Am Sonntag, dem 16. Oktober, haben sich etwa 100 FahrerInnen des Lieferdiensts Mjam auf der Wiener Mariahilferstraße für eine spontane öffentliche Versammlung getroffen. Der konkrete Anlass waren die untragbaren Arbeitsbedingungen bei Mjam. Felix Bernfeld war vor Ort.
Die Mehrheit der FahrerInnen arbeiten als freie DienstnehmerInnen. In der Regel bedeutet das höhere Löhne als bei einer Anstellung, aber es führt auch dazu, dass das gesamte Risiko von den Ridern selbst zu tragen ist. So gibt es keinen Kollektivvertrag und im Krankheitsfall kein Gehalt – aber dafür komfortable Profite für das Unternehmen.
Obwohl die Sparte eine Vereinzelung der ArbeiterInnen begünstigt, die isoliert voneinander arbeiten, am Papier keine persönliche Abhängigkeit von einem Chef haben und durch ihre Lage als freie DienstnehmerInnen bei Streiks einen vollständigen Lohnentgang in Kauf nehmen müssen, konnte das die Rider nicht aufhalten, in den Streik zu treten. So entwickelte sich aus der Versammlung eine spontane Demonstration und die Arbeit wurde für etwa 1-2 Stunden niedergelegt. Die Demonstration auf der Mariahilferstraße wurde jedoch nach wenigen 100 Metern von der Polizei aufgehalten und am Weiterkommen gehindert, woraufhin sich die Rider wieder zum Kundgebungsort zurückzogen.
Am darauffolgenden Sonntag fand der nächste Streik inklusive Demonstration statt. Etwa 150 Rider beteiligten sich an dieser Aktion. Im Vorfeld versuchte die MjamGeschäftsführung den Streik mit billigen Tricks zu sabotieren und bot den ArbeiterInnen am Sonntag ab 16:00 (was exakt der Zeit entsprach, für die die Kundgebung angesetzt war) 1€ extra für jede zugestellte Lieferung.
Dies führte zu berechtigtem Ärger. So meinte ein Kollege, dass er erst deshalb beschloss, an dem Streik teilzunehmen. Wenn dies eins zeigt, dann, dass die Geschäftsführung die aufkeimende Bewegung ernst nimmt und Gefahr wittert! Die Rider waren sehr offen und erzählten, dass man etwa bei dreimaliger Ablehnung von Bestellungen anschließend für mehrere Stunden gesperrt wird und keine weiteren Zustellungen durchführen darf. Auch gibt es immer wieder beim Kilometergeld Ungereimtheiten, da die Beträge intransparent und teilweise gar nicht ausgezahlt werden.
Das besondere an den Kampfmaßnahmen ist, dass hier mutige KollegInnen die Initiative ergriffen und in einen „wilden Streik“ traten, also ohne Unterstützung der Gewerkschaft streikten. Das ist für österreichische Verhältnisse äußerst ungewöhnlich, wo üblicherweise die Gewerkschaft die Entscheidungshoheit darüber hat, ob eine Branche in den Arbeitskampf tritt oder nicht.
Die Gewerkschaft Vida versucht seit einiger Zeit die FahrerInnen von Lieferdiensten zu organisieren, stellt Räumlichkeiten und legale Beratung bereit. Gleichzeitig sieht man, wie die mehrheitlich migrantischen KollegInnen, die in diesem Sektor beschäftigt sind, frei sind vom Ballast sozialpartnerschaftlicher Routine. Die ArbeiterInnen bestimmen über ihren Arbeitskampf einfach selbst.
Nach der Kundgebung am 23. Oktober fand in den Räumlichkeiten der Vida eine Versammlung statt, an der über 100 Rider teilnahmen. Die Gewerkschaft hat dort vorgeschlagen, Verhandler bereitzustellen, die in Verhandlungen mit der Mjam-Geschäftsführung die ArbeiterInnen vertreten würden.
Die Rider haben den Vorschlag vehement zurückgewiesen und stattdessen einen Sprecher aus ihren Reihen gewählt, der die Verhandlungen führen soll. Auch über die wichtigsten Forderungen haben die Rider abgestimmt. Dabei kristallisierten sich drei zentrale Forderungen heraus:
- 5€ pro Zustellung (aktuell 4€)
- keine erzwungenen Pausen und die Möglichkeit, Bestellungen ablehnen zu können
- eine gerechte Auszahlung des Kilometergeldes
Diese demokratischen Methoden sind essenziell dafür, einen selbstbestimmten Arbeitskampf führen zu können und richtungsweisend dafür, was auch in anderen Branchen und in der gesamten Arbeiterbewegung dringend nötig ist!
Für einen demokratischen, selbstbestimmten Arbeitskampf! Für den Sieg der Rider!
(Funke Nr. 208/25.10.2022)