Die ATB Spielberg ist ein Produktionsunternehmen mit einer 46-jährigen, wechselhaften Geschichte zwischen Verstaatlichung, Privatisierung und technologischer Ausschlachtung. Ein Überblick über die aktuelle Situation von Ute Zechner.
Der aktuelle Eigentümer, die größten Elektromotorproduzenten Chinas, die Wolong-Gruppe, hatte bei der letzten Übernahme des Werkes noch den Ausbau des Standortes versprochen, sogar ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Spielberg wurde in Aussicht gestellt. Doch die versprochenen Investitionen in das Werk blieben aus und lagen sogar unter der Wertminderung der Anlagen. Jetzt soll die ATB-Fabrik in Spielberg ganz geschlossen werden. 360 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereits beim AMS angemeldet.
Geschichte der ATB
1974 wurde das Werk Spielberg als Tochterunternehmen des deutschen Bauknecht-Konzerns gegründet. Bauknecht hatte bereits im Jahre 1919 mit der Motorenproduktion an den deutschen Standorten Klingenmühle, Plochingen und Welzheim begonnen. Der erste Schritt nach Österreich wurde mit der Aufnahme der Produktion im steirischen Rottenmann gesetzt. Mit dem Produktionsbeginn in Spielberg 1974 wurden teilweise die Produktionen der Werke in Plochingen, Klingenmühle und auch Rottenmann übernommen. Unter Bauknecht Austria wurden im Spielberger Werk bis zum Ausgleich der österreichischen Bauknecht-Gruppe im Jahre 1982 (Konkurs in Deutschland und dadurch Ausgleich in Österreich) die Motoren für die Bauknecht-Hausgeräte, sowie kleinere Industriemotoren gefertigt. Mit den Zielen „Auffangen – Sanieren – Verwerten“ kam es 1983 zur Übernahme durch die Gesellschaft für Bundesbeteiligungen an Industrieunternehmen (66,6%) und durch die Steirische Beteiligungsfinanzierungs-Gesellschaft (33,3%).
Im Jahr 1990 erfolgte nach Umwandlung in eine Aktiengesellschaft der Börsengang des Unternehmens. 1992: Erwerb der Aktienmehrheit (54,15%) durch die Flender ATB-Loher Antriebstechnik AG in Welzheim, deren Aktienmehrheit wiederum von der A. Friedrich Flender AG in Bocholt gehalten wurde. 1994-1995: Erwerb eines Anteils von 10,06% der Aktien des Unternehmens durch die deutsche Babcock AG mit Sitz in Oberhausen Ende 94, und weiteren 3,66% Anfang 1995
1996-1997: Große wirtschaftliche Turbulenzen im Babcock und Flender Konzern. Die Auswirkungen auf die ATB-Gruppe und Spielberg waren massiv. Flender wollte die ATB Spielberg verkaufen oder auch zusperren, wenn ein Verkauf nicht möglich gewesen wäre.
1997: Von Anfang des Jahres bis im Herbst bemühte sich der Betriebsrat unermüdlich um eine „österreichische Eigentümerlösung“.
Unter der herrschenden Ideologie „weniger Staat, mehr Privat“ gestaltete sich dieser Kampf als äußerst schwierig. Aufgrund des starken Engagements des Betriebsrates und durch die Unterstützung der Gewerkschaft gelang es am 1.10.1997 wieder die Republik Österreich als neuen Eigentümer in die Verantwortung zu nehmen: Die ATB Spielberg und Welzheim wird durch die GBI, also die Republik Österreich übernommen.
2000-2001: Durch politische Veränderungen in Österreich (ÖVP-FPÖ Regierung) wurde das Werk ATB Spielberg wesentlich früher als ursprünglich geplant zur Privatisierung ausgeschrieben.
Dezember 2001: Übernahme der ATB-Gruppe Welzheim und Spielberg durch die österreichischen Investoren Mirko Kovats und Christian Schmidt
Oktober 2010: der Betrieb wird von der A-Tec-Gruppe von Mirko Kovats in die Insolvenz geschickt.
Eigentümer der ATB-Gruppe ist seit 2011 die chinesische WOLONG Holding Group. Aktuell umfasst die ATB-Gruppe neben der ATB Holding in Wien und dem Produktionswerk ATB Spielberg weitere drei Produktionswerke in Deutschland, drei Produktionswerke in Großbritannien, zwei Produktionswerke in Serbien, ein Produktionswerk in Polen, sowie Vertriebstochterunternehmen in mehreren westeuropäischen Staaten.
