Warum verhindert die Gewerkschaftsführung Widerstand gegen die Kapitaloffensive? Wie können die Gewerkschaften wieder zu Kampfinstrumenten gemacht werden? Von Flo Keller und Konstantin Korn.
Wie kann es sein, dass es nach vier Jahren der Krise in Österreich keinen nennenswerten Widerstand gegen das Aufbrechen von Kollektivverträgen, gegen Nulllohnrunden und Sparpakete gibt? Diese Frage stellen sich viele Kolleginnen und Kollegen. Mit einem besonderen „österreichischen Wesen“ hat dies nichts zu tun. Ein Grund ist sicher in Österreichs wirtschaftlicher Entwicklung zu sehen, die im Vergleich zu großen Teilen der EU gesünder verläuft. Die Arbeitsproduktivität und somit die internationale Wettbewerbsfähigkeit ist hoch, die Staatsverschuldung hat zwar im Zuge der Krise ebenfalls stark zugenommen, stellt aber bei weitem nicht so ein Problem dar wie in den südeuropäischen Staaten. Diese Rahmenbedingungen mildern die Beziehungen zwischen den Klassen ab. Trotzdem sahen wir in den letzten Jahren auch hierzulande eine Reihe von Angriffen auf unseren Lebensstandard: Die Bundesregierung hat zwei Sparpakete geschnürt, auf Länderebene gab es eine Reihe von teilweise sehr massiven Kürzungsprogrammen (allen voran in der Steiermark), im öffentlichen Dienst gibt es Nulllohnrunden, die Auseinandersetzungen rund um die Kollektivvertragsverhandlungen haben sich stark zugespitzt. In fast all diesen Situationen kam es zu gewerkschaftlichen Gegenmobilisierungen, aber mit Ausnahme des Metallerstreiks verhinderte die Gewerkschaftsführung in all diesen Fällen eine Eskalation der Arbeitskämpfe. Selbst schon beschlossene Streiks wurden kurzerhand wieder von oben abgeblasen. KollegInnen, die im Streik die einzige Antwort auf die Kapitaloffensive sahen, stießen in der Praxis auf eine scheinbar undurchdringbare Betondecke in Form der Gewerkschaftsbürokratie. Wie lässt sich dieses Phänomen erklären und welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus für unsere gewerkschaftliche Arbeit?
Entwicklung der Gewerkschaften
Nun der Schlüssel zu diesem Problem liegt wie so oft in der Geschichte. Gehen wir der Frage nach, wie sich die Gewerkschaften historisch entwickelten. Die ersten Gewerkschaften waren Zusammenschlüsse der ArbeiterInnen aus Protest gegen die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen im frühen Kapitalismus. Marx bezeichnete die Gewerkschaften deshalb auch als „Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals“ (MEW 16, S. 152). In erster Linie ging es um die Durchsetzung von Löhnen und Arbeitsbedingungen, die das physische Überleben, die Reproduktion der ArbeiterInnen und ihrer Familien garantieren sollten. Für Marx und Engels waren aber die Gewerkschaften, diese elementarste Form der Organisation der ArbeiterInnenklasse, noch mehr. Friedrich Engels betonte die Tatsache, dass die ArbeiterInnen durch die gewerkschaftliche Organisierung erst die Erfahrung machen, „dass sie … eine eigene Klasse mit eignen Interessen und Prinzipien, mit eigner Anschauungsweise gegenüber allen Besitzenden bilden.“ (MEW 2, S. 455). Marx bezeichnete daher die Gewerkschaften, die damals oft noch keine Massenorganisationen sondern waren, auch als „Schulen des Sozialismus“.
In der Tat gaben sich die meisten Gewerkschaften ein Programm, das auf eine Überwindung des Kapitalismus abzielte. Vor allem in den Ländern, wo die Gewerkschaften erst durch die gezielte Agitation der damals noch revolutionären Sozialdemokratie entstanden (u.a. in Österreich), war dieses Selbstverständnis als systemsprengende Kraft sehr tief verankert. Groß wurden die Gewerkschaften auf alle Fälle als Kampforganisationen, denen es gelang die Bedingungen der Arbeiterschaft mit den Methoden des Klassenkampfs gegen den erbitterten Widerstand des Kapitals zu verbessern.
