Der vorliegende Text wurde anlässlich des Ausbruchs der kapitalistischen Krise 2009 verfasst und als Rote Reihe Nr. 30 herausgegeben. Der Teamsterstreik stellt ein beeindruckendes historisches Beispiel für revolutionäre Gewerkschaftspolitik dar.

Inhalt

1. Vorwort
2. Farrell Dobbs – Ein Arbeiter im Amerika der wirtschaftlichen Depression
3. Die ArbeiterInnenbewegung in Minnesota: Bürokratische und revolutionäre Traditionen
4. Die Transportarbeitergewerkschaft (IBT) & die Local 574
5. Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen zu Beginn der 1930er Jahre
6. Revolutionäre Perspektiven für die Gewerkschaftsbewegung
7. Der Februar-Streik der Kohlefahrer
8. Das Organisationskomitee der Local 574
9. Die große Organisierungskampagne und Streikvorbereitungen
10. Der Mai-Streik
11. Verhandlungstricks und neue Streikvorbereitungen
12. Die Entscheidung: Der Streik von Juli bis August
13. Der Sieg
14. Neuwahlen in der Local 574 – Eine entscheidende Weichenstellung

 

Vorwort

Die vorliegende Broschüre behandelt die großen Streiks der Transportarbeiter im Jahre 1934 in Minneapolis, USA. Zusammen mit den Streiks der Arbeiter in der Automobilindustrie in Toledo und der Hafenarbeiter in San Francisco im selben Jahre markierten die Teamster-Streiks einen entscheidenden Wendepunkt in der US-amerikanischen ArbeiterInnenbewegung der damaligen Zeit: Die ArbeiterInnen begannen im großen Stil die Not aktiv zu bekämpfen, in die sie die bisher schwersten Krise des Kapitalismus gebracht hatte. Ihr Kampfmittel: Der militant geführte Arbeitskampf unter demokratischer Einbindung aller betroffenen ArbeiterInnen. Dieses neu entdeckte alte Kampfmittel und die Bewegung, die dahinter stand, stellten sich schnell als so schlagkräftig heraus, dass bald die gesamte US-amerikanische Gewerkschaftsbewegung umgekrempelt werden sollte. Die neue Bewegung erschütterte außerdem die Machtbasis der Bürgerlichen so stark, dass Vorbedingungen einer sozialistischen Revolution im Kernland des Kapitalismus aufzutreten begannen.

Heute, 75 Jahre später, in einer Wirtschaftskrise, die derjenigen der 1930er Jahre um nichts nachsteht, sind die Erfahrungen aus den Teamster-Streiks aktueller denn je. Wie lässt sich die auf jeder Ebene stattfindende Kürzungsoffensive der Bürgerlichen mitsamt ihrer begleitenden Propaganda („Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen!“) stoppen? Wie kann hingegen die ArbeiterInnenbewegung in die Offensive gebracht werden? Wie lassen sich die ArbeiterInnen mobilisieren? Wie organisiert man einen Streik und wie kann er gewonnen werden? Mit welchen Mitteln soll eine demokratische und kämpferische Gewerkschaftsbewegung aufgebaut werden? Wie können bürokratische FunktionärInnen abgewählt werden? Wer sich mit diesen Fragen beschäftigt, wird beim genaueren Studium der Teamster-Streiks viele inspirierende Antworten finden.

Die Broschüre will dabei zweierlei vermitteln:

1. Es soll zuallererst davon erzählt werden, wie es konkret zu den Teamster-Streiks kam, wie sie geplant, durchgeführt und schlussendlich auch gewonnen wurden. Zwar handelte es sich hierbei natürlich um eine besondere, spezifische Situation, andererseits lassen sich aber aus den Streiks viele breiter anwendbare Erfahrungen für die heutige Arbeit von linken AktivistInnen in der Gewerkschaftsbewegung herausfiltern.

2. Gleichzeitig wird diese Broschüre aber auch zeigen, wie sehr linke GewerkschaftsaktivistInnen davon profitieren, wenn sie sich in ihrer Arbeit von einer revolutionären Perspektive leiten lassen. Denn nur eine sozialistische Zielsetzung, die sich die Befreiung der ArbeiterInnen aus jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung allein aus den Möglichkeiten der ArbeiterInnenbewegung selbst zur Aufgabe macht, kann die gesamte gesellschaftliche Mobilisierungskraft der ArbeiterInnen voll ausschöpfen.

So hätten die Teamster-Streiks sicherlich nicht in dem Ausmaß stattgefunden, wenn nicht marxistische Aktivisten vorher jahrelang in der Gewerkschaft dafür Vorbereitungsarbeit geleistet hätten. Und durch den Umstand, dass RevolutionärInnen stets danach trachten, alle Lehren aus der Geschichte der bisherigen ArbeiterInnenbewegung für die aktuellen Auseinandersetzungen zu nutzen, konnten gefährliche Momente mit Weitblick gut gemeistert und der Sieg der Teamster-Streiks sicher gestellt werden.

Dabei wird sich für den/die LeserIn heraus stellen, dass das wichtigste Mittel der Revolutionäre so einfach wie effektiv war. Es bestand in der Sicherstellung einer breitestmöglichen Demokratie in der Gewerkschaft. So wurden alle Teamster-Streiks stets von einem zuvor von allen Mitgliedern gewählten Streik-Komitee geleitet. Zusätzlich unterlagen alle wichtigen Entscheidungen einer Urabstimmung. Insofern liefert diese Broschüre ein gutes Beispiel dafür, wie eine demokratische, kämpferische und sozialistische Gewerkschaft funktionieren könnte. Mit diesem Beispiel stellt dieser Text nebenbei auch einen kleinen Ausschnitt aus der Gewerkschaftsarbeit der trotzkistischen Bewegung im Amerika der 1930er bereit.

Wir hoffen, dass diese Broschüre dabei hilft, den heutzutage oftmals anzutreffenden Pessimismus, was die Zukunft der Gewerkschaft in Österreich betrifft, zu untergraben. Zwar mag es zutreffen, dass ArbeiterInnen gerade in der Krise eine lange Zeit nach individuellen Lösungen suchen und scheinbar „ruhig“ bleiben. Doch dies ist allein dem Umstand geschuldet, dass die momentane offizielle Gewerkschaftsführung in Österreich alles daran setzt, den Unmut über Kurzarbeit, Lohnverlust, Arbeitslosigkeit und erhöhtem Arbeitsdruck unter „sozialpartnerschaftlichen Verschluss“ zu halten.

Doch das Beispiel der Teamster-Streiks zeigt: Zorn lässt sich nicht ewig unter Verschluss halten. Der Wunsch nach einem besseren Leben und einer besseren Welt lässt sich nicht ewig unterdrücken. Es werden zwangsläufig auch in Österreich Menschen in der Gewerkschaft in Erscheinung treten, die den Hoffnungen und Wünschen der ArbeiterInnen Ausdruck verleihen. Kurzum: Es wird auch in Österreich zu militanten Arbeitskämpfen kommen, welche die sozialpartnerschaftliche Logik in Frage stellen. Wir können den Beginn dieses Prozesses schon in ganz Europa verfolgen, der Streik der Eisenbahnreparatur-Werkstätte in Bellinzona in der Schweiz im letzten Jahr oder die Welle an wilden Streiks in Großbritannien in diesem Jahr seien hier nur zwei Beispiele unter vielen.

Und mögen die Umstände noch so schwierig erscheinen: Durch demokratische und kämpferische Gewerkschaften kann die gesamte kreative Kraft der ArbeiterInnen in Arbeitskämpfen zum Vorschein kommen. Es entsteht eine gesellschaftliche Macht, die großartige Errungenschaften erkämpfen kann. Viel wichtiger ist unserer Meinung nach aber, dass diese gesellschaftliche Macht schnell an die Grenzen des Kapitalismus stößt und im Keim schon eine neue Gesellschaftsordnung in sich trägt: den Sozialismus des 21. Jahrhunderts.

Wir wollen also alle dazu einladen, mit uns dafür zu sorgen, dass auch in Österreich aus dem ÖGB eine starke, demokratische und antikapitalistische Gewerkschaftsbewegung entsteht. Die jetzige Wirtschaftskrise, die wie in 1930er Jahren das Denken von Millionen von Menschen rapide verändert, liefert dazu die nötigen Bedingungen. Natürlich wird dieser Prozess auch in Österreich nicht linear, sondern mit ungleichen Geschwindigkeiten in den verschiedenen Teilen der ArbeiterInnenklasse, mit Umbrüchen und über mehrere Umwege verlaufen. Also lasst uns nach dem Motto handeln, das schon den Revolutionären in den Teamster-Streiks zum Erfolg verhalf: Seien wir geduldig, aber verlieren wir keine Zeit!

[Anmerkung: Der gesamte Text dieser Broschüre stützt sich auf die 4. englische Ausgabe des Buches „Teamster Rebellion“ von Farrell Dobbs, erschienen im Jahre 1981 im Monad Press –Verlag.]

Farrell Dobbs – Ein Arbeiter im Amerika der Wirtschaftsdepression

Zu Beginn wollen wir jenen Mann kurz vorstellen, dem wir die umfangreiche Aufzeichnung der Geschichte der Teamsters-Bewegung verdanken: Farrell Dobbs. Sein Leben ist dabei nicht nur von biographischem Interesse. Es ist gleichzeitig eine hervorragende Illustration der Lebensumstände eines US-amerikanischen Arbeiters und seiner politischen Radikalisierung zu Beginn der 1930er.

Farrell Dobbs wurde am 25. Juli 1907 in eine Arbeiterfamilie in Queen City, Missouri geboren. Schon bald zog seine Familie nach Minneapolis, Minnesota um, wo er seine Kindheit und Schulzeit verbrachte. Nach Beenden der Highschool im Jahre 1925 durchlief er einige Hilfsarbeiterjobs als Färber, Automechaniker und Lastwagenfahrer. Durch den ersten Wirtschaftsabschwung im Jahre 1926 wurden aber diese Jobs rar,  und er diente daraufhin eine Saison lang als Erntehelfer in North Dakota.

Im Herbst 1926 bekam er einen Job bei der Western Electric Company als Installateur von Telefonanlagen in Büros. Ein Jahr später heiratete er seine Jugendliebe Marvel Scholl. In der Firma stieg er schnell zum Vorarbeiter auf, bis er 1931 zum „Planungsingenieur“ für die Installierung von Telefonanlagen befördert wurde. Zu seiner Hauptaufgabe wurde nun die Berechnung der Arbeitskosten für die Installierung einer Telefonanlage. Im selben Jahr legte das Management der Firma eine lange Liste von Mitarbeitern vor, die aufgrund der Wirtschaftskrise nach dem Börsencrash von 1929 entlassen werden sollten. Als Mitglied der regionalen Führung sollte er dieser Liste zustimmen, auf der sich aber auch der Name eines Freundes von ihm befand. Dieser war schon langjähriger Mitarbeiter der Firma und sollte entlassen werden, bevor seine Pension fällig wurde. Farrell Dobbs konnte das nicht mit sich vereinbaren und verließ deswegen die Firma.

Nun plante er sich mit Hilfe seiner Abfindung ein kleines Geschäft in Minneapolis aufzubauen. Erst einmal angelaufen, sollte dieses Geschäft mit seiner Frau als Leiterin seine mittlerweile auf 3 Töchter angewachsene Familie ernähren. Er selbst wollte dann auf der Universität Politik- und Rechtswissenschaften studieren. Doch aus diesem Plan wurde nichts. Die Bedingungen für eine Geschäftsneugründung waren denkbar schlecht, schnell war die Abfindung aufgebraucht und auch ein neuer Job tat sich nicht auf. Farrell Dobbs wurde Teil des großen Heeres der Langzeitarbeitslosen. In dieser Zeit der großen Not musste er mit seiner Familie sogar für eine Weile zu seinen Eltern aufs Land ziehen. Dort bildete für eine Zeit lang der Gemüseanbau im Garten ihre Hauptexistenzgrundlage.

Im Herbst 1933 bekam er endlich wieder einen Job als Kohle-Fahrer für das Pittsburgh Kohlefeld, nahe der Stadt. Trotzdem reichte sein Lohn für eine 60-Stunden-Woche kaum für das Notwendigste. Zwar wurde seine Arbeitszeit bald auf 48h Stunden verkürzt, damit einher ging aber auch eine schmerzliche Lohneinbuße. Zusätzlich musste er damit rechnen nach Ende der Kohlesaison, im Frühling, wieder entlassen zu werden. Genau zu diesem Zeitpunkt wurde er zufällig von Grant Dunne, einem Arbeiter eines benachbarten Kohlefeldes, angesprochen. Grant Dunne forderte ihn auf der Transportarbeitergewerkschaft beizutreten, um für bessere Bedingungen und höhere Löhne zu kämpfen. Diese Aufforderung stieß bei Farrell Dobbs auf mehr als nur offene Ohren. Sie sollte die weitere Richtung für sein restliches Leben bestimmen.

In weiterer Folge wird Farrell Dobbs zum engsten Führungsteam der historischen Transportarbeiterstreiks in Minneapolis des Jahres 1934 gehören. Und auch in den darauf folgenden Jahren ist der Aufstieg der militanten Gewerkschaftsbewegung in Minnesota und in 11 weiteren Bundesstaaten untrennbar mit seiner Person verknüpft. Im Jahre 1938 wurde er sogar ins nationale Führungsteam der Transportarbeitergewerkschaft geholt. Gleichzeitig war Dobbs ab dem Jahre 1934 aktives Mitglied der trotzkistischen Bewegung in Amerika. Er wurde im Jahre 1939 nationaler Sekretär für Gewerkschaftsarbeit der Socialist Workers Party (SWP) und nach dem 2. Weltkrieg mehrmals hintereinander deren offizieller Präsidentschaftskandidat.

Diese rasante politische Entwicklung erstaunt auf den ersten Blick. So hatte Farrell Dobbs im Jahre 1932 noch für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Hoover gestimmt, der z.B. meinte, die US-Wirtschaft müsse von selbst wieder auf die Beine kommen und staatliche Hilfe würde die Moral verderben. Doch unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise entwickelte sich sein politisches Bewusstsein in großen Sprüngen. Damit steht Farrell Dobbs stellvertretend für das große Heer der jungen und militanten ArbeiterInnen, die für den unvergleichlichen Aufschwung des Klassenkampfes in den USA der 1930er Jahre verantwortlich waren. Diese Generation suchte leidenschaftlich einen Ausweg aus der kapitalistischen Misere.

Die ArbeiterInnenbewegung in Minnesota: Bürokratische und revolutionäre Traditionen

Die Transportarbeitergewerkschaft, aus deren Reihen die Teamster-Streiks organisiert werden sollten, war Mitglied der American Federation of Labour (AFL). Die AFL war im Jahre 1886 unter der Führung von Samuel Gompers als Dachverband der Fachgewerkschaften gegründet worden. Sie stellte sich die Organisierung der Facharbeiter im ganzen Land zur Aufgabe und stieg schnell zum größten Gewerkschaftsverband der USA (so auch in Minnesota) auf. Dieser rasche Aufschwung hatte objektive Voraussetzungen: Überall warteten die Facharbeiter des Landes darauf, organisiert zu werden. Sie waren besser ausgebildet als der große Rest der übrigen ArbeiterInnen und konnten dadurch gegenüber dem Kapital eine gewisse Stärke an den Tag legen: Es war einfach schwerer sie durch andere ArbeiterInnen zu ersetzen. Somit konnten für diese Schicht durch die AFL viele soziale Errungenschaften durchgesetzt werden.

Diese Errungenschaften hatten aber eine Kehrseite. Es bildete sich eine Art „ArbeiterInnenaristokratie“ heraus, also eine Schicht von ArbeiterInnen, die sich materiell und vom Bewusstsein her von der großen Masse der schlechter gestellten KollegInnen abhob. Für viele dieser Arbeiter erschien der Kapitalismus als ein lebenswertes Gesellschaftssystem, da er sie ja am (materiellen) Wohlstand teilhaben ließ. Bestrebungen, eine sozialistische Gesellschaft zu errichten, verstanden die gut gestellten Facharbeiter daher naturgemäß immer weniger. Sie sahen sich vielmehr eher schon als Teil der Mittelschicht.

Genau diese Entwicklung machte sich das Kapital zunutze. Denn die Unternehmer wussten (aus der praktischen Erfahrung): Die Bildung der Gewerkschaften konnten sie nicht überall verhindern. Doch eine Gewerkschaft, die nur die Facharbeiter organisiert, stellte für ihre Profite keine ernstzunehmende Gefahr dar. Wenn hingegen die gesamte ArbeiterInnenschaft organisiert würde, kämen ihre Profite und somit ihre Betriebe auf dem Weltmarkt in Bedrängnis. Also wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, die offizielle Führung der AFL durch materielle Zuwendungen zu korrumpieren und ihr das Gefühl zu geben, sie sei ein wertvoller Teil der bürgerlichen Gesellschaft. Im Gegenzug sollte diese Führung darauf verzichten, die große Masse der ungelernten ArbeiterInnen zu organisieren.

Und tatsächlich: Nach einigen Jahren interner Fraktionskämpfe in der AFL, wo die sozialistische Fraktion in ihrem Kampf gegen die Bürokratisierung schwere Fehler beging, setzte sich der reformistische Flügel schlussendlich durch. Die komplette Führungsschicht der AFL auf nationaler als auch auf bundesstaatlicher Ebene wurde bürokratisiert Die Bürokratie hatte nicht mehr die allgemeinen Interessen der gesamten ArbeiterInnenklasse im Sinn, sondern nur ihren eigenen materiellen Vorteil (Geld, Ansehen), den die Vertretung einer kleinen privilegierten Schicht von Facharbeitern mit sich brachte. Es entstand der unschöne Typus des „business-unionman“, der die Karriereleiter in der Gewerkschaft emporstieg und sich als würdevolles Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft betrachtete. Wie die Bürgerlichen liebte er Ruhe und Ordnung am Arbeitsplatz, damit die Geschäfte ihren gewohnten Lauf nehmen konnten. Mit dem Klassengegenüber teilte er auch die Angst vor dem „ungelernten Gesindel“ und den „verbrecherischen“ rebellischen Stimmungen in weiten Teilen der Klasse.

Durch die alleinige Organisierung der Facharbeiter blieb die Mehrheit der US-ArbeiterInnenklasse unorganisiert. Zusätzlich war durch die immer stärkere Industrialisierung und die Bildung von immer größeren Unternehmen und Trusts der Typus des Facharbeiters im Rückzug begriffen. Wofür vorher ein Facharbeiter notwendig war, gab es nun eine Maschine, die von einem ungelernten Arbeiter bedient wurde. Somit stellte die AFL als größte Gewerkschaftsvereinigung der USA mit ihrer bürokratischen Führungsschicht gleichzeitig die größte Bremse für die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung in Zeiten von industrieller Fließbandarbeit und Wirtschaftskrise dar. Erklärtes Ziel linker bzw. sozialistischer Strömungen in der Gewerkschaftsbewegung war es daher, Industriegewerkschaften zu schaffen. Das Prinzip der Industriegewerkschaft sah vor, restlos alle ArbeiterInnen einer Industriebranche in einer einzigen Gewerkschaft zu organisieren.

Auch in Minnesota gab es diese linken Strömungen und sozialistische GewerkschaftsaktivistInnen. Aufgrund der Wirtschaftsstruktur des Bundesstaates, die anfangs vor allem auf der Forst- und Getreidewirtschaft basierte, wurden regelmäßig zahlreiche Wander- bzw. SaisonarbeiterInnen benötigt, welche die ansässige ArbeiterInnenschaft immer wieder auffrischten und mit den neuesten fortschrittlichen Ideen des Landes in Berührung brachten. Zu dieser Auffrischung trug auch die anhaltende Einwanderung aus Europa bei. Unter den Auswanderern waren oftmals ArbeiterInnen, die in ihrem Heimatland wegen ihrer sozialistischen Ansichten und Aktivitäten keinen Arbeitgeber mehr fanden bzw. vom Staat verfolgt worden waren.