(Quelle: http://www.atb-brv-leitner.at/index.php/atb-spielberg/geschichte)
Der größte Arbeitgeber in Spielberg
ATB ist derzeit der größte Arbeitgeber in Spielberg. Offiziell wird die Werkschließung damit begründet, dass Corona-bedingt Aufträge und Umsätze wegfielen. Doch Betriebsrat und Belegschaft sehen das anders. Zumindest im Juli war die Auslastung im ATB Werk „super“, wie die Mitarbeiter berichten. Auch für den Herbst war die Auftragslage nicht schlecht. Auch die Jahresabschlüsse von ATB zeigen, dass sich die Auftragslage gut entwickelt hat: 2017 gab es sogar ein Auftragsplus von 25 Prozent auf 74 Mio. Euro, das konnte 2018 gehalten werden. Für 2019 liegen keine einsehbaren Zahlen vor.
Nach einigen Telefonaten mit ArbeiterInnen und Funktionären wird klar, dass die Belegschaft unter Schock steht. Wie es nach dem derzeitigen Betriebsurlaub weitergehen soll, daran wagen die wenigsten zu denken. Man ist wütend, verzweifelt, fühlt sich verraten, vergessen und im Stich gelassen. Ganze Existenzen hängen an diesen Arbeitsplätzen. Seit vier Jahren kämpft das Unternehmen laut Berichten um wirtschaftliche Stabilität, seit zwei wieder konkret darum, die Produktion nicht aus dem Werk abzuziehen. Im Juni hat es der Betriebsrat unter der Leitung von Michael Leitner geschafft, das Modell der Kurzarbeit ab September wieder aufzunehmen. Eine von vielen Masßnahmen des Lohnverziches, das schlußendlich das Werk nicht retten konnte.
Vor wenigen Tagen wurde überraschend die Geschäftsführung ausgetauscht, nun ist Rolf Primigg der Werksleiter. Dieser ist ein „Interimsmanager“, ein sogenannter „Sanierer“.
Plötzlich ist für die Belegschaft alles anders „Seit Jahren sitzen die Geschäftsführer entweder in Polen, China oder Deutschland. Aus Österreich oder überhaupt aus der Steiermark kommt da niemand mehr“, kritisiert der Betriebsrat.
In einer Betriebsversammlung letzten Freitag wurden die 410 MitarbeiterInnen des Elektromotoren-Herstellers darüber informiert, dass 360 von ihnen beim AMS zur Kündigung angemeldet werden und die Fertigung eingestellt wird. Freitag Mittag am 31.07. haben Betriebsrats- und Gewerkschaftsvertreter zu einer erneuten Betriebsversammlung geladen. Mehr als 300 Versammelte stimmten einstimmig für das Ergreifen von „Kampfmaßnahmen.“
Die Mitarbeiter des steirischen Antriebsherstellers forderten einstimmig eine Änderung des derzeitigen Sanierungsplanes, bei dem ein Großteil der Beschäftigten den Arbeitsplatz verlieren würde. Betriebsrat und Belegschaft wollen ein „tragfähiges Fortführungskonzept für den Standort sowie eine seriöse Suche nach Investoren bzw. nach einem möglichen neuen Eigentümer“.
Vergangenen Dienstag reichte das Unternehmen dann auch noch Insolvenz ein. Ein Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung wurde beantragt. Laut Unternehmen war die Produktion in Spielberg bereits seit Jahren nicht mehr wirtschaftlich, nur aufgrund von Zuschüssen durch den Eigentümer hätten signifikante Verluste laufend ausgeglichen werden können. Mit der Coronakrise sei dies jedoch nicht länger darstellbar.
Am Standort in Spielberg soll künftig die Forschung und Entwicklung, der Vertrieb und die Logistik verbleiben, auch soll ein Distributionszentrum aufgebaut werden. Den Gläubigern wird eine Quote von 30 Prozent binnen zwei Jahren angeboten, die Finanzierung des Fortbetriebes soll über die Gesellschafterseite erfolgen. (Vgl.: https://www.sn.at/wirtschaft/oesterreich/atb-spielberg-mitarbeiter-beschlossen-kampfmassnahmen-90896149)
Die geplante Schließung des Produktionsstandortes ATB Spielberg beschäftigt auch die Landes- und Regionalpolitik. Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) und Landeshauptmann-Stellvertreter Anton Lang (SPÖ) wandten sich ebenfalls mit einem Brief an den Vorsitzenden der „Wolong Electric Group“ Chen Jiancheng. Sie appellieren „zum Wohle der Steirerinnen und Steirer sowie des gesamten Wirtschaftsstandortes“ die „folgenschwere Entscheidung zu überdenken“. (Vgl. Kleine Zeitung, 31.07.20)
Beim Spielberger Bürgermeister sorgt all das für Wut: „Ich weiß, was die Betroffenen in den letzten Jahren alles für das Unternehmen getan haben.“ Von Gehaltseinbußen bis und hin zu Kurzarbeitsmodellen sei alles akzeptiert worden. „Die Mitarbeiter waren immer solidarisch und jetzt werden sie eiskalt abserviert“, kritisiert Lenger.