Ende des 19. Jahrhunderts begannen die Gewerkschaften allerdings ihren Charakter schrittweise zu verändern. Rosa Luxemburg hat diesen Prozess sehr gut beschrieben:
„Das starke Wachstum der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland im Laufe der letzten 15 Jahre, besonders in der Periode der wirtschaftlichen Hochkonjunktur 1895–1900, hat von selbst eine große Verselbständigung der Gewerkschaften, eine Spezialisierung ihrer Kampfmethoden und ihrer Leitung und endlich das Aufkommen eines regelrechten gewerkschaftlichen Beamtenstandes mit sich gebracht. All diese Erscheinungen sind ein vollkommen erklärliches und natürliches geschichtliches Produkt (…) der wirtschaftlichen Prosperität und der politischen Windstille...“
Die Gewerkschaften brachten nun einen beachtlichen Apparat hervor. Solange es nur lokale Gewerkschaften und noch keine großen Verbände gab, standen die Gewerkschaftsführer, die die Vertretung nach außen und die innerorganisatorischen Aufgaben ehrenamtlich übernahmen, in einem engen Verhältnis zur Mitgliedschaft, der sie direkt rechenschaftspflichtig waren. Mit dem Wachsen der Bewegung musste eine Hierarchie und ein Führungsapparat in der Organisation entwickelt werden. Entscheidungsprozesse wurden zentralisiert, die Verwaltungsaufgaben und die Betreuung der Lokal- und Betriebsorganisationen eigens dafür angestellten KollegInnen übertragen, die wiederum dem Führungsapparat weisungsgebunden waren. Die Anstellung der Gewerkschaftshauptamtlichen wird von oben bestimmt, die Basis hat keine Mitbestimmungsmöglichkeiten. Die Aufgaben der Gewerkschaft, z.B. der Abschluss von komplizierten Kollektivverträgen und dergleichen, erforderten natürlich eine Spezialisierung und ein gewisses Expertentum. In der Folge wurde der Mitgliedschaft häufig die Fähigkeit sich einen Überblick zu verschaffen bzw. über den Kurs der Organisation zu urteilen, abgesprochen. In der Regel müssen die künftigen Gewerkschaftssekretäre eine eigene Ausbildung in der Sozak absolvieren, wo sie ein Jahr lang unter sehr privilegierten Bedingungen kaserniert sind und auf ihre künftige Rolle vorbereitet werden. Nicht selten wurden dabei schon kämpferische junge Betriebsräte zu braven Apparatschiks genormt.
Eigenleben des Apparats
Dieser Gewerkschaftsapparat entwickelte natürlich mit der Zeit ein immer größeres Eigenleben. Die Spitzen des Apparats genossen noch dazu eine Reihe materieller Privilegien und verdienten mehr als die KollegInnen, die sie zu vertreten hatten. Im Apparat selbst sind die Gehälter je nach Stellung in der Hierarchie stark differenziert.
Die Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse in der Gewerkschaft wurden im Zuge dessen ebenfalls zentralisiert. Zwar wurden in den Statuten und Geschäftsordnungen für die Konferenzen und Gewerkschaftskongressen formal-demokratische Regeln festgeschrieben, doch das Sagen hatte längst der Apparat. Hinter den Kulissen konnte dieser immer mehr Regie führen und die Mitgliedermeinung in geordnete Bahnen zu lenken. Selbst erfahrene KollegInnen zogen in innergewerkschaftlichen Konflikten nun in der Regel den Kürzeren. Der Führung unangenehme Anträge oder Wahlvorschläge hatten ab sofort kaum noch Chancen eine Mehrheit zu finden. Drohen Mehrheiten doch zu kippen, werden dann auch schon mal die Geschäftsordnung oder bereits früher gefasste Beschlüsse im Interesse der Führung zurechtgebogen.