Zusammen mit der Entdeckung von Eisen- und Kohlevorkommen Ende des 19. Jahrhunderts in Minnesota entwickelte sich das Eisenbahnnetz in großen Sprüngen. Durch die Eisenbahnarbeiter hielt die Socialist Party (SP) unter der Führung von Eugene Debbs Einzug im Bundesstaat. Die SP trug um die Jahrhundertwende das größte Potential in sich, zur allgemeinen sozialistischen Arbeiterpartei in den USA aufzusteigen. Parallel mit der Eisenbahn erfuhr auch das mit Pferden betriebene und später motorisierte Transportwesen in Minnesota großen Aufschwung. Die komplette Binnenversorgung des großflächigen Bundesstaates mit allen notwendigen Lebensmitteln für die Bevölkerung und Gütern für die Industrie hing von diesem Wirtschaftszweig ab. Diese Tatsache werden sich die Organisator der Teamster-Streiks zunutze machen.

Durch das Anwachsen der Industrie erhielten also die radikalen Strömungen in der Gewerkschaftsbewegung in Minnesota Aufwind. Zwar behielt die von bürokratischen Traditionen geprägte AFL ihre Stellung als größter Gewerkschaftsverband. Doch die von militanten ArbeiterInnen im Jahre 1905 gegründeten Industrial Workers of the World (IWW) hatten in Minnesota in ihrer Blütezeit in den frühen 1920ern viele AnhängerInnen. Zu dieser Zeit führte die IWW, deren Mitglieder „Wobblies“ genannt wurden, zahlreiche kämpferische Streiks an. Zudem praktizierten viele ArbeiterInnen eine Doppelmitgliedschaft: Sie waren sowohl in der IWW als auch in der AFL aktiv und brachten somit ebenso die AFL in Bewegung.

Eine große Anzahl dieser radikalen GewerkschaftsaktivistInnen engagierte sich außerdem gleichzeitig in der Socialist Party. So auch Vincent R. Dunne und Carl Skoglund, die bei den Teamster-Streiks eine entscheidende Rolle einnehmen werden. Ihre Biographie ist sehr eng mit der sozialistischen und später kommunistischen Bewegung in Minnesota verknüpft und soll deshalb kurz umrissen werden.

Vincent R. Dunne (Jg. 1889) bekam als Wanderarbeiter das ganze Land zu Gesicht. Er wurde schon früh überzeugter Gewerkschaftsaktivist bei den IWW, was ihm einen reichen Schatz an Streikerfahrung einbrachte. Als es ihn als Eislieferant nach Minneapolis verschlug, lernte er dort Carl Skoglund kennen, der ihn 1920 für den Eintritt in die Communist Party (CP) überzeugte.

Carl Skoglund war 1884 in Schweden als Nachfahre ehemaliger Leibeigener geboren worden. Als junger Arbeiter bei einer Sägemühle half er bei der Organisierung einer Gewerkschaft und wurde prompt entlassen. Kurz darauf wurde er zum Heeresdienst eingezogen. Dort wurde er zu einem führenden Aktivisten der Bewegung für eine Abrüstung des Heeres. Mit diesem „Sündenregister“ fand Carl Skoglund nach dem Heeresdienst keine Arbeit mehr und musste in die USA auswandern. Er landete in Minnesota, arbeitete als Holzfäller und bei einer Eisenbahn-Reparaturwerkstätte. Schnell wurde er zu einer führenden Persönlichkeit in der skandinavischen Sektion der Socialist Party in Minnesota, die damals am linken Flügel der SP stand. Dieser linke Flügel gründete nach der russischen Revolution von 1917 und der Bildung der kommunistischen Dritten Internationale, die Kommunistische Partei der USA.

Vor ihrer stalinistischen Degenerierung leistete die CP in Minnesota wertvolle Arbeit zur Politisierung der Gewerkschaftsbewegung. Vincent R. Dunne und Carl Skoglund waren als Delegierte ihrer jeweiligen Gewerkschaft in der zentralen Bezirksführung der AFL in der Hauptstadt Minneapolis vertreten. Sie waren in der örtlichen ArbeiterInnenbewegung weithin bekannte und anerkannte Aktivisten.

Doch die CP war sehr schnell der üblichen antikommunistischen Propaganda und Hexenjagd ausgesetzt, für KommunistInnen sollte auf Betreiben der AFL-Führung in der Gewerkschaft kein Platz sein. Weiters machte aufgrund der Machtübernahme der Stalin-Clique in Russland die gesamte Kommunistische Internationale eine schnelle Phase der Degeneration durch. Die Kommunistischen Parteien wurden zu willenslosen Instrumenten der prinzipienlosen Außenpolitik der Stalin-Bürokratie, die nicht mehr die Weltrevolution vorantreiben wollte, sondern einzig auf ihren eigenen Machterhalt in Russland bedacht war.

Dieser Entwicklung versuchte Leo Trotzki, der im Jahre 1917 gemeinsam mit Lenin die russische Revolution zum Sieg geführt hatte, mit der Linken Opposition die Stirn zu bieten, vorerst noch innerhalb der kommunistischen Bewegung. Doch nach einigen Jahren (den Anlass brachte die Machtergreifung Hitlers in Deutschland, die von der Kommunistischen Partei aufgrund ihrer katastrophalen Politik nicht verhindert werden konnte, Anm.) stellte sich heraus, dass die kommunistische Bewegung neu gegründet werden musste. Somit entstand unter Leo Trotzkis Führung eine neue, weltweite sozialistische Strömung, die sich zum Ziel setzte, das Erbe des Marxismus und der Oktoberrevolution zu verteidigen und eine neue Partei der Weltrevolution – die IV. Internationale – aufzubauen. Auch in den USA entstand diese Bewegung, vorangetrieben von ehemaligen AktivistInnen der CP. In Minnesota waren die maßgeblichen Personen für die Gründung der trotzkistischen Bewegung rund um die drei Dunne-Brüder und Carl Skoglund versammelt. Unter deren Führung bildete sich der örtliche Ableger der trotzkistischen „Communist League of America“ (CLA). In Minnesota konnten sie sogar die Mehrheit der AktivistInnen der CP für einen Übertritt in die neue trotzkistische Bewegung gewinnen.

Die Transportarbeitergewerkschaft (IBT) und die Local 574

Den zentralen Hebel zur Organisierung der Transportarbeiterstreiks fanden die AktivistInnen der Communist League in der Local 574, einem der örtlichen Ableger der „International Brotherhood of Teamsters“ (IBT), der Transportarbeitergewerkschaft. Das Wort „International“ im Namen der Gewerkschaft bezog sich dabei allein auf den Umstand, dass es diese Gewerkschaft auch in Kanada gab. Die IBT mit ihren 80.000 Mitgliedern war – wie schon gesagt - der AFL eingegliedert und teilte mit ihr alle negativen Eigenschaften einer im System integrierten „Bürokraten-Gewerkschaft“.

An der Spitze der IBT stand Daniel Tobin, ein typischer Vertreter der „business-unionmen“. Von der Zentrale in Indianapolis aus leitete er die Gewerkschaft mit straffen bis nahezu diktatorischen Methoden. Ein Heer von hauptamtlichen, umherreisenden „Organizern“ und das von ihm herausgegebene „Teamsters-Journal“ dienten dazu, die örtlichen Locals der IBT auf Linie zu halten.

Bei der Organisierung der Transportarbeiter beschränkte sich die IBT in allen Städten und Landesteilen stets nur auf einige wenige Firmen, mit denen man meistens so genannte „Closed-Shop“-Abkommen schloss. Diese Abkommen besagten, dass nur Mitglieder der Gewerkschaft bei der Firma beschäftigt sein dürfen; bei diesen Betrieben waren also zumindest die Transportarbeiter (aber nur diese) zu 100% organisiert. Die Bosse erhielten für ein paar kleine Zugeständnisse im Gegenzug das Versprechen, dass ihre Firma von Seiten der IBT das Etikett „fairer Betrieb“ erhielt, mit dem sich Werbung machen lassen konnte. Gleichzeitig war damit garantiert, dass der Betrieb so gut wie nie bestreikt werden würde, da auch die bürokratische Führung der IBT kein Interesse an Streiks hatte (siehe voriges Kapitel).

In der IBT konnten sich auf jeder Führungsebene nur diejenigen halten, die mit den Vorgaben von Daniel Tobin konform gingen. Für ihre Unterordnung in Fragen der Gewerkschaftspolitik erhielten sie als Ausgleich freie Hand für alle organisatorischen Belange und Personalentscheidungen auf lokaler, örtliche Ebene. So konnten sich die Leiter der Exekutivkomitees der einzelnen Locals, und eine Ebene höher, die Leiter der „Teamster Joint Councils“ (TJC), die sich aus den Leitern der verschiedenen Exekutivkomitees zusammensetzten, als „Lokalkaiser“ eigene kleine Reiche schaffen.

Diese Reiche funktionierten durch das Facharbeiter-Prinzip der AFL nach der „Teile und Herrsche“-Regel: Für jede einzelne Unterabteilung von Transportarbeitern gab es eine eigene Local: die Local der Milchfahrer, der Kohlefahrer, der Eisfahrer, der Möbelfahrer, der Taxifahrer usw. Allzu viel Kontakt, geschweige eine Zusammenarbeit der einzelnen Locals war nicht erwünscht, die Verbindungen wurden allein durch die Leiter hergestellt, die dadurch das Heft in der Hand behielten. Komplettiert wurde dieses Bild in allen Landesteilen stets noch dadurch, dass immer nur eine Minderheit durch die Closed-Shop-Abkommen überhaupt in der IBT organisiert war, der Großteil blieb unorganisiert.

Es gab nur ein paar wenige Locals, deren Statut es zuließ, Transportarbeiter verschiedener Zweige zu organisieren, freilich einzig zu dem Zweck, um sie danach zur jeweiligen „Fach-Local“ weiterzuleiten. Die Local 574 in Minneapolis hatte solch ein allgemeiner gehaltenes Statut. Die Aktivisten der CLA wollten sich genau dieses Statut zunutze machen, um in der IBT den Kampf für die gewerkschaftliche Organisierung nach dem Industriegruppenprinzip zu beginnen.

Doch nicht nur das bewog sie, innerhalb der IBT und der Local 574 zu arbeiten. Zwar wussten sie, dass sie mit ihrem Versuch, eine allumfassende Organisierung der Transportarbeiter einzuleiten, gegen eine Armada von Bürokraten würden anlaufen müssen. Doch gleichzeitig erkannten sie, dass eine Organisierung außerhalb der IBT und somit der AFL zum Scheitern verurteilt sein würde, da von jedem Arbeiter die AFL als die zentrale Gewerkschaftsorganisation angesehen wurde. Von der AFL unabhängige Organisationsformen wären zu diesem Zeitpunkt von der überwältigen Mehrheit nicht ernst genommen worden.

Weiters gaben die Bedingungen an den Arbeitsplätzen in Zeiten der Wirtschaftskrise der 1930er berechtigterweise Anlass zu der Zuversicht, dass die Arbeiter dem Ruf nach einer umfassenden Organisierung in Scharen folgen würden, würde er nur endlich einmal ausgesprochen werden. Das spezifische politische Gewicht der Aktivisten der CLA und der besonderen politischen Umstände in Minnesota sollten das Ihre dazu beitragen.

Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen zu Beginn der 1930er

Mit dem Börsencrash von 1929 wurde die große Weltwirtschaftskrise der 1930er eingeleitet. Aufgrund der weltweiten Überakkumulation von Kapital und dem damit einhergehenden Verfall der Profite kam es zu unzähligen Firmenschließungen und Massenentlassungen. Es war aus der Sicht des Kapitals einfach nicht mehr profitabel bzw. zu risikoreich, in die reale Wirtschaft zu investieren. Am Höhepunkt der Krise in den Jahren 1932/33 waren in den USA 25% aller Lohnabhängigen arbeitslos.

Die bürgerliche Klasse reagierte auf diese Krise mit einem Wechsel ihrer Wirtschaftspolitik. Der Wirtschaftsliberalismus wurde zugunsten einer Politik der Staatseingriffe in die Wirtschaft aufgegeben. Diese Strategie – die oftmals unter dem Namen Keynesianismus zusammengefasst wird – gelangte mit dem Antritt des demokratischen Präsidenten Franklin Roosevelt im Jahre 1932 als so genannter „New Deal“ zur vollen Entfaltung.

Im Rahmen des New Deal verabschiedete Roosevelt den „National Recovery Act“ (NRA). Mit billigen staatlichen Krediten sollte den großen Konzernen und Trusts wieder auf die Beine geholfen werden. Gleichzeitig wurde – nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Staatsverschuldung – der Preisverfall gestoppt. Durch hohe Preise für ihre Produkte sollten sich die Unternehmen wieder „gesund verdienen“. Doch die demokratische Regierung sah auch ein, dass sie irgendwie dem Massenelend der Lohnabhängigen – zumindest scheinbar –begegnen musste, wollte sie größere soziale Unruhen bis hin zu einer revolutionären Entwicklung verhindern.

Deswegen beinhaltete der NRA nicht nur staatliche Hilfsprogramme für die Unternehmen, sondern auch einige Bestimmungen für die ArbeiterInnen. Das Recht sich gewerkschaftlich zu organisieren wurde erstmals staatlich garantiert. Durch höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten sollte der schwierigen Lage der Beschäftigten begegnet werden. Das Problem daran war nur: all diese Verbesserungen sollten freiwillig von den Unternehmen eingeführt werden. Jene verkürzten tatsächlich oftmals die Arbeitszeit, gleichzeitig kürzten sie aber auch die Löhne, wie es das Beispiel von Farrell Dobbs (siehe 1. Kapitel) schon gezeigt hatte.

Die Organisierung der ArbeiterInnen sollte nach den Vorstellungen der Demokraten in geregelten (bürgerlichen) Bahnen verlaufen. Die Regierung rief landesweit Schlichtungsausschüsse ins Leben, die „Regional Labour Boards“. Diese Labour Boards wurden sowohl mit VertreterInnen der UnternehmerInnen als auch der Gewerkschaften bestückt. Auf Seiten der Gewerkschaft kamen wieder einmal die „business-unionmen“ zum Zug, die übrigens – wenig überraschend – voll hinter Roosevelt standen und die gesamte Gewerkschaftsbewegung immer mehr zu einem Anhängsel der Demokratischen Partei machten. Im Falle von Arbeitskämpfen brachten sich die Labour Boards sofort als „Mediatoren“ ins Spiel, stets mit dem Ziel, Streiks zu verhindern oder wenigstens möglichst bald zu beenden. Weiters wurden im NRA auch ausdrücklich von den Bossen selbst gegründete Gewerkschaften als legitime Vertretung von ArbeiterInnen anerkannt und begrüßt.

Schlussendlich investierte die demokratische Regierung noch in einen großflächigen Ausbau der Infrastruktur. Für den Bau von öffentlichen Gebäuden, Straßen, Brücken, Staudämmen usw. wurden Teile des Arbeitslosenheeres herangezogen und der „Civil Works Administration“ (CWA) eingegliedert. Zwar half die CWA zweifellos dabei, das Ausmaß der Arbeitslosigkeit etwas zu lindern. Doch die von der CWA beschäftigten ArbeiterInnen mussten meist mit noch geringeren Löhnen als ihre KollegInnen in der Privatwirtschaft ihr Auslangen finden. Außerdem hielt das staatliche Beschäftigungsprogramm nur bis zum Jahre 1937 an. Zu diesem Zeitpunkt zog die Regierung die Gelder wieder ab, um sie am Vorabend des 2. Weltkrieges in staatliche Rüstungsprogramme zu stecken. – Es kam abermals zu Massenentlassungen, diesmal von staatlich beschäftigten ArbeiterInnen.

Die politischen Rahmenbedingungen waren im Falle von Minnesota noch von einer Besonderheit geprägt. In Minnesota stellte seit 1930 eine Partei den Gouverneur und die Regierung, die das bürgerliche Zwei-Parteien-System der Republikaner und der Demokraten durchbrochen hatte: die „Farmer-Labour-Party“ (FLP). Die FLP war im Jahre 1918 von Organisationen der kleinen Bauern, von der Gewerkschaftsbewegung und Teilen der Mittelklasse gegründet worden. Sie sollte eine politische Alternative zu den beiden althergebrachten bürgerlichen Parteien bieten. Beide Parteien stellten ja im Wesentlichen lediglich das politische Sprachrohr der großen Unternehmer-Kartelle dar. Vor allem aufgrund eines starken linken Flügels in der Gewerkschaftsbewegung degradierte die FLP in den ersten zwei Jahrzehnten ihres Bestehens nur sehr langsam zum Anhängsel der Demokraten. Dieses Schicksal hatte sonst in der Vergangenheit die „unabhängigen“ Parteien stets sehr schnell ereilt. Bei den Wahlen in Minnesota wurden also Gegenkandidaten zu jenen der beiden bürgerlichen Parteien aufgestellt, die von der ländlichen Bevölkerung und den ArbeiterInnen massiv unterstützt wurden. Aus der Sicht der ArbeiterInnenbewegung stellte die FLP somit zweifellos einen gewaltigen Fortschritt dar.

Dennoch hatte die FLP viele Schwächen. Aufgrund des Fehlens eines klaren sozialistischen Programms entwickelte sich aus den Parlamentskandidaten der FLP wieder sehr schnell eine Schicht von Funktionären, die es sich „im Kapitalismus richten wollten“. Mit ein paar Reformen sollte der Kapitalismus verbessert werden, während die Parteifunktionäre ihrer Karriere in der Regierung nachgehen konnten. Insofern ähnelte die damalige FLP den heutigen sozialdemokratischen Parteien. Die Parteidemokratie wurde ausgehöhlt, indem den Stadtclubs der FLP, die sich hauptsächlich aus VertreterInnen der Mittelklassen und des Parteiapparats zusammensetzten, bei Konferenzen und Wahlen ein überproportionales Gewicht über die Organisationen der kleinen Bauern und der Gewerkschaften eingeräumt wurde.

Nichtsdestotrotz waren die Funktionäre bei den Wahlen auf die Stimme der ArbeiterInnen und Bauern angewiesen. Somit musste der seit 1930 amtierende FLP-Gouverneur Floyd B. Olson auf diese Schichten Rücksicht nehmen, wollte er sein politisches Amt behalten. Diesen Umstand werden sich die Aktivisten der CLA bei den Teamster-Streiks zu nutze machen.

Revolutionäre Perspektiven für die Gewerkschaftsbewegung

Wie in den vorangegangen Kapiteln beschrieben, hatte die US-ArbeiterInnenbewegung zu Beginn der 1930er mit existentiellen Problemen zu kämpfen: Massenarbeitslosigkeit und prekäre Jobs mit niedrigen Löhnen, langen Arbeitszeiten und erhöhtem Arbeitsdruck prägten diese Zeit. Doch anstatt diesen Missständen mit einer offensiven Strategie, mit Arbeitskämpfen, den Krieg zu erklären, entschied sich die offizielle Führung der Gewerkschaftsbewegung dafür, die Krise auszusitzen. Zuerst sollte die Wirtschaft wieder aufgepäppelt werden, frei nach dem Motto: „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“. Währendessen setzte man auf den demokratischen Präsidenten Roosevelt, der mit seinen staatlichen Hilfsprogrammen die schlimmste Not schon lindern würde. Dem Kapitalismus sollte eine „Verschnaufpause“ gegönnt werden. Alle AmerikanerInnen hätten eben eine Zeit lang gemeinsam den Gürtel enger zu schnallen.

