Italien. Zu Beginn des Sommers kam es zu einer Einigung zwischen Regierung, Gewerkschaft und Unternehmerverbänden, wonach das gesetzliche Kündigungsverbot wieder aufgehoben wurde. Jetzt hagelt es Massenentlassungen, doch Widerstand formiert sich, berichtet Konstantin Korn.

Während die Gewerkschaftsführung argumentierte, dass das Abkommen den Unternehmen nahelegt, weiterhin auf Kurzarbeitsmodelle zu setzen, entgegnete Mario Iavazzi, Mitglied der nationalen Führung des Gewerkschaftsverbandes CGIL und Mitglied der IMT in Italien, dass es sich bei diesem Deal um einen „Sieg der Industriellenvereinigung“ handelt und warnte vor einer Welle von Massenentlassungen.

Nicht einmal eine Woche nach dieser Debatte in den Führungsgremien der Gewerkschaft erhielten Anfang Juli die 422 ArbeiterInnen (und rund 80 LeiharbeiterInnen) beim Autozulieferer GKN Florenz vom Eigentümer „Melrose“ einen Brief, der sie über ihre Entlassung und die Schließung ihrer Fabrik informierte. Der Schock saß tief, doch binnen Stunden begann das „Fabrikkollektiv“ rund um die GKN-Betriebsräte mit der Organisation eines Arbeitskampfes, der den Sommer über andauert. Die Reaktion der Belegschaft bei GKN zeigt, dass Widerstand auch in einer so schwierigen Situation möglich ist.

So geht Betriebsrat

Gerade nach dem Beispiel MAN Steyr, wo gerade die Kürzungen und Entlassungen umgesetzt werden, ist auch für uns die Frage von Interesse, was bei GKN den Unterschied macht. Der entscheidende Faktor ist ganz einfach erklärt: Die Betriebsräte bei GKN Florenz setzten seit Jahren auf eine nicht-sozialpartnerschaftliche Betriebs- und Gewerkschaftspolitik. Selbst in den vergangenen Jahren, als es kaum gewerkschaftliche Mobilisierungen gab, blieben sie standhaft und hielten in der Belegschaft eine klassenkämpferische Kultur aufrecht. Die Existenz des „Fabrikkollektivs“, das schon 2007/8 ins Leben gerufen worden war, zeigt, dass die Betriebsräte gezielt und konstant die gesamte Belegschaft (einschließlich der Leiharbeitskräfte) einbinden.

Zusätzlich zu den Betriebsräten werden 12 Delegierte gewählt, die das Bindeglied zu den ArbeiterInnen in den Abteilungen bilden und maximal 12 Monate diese Funktion bekleiden. Dann werden neue KollegInnen gewählt, denen man auf diesem Weg Verantwortung in der innerbetrieblichen Gewerkschaftsorganisation gibt. Über diverse Initiativen ist es außerdem gelungen, über die Jahre ein echtes Kollektiv mit starkem „Wir-Gefühl“ herauszubilden. Das gab den Betriebsräten auch die Stärke, eine Reihe von Angriffen des Managements abzuwehren. Die BetriebsaktivistInnen haben auch immer wieder versucht, in der Region und darüber hinaus Vernetzungsarbeit zu betreiben. In der Gewerkschaft ist man Teil der Gewerkschafts-Opposition, die an den Kongressen und in Leitungsgremien Alternativen zu Standortlogik und Sozialpartnerschaft vertreten.

Zum Kampf bereit

Diese langjährige und geduldige Vorarbeit macht sich nun bezahlt. Die Belegschaft von GKN erfuhr vom ersten Tag an nicht nur in der Region, sondern in ganz Italien große Solidarität. Organisatorischer Ausdruck dieser Bewegung ist das Komitee „Insorgiamo con i lavoratori GKN“ (dt. „Erheben wir uns mit den ArbeiterInnen von GKN“). „Insorgiamo“ stellt dabei den Connex zur Partisanenbewegung her, die im Sommer 1944 Florenz von der Nazi-Herrschaft befreiten. Wann immer das Fabrikkollektiv zu Demos aufgerufen hat, war die Reaktion überwältigend. So demonstrierten über 10.000 Menschen Ende Juli vor den Werkstoren und knüpften ein festes Band der Solidarität. Auch der Generalstreik in der Provinz am 19. Juli, zu dem alle großen Gewerkschaftsverbände aufgerufen hatten, war ein sichtbarer Erfolg.