Lenger will nichts unversucht lassen, um doch noch eine Lösung zu finden. Für die Region ist die Schließung des Motorenwerks eine Katastrophe.
Belegschaft kampfbereit
Ab dem 10. August, mit Ende des Betriebsurlaubs, sollen die ersten Maschinen und Produktionsanlagen in Spielberg demontiert und zu anderen Standorten transferiert werden. Das schnelle Vorgehen der Unternehmensführung stößt landesweit auf Kritik.
Dagegen will sich die Belegschaft wehren, den Abbau blockieren. „Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, alle Mittel und Wege nutzen. Das ist noch nicht verloren“, so BR Leitner. Der langjährige Arbeiterbetriebsrat des Unternehmens, der selbst vor Jahren von der PRO-GE ausgeschlossen werden sollte (Finanzskandal) gibt sich kämpferisch. Die Leute aus dem Werk würden sich an die Maschinen ketten, bevor sie aufgeben, sagt ein Spielberger. Ein Gespräch mit dem Bezirksregionalvorsitzenden der PRO-GE der Region zur aktuellen Situation, lässt allerdings durchklingen, dass von Seiten der Gewerkschaftsbewegung eine klare Perspektive für das Unternehmen und die Belegschaft fehlt.
Schließungsstrategie und Technologietransfer
Große Teile der Belegschaft, darunter ATB-Betriebsrat Leitner, aber auch der Industrielle und frühere Eigentümer, der Spektulations-Investor Mirko Kovats, orten hinter dem damaligen Verkauf an die chinesische Wolong-Gruppe und den nun angekündigten Kündigungen eine „offensichtlich langfristig geplante Schließungsstrategie nach erfolgtem Technologietransfer“.
Leitner selbst hat im Namen der Mitarbeiter das Management immer wieder darauf hingewiesen, wo Investitionen fehlen und wo Personal nachbesetzt werden müsste, damit das Werk konkurrenzfähig bleibt. Doch das habe die Unternehmensführung ignoriert.
Ex-Investor Kovats wiederum bedauerte einen „nicht umkehrbaren Technologietransfer von zum Beispiel geräuschlosen Großgeneratoren für Atom-U-Boote, Großmotoren für die Petrochemie und Offshore-Ölgewinnung, explosionsgeschützte Motoren für den Kohlebergbau, und nun umweltfreundliche effiziente Kleinmotoren nach China. Die Geschichte eines Misserfolges und verschleuderten österreichischen Technologieunternehmens“, so der Verkäufer des Werkes.
Kovats selbst hatte bereits 2010 die Überlebenschancen des Motorenwerks als gering angesehen und den mittelfristigen Abzug der Produktion vorausgesagt. Damals bezeichnete er die dortigen Lohnkosten als um wenigstens 50 Prozent zu hoch. Dabei sind die Personalkosten in Spielberg nicht hoch: Ein Arbeiter bei ATM bekommt durchschnittlich 34.000 Euro im Jahr, für das Unternehmen ist das ein Aufwand von 59.000. Allerdings erwirtschaftet ein Arbeiter im Werk in Spielberg das dreifache seiner Kosten, nämlich 158.000 Umsatz im Jahr 2018. Davor hatte es ein jahrelanges Ringen um einen Lohnverzicht der Belegschaft gegeben. 2003 sollten über 100 Arbeitsplätze in der Wickelei nach Serbien verlagert werden. Alle Mitarbeiter haben sich kurzerhand auf Lohn- und Gehaltskürzungen eingelassen, um die Arbeitsplätze in Spielberg zu erhalten. Mit Erfolg – die Wickelei hat sich zum Kompetenzzentrum entwickelt, 2016 wurden sogar Aufgaben vom deutschen Standort übernommen. (Vgl. https://kontrast.at/atb-spielberg-kuendigungen-wolong-china/)
Einige Stimmen in der Belegschaft machen auch die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung in der Produktion verantwortlich dafür, dass nun ihr Arbeitsplatz auf dem Spiel steht. Hauptargrument bleibt, dass die in Östrerreich ausgebildeten FacharbeiterInnen ihr Know-How und ihre Erfahrungswerte zur Verfügung stellten um Produktionsmaschinen zu entwickeln, die komplexe Abläufe und Arbeitsschritte im Produktionsprozess übernehmen. Um diese zu bedienen, können auch angelernte Arbeitskräfte verwendet werden, da die Fachkompetenz quasi von einer neuen Generation von selbstentwickelten Maschinen übernommen wird. Somit wird das Auslagern der Produktion vereinfacht.