Die Aktivisten der CLA ließen sich hingegen von ihrer marxistischen Analyse der kapitalistischen Gesellschaft leiten. Diese Analyse besagt: Die Gesellschaft im Kapitalismus besteht aus den Klassen der KapitalistInnen und der ArbeiterInnen, die stets antagonistische Interessen haben. Denn beide Klassen kämpfen um die Verfügung über den gesellschaftlichen Reichtum, der von den ArbeiterInnen - durch ihre über den Lohn hinausgehende unbezahlte Mehrarbeit - erzeugt wird. Im Kapitalismus kann die herrschende Klasse durch ihr Eigentum an den Produktionsmitteln über diesen Reichtum verfügen. Sie unterwirft die ganze Gesellschaft dem Prinzip der Vermehrung des Kapitals, der Profitmaximierung. Der erzeugte Reichtum soll ohne Ende stets nur dazu dienen, noch mehr Reichtum zu erzeugen. Die ArbeiterInnen hingegen streben danach, den gesellschaftlichen Reichtum zur Hebung ihres Lebensstandards und dem der ganzen Gesellschaft einzusetzen.

Dieser Antagonismus tritt noch vielmehr in wirtschaftlichen Krisenzeiten zutage. Die wirtschaftliche Krise im Kapitalismus ist von dem Paradoxon geprägt, dass ein Überfluss an Kapital und somit an Reichtum zu einem Fall des Lebensstandards der breiten Bevölkerungsmasse führt. Das kümmert den einzelnen Kapitalisten allerdings nicht. Ihn kümmert nur sein Profit. Die Produktion von Waren lohnt sich für ihn einfach nicht mehr, da zu wenig profitabel. Deshalb wird im Zuge einer Krise die Produktion massiv heruntergefahren und Produktionsmittel werden im großen Stil vernichtet (Stichwort Fabrikschließungen). Zur selben Zeit wäre aber das Bedürfnis der ArbeiterInnen nach den Produkten (und natürlich den Arbeitsplätzen) unvermindert vorhanden. Die ArbeiterInnen sind lediglich im Zuge einer Krise immer mehr außerstande, die Produkte zu kaufen, da sie eben in großem Stil auf die Straße gesetzt werden, Lohnverluste hinnehmen müssen usw.

Somit gibt es nur zwei Wege aus der kapitalistischen Wirtschaftskrise: Entweder wird die Produktion so verbilligt (durch niedrigste Löhne, schlechteste Arbeitsbedingungen usw.), sodass sie wieder Profit abwirft. Dabei muss dann der Staat als Hauptmotor der Nachfrage dienen (z.B. durch Aufträge an die Rüstungsindustrie am Vorabend des 2. Weltkrieges). Die Krise wird also auf dem Rücken der Lohnabhängigen ausgestanden. Oder aber die ArbeiterInnen stellen sich durch kollektive Arbeitskämpfe diesem „Ausweg“ entgegen. Dadurch wird aber der Kapitalismus und mit ihm die bürgerliche Klasse zutiefst in seiner Existenz bedroht. Die KapitalistInnen werden deshalb stets unter Verwendung all ihrer Mittel (wie z.B. der Staatsgewalt) versuchen, diesen Widerstand zu brechen. Wenn das nur über die vollkommene Zerschlagung der gesamten ArbeiterInnenbewegung möglich ist, dann scheuen sie auch davor nicht zurück: Die faschistischen Regimes des 20. Jahrhunderts sind ein beredtes Beispiel dafür.

Deswegen muss aus marxistischer Sicht die ArbeiterInnenbewegung in ihrem Kampf für bessere Lebensbedingungen und im Speziellen gegen die Auswirkungen der Krise stets auch danach trachten, den KapitalistInnen ihre eigentliche Machtbasis zu nehmen: Ihr Eigentum an den Produktionsmitteln. Diese müssen vergesellschaftet und unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und der KonsumentInnen selbst gestellt werden. Diese Vergesellschaftung ist natürlich nur möglich, wenn die ArbeiterInnen auch die staatliche politische Macht ergreifen und damit beginnen, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, in der nach Bedürfnissen und nicht nach Profit produziert wird.

Also brauchte der Kampf gegen die Krise aus der Sicht der AktivistInnen der CLA eine sozialistische Perspektive, sollte er Erfolg bringen. Andernfalls würde unweigerlich die Bewegung der ArbeiterInnen früher oder später in die Defensive gelangen und die ArbeiterInnen hätten für die Krise voll zu bezahlen. 

Die CLA ging von der Perspektive eines Aufschwungs des Klassenkampfes aus. So gab es bereits im Jahre 1933 einige Anzeichen dafür, dass sich ArbeiterInnen zu rühren begannen: landauf, landab kam es zu Streiks, die Mitgliederzahlen der AFL stiegen an. Dies alles geschah nicht zuletzt aufgrund des im vorigen Kapitel angesprochen Rechts auf Organisierung, das durch den NRA ab dem Frühjahr 1933 garantiert wurde. Die ArbeiterInnen hatten die Nase von ihrer elenden Lage voll und nahmen die garantierten Rechte im NRA beim Wort. Der beginnende Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung gab also allen Grund zur Hoffnung.

Doch für die CLA  stellte sich noch eine große Frage: Die Frage der richtigen Führung für die ArbeiterInnenbewegung. Die damalige Führung der ArbeiterInnenbewegung war – wie zuvor beschrieben – ideologisch und auch mit persönlichen Banden viel zu sehr in der kapitalistischen Gesellschaft befangen, als dass sie noch eine sozialistische Perspektive hätte entwickeln können. Letztere war aber unerlässlich für einen echten Kampf gegen die Krise. Also musste die aktuelle Führung durch eine sozialistische Führung ersetzt werden, die um sich alle klassenbewussten und kämpferischen ArbeiterInnen zu scharen hatte. Gerade diese Führung wollte die CLA im ganzen Land mit aufbauen helfen und mit den marxistischen Methoden ausrüstenen. Doch wie dies bewerkstelligen? Es hätte sicher nicht ausgereicht, zu den ArbeiterInnen einfach nur zu sagen: „Seht her, ich weiß besser, wie es läuft, folgt meinen Ratschlägen und werft Eure alten, traditionellen Organisationen und Führungen beiseite!“

Darum entschied sich die CLA vielmehr für die Strategie, den Aufschwung des Klassenkampfes im Land zu nutzen, in die traditionellen Organisationen (wie z.B. die AFL) der ArbeiterInnen einzutreten, um dort gemeinsam mit den ArbeiterInnen den Kampf gegen die Auswirkungen der Krise zu beginnen. Die CLA wollte sich dabei in keiner Weise von den übrigen ArbeiterInnen abheben. Ihre AktivistInnen würden nur für alle aktuellen Fragen der gewerkschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen ihre eigenen Vorschläge parat haben, deren Richtigkeit die ArbeiterInnen durch ihre persönliche Erfahrung überprüfen würden können. Wären die ArbeiterInnen einmal davon überzeugt, dass die marxistischen Methoden besser funktionieren als die Methoden der offiziellen Führung, würde man dazu übergehen können, die Führung der traditionellen Organisationen herauszufordern.

Die ArbeiterInnen mussten also zuerst einmal sehen, dass gut geplante, militante Arbeitskämpfe zum Ziel führen können. Dies galt umso mehr für die ArbeiterInnen in und rund um Minneapolis. Seit 20 Jahren war kein einziger Streik gewonnen worden, da es einen mächtigen Gegner gab: die Citizen Alliance. Diese Vereinigung aller wichtigen Unternehmer in Minnesota bezog ihr Selbstvertrauen nicht zuletzt aus dem Umstand, dass sie in der Vergangenheit alle Streiks erfolgreich mittels Polizeigewalt niedergeschlagen hatte. Aufgrund dieses Selbstvertrauens erhob die Citizens Alliance den Anspruch, den Staat Minnesota als eine weitgehend „gewerkschaftsfreie Zone“ zu erhalten. Das von Roosevelt verfügte Recht auf Organisierung wurde von der Citizen Alliance schlichtweg ignoriert. Somit war den AktivistInnen der CLA klar, dass der Kampf in Minnesota auch um das elementarste Recht der ArbeiterInnenbewegung - das Recht auf Organisierung - geführt werden musste.

Oberflächlich betrachtet erschienen die Vorhaben der CLA nicht leicht. Die ArbeiterInnen in Minnesota verhielten sich noch passiv. Doch unter der Oberfläche gärte es. Es war sehr wahrscheinlich, dass die Gärung schon so weit vorangeschritten war, dass die ArbeiterInnen dem Ruf nach einem Arbeitskampf folgen würden. Außerdem hatte Minneapolis eine nicht zu unterschätzende Reservearmee von ehemaligen militanten ArbeiterInnen der IWW, die beim Ruf zum Kampf - nach Farrell Dobbs Worten - genau so aufhorchen würden, wie ein altes Schlachtross beim Klang der Kriegstrompete. Die Citizen Alliance musste also erst einmal durch einen schnellen, überraschenden Schlag überrascht werden. Durch einen erfolgreichen Streik wäre dann ein Beispiel für alle ArbeiterInnen in Minneapolis gegeben, sich die Methoden des klassenkämpferischen Arbeitskampfs anzueignen.

Die Möglichkeit für diesen Überraschungsschlag ergab sich im Winter 1933/1934 bei den Kohlefahrern des Pittsburgh-Kohlefelds, die in der Local 574 der IBT organisiert waren. Damit kommen wir nun zu unserer eigentlichen Geschichte.

Der Februar-Streik der Kohlefahrer

Der Organisierung des Februarstreiks gingen drei Jahre der geduldigsten Vorbereitungsarbeit voraus. So waren im Winter 1930-31 einige Mitglieder der CLA - die drei Dunne Brüder Vincent Ray, Miles und Grant und Carl Skoglund - in die Local 574 eingetreten. Sie alle arbeiteten als Kohlefahrer, Beladner oder Waagmeister in verschiedenen Kohlefeldern vor der Stadt. Zum Zeitpunkt ihres Eintritts hatte die Local nur 4-5 „closed-shop Abkommen“, eines davon mit einem Betreiber eines Kohlefeldes. Insgesamt hatte die Local lediglich ca. 70 Mitglieder.

Die Führung der Local bestand aus einem 7-köpfigen Exekutivkomitee, das von Cliff Hall, einem typischen Gewerkschaftskarrieristen, dominiert wurde. Cliff Halls Hauptaugenmerk bestand darin, die wenigen „closed-shop Abkommen“ nur ja nicht durch den Versuch einer breiteren Organisierung aller Lastwagenfahrer in der Stadt zu gefährden. Genau diesen Versuch wollten aber die CLA-Aktivisten, beginnend bei den Kohlfeldern, unternehmen.

Deshalb mussten sie zuerst versuchen, eine Mehrheit des Exekutivkomitees für die Idee einer breiteren Organisierung zu gewinnen. Sie gingen folgendermaßen vor: Sie riefen in den Kohlefeldern im Geheimen ein freiwilliges Organisations-Komitee ins Leben, das die dortige Gründung eines Ablegers der 574 vorbereiten sollte. In Arbeitspausen und ähnlichen Möglichkeiten für Gespräche tasteten sie ihre Arbeitskollegen nach ihrer Bereitschaft ab, sich für eine Gewerkschaft einzusetzen. Sehr langsam aber stetig gewannen sie einen immer größeren Kreis von Unterstützern. Um bei dieser Vorbereitungsarbeit nicht von Seiten der Firmenleitung erwischt zu werden, wandten sie alle möglichen Tricks an: So konnten sie den Boss eines Kohlefelds erfolgreich davon überzeugen, sie seien eine Gruppe von engagierten Arbeitern, die sich Gedanken über die Steigerung der Motivation im Betrieb machen wollten. Der Chef war hoch erfreut und stellte ihnen sogar für einen Abend eine Räumlichkeit mitsamt Freibier zur Verfügung.

Als dann noch viele der kleineren Kohlefelder zum Pittsburgh-Konglomerat fusionierten, bekam die Organisationskampagne neuen frischen Aufwind. Genau zu dieser Zeit stieß auch Farrell Dobbs zum Organisationskomitee, zusammen mit Harry de Boer und Kelly Postal, zwei weiteren Kampfgefährten auf lange Jahre hinaus.

Das gestiegene Interesse an einer Organisierung war u.a. dem Umstand geschuldet, dass die Lage der Lastwagenfahrer immer unerträglicher wurde. Abgesehen von den schon erwähnten langen Arbeitszeiten von bis zu 60 Stunden in der Woche bei Hungerlöhnen, mussten die Fahrer oftmals noch unbezahlte Überstunden hinnehmen. Jeder konnte jederzeit gekündigt werden. Viele wurden in eine Scheinselbständigkeit gedrängt, wo sie ihre über Kredit finanzierten Lastwägen abarbeiten mussten. Diese „selbständigen“ Lastwagenfahrer boten den Betreibern der Kohlefelder eine günstige Gelegenheit, aus der Norm fallende Liefermengen abzudecken, ohne deswegen mehr Fahrer direkt beschäftigen zu müssen. Diese Fahrer wurden darüber hinaus nach dem Gewicht ihrer Fracht bezahlt, wobei sie letztere oft selbst ein- und ausladen mussten. Hatten sie einmal keinen Auftrag, so verbrachten sie ihre Zeit wartend auf den Kohlefeldern, im Winter in selbst gezimmerten Holzverschlägen, den so genannten „Hundehütten“.

Nachdem das freiwillige Organisationskomitee zahlenmäßig angewachsen war, organisierte Miles Dunne ein Treffen mit dem Exekutivkomitee der Local 574. Miles Dunne hatte in den 2-3 Jahren seiner Mitgliedschaft ein enges Vertrauensverhältnis zu einem Mitglied des Exekutivkomitees aufbauen können, der auch gleichzeitig der Vorsitzende der Local 574 war: William S. Brown. Brown - meist als Lastwagenfahrer für Gemüse beschäftigt - war um die 35 Jahre alt und schon seit 10 Jahren Mitglied und Vorsitzender der Local 574. Weiters bekleidete er auch noch das Amt des Organisators des Teamsters Joint Councils (TJC) in der Stadt. Trotz dieser Posten, die in Richtung einer weiteren Karriere in der Gewerkschaft wiesen, hatte sich Brown - als ein im Prinzip ehrlicher Kämpfer - ein instinktives Gespür für die Bedürfnisse der Basis bewahrt. Außerdem hatte er ein außerordentliches Talent zum Massenredner. Die Freundschaft mit Miles Dunne brachten all diese guten Eigenschaften wieder in den Vordergrund, und er konnte für die Idee einer generellen Organisierung der Kohlefahrer gewonnen werden. Brown selbst überzeugte dann noch ein weiteres Mitglied des Exekutivkomitees, Georg Frosig, von diesem Kurs. Zusammen mit frisch gewonnenen Arbeitern, die ihre Argumente leidenschaftlich vortrugen (darunter Farrell Dobbs), konnte der schwankende Rest des Exekutivkomitees bei diesem Treffen zumindest davon überzeugt werden, die Organisierung nicht zu behindern. Allerdings stellte der Kreis rund um Cliff Hall nach wie vor die formelle Mehrheit im Exekutivkomitee.

Daraufhin ging alles sehr schnell. Nachdem nun die Mitglieder des freiwilligen Organisationskomitees als offizielle Mitglieder der Local 574 anerkannt waren, konnten sie viel offener im Betrieb auftreten und begannen massiv für die Mitgliedschaft in der 574 zu werben und das mit Erfolg. Der Aktionsplan sah vor, dass alle neuen Gewerkschaftsmitglieder durch ein Repräsentationskomitee einen selbst erarbeiteten Forderungskatalog an ihre Unternehmer stellen sollten. Würden die Unternehmer sich weigern, mit dem Repräsentationskomitee zu sprechen, musste über einen Streik abgestimmt werden. Die aufgestellten Forderungen umfassten die zentralen Fragen: höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, bezahlte Überstunden und Kündigungsschutz. – Komplettiert wurde die Liste noch mit der Forderung nach einer Anerkennung der Gewerkschaft als alleiniger Verhandlungspartner der Unternehmer. Die Zeit der individuellen Verträge sollte beendet werden.

Selbstredend zeigten die Unternehmer diesen Bestrebungen die kalte Schulter, sie waren zu keinerlei Verhandlungen bereit. Das Repräsentationskomitee berief ein Treffen ein, um über den Streik abstimmen zu lassen. Doch eine von Cliff Hall gerufene Armada von Gewerkschaftsbürokraten anderer Locals der Stadt kam angeschwirrt, um sich entschieden gegen den Streik auszusprechen. Das frustrierte viele der Arbeiter so sehr, dass sie ihre Mitgliedsausweise wieder zerrissen, angewidert von der scheinbaren Ohnmacht der Gewerkschaft.

Doch das Repräsentationskomitee ließ nicht locker und berief eine neuerliche Generalversammlung für einen Sonntag ein, zu der mehr Arbeiter kommen konnten. Denjenigen Arbeitern, die ihre Mitgliedsausweise zerrissen hatten, wurde gut zugeredet, der Sache nochmals eine Chance zu gewähren. Und tatsächlich: die Teilnahme an der Generalversammlung war gewaltig und diesmal konnte kein Bürokrat mehr die mehrheitliche Entscheidung für einen Streik aufhalten. Ein Streikkomitee wurde gewählt, das den Unternehmern nochmals ein Ultimatum von 48 Stunden zur Aufnahme von Verhandlungen stellte. Die Bosse ließen das Ultimatum verstreichen. Somit konnte der Streik zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt beginnen. Es war Anfang Februar im Jahr 1934, die Temperaturen lagen unter Null Grad Celsius und die ganze Stadt war auf Kohlelieferungen zum Heizen angewiesen.

Anfangs schien es aber so, als würden sich die meisten Arbeiter gar nicht am Streik beteiligen wollen. Die Mehrheit vertrat in etwa die folgende Haltung: „Sehen wir einmal, ob es die Gewerkschaft wirklich ernst meint, ob sie wirklich den Mumm hat, zu streiken!“. So bedurfte es des beherzten Vorstoßes all jener Belegschaften von Kohlefeldern, wo die Aktivisten der 574 schon eine gewisse Verankerung hatten, um den Streik ins Laufen zu bringen. Sobald sich jedoch die Kunde von einem Kohlefeld, das in den Streik trat, verbreitete, schlossen sich wieder weitere dem Streik an, bis sich schlussendlich fast alle Transportarbeiter der 67 betroffenen Kohlefelder im Streik befanden. Die Streikenden meldeten sich zuallererst beim Hauptquartier der 574, wo sie darauf warteten, als Streikposten eingeteilt zu werden. So standen schnell 600 Streikposten zur Verfügung.

Mit einem zuvor sorgfältig ausgearbeiteten Plan wurden nun diese 600 Streikposten über die 67 Kohlefelder verteilt, wo sie jeden Verkehr zu und von den Kohlefeldern zu unterbinden hatten. Jede kleinere Einheit von Streikenden unterstand einem vom Streikkomitee ernannten „Streikposten-Kapitän“, der stets eine enge Verbindung zur Zentrale aufrechterhielt, um zu berichten und Anordnungen zu empfangen.

Weiters entstand aus der Begeisterung und Leidenschaft der - meist jungen - Arbeiter, die in dem Streik involviert waren, ein Novum in Sachen Arbeitskampf: die „kreuzenden Streikposten“ wurden ins Leben gerufen. Alle Arbeiter, die über einen eigenen LKW oder einen Privat-PKW verfügten, fuhren mit diesen durch sämtliche Straßen in und rund um Minneapolis. Ihre Aufgabe war, so genannte „scab drivers“, - Lastwagenfahrer, die sich nicht an den Streik hielten - aufzuspüren und am Weiterfahren durch Versperrung der Straße mit ihren eigenen LKWs zu hindern. Nicht zuletzt durch diese spontane Initiative war der Streik sehr solide. Auch Polizeieinsätze konnten daran nichts ändern. So wurde von Seiten der Polizei versucht, eine Kohlelieferung für das Landhaus des County-Sheriffs mit einem starken Aufgebot zu eskortieren. Das Ergebnis: eine dreistündige „Schlacht“ mit den kreuzenden Streikposten, die schlussendlich die Oberhand behielten und den Transport verhinderten.

