Streik für einen Sozialtarifvertrag die Kosten für die Schließung so weit in die Höhe zu treiben, dass die Konzernchefs darauf verzichten, ging nicht auf. Dabei kam in dem knapp fünfwöchigen Streik eine große Kampfbereitschaft und Entschlossenheit zum Ausdruck. Die Solidarität in Nah und Fern war beeindruckend. Es wurde deutlich: Streiken ist auch in Corona-Zeiten möglich.

Kampf gegen Betriebsschließungen braucht Perspektiven

Doch es fehlte eine weitergehende Perspektive für die Ausweitung des Kampfes gegen einen der großen deutschen und international operierenden Konzerne. Während die Streikenden sich auf einen heißen Streiksommer einstellten, setzte die bayerische IG Metall-Bezirksleitung von Anfang an auf einen raschen Abschluss und Abbruch des Streiks. So standen die kämpferischen Sonthofener mit ihrem Streik am Ende alleine da, auch wenn es Anzeichen für Solidarität aus anderen Voith-Werken gab. Der Sonthofener Betrieb hat bis zur Schließung offenbar noch volle Auftragsbücher. Der Streik zeigte Wirkung und hätte bei einer Fortsetzung mit hoher Wahrscheinlichkeit noch mehr Druck auf die Konzernspitze erzeugen können. Doch dieses wirtschaftliche Druckmittel wurde jetzt durch den Streikabbruch von der IG Metall-Bezirksleitung ohne Not aus der Hand gegeben.

Das Voith-Management setzte auf Einschüchterung durch einen Gerichtsbeschluss, der eine Blockade gegen den Abtransport von Halbfertigwaren verbot. Dies zeigt, auf welcher Seite dieser Staat steht. Wer dies kampflos hinnimmt, wer das kapitalistische Privateigentum akzeptiert und nicht antasten will, kann einen Kampf gegen Betriebsschließungen kaum gewinnen. Es ist ein Verbrechen und ein Akt der Maschinenstürmerei, auf der Jagd nach noch mehr Profit die Anlagen zu demontieren und eine so hochmotivierte und kompetente Belegschaft auseinanderzujagen, anstatt ihr die Gelegenheit zu geben, ihre Kreativität und ihr Wissen einzubringen, um nützliche, gesellschaftlich sinnvolle und ökologisch verträgliche Produkte herzustellen. Mit der Schließung der Produktion geht auch eine Insel und Hochburg der Arbeiterbewegung unter – ein Sieg für das Kapital.

Es ist höchste Zeit für eine kämpferische, umfassende gewerkschaftliche Strategie gegen Betriebssschließungen. In den kommenden Monaten und Jahren werden bundesweit vermutlich hunderte Belegschaften vor dieser Frage stehen und einen ähnlichen Kampf führen wie bei Voith in Sonthofen. Diese Kämpfe dürfen nicht mehr vereinzelt geführt, sondern müssen gebündelt und koordiniert werden. Auch Solidaritätskommittees zur Einbindung anderer Gewerkschaften und der Bevölkerung sind wichtig. Neue bzw. alte Kampfformen müssen her. Es gab auch schon einmal im Bereich der IG Metall Bayern eine Betriebsbesetzung gegen drohenden Arbeitsplatzverlust: 117 Tage lang hielten die Arbeiter der Firma Hofmann in Eibelstadt bei Würzburg im Winter 1983/84 die Fabrik besetzt. Besetzungen von bedrohten Betrieben gab es in den 1980er Jahren auch anderswo in der Bundesrepublik und in den frühen 1990er Jahren auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR als Antwort auf den industriellen Kahlschlag der Treuhandanstalt. Sie fanden ein starkes Echo.

Besetzungen als Form des Kampfes können den Anspruch verdeutlichen, den Betrieb unter Kontrolle der Beschäftigten weiter zu führen, und zwar ohne Bevormundung durch profitsüchtige Kapitalisten und abgehobene Manager. Sie werfen die Frage auf: Wer herrscht in Wirtschaft und Gesellschaft? Wer bestimmt, was und wie produziert wird? Sie führen logischerweise auch zu der Forderung nach Enteignung von bedrohten Betrieben und von Schlüsselbereichen der Industrie. Dies ist übrigens keine weltfremde Träumerei, sondern in §2 der IG Metall-Satzung als Ziel der Gewerkschaft festgehalten: „Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum“.

Höchste Zeit für Enteignung und Gemeineigentum

Wann, wenn nicht jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um dieses Ziel in Angriff zu nehmen? Der Voith-Konzern gehört zu den Schlüsselindustrien und ist ein markt- und wirtschaftsbeherrschendes Unternehmen. Wenn Eigentümer und Manager auf der Jagd nach noch mehr Profit einen profitablen Betrieb schließen, gehört ihnen dieser Betrieb aus der Hand genommen. Selbst Grundgesetz und Bayerische Verfassung sehen Enteignungen vor. Enteignungen von kleinen Garten- und Grundstücksbesitzern zum Bau von Straßen sind auch in Bayern Alltag. Wir erleben in diesen Tagen, dass Staatsbeteiligungen an Industriebetrieben kein Tabu mehr sind. Wie sehen, wie der Staat sogar mehr Geld in die Lufthansa steckt, als die Aktien noch wert sind. Warum sollte dann nicht auch der Voith-Konzern enteignet werden? Der Konzern hat übrigens in den letzten zehn Jahren allein für seine Betriebe in Bayern knapp vier Millionen Euro Fördergelder erhalten. Dies ergibt sich aus einer Anfrage der Linksfraktion an das Bundeswirtschaftsministerium.

Im letzten Sommer demonstrierten 50.000 Mitglieder der IG Metall in Berlin für einen „fairen, sozialen, ökologischen und demokratischen Umbau“ von Industrie und Gesellschaft und bekannte sich zu Klimazielen und einer „integrierten Mobilitäts- und Energiewende“. Doch von Tag zu Tag erleben wir jetzt, dass eine solche „sozial gerechte Transformation“ unvereinbar ist mit dem Profitstreben der Konzerne und Banken. „Eigentum verpflichtet zur Nachhaltigkeit“, so der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann an die Adresse der Unternehmer. Noch deutlicher wurden junge Metaller aus Bayern: „Keiner mag Kapitalisten“ und „Chabos wissen, wer enteignet wird“, hatten sie sich in Anlehnung an einen bekannten Rapsong auf Plakate gemalt. Damit solidarisierten sie sich mit der Berliner Bewegung „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“.

Das Thema Enteignung ist also auch schon an der Basis der IG Metall Bayern angekommen. Für die geforderte Transformation und eine Umstellung auf ökologisch verträgliche Produktion werden gerade auch hoch qualifizierte Arbeiter und Angestellte wie die Sonthofener Voith-Beschäftigten gebraucht. Nehmt endlich den Kapitalisten die Betriebe aus der Hand und lasst die Arbeiter und Angestellten ran! Sie können es besser!

(Kurzversion veröffentlicht in Funke Nr. 184/3.6.2020)


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