Jeder, der schon einmal bewusst einer Gewerkschaftskonferenz beigewohnt hat, wird diese Praktiken kennen. Im ÖGB entwickelte sich nach 1945 noch dazu ein sehr ausgeklügeltes System, wie die Delegierten auf solchen Konferenzen zusammengesetzt werden. Der tatsächliche Wille der Basis wird so durch ein sehr rigides Statut im Interesse der Führung geformt. Eine besondere Rolle nehmen im ÖGB dabei die Fraktionen ein. Die Lohnabhängigen wählen eigentlich nur die unterste Ebene der Gewerkschaft, die Betriebsräte. Das normale Gewerkschaftsmitglied hat de facto keine Möglichkeiten demokratisch den Kurs der Gewerkschaft mitzubestimmen. Ab der nächsten Ebene entscheiden die Fraktionen über die Wahl der Delegierten, was in der Praxis zur Auslese kritischer Meinungen führt. Die Konferenzen, die ohnedies nur in sehr großen Abständen (im ÖGB alle vier Jahre!) stattfinden, dienen somit rein der Rechtfertigung der „Realpolitik“ der Führung.
Eine ernstzunehmende Diskussion über deren Programm gibt es nicht. Und wenn einmal kritische Stimmen laut werden, sorgt der Tagesvorsitz oft dafür, dass es keine Abstimmungen gibt. Dies funktioniert umso leichter, da die Basis (einschließlich der kritischen Betriebsräte, die instinktiv einen anderen Kurs wollen) nach Jahrzehnten der politischen Entmündigung in der Regel über keine Methoden verfügt, wie sie die Führung politisch auf Konferenzen herausfordern könnte. So behält die Bürokratie immer das Heft in der Hand. Ausdruck fand diese Entwicklung auch in der Veränderung des Bildes der Organisation. Statt die Organisation der ArbeiterInnen selbst, durch die diese ihre Interessen durchsetzen konnten, wurde die Gewerkschaft jetzt zur „Vertreterin“ der KollegInnen, die sich um diese „kümmert“. Aus Selbstermächtigung wurde immer mehr Bevormundung.
Nach Jahrzehnten der Sozialpartnerschaft müssen die KollegInnen nicht nur lernen, wie sie Streiks organisieren, sondern auch wie sie notfalls in der eigenen Organisation gegen die Führung ihren Willen durchsetzen können. In den letzten Jahren machten viele Betriebsräte Erfahrungen, die sie in Widerspruch zur Führung brachten. Aus diesen Differenzierungsprozessen entwickelten sich immer wieder Ansätze für eine organisierte Opposition in den Gewerkschaften.
Dieser Prozess wird natürlich dadurch erschwert oder gebremst, dass viele KollegInnen von der Bürokratie materiell abhängig sind oder selbst Teil derselben sind bzw. die Absicht haben, selbst ein Teil des Gewerkschaftsapparats zu werden und persönlich aufzusteigen. Bei nicht wenigen KollegInnen herrscht daher eine gewisse Vorsicht vor, die sie genau darüber nachdenken lässt, ob es Sinn macht eine Alternative zum offiziellen Kurs der Gewerkschaft einzuschlagen. Doch selbst wenn sich eine Belegschaft dazu durchringt z.B. einen Streik zu organisieren, dann muss sie erst den Widerstand der Führung überwinden. Protestformen und vor allem Streiks, die nicht die Zustimmung von oben genießen, erhalten auch keine materielle Unterstützung. Woher soll man das Geld nehmen, wenn kein Streikgeld von der Gewerkschaft ausbezahlt wird? Soll man wirklich die Produktion lahmlegen, die Werkstore blockieren, wenn dem Betriebsrat dann hohe Entschädigungszahlungen zur Deckung des für das Unternehmen entstandenen wirtschaftlichen Schadens drohen? Ist es da nicht doch das kleinere Übel, die Folgen einer Werkschließung durch einen Sozialplan „sozial abzufedern“? Das sind ernstzunehmende Überlegungen, die man nicht einfach nur wegwischen kann und die in den letzten Jahren schon mehrfach dazu geführt haben, dass bereits geplante Protestaktionen wieder abgesagt wurden.
Ein Kernproblem liegt darin, dass selbst viele kritische und kämpferische Betriebsräte im Rahmen der Sozialpartnerschaft groß geworden sind und davon stark geprägt sind. Selbst wenn sie verstanden haben, dass die Ära der Sozialpartnerschaft zu Ende ist, ist ihr ganzes Denken, ihr Verständnis von Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit durch die alten Vorstellungen bestimmt. Vor allem zeichnet sich ihre Arbeit in der Regel ebenfalls durch Stellvertreterpolitik aus. MarxistInnen sehen eine zentrale Aufgabe darin, diese Kultur zu durchbrechen. Notwendige Schritte in diese Richtung liegen im Aufbau gewerkschaftlicher Betriebsgruppen, die Einbindung der Belegschaft in alle wichtigen Diskussionen und vor allem in die Organisierung von Kampfmaßnahmen, die Abhaltung von Urabstimmungen zu allen wichtigen Entscheidungen.