Somit hatte dieser gewerkschaftliche Überraschungsangriff die Unternehmer der Kohlefelder tatsächlich eiskalt erwischt. Und dies im wörtlichen Sinne: die eisigen Temperaturen ließen die Klagen der Kunden über die fehlenden Kohlelieferungen immer mehr anschwellen, bis sie nicht mehr ignoriert werden konnten. Schon am dritten Tag des Streiks kam von Seiten der Unternehmer ein Angebot: Sie würden die Local 574 als alleinige Vertretung der Fahrer akzeptieren, allerdings nur indirekt über den Roosevelt`schen Schlichtungsausschuss. Für diesen Schlichtungsausschuss hätten aber auf den Kohlefeldern zuerst Wahlen stattzufinden. Sollte die Local 574 daraus als Siegerin hervorgehen, dann würde mit ihr über den Schlichtungsausschuss über bessere Konditionen verhandelt werden.

Das Streikkomitee berief sofort eine Generalversammlung ein, um die Streikenden über dieses Angebot abstimmen zu lassen. Cliff Hall hatte wieder Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um auf dieser Versammlung eine möglichst große Anzahl von honorigen Vertretern der oberen AFL-Hierarchie sprechen zu lassen. All diese Vertreter lobten das Entgegenkommen der Unternehmer in höchsten Tönen. Die Fahrer hätten dieses Angebot dankbar zu akzeptieren, denn sie seien ja in Sachen Gewerkschaftsarbeit noch blutige Anfänger. Einer dieser Vertreter wörtlich: Die Arbeiter hätten zuerst das Krabbeln zu erlernen, bevor sie über das Gehen nachdenken könnten.

Und tatsächlich: Durch diesen Schwall an Argumenten konnten die Fahrer mehrheitlich davon überzeugt werden, für einen Abbruch des Streiks zu stimmen, obwohl es von Seiten der Unternehmer keinerlei Zusicherungen für eine Erhöhung der Löhne oder der Bezahlung von Überstunden gab. Das wäre erst Gegenstand der Verhandlungen nach den Wahlen zum Schlichtungsausschuss. Somit liefen die Fahrer Gefahr, die durch den Streik gewonnenen Errungenschaften am Verhandlungstisch wieder zu verlieren. Auf diesen Umstand wiesen auch geschlossen alle Aktivisten der CLA, die das Wort ergriffen – wie z.B. Miles Dunne – hin. Sie vertraten die Ansicht, dass der Streik weiter geführt werden müsste, bis die Unternehmer zu direkten Zugeständnissen - die Löhne oder die Arbeitszeit betreffend – bereit wären. Doch sie blieben mit ihrer Meinung in der Minderheit und am nächsten Tag nahmen alle Fahrer die Arbeit wieder auf.

Bei den Wahlen zum Schlichtungsausschuss ging die 574 als große Siegerin hervor. Die darauf folgenden Verhandlungen konnten den Unternehmern tatsächlich einige Zugeständnisse entlocken: Eine moderate Lohnerhöhung wurde vereinbart und eine Normalarbeitszeit von 48 Stunden. Überstunden mussten nun mit dem Faktor 1,5 bezahlt werden. Doch gemessen an der Wucht des Streiks waren diese Zugeständnisse aus der Sicht der CLA nur sehr gemäßigter Natur. Der größte (und freilich nicht zu unterschätzende) Erfolg war allerdings, dass die 574 nun auf den Kohlefeldern als Gewerkschaft für alle Fahrer etabliert war.

Es hätte aber noch mehr herausgeholt werden können, hätte nicht immer eine Armada von Gewerkschaftsbürokraten die gewerkschaftliche Stärke der Arbeiter geschwächt. So war zuerst versucht worden, generell eine Etablierung der 574 auf den Kohlefeldern zu verhindern. Als das nicht mehr möglich war, wurde alles daran gesetzt, einen Streik zu verhindern oder – als das nicht gelang – ihn möglichst bald zu beenden.

Doch schlussendlich bilanzierten die CLA-Aktivisten den Streik trotzdem sehr positiv: Die Fahrer der Kohlefelder hatten mit ihrem Willen und ihrer Begeisterung, für ihr Los zu kämpfen, die Hoffnungen und die Energien der gesamten ArbeiterInnenschaft von Minneapolis in Bewegung gesetzt. Und gerade diese Dinge waren es ja, auf die die Aktivisten der CLA bauen wollten. Mit diesen Kräften ließen sich wohl auch die bremsenden Kräfte in den eigenen Reihen überwinden. Der Kampf, sei es der gegen die Unternehmer von Minneapolis oder der gegen die Bürokratie in der AFL, war durch den Streik der Kohlefahrer erst eröffnet worden.

Das Organisationskomitee der Local 574

Die durch den Streik in großer Anzahl für die 574 neu gewonnenen Kohlefahrer kippten in der Local das Kräfteverhältnis endgültig nach links: So gab es bei einer Abstimmung (sie wurde von den CLA-Aktivisten vorgeschlagen) über die Zukunft des Organisationskomitees eine große Mehrheit dafür, selbiges zu einer Dauereinrichtung zu machen. Es wurde somit neben dem Exekutivkomitee zu einem offiziellen Organ der Local 574. Das Organisationskomitee wurde beauftragt, eine umfassende Kampagne zur Organisierung aller Lastkraftwagenfahrer in Minneapolis zu starten.

Nun trug endlich die jahrelange geduldige Arbeit der CLA-Aktivisten Früchte. Diese Arbeit hatte stets ein Ziel: die Local 574 durch den Eintritt neuer, durch keine bürokratische Gewerkschaftstradition verdorbener, kampfbereiter Mitglieder zu einer echten Waffe der Lastwagenfahrer zu schmieden. Diese neuen Mitglieder sorgten schon im Vorfeld des Streiks der Kohlefahrer dafür, den Druck auf das Exekutivkomitee der Local 574 derart zu erhöhen, dass es schlussendlich den Streik akzeptieren musste.

Nach dem Streik stellten diese Mitglieder dann allein durch ihre schiere Überzahl über die alten Mitglieder sicher, dass der neue Kurs der Gewerkschaft fortgesetzt wurde. Durch die Wahl des Organisationskomitees zu einem offiziellen Organ der Local 574 stellten sie unmissverständlich klar, wen sie als die eigentliche Führung der Local 574 betrachteten:  – die Leute rund um die CLA-Aktivisten, die doch den Streik so gekonnt geplant und geleitet hatten. Somit etablierte sich in der Local 574 eine Art Doppelführung, bei der das Organisationskomitee eindeutig den Ton angab. Denn auch in der alten Führung, im Exekutivkomitee, war sich die bürokratische Mehrheit rund um Cliff Hall der Tatsache bewusst, dass sie sich nicht offen gegen den neuen Kurs stellen konnte, da dieser ja von der überwältigenden Mehrheit aller Local 574 Mitglieder voll unterstützt wurde. Und nicht nur das: Auch der Präsident (Brown) und der Vizepräsident (Frosig) der Local 574 – von dem Streik der Kohlefahrer schwer beeindruckt – standen nun voll hinter dem neuen kämpferischen Kurs.

Die große Organisierungskampagne und die Streikvorbereitungen

Das Instrument des Organisationskomitees war so simpel wie effektiv: es bestand aus hunderten freiwilligen Aktivisten – den neuen Mitgliedern der 574 – die ihre durch den Streik entfachte Begeisterung unter alle Belegschaften der Transportindustrie brachten. Alle Sparten – von Taxi-Unternehmen, über Lebensmittel-, Möbel-, Öl-, Kohle-, Paket-Transportunternehmen usw. - wurden aufgesucht. Die Aktivsten forderten die dort arbeitenden Lastwagenfahrer auf, der 574 beizutreten und ihre eigenen Forderungen, wie z.B. bessere Regelungen für Löhne, Arbeitszeiten, Schichtdienste, Überstunden usw. an ihre Bosse aufzustellen. Diese von den jeweiligen Belegschaften selbst ausgearbeiteten Forderungen wurden von der Local 574 1:1 übernommen, aus der einfachen Erkenntnis heraus, dass die Arbeiter wohl selbst am besten wussten, wo an ihrem Arbeitsplatz der Schuh drückte. Die Aufgabe des Organisationskomitees bestand lediglich nur mehr darin, ein paar allgemeingültige Forderungen dem Katalog hinzuzufügen: Anerkennung der Gewerkschaft im Betrieb, Kündigungsschutz, die Einrichtung einer Beschwerdekommission u.a.

Und tatsächlich: Die Lastwagenfahrer von Minneapolis griffen die Kampagne enthusiastisch auf, von überall her fluteten neue Mitglieder in die Local 574, sodass bald ein Mitgliederstand von 3000 erreicht wurde (vor dem Streik der Kohlefahrer: 75). Nun galt es, diese neue Stärke allen Mitgliedern erfahrbar zu machen. Deshalb wurde für den 15. April 1934 eine offene Generalversammlung organisiert. In der ganzen Stadt wurde für das „Monster-Mass Meeting“ der „Driver“ plakatiert. Sogar Gouverneur Olson von der FLP konnte sich dieser Dynamik nicht entziehen und sicherte zu, auf der Generalversammlung eine Gruß-Adresse zu sprechen. Schlussendlich wurde daraus zwar nur ein Brief, der von einem Vertreter des Gouverneurs bei der Versammlung vorgelesen wurde, doch darin schlug sich der Gouverneur zumindest in Worten voll auf die Seite der Arbeiter: Er unterstütze die breite gewerkschaftliche Organisierung vorbehaltlos als eine gerechte Sache. Somit musste der Gouverneur der Abhängigkeit von seiner Basis in der ArbeiterInnenschaft Rechnung tragen, ein Umstand, der zumindest einen gewissen Startvorteil für den anstehenden Streik schuf.

Denn dass dieser Streik auf der Tagesordnung stand, darin bestand für die überwältigende Mehrheit der TeilnehmerInnen an der Generalversammlung kein Zweifel. Sollten die Bosse nicht zu Verhandlungen über den ebenfalls auf der Versammlung beschlossenen Forderungskatalog bereit sein, würde gestreikt werden, so das Endergebnis der auf der Versammlung geführten Diskussion. Ein Streikkomitee wurde gewählt und als alleiniges Beschlussorgan im Falle eines Streiks bestimmt; - es konstituierte sich im Kern aus dem Organisationskomitee. Das Streikkomitee wurde autorisiert, Ultimaten an die Unternehmer zu stellen, sollten diese Verhandlungen verweigern.

Nicht sehr überraschend wurden die Verhandlungen von der Citizen Alliance tatsächlich verweigert. Gleichzeitig gingen der Local 574 Informationen zu, dass sich die Citizen Alliance schon intensiv auf einen Streik vorbereite: Sie brachte all ihre eigenen Mitglieder auf die harte „Anti-Gewerkschafts-Linie“, hielt Treffen mit den Polizei-Generälen der Stadt ab und mietete eine neue, größere Zentrale an, von der aus die Zerschlagung des Streiks organisiert werden sollte. Was tun? Das Streikkomitee ging folgendermaßen vor:

Die Local 574 mietete ebenfalls ein großes Gebäude als Streikzentrale an. Schnell wurden in den neuen Räumlichkeiten eine Küche, eine Garage mit Werkstätte, eine Krankenstation, Schlafmöglichkeiten für die Streikleitung und die Streikposten und Büros eingerichtet.

Eine weitere wichtige Aufgabe bestand darin, mögliche Streikbrecher auf die Seite der Local 574 oder zumindest zu einer neutralen Haltung zu bringen. Im Wesentlichen waren dies die Gruppen der Arbeitslosen und der kleinen Bauern im Umland von Minneapolis.

Zur damaligen Zeit gab es in Minneapolis ca. 30.000 Arbeitslose, zusammen mit ihren Familien bildeten sie schon ein Drittel der Einwohner der Stadt. Sie alle waren abhängig von den sehr schlecht bezahlten Arbeitsprogrammen, die Roosevelt eingeführt hatte. Zur Erhaltung ihrer Existenz waren sie noch zusätzlich auf Notstandshilfen des Bundesstaates angewiesen. Schon Anfang April 1934 hatten 10.000 von ihnen vor dem Regierungsgebäude in Minneapolis gegen die miserable Bezahlung in den Arbeitsprogrammen protestiert, die Polizei ging mit Tränengas gewaltsam gegen sie vor, es gab 7 Verletzte. An diese Protestbereitschaft galt es für die Local 574 anzuknüpfen, sollten die Unternehmer den Pool der Arbeitslosen nicht dazu benützen, um Streikbrecher anzuheuern.

Also ging man eine enge Verbindung mit der Führung der Arbeitslosenbewegung ein und bat sie, ihre Leute zur Verstärkung der Streikposten bereitzustellen. Im Gegenzug sicherte die Local 574 zu, nach einem erfolgreichen Streik eine eigene Untersektion für Arbeitslose zu gründen, der dann die geballte Macht der Gewerkschaft zur Durchsetzung der Forderungen der Arbeitslosen zur Verfügung stehen würde. In erster Linie war dies der Kampf um eine Erhöhung der bundesstaatlichen Notstandshilfe. An dieser Erhöhung hätten auch alle Gewerkschaftsmitglieder Interesse, die aufgrund des Streiks ihre Jobs verlieren würden. Die Führung der Arbeitslosenbewegung stimmte begeistert zu und die Einheit der ArbeiterInen in Minneapolis – hatten sie nun gerade eine Arbeit oder nicht – war hergestellt. Das Heer der Arbeitslosen würde auf Seiten der Streikposten und nicht der Streikbrecher stehen.

Ebenso wurden die - im Bundesstaat Minnesota zahlreichen - kleinen Bauern als Verbündete gewonnen. Sie alle stöhnten unter der schweren Konkurrenz der Großgrundbesitzer und kämpften über eigene Organisationen - wie z.B. der sehr radikalen „Farmers Holiday Association“ - für höhere Milchpreise bei den Molkereien, gegen Zwangsversteigerungen von verarmten Bauernhöfen usw. Sie waren von einem generellen Hass gegen die in der Stadt wohnenden Großgrundbesitzer, die oftmals auch Unternehmer waren, erfüllt. Daran musste angeknüpft werden, denn auf der anderen Seite würde der Streik durch Maßnahmen wie Straßenblockaden auch jene Bauern treffen, die ihre Produkte mit ihren eigenen Lieferwägen auf die Märkte der Stadt bringen wollten. Also wurde eine Allianz geschmiedet: Die Streikposten würden die Lieferwagen der Bauern unbehelligt lassen, die Bauern-Organisationen hingegen würden unter ihren Mitgliedern für den Streik als eine gerechte Sache der Arbeiter werben. Somit wurde eine große Gefahr ausgeräumt. Denn eine dem Streik ablehnend gegenüberstehende Bauernschaft wäre ein gefundenes Fressen der Citizen Alliance und der bürgerlichen Medien gewesen. Somit war aber nun auch die zweite Gruppe der FLP-Basis für einen Streik und Gouverneur Olson noch mehr unter Druck gesetzt, den Streik zu unterstützen.

Den Druck der Basis verspürten auch die Vorsitzenden der übrigen Locals in der Stadt immer mehr. Die Bürokratie hatte Angst, dass durch eine Generaloffensive gegen die Unternehmer all ihre Pfründe verloren gehen würden, da aus ihrer Sicht der Streik nur verloren gehen könnte. Doch die mobilisierte Basis zwang all diese Vorsitzenden und Exekutivkomitees, den Streik, teils aktiv durch Spenden und Verfügungsstellung von Personal, Aktivisten usw. oder zumindest in Worten zu unterstützen.

Dies traf freilich nicht auf die nationale Führung der IBT zu. Präsident Tobin schäumte, da sich die Local 574 mit ihrem Streikbeschluss nicht an ihn wandte, obwohl der Präsident laut dem Statut jedem Streik zustimmen musste. Doch die Aktivisten der Local 574 wussten, dass sie von Tobin niemals eine Genehmigung erhalten hätten und verzichteten somit bewusst auf eine Unterstützung aus der nationalen Streikkasse. Dies hatte schon dem Februar-Streik der Kohlefahrer nicht geschadet.

Zur Komplettierung der Streik-„Armee“ gründete das Streikkomitee auf Initiative von Carl Skoglund noch die „Frauen-Hilfs-Sektion“. Sie diente zur Organisierung der Ehefrauen der ausschließlich männlichen Lastwagenfahrer. Einerseits sollten die Ehefrauen durch diese Organisation den Streik ebenso als den Ihrigen begreifen und ihre Männer im täglichen Kampf moralisch unterstützen. Andererseits konnten sie sich somit auch aktiv am Streik beteiligen, indem sie Aufgaben als Krankenschwestern, Sekretärinnen und Köchinnen in der Streikzentrale übernahmen. Weiters fungierten regelmäßig von der Frauen-Hilfs-Sektion während des Streiks durchgeführte Demonstrationen dazu, die öffentliche Meinung für den Streik einzunehmen. Nicht zuletzt auf diese Weise wurden effektiv Spenden zur Unterstützung des Streiks gesammelt. Die Leitung der Frauen-Hilfs-Sektion unterstand Marvel Scholl, der Ehefrau von Farrell Dobbs. Tatsächlich konnte eine große Anzahl von Ehefrauen so am Streik beteiligt werden, zwar anfangs noch von vielen Ehemännern misstrauisch beäugt, doch bald schon als willkommene Kampfgefährtinnen willkommen geheißen.

Nach all diesen Vorbereitungen konnte die Streikführung schlussendlich bei einer weiteren Generalversammlung am 15. Mai 1934 guten Gewissens verkünden, dass alles für den Streik bereit sei. Vorher waren freilich noch einmal alle anwesenden ArbeiterInnen aufgefordert, mittels einer „Stehenden Abstimmung“ (alle, die zustimmen, stehen auf) zu entscheiden, ob die Zeit für die Auseinandersetzung gekommen wäre. Die begeisterte Menge stand wie ein Mann auf. Das lebendige Spiel der Kräfte im Klassenkampf war eröffnet.

Der Maistreik

Ab dem 16. Mai 1934 bewies die Local 574, dass auf ihrer Seite tatsächlich enorme lebendige Kräfte wirkten: Nahezu der gesamte Warenverkehr der Stadt Minneapolis war lahm gelegt.

In der Streikzentrale wurde ein Schichtdienst eingeführt. Einerseits garantierte dieser Schichtdienst dafür, dass immer eine gewisse Anzahl von Mitgliedern des Streikkomitees (insgesamt 75) anwesend war und Befehle ausgeben konnte. Andererseits sorgten die anderen rund 100 Freiwilligen pro Schicht dafür, dass die Streikzentrale ihrer Rolle als Kantine (4000-5000 Menüs pro Tag), Krankenstation (für die Opfer der Polizeigewalt) und KFZ-Reparaturwerkstätte (für die Kraftwägen der Streikposten) rund um die Uhr gerecht werden konnte.

Während der gesamten Streikdauer war für jeden Abend eine Generalversammlung – offen für alle Mitglieder – einberaumt, wo sich jeder den neuesten Überblick über den Verlauf des Streiks beschaffen und seine Meinung über den weiteren Verlauf einbringen konnte.  Bis zu 3000 Streikende nahmen daran täglich teil, nicht zuletzt aufgrund des Kulturprogramms, das stets der Diskussion folgte (Musik, Theater, Tanz).

Die Hauptaufgabe bestand natürlich in der Organisierung der Streikposten, die zur Unterbindung jedweden Güterverkehrs alle Hauptverkehrsrouten überwachten und eventuell gesichtete Streikbrecher-Lastwagen sofort mit den kreuzenden bzw. fliegenden Streikposten an der Erreichung des Ziels hinderten. Wie schon im Februar unterstand eine gewisse Anzahl von Streikposten stets einem Streikposten-Kapitän. Dieser erhielt seine Befehle von der Streikposten-Kommission, die als eine Unter-Kommission des Streikkomitees rund um die Uhr im Hauptquartier tagte. Bei besonders heiklen Fällen wurde zur Unterstützung des jeweiligen Streikposten-Kapitäns ein Ober-Kapitän von der Streik-Kommission ausgeschickt, dessen Vollmachten die Vollmachten der normalen Kapitäne außer Kraft setzten. Farrell Dobbs bildete zusammen mit V.R. Dunne den Kern der Streikposten-Kommission.