Die Suche nach privaten Investoren läuft derzeit auf Hochtouren, über den „Standard“ hat Axel Bauer, Geschäftsführer der Hamburger Innovation Holding HIH mit Arbeiterbetriebsrat Leitner Kontakt aufgenommen. Bauer habe bei dem Gespräch Interesse bekundet, den Standort gemeinsam mit seinem Partner Peter Rasenberger zu retten. Auch die Frage, ob tatsächlich ein Sanierungsverfahren mit Eigen- statt Fremdverwaltung zusässig ist, soll geprüft werden. Im Falle eines Neustarts hat auch Günter Bauknecht, Sohn des Unternehmensgründers Gottlob zugesagt. (Vgl. Kleine Zeitung, 03.08.20)
Wie weiter?
Wie die Geschichte des Unternehmens zeigt, ist es nicht im Interesse der Belegschaft, oder der Sicherung des Standortes Spielbergs, einen privaten Investor anzuheuern, egal ob es sich um jemanden aus der Region, des Landes oder einem internationalen Unternehmen handelt. Corona, Auftragszahlen, der vollzogene Technologietransfer und v.a. die aktuelle Weltwirtschaftskrise stehen jedem Produktionsbetrieb erschwerend gegenüber. Privaten Investoren geht es darum Profit zu machen, egal mit welchen Mitteln. Das Werk muss davor geschützt werden, durch einen weiteren billigen Ausverkauf an einen Unternehmer zu fallen, wie es in Österreich auch bei anderen Firmen bereits der Fall war (Beispiel Opel Aspang). Diese verpflichten sich, mit Hilfe von finanziellen Spritzen aus Land und Bund, den Standort für eine gewisse Zeit weiterzuführen, nur damit wir uns nach ein paar Jahren wieder in der selben Situation wiederfinden. Wir müssen jetzt die ersten Schritte setzen, um diesem Trend der Verkleinerung der Produktion in Österreich (Magna Steyr, Opel Aspang, etc.), der Schließung von Firmen entgegenzuwirken. Dafür gibt es nur eine mögliche Strategie: das Unternehmen muss wieder in staatliche Hand.
Einen scheinbar ähnlichen Vorstoß gibt es auch vom steirischen SPÖ-Abgeordneten Max Lercher. Dieser fordert einen staatlichen Beteiligungsfonds und einen privaten Investor am Unternehmen.
Als Vorbild in Spielberg ist die staatliche Pleite-Holding GPI, die private Betriebe übernommen und wieder hochgefahren hat in Diskussion. Auch die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) hat ihre Unterstützung zugesagt.
Wir sagen: es braucht nur eine Verstaatlichung. Für uns ist das zu wenig, die Sanierung über den Staat zu finanzieren, sondern der Betrieb muss dauerhaft verstaatlicht weitergeführt werden. Die Leitung des Unternehmens soll dabei unter die Kontrolle der hochqualifizierten und motivierten Belegschaft gestellt werden. Elektromotoren sind ein zentraler Bestandteil der ökologischen Energiewende – in Spielberg kann man das. Wenn SPÖ und KPÖ jetzt keinen gemeinsamen Kurs für die dauerhafte Verstaatlichung unter Kontrolle der Belgschaften finden, werden wir diese Chance auch bei Magna Steyr verschlafen. Auch dort ist das Land für die Ausbildung der FacharbeiterInnen eingesprungen, um hinterher zusehen zu müssen, wie das Werk trotz Investitionen auf der Kippe steht.
Wir stellen uns solidarisch hinter die Belegschaft, Betriebsrat und Gewerkschaft gegen die Einstellung der Fertigung der ATB in Spielberg. Wir rufen die Gewerkschaft PRO-GE dazu auf, auch die umliegenden Betriebe wie Stahl Judenburg, Voest Alpine Eisenbahnsysteme-, Sandvik Zeltweg, Mondi Coating Zeltweg etc. zu mobilisieren und zu Solidatritätskundgebungen aufzurufen. SPÖ und KPÖ sind angehalten den Arbeitskampf durch die Mobilisierung der Bevölkerung tatkräftig zu unterstützen.
Wir unterstützen die geplanten Protestaktionen und dürfen auch vor den beschlossenen Streiks nicht zurückschrecken. Die Arbeitsplätze müssen in der Region bleiben! Wir brauchen keine Firmeneigentümer, die kein Interesse daran haben in Forschung und Entwicklung zu investieren, die kein Interesse daran haben den Betrieb am Laufen zu halten.
Für die Verstaatlichung des Betriebes unter Arbeiterkontrolle!