Erntearbeit. Der Sezonieri-Kampagne gelang es skandalöse Arbeits- und Wohnbedingungen von ErntearbeiterInnen aufzudecken. Ein Sezonieri-Aktivist erklärt, wie das große öffentliche Interesse jetzt für eine Organisierungsoffensive genutzt werden sollte.
In den vergangenen Wochen haben sich in mehreren Fällen ErntearbeiterInnen an die Sezonieri-Kampagne gewandt und über Missstände geklagt. Wie eine Bombe hat unsere Berichterstattung über die unhygienischen Zustände in den Quartieren beim Spargel- und Erdbeerbetrieb Sulzmann in Mannsdorf/Donau eingeschlagen. Es ist dem Mut der rumänischen Arbeiterin Maria A. zu verdanken, dass es gelungen ist, diesen Skandal ans Licht zu bringen. Mittlerweile haben sich mehrere ehemalige Kollegen ihr angeschlossen und man wird versuchen, die ausständigen Löhne einzuklagen. Das stellt die Gewerkschaft vor neue Herausforderungen.
Die Gewerkschaften stützen sich traditionell vor allem auf die (Kern-)Belegschaften in den großen Industrie- und Infrastrukturbetrieben, die oft in einem Naheverhältnis zum Staat stehen. Hier existieren im Regelfall seit Jahrzehnten Betriebsräte, die auf Unternehmensebene sozialpartnerschaftlich agieren und nicht selten die Rolle von Co-Managern einnehmen. Die wichtigste Funktion der Betriebsräte aus Sicht der Gewerkschaft ist die Mitgliedergewinnung; und die Mitglieder und Betriebsräte bekommen dafür von dem Gewerkschaftsapparat eine arbeitsrechtliche Vertretung und Service geboten.
In etlichen Sektoren und Unternehmen der österreichischen Wirtschaft sind solche Strukturen jedoch mittlerweile unbekannt. Wo kein gewerkschaftliches Regulativ existiert, herrschen die Gesetze des Dschungels. In der Corona-Krise wurde deutlich, wie weit verbreitet prekäre Arbeitsverhältnisse sind und in welchem Ausmaß ArbeiterInnen der Willkür der UnternehmerInnen ausgesetzt sind. Das komplexe System der „Ausländerbeschäftigung“, das vom Staat gesetzlich im Interesse der Unternehmen reguliert wird, sorgt für einen ständigen Nachschub an billigen Arbeitskräften. In Ost- und Südosteuropa hat sich Österreich seit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ einen Reservearbeitsmarkt aufgebaut, wodurch gerade für die neuen Niedriglohnbereiche Arbeitskräfte angeworben werden können.
Die Landwirtschaft ist neben dem Tourismus oder der 24-Stunden-Betreuung ein Sektor, in dem die Ausbeutung besonders krasse Ausmaße annimmt. Durch die Arbeit der Sezonieri-Kampagne wurden die Verhältnisse in diesem Bereich in den letzten Jahren immer wieder an die Öffentlichkeit gebracht. Zwar gibt es auch für die ErntearbeiterInnen einen Kollektivvertrag, der von Bundesland zu Bundesland geringfügig variiert, aber in der Praxis werden die dort festgesetzten Mindeststandards laufend missachtet. Die Fälle der letzten Jahre, wo ArbeiterInnen aus Rumänien, der Ukraine usw. den Mut aufbrachten, sich über Sezonieri-Informationskampagnen an die Gewerkschaft zu wenden, gewähren tiefe Einblicke: falsche Arbeitszeitaufzeichnungen, kein Überstundenentgelt, zu hohe Abzüge für oft miserable Unterkünfte und Arbeitsmaterialien usw.
Fotos dokumentieren unwürdige Arbeits- und Wohnbedingungen bei Sulzmann.
Die ErntearbeiterInnen sind in den meisten Fällen extrem erpressbar, weil sie das Geld brauchen und weil sie darauf angewiesen sind, nächstes Jahr wieder eine Arbeitsgenehmigung für Österreich zu bekommen. Deshalb sind sie gezwungen, härteste Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne bis hin zu ungesetzlichen Methoden zu akzeptieren. Durch die Corona-Krise und das öffentliche Interesse aufgrund des Arbeitskräftemangels im Zuge der Grenzschließungen wurde die Erntearbeit plötzlich aus dem Dunkel geholt. Als dann Mitte Mai 200 rumänische ArbeiterInnen bei einem deutschen Spargelbetrieb spontan in den Streik traten und ihre Löhne einforderten, zeigte sich, dass auch diese Schicht unserer Klasse nicht alles schluckt. Vor allem in der rumänischen Diaspora hatte dieser Streik, über den medial groß berichtet wurde, eine große Wirkung. Er hat gezeigt, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss, dass man sich wehren kann und muss, um zu seinen (bescheidenen) Rechten zu kommen.
Die Gewerkschaft setzt in diesen Fällen in erster Linie auf die Durchsetzung der Ansprüche vor Gericht. Zwar ist es schon ein Fortschritt, dass sie sich prinzipiell für diese ArbeiterInnen einsetzt, weil man sich lange Zeit als Gewerkschaft rein um die Kernschichten gekümmert hat. Gerade prekär beschäftigte „AusländerInnen“ wurden meist nur ignoriert. Aber in Wirklichkeit steckt diese Arbeit, wie sie über die Sezonieri-Kampagne erfolgt, noch immer in den Kinderschuhen. Es bräuchte viel mehr Ressourcen (allen voran GewerkschafterInnen, die die Muttersprachen der ArbeiterInnen sprechen) nicht nur für die Beratung über eine Info-Hotline, sondern für die tägliche und systematische Organisierung dieser KollegInnen vor Ort.
Bislang hat sich die Arbeit der Sezonieri-Kampagne vor allem auf die Information der ArbeiterInnen in Bezug auf die kollektivvertraglichen Regelungen beschränkt. Doch gerade jetzt, wo es konkrete Erfahrungsberichte über Missstände, aber auch Widerstand (international und in Österreich) gab, muss man mit einer breiten Offensive an die ArbeiterInnen herantreten. Wir wissen, dass die Ausflüchte der Bauern, Betriebe wie der erwähnte Sulzmann seien „schwarze Schafe“, während sich alle anderen an die Regeln halten, einfach nicht stimmen. Der Glaube vieler Menschen, die durch die Berichte über die katastrophalen Zustände in der Erntearbeit sensibilisiert wurden, man könne durch kritischen Konsum etwas bewirken, ist eine Illusion.
Die Ausbeutung ist in der Landwirtschaft allgegenwärtig. Das große öffentliche Interesse über die unmenschlichen Arbeits- und Wohnbedingungen der ErntearbeiterInnen muss jetzt genutzt werden, um in diesem Sektor endlich eine gewerkschaftliche Organisierung zustande zu bringen. Die AktivistInnen der Sezonieri-Kampagne haben dafür wichtige Vorarbeit geleistet, jetzt liegt es an der gesamten Arbeiterbewegung die Früchte dieser Arbeit zu ernten und ErntearbeiterInnen im großen Stil zu organisieren.
(Funke Nr. 185/1.7.2020)