Zahlreiche andere Unterkommissionen des Streikkomitees wurden gebildet. So z.B. die Beschwerdekommission, an die sich vom Streik betroffene Unternehmer wenden konnten, wenn sie der Meinung waren, ihr Unternehmen sollte vom Streik aus diesen und diesen Gründen ausgeklammert werden, oder Streikposten hätten sich ungebührlich verhalten usw. Ihren Beschwerden wurde freilich in 99% aller Fälle nicht stattgegeben, doch sorgte diese Kommission dafür, dass sich nicht die Streikposten selbst mit den Beschwerden der Unternehmer befassen mussten. Die Verhandlungskommission wiederum war die zentrale Anlaufstelle für die Citizen Alliance, wollte sie mit der Local 574 verhandeln. Es gab auch eine Rechtskommission, die mit der Hilfe von sympathisierenden Anwälten für die rechtlichen Belange der von der Polizei zahlreich Inhaftierten sorgte.

Trotz dieser Arbeitsteilung wurde dafür Sorge getragen, dass das in Unterkommissionen aufgeteilte Streikkomitee regelmäßig Vollversammlungen abhielt, um alle wichtigeren Fragen gemeinsam entscheiden zu können.

Die Streikenden verfügten außerdem über einen Botendienst: Jugendliche mit Motorrädern, die Nachrichten von und zu Schauplätzen der Auseinandersetzung überbrachten und von Veränderungen berichteten. Und durch die mehrheitlich mit dem Streik sympathisierende Bevölkerung von Minneapolis erwuchs der Local 574 spontan eine Art „Geheimdienst“: Zahlreiche Dokumente, Briefe, Nachrichten und Protokolle von Besprechungen der Citizen Alliance wurden von dem dort arbeitenden Personal (Sekretärinnen, Chauffeure usw.) der Streikleitung zugespielt, sodass sich diese teilweise ein recht genaues Bild von der Verfassung des Gegners und seinen Plänen machen konnte.

Schlussendlich sorgte ein Sicherheitsdienst dafür, dass die Streikenden in ihrem Hauptquartier von jeglicher Feindseligkeit von Seiten der Polizei oder Schlägertrupps unbehelligt blieben.

Auch diesmal hatte die Eröffnung des Streiks nochmals eine zusätzliche mobilisierende Wirkung. Binnen weniger Tage verdoppelte sich die Anhängerschaft der Local 574 auf 6000 Mitglieder. Ohne Unterlass erschienen Freiwillige in der Streikzentrale, die irgendwie ihren Teil zum Gelingen des Streiks beitragen wollten. Diese Freiwilligen beschränkten sich nicht nur auf Lastwagenfahrer, auch Mitglieder anderer Gewerkschaften meldeten sich bei der Streikleitung, um ihre Dienste, z.B. als Köche, anzubieten. Von zahlreichen anderen Locals der Stadt kamen Spenden und Grußbotschaften. Diese Solidaritätsbekundungen wurden noch von der Local der Taxifahrer übertroffen, die kurzerhand erklärte, sie wolle Teil der Local 574 werden, was diese sofort begrüßte und bei der abendlichen Generalversammlung beschloss. Somit befanden sich nun auch die Taxi-Fahrer im Ausstand.

Doch nun zum näheren Verlauf des Streiks. Dieser war vor allem von zwei aufeinander folgenden „Schlachttagen“ am Marktplatz geprägt, durch die er schließlich auch nationale mediale Beachtung erfahren sollte. Die Strategie der Citizen Alliance trug daran Schuld, dass der Streik im Mai in diesem „Höhepunkt“ gipfelte. Diese Strategie hieß ganz simpel: rohe Polizei- und Schlägergewalt gegen die Streikposten!

Von Beginn an verließ sich die Citizen Alliance bei der Zerschlagung des Streiks auf die Polizei, die am Ende des 4. Streiktages schon 150 Streikposten wegen Erregung öffentlichen Aufruhrs inhaftiert hatte. Diese mussten im Falle einer Verurteilung mit Geld- oder Freiheitsstrafen rechnen. An diesem 4. Streiktag, einem Samstag, kam es zur ersten Schlägerei rund um einen Streikbrecher-Lastwagen, der am zentralen Marktplatz der Stadt im Schutze von Polizisten und Schlägertrupps seine Waren entladen wollte. Die Polizisten und Schläger waren im Gegensatz zu den Streikposten mit Stöcken bewaffnet. Auf beiden Seiten gab es mehrere Schwerverletzte und die Streikenden mussten ihre erste Niederlage hinnehmen. Doch damit nicht genug: Die schwer verletzten Streikposten machten die bittere Erfahrung, dass sie nach einer Grundversorgung in den örtlichen Krankenhäusern sofort an die Polizei ausgeliefert wurden. Ab diesem Zeitpunkt wurde strikt der Grundsatz eingehalten, alle Verletzten zuerst in die Krankenstation der Streikzentrale zu bringen und nur im äußersten Notfall Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen.

Eine weitere Schlägerei ging auf das Konto eines Provokateurs, der sich bisher als tüchtiger Streikposten-Kapitän hervorgetan hatte. Er nützte seine Autorität und gab an, er hätte Befehle von der Streikposten-Kommission. Er führte eine Kolonne von 6 Lastwägen mit Streikposten zu einer Druckerei an, wo zwei Lastwägen - beladen mit der neuesten Ausgabe einer Tageszeitung - von einer großen Polizei- und Schlägereskorte begleitet wurden. V.R. Dunne und Farrell Dobbs hatten zuvor beschlossen, diesen Transport unbehelligt zu lassen, um nicht die Vorgänge vom Samstag zu wiederholen. Doch zu spät. Der Provokateur hatte außerdem durchgesetzt, dass in dem Streikpostenkonvoi auch Frauen vertreten waren. Alle Streikposten, auch die Frauen, erhielten eine gewaltige blutige Abreibung. Die Verletzungen waren teilweise so schwer, dass sich einige der Ärzte und Krankenschwestern, die in den Krankenhäusern die Verletzten behandelten, sofort spontan zu freiwilligen Diensten in der Krankenstation der Streikzentrale entschlossen. Oder aber sie halfen den Erstversorgten unbehelligt von der Polizei aus den Krankenhäusern zu entkommen.

Komplettiert wurden diese ersten Episode der Gewalt noch durch zwei weitere Opfer, diesmal aber auf Seiten der Polizei. Denn als zwei Polizisten in der Streikzentrale erschienen und die Streikleitung verhaften wollten, ging bei einigen anwesenden Fahrern der Hass auf die parteiische Polizei derart durch, dass sie die zwei Polizisten bewusstlos schlugen, bevor jemand vom Streikkomitee eingreifen konnte.

Inzwischen nutzte die Citizen Alliance eine Lücke im Abkommen der Local 574 mit den Organisationen der kleinen Bauern. Zwar wurden die Bauern mit ihren Transporten von den Streikposten unbehelligt durchgelassen, doch litten die Mitglieder der „Market Gardeners Association“ sehr unter der generellen Sperrung des zentralen Marktplatzes, eine Maßnahme, zu der sich die Streikleitung nach den Ereignissen am Samstag entschlossen hatte. Die Bauern hatten somit keine Möglichkeit mehr, ihre Waren zu verkaufen. Ihre Kundschaft bestand hauptsächlich aus den Besitzern der kleinen Läden der Stadt. Also erhob die Citizen Alliance  in allen Medien den Vorwurf, dass der Streik sich gegen die Bauern und Nahversorger richten würde. Doch das Streikkomitee reagierte schnell und schloss mit der „Market Gardeners Association“ ein Abkommen, wonach die Bauern ihre Waren einfach direkt zu den kleinen Lebensmittelhändlern bringen durften. Somit erlosch die Opposition von dieser Seite zum Streik so schnell, wie sie gekommen war.

Trotzdem blieb der Marktplatz das zentrale Feld der Auseinandersetzungen. Die Unternehmer der dort ansässigen Firmen gehörten zu den Mächtigsten der Stadt und wollten es auf eine große Konfrontation ankommen lassen. Am Sonntag ging die Nachricht um, dass am Montag sechs Lastwägen eines großen Unternehmens beladen werden würden. Sollte das Streikkomitee den Fehdehandschuh aufnehmen? Wie könnten die Streikenden bewaffnet werden, sodass sie ihren Gegnern nicht mehr unterlegen wären? War es verantwortbar, die Streikposten dieser nackten Gewalt auszusetzen? In den Überlegungen des Streikkomitees gab schlussendlich die spontane Initiative der breiten Masse der Streikenden den entscheidenden Ausschlag. Denn diese erschien am Sonntag mit einer Unmenge von Knüppeln, Gartenpfosten, Türstöcken, Stiegengeländern usw. beim Hauptquartier, um jeden zur Verfügung stehenden Mann mit einem Stock zu bewaffnen. Zusätzlich wurden an diesem Sonntag Schilder und Schutzhelme aus Holz und anderen Materialen angefertigt.

Die Streikenden wollten also den Fehdehandschuh tatsächlich aufnehmen. Sie zeigten sich durch die vorangegangene Gewalt keineswegs eingeschüchtert. In ihrem Bewusstsein war eine bemerkenswerte Veränderung vorgegangen. Glaubten sie sich vor einigen Tagen noch mit allen anderen US-BürgerInnen an Rechten und Pflichten gleich, mussten sie durch die Polizeiattacken feststellen, dass die staatliche Gewalt unmissverständlich für ihre Bosse Partei genommen hatte. Sie fühlten sich in ihren grundlegenden Rechten betrogen, nicht zuletzt in ihrem von Roosevelt versprochenen Recht, sich frei in Gewerkschaften organisieren zu können. So wurde - nach Farrell Dobbs` Worten - ihre Illusion von einem gerechten Staat (den es im Kapitalismus nicht geben kann), die normalerweise ihre Kampfbereitschaft mindert, zu einer mobilisierenden Kraft. Die Arbeiter wollten sich nun ihre Rechte, um die sie betrogen worden waren, auf offenem Feld, mit Stöcken und Schildern bewaffnet, zurückholen. Das Streikkomitee entschied also, diese Kampfbereitschaft der Streikenden zu respektieren und bündelte alle Kräfte für den bevorstehenden Montag. Die Lastwägen mussten am Verlassen des Marktplatzes gehindert werden. Zu diesem Straßenkampf hätte sich das Streikkomitee niemals entschließen können, hätte nicht die Massenbewegung der Arbeiter von Minneapolis diese großartige Initiative gezeigt.

So waren am nächsten Tag schon 600 Streikposten am Marktplatz, als damit begonnen wurde, die 6 Lastwagen unter hohem Polizeischutz zu beladen. Die Auseinandersetzung begann sofort, Mann gegen Mann, Stock gegen Stock. Die Schlacht dehnte sich auch bald auf andere Plätze am Markt aus, da ein paar weitere Unternehmer versuchten, ihre Geschäfte zu öffnen.

Von den Streikposten schon sehr in Bedrängnis gebracht, holten die Polizisten plötzlich ihre Gewehre hervor. Doch die Streikzentrale reagierte blitzschnell und ließ einen Lastwagenkonvoi mit weiteren 900 Streikposten genau vor die Polizisten fahren, sodass diese keinen Platz mehr hatten, ihre Gewehre anzulegen. Also musste der Stockkampf weitergehen. Endlich waren die Polizisten nach ca. 3 Stunden von der Kampfbereitschaft der Streikposten so eingeschüchtert, dass sie die Flucht ergriffen. Polizeigeneral Johannes gab das Signal zum Rückzug. Am meisten hatte ihn wohl die Tatsache demoralisiert, dass die Arbeiter nicht mehr als wehrlose Opferlämmer erschienen, sondern als ernstzunehmende Gegner, die den Respekt vor der Staatsgewalt verloren hatten. Die Bilanz des Kampfes am Marktplatz am Montag: 30 Verletzte. Während des Kampfes hatten unterdessen rund 700 Frauen der Frauen-Hilfs-Sektion vor dem Rathaus gegen die willkürliche Polizeigewalt demonstriert und forderten die Absetzung aller Deputies. Sowohl bei dieser Demonstration als auch beim Kampf am Marktplatz wurden die Ereignisse von hunderten PassantInnen beobachtet und bejubelt, die in ihrer Mehrheit für den Streik sympathisierten und sich sogar teilweise direkt auf Seite der Streikenden an den Kämpfen beteiligten.

Der Sieg am Montag hatte tatsächlich die ArbeiterInnenbewegung von Minneapolis so aufgewühlt, dass es zu einem Solidaritätsstreik kam. Die Bau- und Industriearbeiter-Gewerkschaft in Minneapolis, erklärte sich solidarisch und rief ab Dienstag den Ausstand aus. Es verlautbarte, dass der Streik genauso lange dauern würde, wie der Streik der Local 574. Eine ihrer Unterabteilungen, die Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter, erschien sogar mit einer großen Anzahl ihrer Mitglieder in der Streikzentrale und stellte sie als Streikposten zur Verfügung. Diese Aktion war von zwei Mitgliedern der Elektrizitätsarbeiter-Gewerkschaft initiiert worden, die gleichzeitig Aktivisten der Communist League waren.

Doch die Citizen Alliance – zusammen mit der Polizei vor den Augen der ganzen Stadt blamiert – wollte die Niederlage nicht auf sich sitzen lassen und mobilisierte für einen neuen Show-down am Dienstag. Sie bedrängte den Polizeigeneral, für den nächsten Tag jeden verfügbaren Mann aufzustellen. Dieser kam dem Wunsch sofort nach und ließ alle Polizisten der Stadt in eine 24-Stunden-Bereitschaft stellen. Das „Bürgerkomitee für Recht und Ordnung“ gab über das Radio Aufrufe aus, in der Geschäftsmänner aufgefordert wurden, jeden Mann ihres Vertrauens als Deputy für den nächsten Tag anzuwerben. Jeder Streikende, der mit der Armbinde der Local 574 auf der Straße von der Polizei angetroffen wurde, wurde augenblicklich verhaftet.

Am Dienstagmorgen waren schließlich 1500 Repressionskräfte am Marktplatz versammelt, um abermals das Beladen von Lastwägen zu ermöglichen. Doch die Streikenden waren sowohl in ihrer Zahl als auch in ihrer Kampfmoral den Polizisten weitaus überlegen. Die gesammelte Macht der Fahrer, Arbeitslosen, Mitglieder anderer Gewerkschaften und zahlreicher sympathisierenden ArbeiterInnen der ganzen Stadt ließ die Polizisten in der Stöcke-Schlacht schnell alt aussehen. Nach 1,5 Stunden war alles vorbei, Ruhe kehrte am Marktplatz ein. Allerdings war auf beiden Seiten eine große Anzahl Schwerverwundeter zu verzeichnen, zwei Deputies starben an ihren Verletzungen.

Die zweite Niederlage der Polizei wurde diesmal in den ganzen USA publik, denn durch die Ereignisse vom Vortag hatten unzählige Zeitungen und Radiostationen Lunte gerochen und vorsorglich ihre Live-Reporter schon vor der Schlacht am Marktplatz aufgestellt, wo sie das ganze Geschehen beobachteten und kommentierten. Quer durch das ganze Land ging eine freudige Erregung durch die ArbeiterInnenschaft: „Schau, endlich musste einmal die Polizei einstecken und nicht wir!“ Ab diesem Zeitpunkt wurde der Teamster-Streik zu einer nationalen Angelegenheit, die jeden – bis hin zum Präsidenten, wie man noch sehen wird – beschäftigte. Der großen Symbolgewalt der zwei gewerkschaftlichen Siege am Marktplatz konnten sich weder Freund noch Gegner entziehen.

Nun war es an den örtlichen Gewerkschaftsbürokraten der AFL sich einzuschalten, bevor die Sache aus ihrer Sicht aus dem Ruder lief. Sie warfen all ihren Einfluss in die Waagschale und organisierten eine große Verhandlungsrunde. Bei diesem Treffen waren neben Vertretern des Streikkomitees und der Citizen Alliance außerdem der Bürgermeister, der Polizeigeneral, der Kommandeur der Nationalgarde, etliche AFL-Funktionäre und auch Gouverneur Olson anwesend. Die Local 574 wurde informiert, dass der Schlichtungssausschuss gerade ein Kompromiss-Papier für eine Beendigung des Streiks ausarbeiten würde. Bis dieses fertig sei, schlage man einen 24-stündigen Waffenstillstand vor, in dessen Zeitraum die Polizei nicht versuchen würde, Lastwagen fahren zu lassen. Im Gegenzug müsste die Local 574 verzichten, Streikposten - ausgenommen einiger weniger Beobachter - auszuschicken. Das Streikkomitee willigte ein. Doch schon vor Ablauf der 24 Stunden gab Polizeichef Johannes die Order aus, erneut Streikbrecher-Lastwägen zu eskortieren. Die Local 574 drohte sofort mit dem Einsatz all ihrer Streikposten. Darauf regierte der Bürgermeister mit einem Aufruf an Gouverneur Olson, doch endlich die Nationalgarde für eine Beendigung des Streiks einzusetzen. Der Gouverneur gab auch gleich den Mobilisierungsbefehl aus, doch er machte schnell einen Rückzieher, als die Local 574 ihn öffentlich anklagte und ihn aufforderte, die Nationalgarde wieder zu demobilisieren.

Somit konnte er aber nicht riskieren, seine Wählerschaft zu vergraulen, die nahezu geschlossen die Local 574 unterstützte und übte Druck auf den Polizeigeneral und die Citizen Alliance aus, keine Lastwagen mehr fahren zu lassen. Unter diesen Bedingungen konnte die Local einer Verlängerung des Waffenstillstands zustimmen. Nun begannen auch die Verhandlungen über den Schlichtungsausschuss, der Streik blieb aber weiterhin aufrecht.

Während diese Verhandlungen liefen, hielt das Streikkomitee die Zeit für gekommen, wieder eine große Generalversammlung zu organisieren. Diese fand am 23. Mai statt. Schon vor Beginn der Veranstaltung waren mehr als 5000 Arbeiter anwesend und ständig trafen neue TeilnehmerInnen ein. Schlussendlich war eine gewaltige Menge versammelt, ein großer Querschnitt durch die gesamte ArbeiterInnenschaft von Minneapolis. Präsident Brown hielt eine glänzende und feurige Rede, an deren Ende er verkündete: „Wenn wir nicht in der ganzen Transportindustrie als Gewerkschaft anerkannt werden und wenn wir kein akzeptables Angebot zur Verbesserung unseres Lebensstandards und unserer Arbeitsbedingungen bekommen, dann wird der Streik fortgesetzt und wir rufen alle Arbeiter von Minneapolis auf, uns zu unterstützten!“ Dieser Linie wurde durch einen tosenden Beifallsapplaus zugestimmt.

Bei den Verhandlungen im Schlichtungsausschuss mit Gouverneur Olson als Mediator kam schlussendlich doch ein für die Local 574 sehr vorteilhaftes Ergebnis zustande: Die Local 574 würde nach Wahlen über den Schlichtungsausschuss als Gewerkschaft für alle Lastwagenfahrer und auch für alle Arbeiter, die nur irgendwie mit dem Transport von Waren zu tun hätten (Be- und Entladner, Lagerarbeiter usw.) anerkannt werden, sollte sie die Wahlen für sich entscheiden. Weiters war eine allgemeine Lohnerhöhung auf 50 Cents pro Stunde für die Dauer von einem Jahr vorgesehen. Außerdem durften laut Einigung die Fahrer von ihren Bossen nicht nachträglich für ihre Teilnahme am Streik (z.B. durch Gehaltseinbußen) bestraft werden.

Die genauen Modalitäten für alle Belange würden in weiteren Verhandlungsrunden zu fixieren sein. Das Ergebnis der Verhandlungen wurde der versammelten Mitgliedschaft der 574 präsentiert, die sich für eine Annahme dieser Bedingungen entschied. Das Ergebnis wurde als ein großer Erfolg betrachtet.