Ein Meer von Transparenten und Gewerkschaftsfahnen schmückt seit Anfang Juli die Zufahrt zu dem besetzten Werk. Dort wird auch regelmäßig Essen für die kämpfende Belegschaft und alle Solidarischen ausgegeben. Eine Reihe von KünstlerInnen, wie der Autor Stefano Massini, der berühmte Comiczeichner Zerocalcare oder die Band Banda Bassotti, haben sich mittlerweile mit dem Arbeitskampf bei GKN solidarisiert. All das hat geholfen, die schwierigen Sommermonate politisch zu überstehen, um auch im Herbst den Kampf weiterführen zu können.

Was braucht es zum Sieg?

Mit Demonstrationen und Aufrufen zur Solidarität allein ist ein solcher Arbeitskampf nicht zu gewinnen. Das Fabrikkollektiv GKN betont auch die politische Dimension dieses Kampfes. Gegen Massenentlassungen wird derzeit in vielen Fabriken in ganz Italien gekämpft. Die Vernetzungen mit den Belegschaften bei Whirlpool, Bekaert, Ferrari, wichtige Betriebe, die von der Gewerkschaftslinken organisiert werden, werden aktiv betrieben.

Doch mit welcher Orientierung und Forderungen kann der Kampf gewonnen werden? Bislang haben sich die Betriebsräte von GKN auf sehr schöne, aber inhaltlich nur vage Formulierungen beschränkt: „Den politischen Institutionen stellen wir keinen Blankoscheck aus“, „Es ist sehr leicht, gegen den Melrose-Fonds aufzutreten, das sind Verbrecher. Die haben uns auf den Tisch gesch… Jetzt sollen die Institutionen zeigen, wie sie diese Scheiße wegräumen“, „Wir fordern die Rücknahme der Entlassungen, aber der entscheidende Punkt ist, was wir tun werden und vor allem was die Institutionen tun werden, wenn die Entlassungen nicht zurückgenommen werden.“

Die GenossInnen von Sinistra Classe Rivoluzione, der italienischen Sektion der IMT, erklären in dieser Situation, dass die Forderung nach Verstaatlichung der von Massenentlassungen betroffenen Betriebe unter Arbeiterkontrolle zentrale Bedeutung hat. Denn, man muss auch offensiv formulieren mit welchem Eigentümer, unter welchem Management und mit welcher wirtschaftlichen Strategie die Produktion weitergeführt werden soll, um das nötige (Selbst-)Vertrauen zu schaffen, dass wir wirklich gewinnen können. Aufforderungen an „die Institutionen“, seien die noch so radikal formuliert, kann der Staat leicht aussitzen.

Daher argumentieren wir auch, dass die Sammlung der Gewerkschaftslinken (die auch in Italien klein genug ist, damit sich alle AkteurInnen persönlich kennen) zu wenig ist, um den rollenden Angriffen auf die Arbeiterklasse Einhalt zu gebieten. Die Stabilisierung der sozialen Lage in den betroffenen Betrieben und der Klasse im Allgemeinen wird nur möglich sein, wenn es gelingt die Gewerkschaftsbewegung in einen allgemeinen Kampf gegen das Kapital zu führen. Dafür ist es notwendig, dem aktuellen Kräfteverhältnis in der Gewerkschaftsführung zum Trotz, in den Gewerkschaftsgremien eine offensive Position zu beziehen. Dies ist eine Voraussetzung, um in der Folge eine tiefe und breite Verallgemeinerung der einzelnen Betriebskämpfe vorzubereiten.

Die Fragen der weiteren Strategie und des Programms werden entscheidend sein, ob aus dem Arbeitskampf bei GKN mehr als ein Strohfeuer wird und ob daraus ein Referenzpunkt für eine Massenbewegung gegen die Abwälzung der Krise auf die Arbeiterklasse werden kann. Wir stehen solidarisch mit der Belegschaft von GKN und werden weiter berichten.

(Funke Nr. 196/1.9.2021)


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