Verschmelzung mit dem Staat
All das mag deprimierend wirken und zu falschen Schlüssen führen. Das grundlegende Problem ist nicht so sehr die Herausbildung eines Apparats und eine gewisse Zentralisierung in den Gewerkschaften, auch wenn die bürokratischen Fehlentwicklungen davon nicht zu trennen sind. Das entscheidende Element war jedoch, dass sich in den Gewerkschaften eine reformistische, den bürgerlichen Staat und die kapitalistische Ordnung bejahende Politik durchgesetzt hat. Die Gewerkschaftsführung erkämpfte sich nicht nur einen Platz am Verhandlungstisch mit den Unternehmern, wo sie ihre Organisationsmacht in die Waagschale werfen konnte. Nachdem für die Bürgerlichen die potentielle Gefahr für ihre kapitalistische Ordnung durch die starken Gewerkschaften immer deutlicher wurde, entschlossen sie sich, nach dem Motto „Halte deine Freunde nahe bei dir, aber deine Feinde noch näher“ zu verfahren. Sie bezogen die Gewerkschaftsführungen „sozialpartnerschaftlich“ in immer mehr staatliche und halbstaatliche Gremien ein, um sie zu zähmen. Die Wahlerfolge der Sozialdemokratie sicherten außerdem eine parlamentarische Repräsentanz. Auf diesem Weg wurden die Gewerkschaftsspitzen in den bürgerlichen Staatsapparat integriert.
Ideologisch hatte dies schwerwiegende Folgen. Rosa Luxemburg beschrieb dies sehr treffend:
„Man sucht tastend nach einer ‚neuen gewerkschaftlichen Theorie’, d. h. nach einer Theorie, die den gewerkschaftlichen Kämpfen im Gegensatz zur sozialdemokratischen Lehre auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung ganz unbeschränkte Perspektiven des wirtschaftlichen Aufstiegs eröffnen würde.“ Der „soziale Fortschritt“ erschien nur möglich auf der Grundlage „wirtschaftlichen Wachstums“. Deshalb müsse die Gewerkschaft Verantwortung für dieses wirtschaftliche Wachstum übernehmen. Die Posten in den Verwaltungsräten der verstaatlichten Industrien und Banken und in staatlichen Programmierungs- und Planungsgremien erschienen nun als „Positionen“, von denen aus man die bürgerliche Wirtschaft „Schritt für Schritt“ erobern könne. Die „Mitbestimmung“ wurde als eine Etappe zur zukünftigen Sozialisierung angesehen. Als der französische Syndikalist Jouhaux nach dem Ersten Weltkrieg zum Mitglied des Verwaltungsrates der Banque de France ernannt wurde, rief er seinen Kollegen begeistert zu: „Das ist der erste Nagel im Sarg des Kapitalismus!“ Nun, Totgesagte leben offensichtlich doch länger.
Leo Trotzki versuchte eine Erklärung für diese Verschmelzung aller Gewerkschaften unabhängig ihrer weltanschaulichen Ausrichtung mit dem bürgerlichen Staatsapparat zu liefern:
„Der Monopolkapitalismus fußt nicht auf Privatinitiative und freier Konkurrenz, sondern auf zentralisiertem Kommando. Die kapitalistischen Cliquen an der Spitze mächtiger Trusts, Syndikate, Bankkonsortien usw. sehen das Wirtschaftsleben von ganz denselben Höhen wie die Staatsgewalt und benötigen bei jedem Schritt deren Mitarbeit. Ihrerseits finden sich die Gewerkschaften in den wichtigsten Zweigen der Industrie der Möglichkeit beraubt, die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Unternehmen auszunützen. Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften – soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen – entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben.
Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin, den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu ‘befreien’, seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildern und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Diese Einstellung entspricht vollkommen der sozialen Lage der Arbeiteraristokratie und Arbeiterbürokratie, die beide um einen Abfallbrocken aus den Überprofiten des imperialistischen Kapitalismus kämpfen. Die Gewerkschaftsbürokraten leisten in Wort und Tat ihr Bestes, um dem ‘demokratischen’ Staat zu beweisen, wie verläßlich und unentbehrlich sie im Frieden und besonders im Kriege sind.“
Aus dieser Analyse fließt für MarxistInnen die Notwendigkeit für die vollständige und bedingungslose Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom kapitalistischen Staat einzutreten. Der Druck, der über die Regierung und den Staatsapparat auf den Gewerkschaftsführungen lastet, ist eines der größten Hemmnisse für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik. Kein anderes Interesse als jenes ihrer Mitglieder dürfen die Gewerkschaften zum Ausdruck bringen. Dies ist aber nur denkbar, wenn in den Gewerkschaften wieder demokratische Verhältnisse hergestellt werden. Das eine ist nicht umsetzbar ohne das andere.
Gewerkschaften und Krise
Gerade in Zeiten der Krise stehen die Gewerkschaften daher vor einem Scheideweg. Entweder sie dienen als Hilfsinstrumente des Kapitals, um die ArbeiterInnen unter bürgerliche „Standortlogik“ und „Sparzwänge“ unterzuordnen, sie zu disziplinieren und Kämpfe zu verhindern. Oder sie können die Instrumente der Bewegung des Proletariats im Kampf für seine Interessen werden.
Schon Marx und Engels hatten dabei verstanden, dass sich die Gewerkschaften nicht nur mit dem ökonomischen Kampf für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten begnügen konnten, sondern dass sie eine politische Perspektive entwickeln müssen. In der von Marx verfassten Resolution über die Statuten der Ersten Internationale aus dem Jahr 1872 steht: „Die durch den ökonomischen Kampf bereits erreichte Vereinigung der Kräfte der Arbeiterklasse muss in den Händen dieser Klasse auch als Hebel in ihrem Kampf gegen die politische Macht ihrer Ausbeuter dienen.“ (MEW 18, S. 149) Ihren eigentlichen Zweck könnten die Gewerkschaften nur erfüllen, wenn sie mehr sind als bloße Preisfechter zur Ausgestaltung des Lohnsystems und bewusst für den Sturz des Lohnsystems kämpfen.
Letztere Option ist aber nur denkbar, wenn sich in den Gewerkschaften eine Strömung herausbildet, welche die Bürokratie offen herausfordert und die eine Mehrheit dafür erringt, dass die Gewerkschaften Kampfinstrumente der ArbeiterInnen werden. Das wird natürlich auf den Widerstand der heutigen Gewerkschaftsführung stoßen, wie Rosa Luxemburg richtig anmerkte. Ihre Antwort darauf:
„Allein es ist hohe Zeit, daß die sozialdemokratische Arbeitermasse lernt, ihre Urteilsfähigkeit und Aktionsfähigkeit zum Ausdruck zu bringen und damit ihre Reife für jene Zeiten großer Kämpfe und großer Aufgaben darzutun, in denen sie, die Masse, der handelnde Chorus, die Leitungen nur die ‚sprechenden Personen’, d. h., die Dolmetscher des Massenwillens sein sollen.“
Die Frage wie die Bürokratie konkret entmachtet werden kann, muss dabei im tagtäglichen Kampf geklärt werden – jede Betriebsversammlung, jedes gewerkschaftliche Gremium, jede Konferenz ist hier als eine Arena zu begreifen, wo der Kampf um mehr Gewerkschaftsdemokratie geführt werden kann, und wo eine Führung gewählt werden soll, die den Mitgliedern verantwortlich ist und sich nicht der kapitalistischen Logik beugt. Die Aufgabe der marxistischen Strömung ist es, kämpferische KollegInnen mit Hilfe der Erfahrungen aus der Vergangenheit darauf vorzubereiten und sie mit allen Kräften bei diesen Kämpfen für einen anderen Kurs der ArbeiterInnenbewegung zu unterstützen. Nur wenn uns dies gelingt, ist ein Ausweg aus der kapitalistischen Misere denkbar.
(Funke Nr. 109/Mai 2012)