Die Taxifahrer bekamen außerdem einen eigenen Kollektivvertrag, in dem auch alle Telefonisten, Garagenarbeiter usw. enthalten waren. Trotz des eigenen Vertrages votierten alle Taxifahrer – unter Missachtung der Tobin-Doktrin, die besagte, dass jede Berufsgruppe in einer eigenen Local organisiert sein musste - geschlossen dafür, weiterhin in der Local 574 zu verbleiben.

Zu diesem Zeitpunkt schien also die Local 574 einen großen Sieg eingefahren zu haben. Doch schnell musste sie erkennen, dass die Unternehmer nur eine Verschnaufpause gesucht hatten, in der sie versuchten, durch einen Zermürbungskrieg die Errungenschaften des Streiks rückgängig zu machen.

Verhandlungstricks und neue Streikvorbereitungen

Anfangs sah es so aus, als würden sich die Unternehmer an die Vereinbarungen halten. Nach der Beendigung des Streiks konnten alle Fahrer wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, ohne irgendwelchen Repressalien ausgesetzt zu sein. Einige wenige Konflikte konnten durch das nun installierte Netz von Vertrauensleuten in allen Betrieben – diese benachrichtigten bei Problemen mit ihrem Boss sofort die Local 574 – schnell aus dem Weg geräumt werden. Die Local 574 wuchs nach dem Streik auf 7000 Mitglieder an, die Mitgliedschaft hatte sich somit innerhalb einiger weniger Monate fast verhundertfacht! In Anerkennung ihrer Rolle im Streik wurden die drei Dunne-Brüder, Carl Skoglund und Farrell Dobbs auf Beschluss der Vollversammlung als hauptamtliche „Organizer“ der Gewerkschaft mit Löhnen, die dem Durchschnittsverdienst eines Fahrers entsprachen, angestellt.

Diese Verstärkung der Local 574 erwies sich nach ein paar Wochen leider schon als bitter notwendig, denn die Unternehmer begannen plötzlich die noch laufenden Verhandlungen zu verzögern. Sie stellten neue Forderungen auf, die von dem vereinbarten grundsätzlichen Kompromisspapier abwichen. So stellten sie z.B. die Vertretung der so genannten „Innenarbeiter“ durch die Local 574 in Frage. Unter diesem Begriff wurden alle Arbeiter subsumiert, die in den Lagerhallen der Betriebe arbeiteten. Sie nahmen die gelieferten Waren entgegen oder gaben die vom Betrieb produzierten Waren an die Fahrer aus. Sie selbst sahen sich jedenfalls als Teil der Transportarbeiter, hatten sie doch in ihrem Berufsalltag hauptsächlich mit den Lastwagenfahrern zu tun. Deswegen konnte die Local 574 nicht akzeptieren, dass diese Arbeiter nicht unter ihren Einflussbereich fallen sollten. Außerdem bestand fast die Hälfte ihrer Mitgliedschaft aus Innenarbeitern.

Neben dieser Provokation gingen die Unternehmer nun doch dazu über, missliebige Gewerkschaftsmitglieder zu entlassen. Bald waren 700 Fahrer aufgrund ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit ihren Job los. Andere wiederum bekamen von einem Tag auf den anderen weniger Lohn ausbezahlt.

Es war somit für die Führung der Local 574 offensichtlich, dass die Citizen Alliance neuen Mut geschöpft hatte. Ein neuer Streik musste vorbereitet werden. Als erste Maßnahme griff man auf Ressourcen zurück, die den Mitgliedern der Communist League als Teil einer landesweiten revolutionären Organisation offen standen. Zur vorbereitenden Planung des Ausstandes kam J.P. Cannon, der Parteisekretär der CLA angereist. Er war schon einmal unmittelbar nach den Kämpfen am Marktplatz im Maistreik von New York gekommen, um der örtlichen Führung der CLA mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Diesmal hatte er noch mehrere andere Genossen in Begleitung, jeder Fachmann auf einem speziellen Gebiet: Max Shachtman und Herbert Solow als Journalisten, Albert Goldman als Rechtsanwalt und Hugo Oehler als ein erfahrener Aktivist der Arbeitslosenbewegung.

Shachtman und Solow wurden beauftragt, die Herausgabe einer eigenen Local 574-Zeitung vorzubereiten und zu betreuen. Bei einem neuerlichen Streik sollte die Meinungshoheit nicht mehr allein den bürgerlichen Medien überlassen werden. Diese hatten sich durch wahre Hetzkampagnen während des Streiks ausgezeichnet. Die erste Ausgabe der neuen Zeitung, die den Namen „The Organizer“ erhielt, erschien schließlich am 25. Juni 1934 mit einer Auflage von 5000 Stück. – Der Organizer wurde im täglichen Kampf um die Solidarität der ArbeiterInnenbewegung von Minneapolis schnell zu einer ebenso effektiven wie unverzichtbaren Waffe.

Hugo Oehler hingegen intervenierte in der Arbeitslosenbewegung und brachte mit deren Organisation, dem „Minnesota Central Council of Workers“ (MCCW) ein neuerliches Abkommen zustande, demzufolge das MCCW Arbeitslose als Streikposten rekrutieren würde. Als Gegenleistung startete die Local 574 eine Unterschriftenkampagne für eine Anhebung der bundesstaatlichen Hilfsgelder für Arbeitslose.

Ebenso ging man wieder mit drei Bauern-Organisationen ein enges Bündnis ein. Diesmal waren sogar einige Bauern bereit, sich als Streikposten zur Verfügung zu stellen. Ein weiteres Novum war, dass es beim bevorstehenden Streik nun eigene, von der Local 574 direkt bewachte Verkaufsstände für die Bauern geben sollte. Und mit den Besitzern der kleinen Lebensmittelläden traf man die Vereinbarung, dass diese ihre Waren lediglich mit ihren Pkws und nicht mit Lkws transportieren durften, was für die Ladenbesitzer keine allzu große Einschränkung bedeutete, der Local 574 aber ermöglichte, die Straßen frei von Lkws zu halten. Auch die Frauen-Hilfs-Sektion verstärkte wieder ihre Aktivitäten und konnte viele neue Mitglieder gewinnen.

Als all diese Schritte unternommen waren lag nun die nächste Aufgabe in einer Mobilisierung der gesamten ArbeiterInnenbewegung von Minneapolis rund um die Forderungen der Local 574. Für den 6. Juli wurde ein großer Protestmarsch durch die Stadt angesetzt, der die Citizen Alliance an die Einhaltung der Vereinbarungen erinnern sollte. Er wurde durch die Teilnahme zehntausender ArbeiterInnen zu einem vollen Erfolg. Auch die gesamte offizielle Führung der AFL nahm daran teil, sie konnte sich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht öffentlich gegen die Local 574 stellen, obwohl sie einen neuerlichen Streik auf alle Fälle verhindern wollte. Dies traf gleichfalls auf die FLP-Führung zu.

Bei der nach dem Protestzug abgehaltenen Versammlung, an der über 12.000 Personen teilnahmen, wurde ein Forderungspaket mit vier Punkten beschlossen: 1. Die Local 574 ist berechtigt, all ihre Mitglieder gegenüber den Arbeitgebern zu repräsentieren (auch die Innenarbeiter). 2. Lohnerhöhungen haben rückwirkend ab dem 26. Mai 1934 (dem Tag, wo die Vereinbarungen geschlossen wurden) zu gelten. 3. Die Unternehmer hätten einen schriftlichen Kollektivvertrag zu unterzeichnen. 4. Sollten die Unternehmer nicht zu Verhandlungen bereit sein, würde ab dem 11. Juli gestreikt werden.

Dieser beeindruckenden Demonstration der Stärke begegneten die Unternehmer mit einer Schmutzkübelkampagne gegen die Local 574. Sie bedienten sich dabei des Umstands, dass einige der herausragenden Köpfe des neuen Gewerkschaftskurses bei der Communist League organisiert waren. Die bürgerlichen Medien sprachen von der roten Gefahr, von bösen Kommunisten, die eine Gewerkschaft gekidnappt hätten, Amerika hassen würden usw. Den Anlassfall für diese Schmutzkübelkampagne lieferte aber jemand ganz anderer: Daniel Tobin, der IBT Präsident.

Schon den ersten Streik im Mai hatte er nur widerwillig zur Kenntnis genommen. Da hatte sich seine „Unterstützung“ darin beschränkt, immer wieder Telegramme nach Minneapolis zu senden, die eine sofortige Beendigung des Streiks verlangten. Nach dem Streik interessierte er sich dann nur für die Gewerkschaftsbeiträge der auf tausende Mitglieder angewachsenen Local. Als er nun von den neuerlichen Streikvorbereitungen erfuhr, machte er seinem Ärger im Editorial des Teamster-Journals Luft und verleumdete die Mitglieder der CLA in der Local-Führung aufs Schlimmste. Er bezeichnete sie als Wölfe in Schafspelzen, von menschlichen Monstern, die in der ganzen Gewerkschaftsbewegung nur Blutrünstigkeit und Rebellionen verbreiten würden und verlautbarte, dass der Streik im Mai ohnehin gegen alle Regeln der IBT verstoßen hätte. Zusätzlich stellte er klar, dass er kein Interesse hätte, die Innenarbeiter in seine Gewerkschaft einzulassen. Einen besseren Dienst konnte Daniel Tobin der Citizen Alliance nicht machen. Diese überlegte nicht zweimal und schaltete Tobins Editorial als großes Inserat in allen wichtigen Zeitungen der Stadt und meinte, sie könne nicht mit Gewerkschaftsvertretern verhandeln, die offensichtlich nicht einmal von der offiziellen IBT-Führung anerkannt wären.

Genau in diese Phase fiel die Ankunft des von der Regierung in Washington beauftragten Vermittlers namens E.H. Dunnigan. Er bedrängte die Führer der Local 574, wenigstens ein paar Zugeständnisse zu machen, die er dann der Citizen Alliance anbieten könnte, um einen Kompromiss auszuhandeln. Doch er erhielt nur ein Zugeständnis: Das Ultimatum wurde um 5 Tage auf den 16. Juli verlängert, damit der Vermittler genug Zeit zur Sondierung der Lage zur Verfügung hatte. Dieses Zugeständnis galt aber erst nach einer neuerlichen Generalversammlung am 11. Juli, in der die Mitglieder sich einverstanden erklärten und per Stehwahl beschlossen, dass der Streik ab dem 16. Juli beginnen würde, sollte die Citizen Alliance nicht einlenken. Tobins Editorial war auch Gegenstand der Diskussion. Viele gaben ihrem Zorn über Tobin unverhohlen Ausdruck und meinten: „Wenn Du schon unfähig bist, für die Gewerkschaftssache zu kämpfen, dann stehe uns wenigstens nicht im Weg und ramme uns kein Messer in den Rücken!“

Leider gelangten Informationen über den Verlauf der Generalversammlung an die bürgerliche Presse, die sich alsdann sofort auf den Umstand einschoss, dass anstatt einer geheimen Abstimmung eine Stehwahl stattgefunden hätte; die Kommunisten würden also tatsächlich einen Druck auf die Gewerkschaftsmitglieder ausüben usw. Außerdem sollten Auszüge aus Browns Rede den Beweis liefern, dass die Local 574 nicht weniger als eine Revolution plane usw. usf. Die Hetzkampagne hatte mittlerweile solch eine Intensität erreicht, dass die Führung der Local zur Meinung gelangte, darauf reagieren zu müssen. In einer gemeinsamen Sitzung des Exekutiv- und des Organisationskomitees wurde beschlossen, dass am 16. Juli nochmals eine Generalversammlung stattfinden sollte, diesmal mit einer geheimen Wahl. Weiters sollte ein Streikkomitee mit 100 Mitgliedern gewählt werden, bestehend aus dem Exekutivkomitee, dem Organisationskomitee und den besten Kämpfern der vorangegangen Streiks im Februar und im Mai.

Gesagt, getan. Nachdem noch ein verzweifelter Versuch der Citizen Alliance abgewehrt worden war, für die Innenarbeiter eine eigene gelbe Gewerkschaft zu gründen (alle hielten der Local 574 die Treue), kam es am 16. Juli zur entscheidenden Generalversammlung. Angesichts der Kommunistenhetze waren alle Anwesenden aufgefordert, über die aktuelle Zusammensetzung des Exekutiv- und des Organisationskomitees abzustimmen. Beide Gremien wurden von den Arbeitern einstimmig bestätigt. Für sie war es offenkundig zweitrangiger Natur, welche Ideologie ihre Führung vertrat, die Hauptsache war, sie machten einen guten Job. Und davon waren sie überzeugt. Die Arbeiter lehnten es weiters ab, eine geheime Wahl durchzuführen und stimmten wieder per Stehwahl einstimmig für den Streik. Die Schmutzkübelkampagne war offensichtlich spurlos an der Basis vorübergegangen, sie vertraute ihrer Führung voll und ganz. Nach der Wahl des Streikskomitees wurde in guter Kampfesstimmung das Lied „Solidarity forever“ angestimmt. Als die Kunde von diesem starken Zusammenhalt der Basis mit ihrer Führung im Organizer die Runde machte, erklärten sich das „Building Trades Council“ und die „Central Labour Union“ mit der Local 574 solidarisch.

Das Streikkomitee der Hundert (wie es ab diesem Zeitpunkt heißen sollte) hatte abermals alle Vollmachten der Local 574 für die Dauer des Streiks inne und arbeitete wie im Mai im Wechsel zwischen allgemeinen Versammlungen und der täglichen Arbeitsteilung mittels der Unterkommissonen. Gegenüber Mai gab es nur ein paar wenige Neuerungen: Statt einer Verhandlungskommission existierte nur mehr ein Kontaktkomitee bestehend aus zwei Personen, Farrell Dobbs und V.R. Dunne. Das Kontaktkomitee hatte lediglich die Befugnis, während des Streiks die Angebote der Gegenseite anzuhören, um sie dann dem gesamten Streikkomitee vorzulegen. So wollte man verhindern, dass unvorsichtige Zugeständnisse am Verhandlungstisch gemacht wurden, die nur mehr schwer rückgängig zu machen waren.

Eine weitere Neuerung war die Einführung von Codes für die Streikposten-Kapitäne. Alle Befehle der Streikleitung waren mit solchen Codes versehen und sollten es so Provokateuren erschweren, Streikposten in die Falle zu locken.

Ansonsten hielt man sich in allen Dingen an die guten Erfahrungen vom Mai: Wieder wurde eine – im Vergleich zu Mai noch größere - Streikzentrale angemietet, mit allem was gebraucht wurde: Küche, Krankenstation, Werkstätte, Garage, Büros usw. Die Streikposten wurden jedoch diesmal nicht mehr bewaffnet, da man den bürgerlichen Hetzmedien nicht neues Material liefern wollte. Diese Maßnahme kostete verständlicherweise mit einigen Fahrern längere Diskussionen, doch sie wurde durchgesetzt. Und um sich weitere Angriffsflächen zu ersparen, beschloss das Streikkomitee, dass zumindest anfangs nur jene Firmen bestreikt werden sollten, die Mitglieder der Local 574 beschäftigten. Betriebe mit anderen Locals im Zuständigkeitsbereich durften normal arbeiten, doch sie mussten an ihren Lastwägen Transparente anbringen, die besagten: „Vom Streikkomitee der Hundert autorisiert!“

Ab 16. Juli erschien die Gewerkschaftszeitung als Streikzeitung auf täglicher Basis – bald mit einer Auflage von 10.000 Stück. Sie wurde den freiwilligen Verkäufern regelrecht aus den Händen gerissen, selbst Bauern meldeten sich und baten, dass ihnen die Zeitung zugeschickt werden solle. Nun konnten sich alle täglich über den Verlauf des Streiks informieren, so wie er aus der Sicht der Local 574 und nicht der bürgerlichen Journalisten ablief. Und da gab es tatsächlich einiges zu berichten.

Die Entscheidung: Der Streik von Juli bis August

Ab Dienstag, dem 17. Juli 1934, war die Stadt wieder fest in der Hand der Streikposten. Allerdings stand das Heer der Streikenden einem im Vergleich zum Mai angewachsenen Heer von Polizisten gegenüber, die diesmal alle mit einer speziellen Handfeuerwaffe ausgerüstet waren: den „Riot Guns“. Wie der Name schon sagte, waren die „Riot Guns“ mit ihrer geringen Größe speziell für den Gebrauch in größeren Menschenmengen bzw. Straßenkämpfen konzipiert. Schon am 4. Tages des Streiks, an einem Freitag, würde die Polizei den traurigen Beweis liefern, dass sie diese „Riot Guns“ gegenüber den unbewaffneten Streikenden auch zu nutzen gedachte.

Schon vor diesem Freitag, der als Bloody Friday in die Geschichte des Teamster-Streiks eingehen würde, hatte die Polizei versucht den Streikposten mit gezielten Provokationen Fallen zu stellen. So eskortierte sie am Donnerstag mit großem Aufgebot einen Lastwagen, der mit einem Transparent geschmückt war, auf dem stand: „Krankenhaus-Transport“. Die Citizen Alliance hoffte inständig, die Streikposten würden vor anwesender Presse (diese war zuvor vorsorglich schon informiert worden) den humanitären Transport aufhalten und sich so selbst kompromittieren. Doch der Lastwagen konnte ungehindert passieren, da laut Beschluss des Streikkomitees Transporte für Krankenhäuser ohnehin stattfinden durften.

Die Ereignisse am „Bloody Friday“ begannen vorerst nach demselben Muster. Am Marktplatz wurde unter strenger Bewachung ein Lastwagen beladen, diesmal ohne ein Krankenhaus-Transparent. Es gelang, den Lastwagen fertig zu beladen und losfahren zu lassen. Nun trafen aber Streikposten in großer Menge ein, viele in Lkws mit offener Ladefläche (Pick-Ups), auf der sie Platz genommen hatten. Doch da begannen die Polizisten plötzlich ohne Vorwarnung auf die Streikposten einer solchen Ladefläche und auch auf am Rand Stehende zu schießen. Allgemeine Panik brach aus. Trotzdem versuchten viele Streikposten ihre verletzten Kollegen, die entweder am Straßenrand lagen oder auf der Ladefläche des Pick-Ups zusammengebrochen waren, unter anhaltendem Kugelhagel zu bergen. Von den 70 Verwundeten waren 3 lebensgefährlich verletzt. Alle wurden in  das Streikhauptquartier gebracht und diejenigen, die dort nicht behandelt werden konnten, weiter in die Krankenhäuser der Stadt transportiert.

Am nächsten Tag erlag Henry Ness, ein Mitglied der Local 574, seinen Verletzungen. Ein Aufschrei ging durch die ArbeiterInnenbewegung von Minneapolis. Sofort traten die Taxi-Fahrer in den Ausstand, ebenso alle Wäscherei-ArbeiterInnen der Stadt. Ein paar Stunden nach dem Ereignis versammelten sich hunderte Freiwillige vor der Streikzentrale, um sie gegen Polizeiangriffe zu schützen.

Ein paar Tage später fand mit dem Einverständnis der Familie (Henry Ness hatte ein Frau und vier Kinder) eine öffentliche Beerdigung statt, welche die Form eines Protestzuges durch die Stadt über das Streikquartier zum Friedhof annahm, 20.000 nahmen daran teil, einschließlich der gesamten offiziellen AFL-Führung und einigen FLP-Würdenträgern. Die Rede vor der Streikzentrale durch Albert Goldmann traf mit ihrem zornigen, kämpferischen Tenor genau die Stimmung der Anwesenden. Er rief der Versammlung Henry Ness letzte Worte ins Gedächtnis: „Jungs, nun dürft ihr mich nicht enttäuschen!“.

Diese Worte nahmen sich die Streikenden und mit ihnen alle ArbeiterInnen der Stadt zu Herzen. So verfehlte der Angriff der Polizei sein gewünschtes Ziel komplett. Der Streik wurde nicht gebrochen, sondern viel mehr weiter entfacht. Der Organizer titelte: „Der Kampf hat gerade erst begonnen!“ Nun traten auch 5000 Arbeitslose, die zu dieser Zeit bei einem von Roosevelts initiierten Arbeitsprogrammen beschäftigt waren, mit eigenen Forderungen in den Streik. Die Local 574 startete eine Unterschriftenkampagne zur Amtsenthebung des Bürgermeisters und des Polizeigenerals, 140.000 Unterschriften konnten gesammelt werden. Doch bei der nach dem Streik stattfindenden Gemeinderatssitzung, bei der dieses Thema behandelt wurde, kam es nicht unbedingt überraschend zu keiner Verurteilung der Verantwortlichen des Blutbads.

Am Tag nach dem „Bloody Friday“ verfügte das Streikkomitee über so viele Streikposten wie noch nie zuvor. Viele von ihnen trugen Schusswaffen und Messer bei sich. Doch das Streikkomitee hatte beschlossen, die Streikposten auch weiterhin unbewaffnet zu lassen. War im Mai die Gegenwehr mit Knüppeln der Öffentlichkeit gegenüber noch voll rechtfertigbar, so hätten hingegen mit Revolvern und Messern bewaffnete Streikposten Gouverneur Olson nur einen Vorwand geliefert, den Streik als einen Aufstand zu bezeichnen und unter zu Hilfenahme der Nationalgarde niederzuschlagen. An dieser Stelle seiner Aufzeichnungen gestand Farrell Dobbs, dass er in seinem Leben niemals mehr eine psychisch schwierigere Aufgabe gehabt hätte, als den um ihren Kollegen trauernden Arbeitern zu erklären, dass sie sich wieder unbewaffnet den Mördern entgegenstellen zu hätten. Doch dank der Autorität des Streikkomitees konnte die Entwaffnung ohne Zwischenfälle durchgeführt werden. Die Waffen – ein ganzes Arsenal – wurden in der Zentrale gelagert.

Die Praxis bestätigte sodann die Richtigkeit der Entscheidung des Streikkomitees. Auch ohne Waffen konnte der Streik nahezu flächendeckend aufrechterhalten werden. Allein durch die immense Anzahl der Streikposten mussten pro Streikbrecher-Transport so viele Polizisten ins Spiel gebracht werden, dass an einem einzelnen Tag aus Mangel an Personalressourcen nur sehr wenige Lastwagen eskortiert werden konnten. Deswegen schaltete sich wieder Gouverneur Olson ein. Er ließ die Nationalgarde mobilisieren und drohte mit der Verhängung des Ausnahmezustandes über die Stadt, sollte eine der Streitparteien das Kompromisspapier der Mediatoren der Bundesregierung nicht akzeptieren. Er stellte ein Ultimatum auf, an dessen Ende die Parteien ihre Entscheidung kund zu tun hätten.

Was hatte es mit diesem Kompromisspapier auf sich? Die bundesstaatlichen Mediatoren Hass und Dunnigan, die schon – wie weiter oben berichtet - vor Beginn des Streiks von Roosevelt nach Minneapolis geschickt worden waren, schlugen folgendes vor: Sofort nach Beendigung des Streiks hätten endlich die noch ausständigen Wahlen über den Schlichtungsausschuss stattzufinden. Dort wo die Local 574 eine Mehrheit erhalten würde, könnte sie sämtliche Arbeiter des Betriebes repräsentieren, auch die Innenarbeiter. Allerdings sollte sie nur die Innenarbeiter jener großen Firmen vertreten dürfen, die eine Filiale am Marktplatz hatten. Ansonsten wäre der Begriff Innenarbeiter nur auf solche Beschäftigte anzuwenden, die direkt mit dem Be- und Entladen der Lastwägen beschäftigt wären. Die Lohnerhöhungen müssten mindestens zu einem Stundenlohn von 52,5 Cents für Fahrer bzw. 42,5 Cents für Innenarbeiter führen.

Zwar sah dieser Kompromiss einige Abstriche an den ursprünglichen Forderungen der Local 574 vor, doch das Streikkomitee entschied sich, den Mitgliedern eine Annahme des Papiers zu empfehlen. Denn zum einen war das Kompromisspapier trotzdem noch für die Local 574 sehr vorteilhaft – immerhin wäre sie quer durch die Transportindustrie (auch für die meisten Innenarbeiter) als Gewerkschaft anerkannt; und zum anderen ging das Streikkomitee von der berechtigten Annahme aus, dass die Citizen Alliance den Vorschlag wahrscheinlich ablehnen würde und somit vor der Öffentlichkeit die alleinige Schuld an der weiteren Auseinandersetzung auf sich laden würde. Damit die Citizen Alliance von diesen Überlegungen bis zum Ende des Ultimatums nichts erfuhr, ließ das Streikkomitee eine Generalversammlung unter Bedingungen strenger Geheimhaltung abhalten. Die Teilnehmer wurden genau auf ihre Mitgliedschaft kontrolliert, die Fenster der Versammlungshalle in der Streikzentrale blieben trotz der Sommerhitze geschlossen. Nachdem die Mitgliedschaft dem Kompromisspapier in großer Mehrheit zugestimmt hatte, ließ man sich mit der Verlautbarung der Entscheidung bis zur letzten Minute Zeit, in der Hoffnung, die Citizen Alliance würde mit ihrer Entscheidung vorpreschen. Und tatsächlich: Als das Kontaktkomitee Gouverneur Olson mitteilte, dass die Local 574 unter den Bedingungen des Kompromisspapiers den Streik beenden würde, antwortete dieser, dass die Citizen Alliance schon abgelehnt hätte, da sie nicht mit Kommunisten verhandeln wolle. Olson gab außerdem bekannt, dass er wegen des ungelösten Konflikts jetzt den Ausnahmezustand verhängen müsse.

Durch den Ausnahmezustand war es ab diesem Zeitpunkt der Local 574 verboten, Streikposten einzusetzen. Gleichzeitig durften die Lastwagen nur mit einer Erlaubnis der Nationalgarde und unter ihrem Schutz verkehren. Freilich verteilte das Militär im Interesse der Citizen Alliance die Genehmigungen sehr großzügig, sodass der Streik Gefahr lief, durch diese schrittweise Aufweichung zerschlagen zu werden. Und um der Kommunistenhetze der Citizen Alliance Rechnung zu tragen, wurden J.P. Cannon und Albert Goldmann festgenommen und der Stadt verwiesen. Diese Maßnahme musste allerdings nach einer erfolgreichen Intervention der Rechtsanwälte der Local 574 nach ein paar Tagen wieder zurückgenommen werden. Ein weiterer Effekt des Ausnahmezustandes war, dass die Beschäftigten des Rooseveltschen Arbeitsprogramms, die zuvor in den Ausstand getreten waren, im Einverständnis mit der Local 574 wieder zu ihrer Arbeit zurückkehrten, um nicht ihre Stellung, die durch ihre Arbeitslosigkeit ohnehin schon schlecht war, noch mehr zu gefährden. Olson hatte nämlich zuvor mit dem Einsatz der Nationalgarde gegen die Arbeitslosenorganisationen gedroht.

Nach heftigen Protesten der Local 574 gegen die Niederschlagung des Streiks durch das Militär schlug Olson einen weiteren Kompromiss vor: Alle Fahrer sollten sofort die Lohnerhöhungen erhalten, wie sie das Haas-Dunnigan-Papier vorsah. Jene Firmen, die das akzeptieren würden, sollten sofort vom Streik ausgenommen werden, sofern sie die zurückgekehrten Arbeiter nicht bestrafen würden. Alles andere wäre dann Gegenstand späterer Verhandlungen. Doch die Local 574 kam gar nicht dazu, diesen Vorschlag abzuwägen, da die Citizen Alliance ihn augenblicklich ablehnte, stur darauf beharrend, nur mit Gewerkschaftsführern zu verhandeln, die nicht Kommunisten wären. Die Citizen Alliance zielte also klar darauf ab, die Local 574 zu enthaupten, in der Hoffnung, dass dann irgendwelche anderen Vertreter der Basis schon über den Tisch gezogen werden könnten. Doch die Basis konnte ihren Kampfeswillen und ihre Fähigkeit sehr bald praktisch unter Beweis stellen, denn eine Entfernung der ersten Führungsschicht des Streiks sollte Gouverneur Olson kurz darauf für einen Tag lang gelingen.

Dieser „Entfernung“ ging eine neue Mobilisierungsoffensive der Local 574 voraus. Nachdem Olson nochmals vergeblich aufgefordert worden war, für 48 Stunden gar keine Lastwagen fahren zu lassen, und dann nur die jener Firmen, die das Kompromisspapier akzeptieren würden, organisierte man für den 31. Juli eine Massenversammlung an den Parade Grounds. Über 25.000 Menschen nahmen daran teil und es wurde beschlossen, ab dem nächsten Tag alle Kräfte in den Kampf zu werfen und die Stadt komplett „zuzudrehen.“ Doch Olson war derart alarmiert, dass er sich zu einem heiklen Entschluss durchrang: Er ließ am nächsten Tag die Streikzentrale mit einem Aufgebot von 1300 Mann der Nationalgarde, die mit Maschinengewehren anrückte, besetzen. Bill Brown, Ray und Miles Dunne wurden verhaftet und es wurde nach dem Rest der Führung der Local gesucht. Carl Skoglund war zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise gar nicht in der Nähe der Zentrale und Farrell Dobbs und Grant Dunne erst innerhalb des ersten Absperrungsrings. Letztere konnten durch eine List – sie gaben sich als einfache Mitglieder aus – wieder aus dem militärischen Absperrungsring entfliehen und in der Stadt – ständig die Wohnungen von Streikenden und Sympathisanten wechselnd – untertauchen. Zum Entzücken der bürgerlichen Presse fand das Militär im Streikquartier das Waffenarsenal vor, dass den Arbeitern nach dem Bloody Friday vom Streikkomitee abgenommen worden war. Nun erhielt natürlich das Gerücht um die angeblichen Aufstandspläne der Local 574 neuen Aufwind.

Unter dem Vorwand, dass man nach weiteren Waffen suchen wolle, wurde auch die AFL-Zentrale kurzzeitig besetzt. Schon zuvor hatte Olson öffentlich bekannt gegeben, dass er mit einem „wirklich repräsentativen“ Basis-Komitee der Local 574 zu sprechen wünsche.

Dieses Basis-Komitee bestand dann aus Kelly Postal, Ray Rainbolt und Jack Maloney, alle drei außerordentlich fähige Streikposten-Kapitäne der ersten Stunde. Sie erwiesen sich ihrer vorangegangenen Schulung in Sachen Arbeitskampf würdig und weigerten sich, über irgendwelche Forderungen zu verhandeln, da sie dazu gar nicht berechtigt wären. Sie forderten nur, dass das Streikquartier unverzüglich freigegeben, alle Inhaftierten freigelassen und das Militär von der Straße geholt werden müsse, damit sie wieder ihrer Aufgabe als Streikposten nachgehen könnten. Aufgrund dieser Weigerung für Verhandlungsgespräche war Olson erst zu dem Entschluss gekommen, Farrell Dobbs und Grant Dunne holen zu lassen, denn die anderen inhaftierten FührerInnen lehnten Gespräche ab, solange sie sich im Gefängnis befänden. Auch Farrell Dobbs und Grant Dunne konnten nur die Forderungen des Basis-Komitees wiederholen. Sie warfen Olson vor, den Streikbrecher für die Citizen Alliance zu spielen, er solle nicht vergessen, von wem er einst gewählt worden war. Olson meinte, die vortägige Massenversammlung an den Parade Grounds wäre illegal gewesen und deswegen hätte er sich zu diesem Schritt genötigt gefühlt usw. Doch Dobbs konnte die schriftliche Erlaubnis vorweisen und Olson war vor den ebenfalls anwesenden AFL-Führern blamiert. Außerdem konnte ihm nicht verborgen bleiben, dass es innerhalb der FLP massive Proteste aufgrund seines Vorgehens hagelte. Also machte er einen Rückzieher und beendete um 23:00h desselben Tages die Besetzung des Hauptquartiers. Ebenso kamen alle vom Militär inhaftierten Gewerkschafter und Streikposten wieder frei.

Somit war der Plan, mittels einer Enthauptung der Local 574 auch den Streik zu beenden, kläglich gescheitert. Denn während der Besetzung des Hauptquartiers und der zeitweiligen Entfernung der 1. Führungsreihe der Local bewies die 2. Führungsreihe rund um die Streikposten-Kapitäne umso mehr Kampfeswillen und Improvisationsgeist. Die fehlende Zentrale wurde durch „wandernde“ Treffen bei den Tankstellen rund um die Stadt kompensiert. Zeitweise kamen so bis zu 500 Streikposten zusammen, um sich neu einteilen zu lassen. Über die öffentlichen Telefone bei den Tankstellen wurde die Verbindung mit allen anderen Teilen der Streikarmee aufrechterhalten. So trudelten auch am Tag der Besetzung der Streikzentrale bei der Nationalgarde von Seiten der Bosse über 500 Anfragen ein, ob sie nicht ihre Lastwägen eskortieren könne. Doch diese war – gelinde gesagt - leicht überfordert. Sie konnte außerdem nur der geringen Anzahl von 38 Streikposten habhaft werden.

Der 1. August war jedoch leider noch durch ein anderes Ereignis überschattet. Der Bloody Friday forderte etwas verspätet sein zweites Opfer: John Belor, ein Aktivist der Arbeitslosenorganisation MCCW war an seinen Verletzungen gestorben. Da seine Familie eine Beerdigung nach dem Vorbild von Henry Ness ablehnte, kam es zu keinem Protest-Trauerumzug, doch trotzdem erwiesen am Tag des Begräbnisses Tausende im stillen Gedenken John Belor an seinem Grab die letzte Ehre. Der Tod eines Arbeitslosen-Aktivsten stellte jedoch die enge Verbindung zwischen der Local 574 und der MCCW keineswegs in Frage, sie blieb fest wie eh und je.

Am Tag darauf rief der Organizer in seiner Hauptüberschrift zu einem allgemeinen „Protest-Generalstreik“ in Minneapolis auf. Einige der maßgeblichen AFL-Bürokraten wurden darüber hinaus zu einem Treffen des Streikkomitees eingeladen, wo sie über ihr Wissen rund um die Besetzung der Streikzentrale Rede und Antwort stehen mussten. Für alle war klar, dass ihre gewundenen Antworten auf nichts anderes hinwiesen, als dass sie von dem Vorgehen im Vorhinein gewusst hatten, ohne die Local 574 zu warnen. Trotzdem gab das Streikkomitee aus taktischen Gründen vor, ihren Erklärungen Glauben zu schenken. Farrell Dobbs ironisch: “Sie wurden für nicht schuldig befunden und ermahnt, es nicht wieder zu tun!“ Danach wurden die AFL-Funktionäre mit dem Auftrag entlassen, Olson zum Abzug der Nationalgarde zu bewegen.

Unterdessen versuchten die staatlichen Repressionskräfte den Schein der Überparteilichkeit zu wahren und führten eine – sehr sanfte – Durchsuchung des Citizen Alliance-Hauptquartiers durch, nicht zuletzt deshalb, um dem anhaltenden öffentlichen Protest Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Citizen Alliance beklagte sich natürlich bitter. Doch diese hatte mittlerweile schon weitaus größere Probleme: Einigen der großen Marktfirmen begann die Puste auszugehen und deuteten an, dass sie aus der Disziplin der Citizen Alliance auszuscheren gedachten, um das Kompromisspapier zu unterschreiben. Dieser Gefahr begegnete die Citizen Alliance mit einem neuen Angebot zur Beilegung des Konflikts: Alle Arbeiter sollten sofort einen Stundenlohn von 50 Cents bzw. 40 Cents erhalten und zu ihrer Arbeit zurückkehren. Sie erwähnte aber mit keinem Wort die Local 574 und verlautbarte außerdem, dass sie bei Wiedereinstellungen arbeitswilligen Beschäftigten, also den Streikbrechern, den Vorzug vor den Streikenden geben würde. Das Streikkomitee lehnte dieses Angebot rundweg ab und verstärkte nochmals seine Kampagne gegen den Gouverneur und die Nationalgarde. Am 6. August kam es wieder zu einer Massenversammlung an den Parade Grounds, diesmal mit über 40.000 ArbeiterInnen. Ironischerweise befand sich die Local 574 mit ihrem Ruf nach einer Beendigung des Ausnahmezustandes zuletzt in einer Linie mit der Citizen Alliance, die eine Klage gegen den Ausnahmezustand eingebracht hatte. Die Citizen Alliance wollte das Ende des Ausnahmezustandes freilich dazu nutzen, den Streik mit bezahlten Schlägerbanden und Streikbrecheragenturen zu zerschlagen, da sie die Lösung dieser Aufgabe der Nationalgarde nicht mehr zutraute.

Die Citizen Alliance war also offensichtlich langsam in Bedrängnis. Das Streikkomitee erhöhte den Druck und veröffentlichte im Organizer eine Liste aller 166 Firmen, die von der Local 574 bestreikt wurden, und rief die Bevölkerung auf, diese Firmen zu boykottieren. Bald stellte sich ein erster Erfolg ein: Drei Firmen scherten aus und unterschrieben das Haas-Dunnigan-Papier. Daraufhin begann die schon sehr nervöse Citizen Alliance in schrillen Tönen die zwei Mediatoren zu denunzieren und behauptete, sie wären unfähig und noch dazu augenscheinlich Freunde der Kommunisten. Sie verlangte deren Abberufung. Diesem Frontalangriff ausgesetzt, fingen Hass und Dunnigan zu schwanken an und schrieben ihren eigenen Vorschlag sehr zu Ungunsten der Local 574 um. So war jetzt kein Minimallohn mehr vorgesehen, außerdem sollten laut dem Papier nach dem Streik keine Arbeiter mehr arbeiten dürfen, die „Gewalt“ angewendet hätten.

Unnötig zu sagen, dass das Streikkomitee diesen Vorstoß ablehnte. In einer sehr intensiven Diskussion zwischen der Mitgliedschaft der Local 574 und den Regierungsmediatoren gelangten Letztere zu der Einsicht, dass das Abrücken vom ursprünglichen Vorschlag ein Fehler war. Die Arbeiter sahen nicht ein, warum man über ihre Köpfe hinweg Vorschläge einfach so ändern konnte und forderten die Mediatoren auf, eine Abstimmung unter den 166 Firmen über das Kompromisspapier abhalten zu lassen. Sie waren von den Beauftragten der Regierung zutiefst enttäuscht. Ein junger katholischer Arbeiter nahm beim Verlassen der Mediatoren sogar sein Kreuz vom Halsband und warf es Haas hinterher, der im Normalberuf Pfarrer war.

Doch die Citizen Alliance lenkte noch nicht ein, der Zermürbungskrieg hielt an. Natürlich ging dieser an der Local 574 auch nicht spurlos vorüber. Der Streik dauerte nun schon über einen Monat an. Insgesamt war der Streik zwar noch sehr solide, doch langsam fuhren wieder mehr Lastwagen unter Militärschutz durch die Straßen. Gleichzeitig ereilte immer mehr Streikposten eine Verurteilung zu einer Haft im Militärgefängnis, wo sie teilweise bis zu 90 Tage unter harter Arbeit zubringen mussten. Die Verbreiterung der Front scheiterte an den ängstlichen AFL-Funktionären, die einen Generalstreik ablehnten bzw. erfolgreich verhinderten, da sie den Gouverneur nicht kompromittieren wollten. Sie richteten ihre Energien vielmehr gegen die Local 574 selbst.

Über ihre wenigen verbliebenen Anhänger in der Local versuchten sie den Kampfeswillen zu zermürben. So meinte Cliff Hall, dass die Local am 16. August ihr Streikhauptquartier räumen müsse, da für einen weiteren Betrieb das Geld fehle. Der mit ihm verbündete Kassier meinte, nur er dürfe Ausgaben tätigen und sperrte die Kasse. Daraufhin bedurfte es der gesamten Autorität des Streikkomitees, um diese Personen wieder zur Räson zu bringen. Man wies sie darauf hin, dass laut dem Beschluss der Mitglieder, das Streikkomitee während der Dauer des Streiks die Vollmachten für alle Belange – also auch die Finanzen - hätte. Weiters versuchte die örtliche AFL-Führung die Taxifahrer und Tankwarte, die in der Local 574 organisiert waren, zur Gründung eigener Locals zu bewegen. Diese zeigten aber derlei Bemühungen verächtlich die kalte Schulter und blieben der Local 574 treu.

Allerdings hatte der Konflikt mit dem Kassier tatsächlich eine Achillesferse der Local 574 freigelegt: Das Geld wurde knapp, daran konnten auch die zahlreichen Spenden aus der ArbeiterInnenbewegung nichts ändern. Denn einerseits kostete die Organisation eines einzelnen Streiktags ca. 1000 Dollar, andererseits musste die Gewerkschaft immer mehr Geld für ihre Mitglieder ausgeben. Denn diese empfingen ja für die Dauer des Streiks keinen Lohn, da der Ausstand nicht von der Teamsters-Führung sanktioniert war. Die unbezahlten Rechnungen häuften sich. Einigen Arbeitern wurde der Strom abgedreht, manche verloren sogar aufgrund der Mietrückstände ihre Wohnung. Also musste die Local 574 einspringen, eine neue Wohnung suchen, diese vorfinanzieren und den Umzug organisieren. Diese Widrigkeiten veranlassten einige wenige Fahrer, zu ihrer Arbeit zurückzukehren. – Ein klares Alarmsignal.

Bei einer Krisensitzung jener Aktivisten, die innerhalb der Communist League für den Streik verantwortlich waren, wurde die Lage erörtert. Albert Goldmann sprach sich für eine sofortige Beendigung des Streiks aus, um wenigstens noch einen geordneten Rückzug zustande zu bringen. Farrell Dobbs, Carl Skoglund und V.R. Dunne waren für seine Fortsetzung, da sie meinten, die Mehrheit der Basis wäre noch nicht am Ende ihrer Kampfbereitschaft angelangt. J.P. Cannon meinte, er würde denjenigen Vertrauen schenken, die die Basis am Besten kannten (Dobbs, Dunne & Skoglund) und stimmte ebenfalls für die Fortsetzung des Streiks.

Das Streikkomitee teilte die Einschätzung von Dobbs, Skoglund und V.R. Dunne und veröffentlichte im nächsten Organizer die Position der Local 574: Der Streik wäre erst beendet, wenn die Citizen Alliance folgende Bedingungen akzeptieren würde. Alle Arbeiter müssen ohne Bestrafungen zu ihren Betrieben zurückkehren können. Dann hätten die Wahlen zum Schlichtungsausschuss stattzufinden. In jenen Betrieben, wo die 574 gewinnen würde, müssten die Bestimmungen des ursprünglichen Haas-Dunnigan Kompromisspapiers zur Anwendung kommen.

Mit der Ankunft eines neuen Mediators aus Washington, P.A. Donoghue, sollte sich dann schließlich zeigen, dass die Local mit ihrer Entscheidung, noch etwas durchzuhalten, goldrichtig gelegen war.

Der Sieg

Ursprünglich erwartete sich die Local 574 von P.A. Donoghue nichts Gutes, denn ihm wehte der Ruf eines Hardliners gegen die Gewerkschaft voraus. Doch in den Erwägungen der Bundesregierung in Washington war eine Veränderung vorgegangen. Roosevelt wollte zu diesem Zeitpunkt den Streik einfach nur beendet haben. Im November dieses Jahres stand nämlich in Minnesota wieder der Gouverneursposten zur Wahl und Roosevelt wollte eine Wiederwahl von Olson nicht gefährdet sehen, da die FLP auf nationaler Ebene eine enge Verbündete der Demokraten war. Doch je länger der Streik anhielt, desto mehr verlor Olson an Popularität. Also betrachtete Roosevelt Zugeständnisse an die Local 574 als das geringere Übel und beauftrage seinen Vermittler Donoghue, diese in Minneapolis umzusetzen. Der Citizen Alliance blieb angesichts des direkt von Roosevelt autorisierten Vermittlers nur mehr wenig Spielraum, doch konnte sie zumindest das Gesicht etwas wahren: Haas und Dunnigan waren immerhin abberufen worden, so wie es die Citizen Alliance schon lange forderte.

P.A. Donoghue konnte den Schlichtungsausschuss und die Citizen Alliance von folgendem Kompromiss-Vorschlag überzeugen:

Die Streikenden hätten sofort ohne Bestrafungen seitens der Unternehmer an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren, nach 10 Tagen würden dann die Wahlen zum Schlichtungsausschuss erfolgen. Wahlberechtigt wären nur jene Arbeiter, die schon vor dem 16. Juli – dem Tag des Streikbeginns - angestellt waren. Diese Regelung trug der Forderung der Local 574 Rechnung, dass Streikbrecher nicht wahlberechtigt sein dürften. Alle Belegschaften, die mehrheitlich für die Local 574 stimmten, würden dann allein von dieser vertreten werden. Bei den 22 großen Marktfirmen kämen auch die Innenarbeiter unter die Zuständigkeit der Local 574, bei den übrigen allerdings nicht. Der Vorschlag sah außerdem einen Mindeststundenlohn von 50 Cents für Fahrer und 40 Cents  für Innenarbeiter vor. Weitere Vereinbarungen würden dann in einem Verhandlungsausschuss zu behandeln sein, bestückt mit je zwei Vertretern der Local 574 und der Citizen Alliance und einem „neutralen“ Vermittler. Schlussendlich müssten auch noch alle Inhaftierten frei gelassen werden.

Nun war es an der Local 574, über dieses Angebot, das die Citizen Alliance bereits akzeptiert hatte, zu befinden. Die Entscheidung fiel eindeutig aus: Schon im Streikkomitee war fast für alle Beteiligten klar, dass die Vereinbarungen einen großen Sieg für die Local 574 darstellen würden. Sie wäre endlich als maßgebliche Gewerkschaft im Transportsektor anerkannt, der „Anti-Gewerkschaftskurs“ der Citizen Alliance läge in Trümmern. Außerdem würde mit dem Einschluss der Innenarbeiter bei den Marktfirmen das Facharbeiterprinzip durchbrochen, die Local 574 wäre somit auf dem Weg hin zu einer Industriegewerkschaft. Natürlich: Der vorgeschlagene Mindestlohn lag unter der ursprünglichen Forderung der Gewerkschaft, ebenso blieben die Innenarbeiter der anderen Betriebe außerhalb der Local 574. Doch man war der Überzeugung, dass man den Verhandlungsausschuss nach einem gewonnenen Streik schon zu nützen wissen würde. Die Citizen Alliance würde sich noch einmal genau überlegen, ob sie mit Verhandlungstricks wieder einen Streik heraufbeschwören wolle.

Mit dieser Meinung ging das Streikkomitee vor eine neuerliche Mitglieder-Gesamtversammlung. Das Kompromissangebot von P.A. Donoghue wurde intensiv diskutiert. Es zeigte sich, dass die überwältigende Mehrheit der Mitglieder die Einschätzung des Streikkomitees teilte. Sie sahen im Kompromissangebot die Durchsetzung vieler ihrer wesentlichen Forderungen und sie wussten, dass sie den Streik nicht mehr lange durchhalten konnten. Ein paar Mitglieder wollten allerdings noch weiter streiken, „bis die Citizen Alliance zerschmettert am Boden läge“, doch sie repräsentierten nur eine äußerst geringe Minderheit. Also wurde das Kompromissangebot fast einstimmig angenommen. Ein begeistert gesungenes „Solidarity Forever“ besiegelte das Ende des Streiks. Am nächsten Tag titelte der Organizer: „Sieg! Die Vereinbarung geht durch!“ Gleichzeitig wurden die Arbeiter aufgerufen: „Wählt Local 574 und macht aus Minneapolis eine Gewerkschaftsstadt!“

Der Organizer erschien bis zum Wahltermin für den Schlichtungsausschuss noch auf täglicher Basis. Er half dabei, die zahlreichen Tricks der Unternehmer aufzudecken, die diese anwendeten, um die Wahllisten zu fälschen. Am Tag vor der Wahl hielt die Local eine große öffentliche Versammlung ab, wo auch Nichtmitglieder aufgefordert wurden, die Local 574 zu wählen. Nach der Wahl zeigte sich, dass die Zuversicht über den Wahlausgang berechtigt gewesen war:

Fast alle großen Transportfirmen hatten im Verhältnis 3:1 für die Local 574 gewählt, die gelben Unternehmergewerkschaften gewannen nur in den Klein- und Familienbetrieben. Alle 22 Marktfirmen gingen komplett an die Local 574. Somit wurden nun 61% aller Transportarbeiter in Minneapolis von der Local 574 vertreten, wobei bei 62 Firmen die komplette Belegschaft unter die Local 574 fiel, bei 15 Firmen immerhin die Hälfte der Belegschaft.

Mit diesem Ergebnis bestätigt, ging die Local 574 in die Lohnverhandlungen, wo sie einiges herausholen konnte, Ein zweijähriger Kollektivvertrag wurde vereinbart: Bis 31.5.1935 würde der Mindestlohn pro Stunde 52,5 Cents (Fahrer) bzw. 42,5 Cents (Innenarbeiter) betragen, danach bis 31.5.1936 55 bzw. 45 Cents. Das waren höhere Raten, als ihm Kompromisspapier vorgesehen. Ebenso musste es als ein phänomenaler Erfolg bezeichnet werden, dass der Kollektivvertrag für ALLE Innenarbeiter aller beteiligten Firmen galt. Somit hatte sich die Local 574 mit ihrer durch die Streiks erworbenen Autorität bei den Verhandlungen über das ursprüngliche Kompromisspapier hinwegsetzen können. Des Weiteren wurde von Seiten der Unternehmer ein uneingeschränktes Streikrecht garantiert.

Die Local 574 hatte also in den wenigen Monaten von Februar bis August 1934 eine beispiellose Entwicklung durchgemacht. Die zahnlose Mini-Gewerkschaft mit 75 Mitgliedern wurde zu einem effektiven Werkzeug der Massenbewegung der Arbeiter in der Transportindustrie zur Hebung ihres Lebensstandards. Mit dem Einschluss der Innenarbeiter begann sie, das nutzlose und einengende Korsett einer Facharbeitergewerkschaft abzustreifen. Dadurch nahm sie die bald darauf landesweit einsetzende Bewegung in der AFL hin zum Industrieprinzip, die in der Formierung des Congress of Industrial Organizations (CIO) gipfelte, voraus.

Alle Mitglieder der Local 574 hatten also Grund zur Freude. Alle? Nein nicht alle. Ein paar Relikte aus der vergangenen Periode vor den Streiks begannen nun gerade zu diesem Zeitpunkt, gegen jene Personen zu intrigieren, die diesen großartigen Aufschwung der Local 574 erst jahrelang mühsam vorbereitet und ermöglicht hatten: Die Aktivisten der Communist League.

Neuwahlen in der Local 574 – Eine entscheidende Weichenstellung

Während der Streiks war die Gruppe um Cliff Hall, die noch immer eine dünne Mehrheit im Exekutivkomitee der Local 574 kontrollierte, im Hintergrund geblieben. Ihre Rolle beschränkte sich auf eine eifrige Berichterstattung an die AFL-Führung und Tobin über die „Schandtaten“ der CLA-Aktivisten im Organisations- und im Streikkomitee. Angesichts der Massenbewegung der Transportarbeiter blieb ihnen auch nichts anderes übrig, da sie sich mit einer offenen Ablehnung des Streiks vollkommen kompromittiert hätten. Als dann aber einen Tag nach Beendigung des Streiks der AFL-Vorsitzende des Bundesstaates, E.G. Hall – ein Namensvetter von Cliff Hall - , in der Minneapolis Tribune die Streikführung direkt attackierte, wagte sich Cliff Hall wieder mehr hervor. E.G. Hall wandte sich entschieden gegen das Industrieprinzip, nach dem die Local 574 umgestaltet wurde und meinte, die Führung der Local hätte nur Unruhe in die gesamte AFL gebracht.

Cliff Hall trat zwar nicht mit einem Zeitungsartikel auf, doch er begann mit seinen Leuten unter der Mitgliedschaft Stimmung gegen die ehemaligen Streikführer bzw. CLA-Aktivisten zu machen. Mit der Zeit wurde er immer dreister, da er nach der Auflösung des Streikkomitees meinte, durch die Kontrolle des Exekutivkomitees wieder alle Fäden in die Hand zu bekommen. Doch die Local 574 hatte sich doch mehr geändert, als er annahm: Bill Brown, als Präsident der Local mittlerweile schon vollkommen von der Theorie und Praxis der Trotzkisten überzeugt und angewidert von Cliff Hall, schlug vor, das Exekutivkomitee neu wählen zu lassen und trat von seinem Amt zurück. Dem restlichen Exekutivkomitee blieb nichts anderes übrig, als es Brown gleichzutun. Sie wähnten ihre Wiederwahl ohnehin für sicher.

Doch nun stellten die CLA-Aktivisten der Local für fast alle Funktionen eigene Gegenkandidaten auf. Bei der Wahl wurden die Leute rund um Cliff Hall alle bis auf einen abgewählt. Jetzt bestand das neue Exekutivkomitee neben Bill Brown als Präsidenten und Georg Frosig als Vizepräsidenten fast durchwegs aus Aktivisten der Communist League und aus ehemaligen Streikkapitänen: Farrell Dobbs als Kassier, Grant Dunne als Protokollführer, V.R. Dunne und Harry de Boer als Sachverwalter.

Die neu gewählte, nun homogen kämpferische Führung, ging gleich daran, in allen Betrieben ein starkes Netz an Vertrauenspersonen wählen zu lassen. Die Vertrauenspersonen waren die Vertretung der Local 574 im Betrieb und die Ansprechpersonen für die Belegschaft, wenn ein Problem auftrat. Durch den ständigen Kontakt mit den Vertrauenspersonen wusste das Exekutivkomitee stets über die Lage in den Betrieben Bescheid. Nach den Wahlen fand man in den Reihen der Vertrauenspersonen fast ausnahmslos bewährte Kämpfer aus dem Streikkomitee der Hundert oder Streikkapitäne. Somit war nun auch die zweite Führungsschicht der Streiks durch Wahlen offiziell legitimiert.

Besonderes Augenmerk legte die neue Führung darauf, der Entstehung einer neuen Schicht von Bürokraten, die nur mehr ihre eigenen Interessen im Sinn hatten, entgegenzuwirken. Deshalb wurde die Local 574 von Kopf bis Fuß „durch-demokratisiert“. Alle Mitglieder des Exekutivkomitees, die nun seit der neuen Wahl als Vollzeitarbeitskräfte fix bei der Local angestellt waren, verdienten nicht mehr als ein durchschnittlicher Transportarbeiter. Das Instrument der Generalversammlung wurde zur Dauereinrichtung: Jede zweite Woche konnten alle Mitglieder, die das wollten, in der Zentrale zusammenkommen und zusammen mit der Führung über die Ziele und nächsten Aufgaben der Local 574 diskutieren. Die Beschlüsse der Generalversammlung waren für das Exekutivkomitee bindend. Weiters wurde beschlossen, dass die Neuwahl des Exekutivkomitees jedes Jahr stattzufinden hat.

Gegenüber der Arbeitslosenbewegung löste die Local 574 jetzt ihr altes Versprechen ein. In allgemeinem Einverständnis wurde die MCCW aufgelöst und die Mitgliedschaft in die neu gegründete „Federal Workers Section“ (FWS) übergeführt. Die FWS wurde als eine Untersektion der Local 574 geführt, aber mit einer eigenen gewählten Führung. Dadurch war nun die Arbeitslosenbewegung von Minnesota auch in organisatorischer Hinsicht ein untrennbarer Teil der Gewerkschaftsbewegung und konnte nicht mehr gegen diese in Stellung gebracht werden. Als Vorsitzender der FWS wurde Max Geldmann gewählt, ein erfahrener Arbeitslosen-Aktivist aus New York und aktives Mitglied bei der CLA.

Somit wurde die Local 574 gleichzeitig mit ihrer Erstarkung eine Hochburg der trotzkistischen Bewegung in den USA. Durch die Teamster-Streiks wurde die Communist League zu einem viel beachteten Faktor in der amerikanischen ArbeiterInnenbewegung. Und nicht nur in der ArbeiterInnenbewegung. Alle Versuche von bürgerlicher Seite, in der Local 574 die Basis von ihrer Führung abzubringen, weil sie kommunistisch sei, scheiterten. Dies geschah aus einem einfachen Grund. Die Arbeiter lernten aus eigener konkreter Erfahrung, dass die Marxisten keine ihnen feindliche Gruppe (wie in der bürgerlichen Presse stets behauptet wurde) darstellten, sondern dass sie vielmehr in Minnesota die einzige politische Strömung waren, die uneingeschränkt die Interessen der ArbeiterInnenbewegung vertrat und die wusste, wie man für diese Interessen zu kämpfen hatte.

Marx formulierte dies im Kommunistischen Manifest so:

„In welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den Proletariern überhaupt? Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.

Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, dass sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, dass sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.

Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.“

Durch die drei Transportarbeiter-Streiks im Jahre 1934 konnte die ArbeiterInnenbewegung von Minneapolis also durch eigene Erfahrung lernen, dass die Methoden der MarxistInnen rund um die Communist League Sinn machten. Deswegen schoben sie auch alle Versuche, die CLA-Aktivisten zu denunzieren und auszuschalten, verächtlich beiseite. Doch die Sympathien gingen noch weiter. Einige der Transportarbeiter konnten für eine aktive Mitarbeit bei der CLA gewonnen werden, allen voran Farrell Dobbs. Die CLA, im Februar noch bei 40 Mitgliedern, wuchs unmittelbar nach den Streiks auf 100 Mitglieder an. Einer von diesen neuen Mitgliedern war Harry de Boer, der als Streikkapitän am „Bloody Friday“ verwundet wurde und dann lange Zeit im Krankenhaus verbringen musste, wo er viel Zeit zum Nachdenken und für Diskussionen mit CLA-Aktivisten hatte. Nachdem er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, trat er der CLA bei. Als Grund für seinen Entschluss verallgemeinerte er seine im Jahre 1934 gemachten Erfahrungen und meinte: „Ohne eine diszipliniert revolutionäre Partei hätten wir das alles nicht geschafft!“

Die Local 574 sollte mit ihrer marxistischen Führung noch viel mehr schaffen, doch das ist hier nicht mehr Thema. Es sei nur soviel gesagt: Die Streiks im Jahre 1934 dienten der gesamten ArbeiterInnenbewegung von Minnesota und auch jener der angrenzenden Bundesstaaten als leuchtendes Vorbild. Allerorten gingen plötzlich die ArbeiterInnen in die Offensive und setzen dem Kapital durch militante Arbeitskämpfe zu. Die Local 574 stand dabei als Beraterin, Unterstützerin und vorantreibende Kraft stets im Mittelpunkt der Ereignisse.

Freilich standen die Streiks in Minneapolis im Kontext eines allgemeinen Aufschwungs der US-amerikanischen ArbeiterInnenbewegung in ihrem Kampf gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Die Hafenarbeiter von San Francisco und die Automobilarbeiter von Toledo führten im Jahre 1934 ähnlich große und militante Streiks durch. Die radikale American Workers Party, die unter A.W. Muste den Toledo-Streik anführte, sollte dann noch Ende desselben Jahres mit der CLA zur Workers Party of the United States fusionieren. Die revolutionären Kräfte des Landes konsolidierten sich. Und nach Meinung von Farrell Dobbs war im Amerika am Vorabend des 2. Weltkrieges durchaus das Potential einer allgemeinen sozialen Revolution vorhanden.

Wer für eine starke und antikapitalistische Gewerkschaftsbewegung in unserer Zeit der neuerlichen großen Wirtschaftskrise kämpfen will, sei deshalb abschließend wärmstens die Lektüre der vier Bände der Teamster-Chronik von Farrell Dobbs als Quelle unschätzbarer Erfahrungswerte empfohlen.


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