Die Wiener Linien schockierten mit der Ankündigung, die Intervalle der Öffis ab sofort zu strecken. Dies ist eine Notfallmaßnahme, weil im Fahrdienst immer mehr Beschäftigte an ihre Grenzen stoßen. Der Personalmangel bedeutet unerträgliche Dienstpläne und diese machen diese schöne Arbeit für immer mehr KollegInnen unaushaltbar. Eine Fahrerin kommentiert.
100 FahrerInnen auf der Straßenbahn und 100 BuslenkerInnen fehlen aktuell, um einen verlässlichen Fahrplan anzubieten, informiert die Gemeinde Wien die Öffentlichkeit. Aus unserer Sicht ist diese Einschätzung falsch: es fehlen viel mehr. Zuversichtlich aber die Gemeinde:
„Ein 5-Punkte-Programm zur kurzfristigen Stabilisierung der Intervalle und langfristigen Bewältigung der Situation wurde zusammengestellt. Dieses beinhaltet eine Kollektivvertrags-Erhöhung für alle Mitarbeiter*innen, eine Anpassung der Ausbildung, Anreizsysteme für Mehrleistungen sowie eine weitere Intervall-Anpassung, die den Fahrplan in den kommenden Monaten stabilisieren und damit auch die Mitarbeiter*innen entlasten wird.“
Damit ist endlich die Ausrede vom Tisch, dass Corona und Grippe für die unerträgliche Arbeitsdichte verantwortlich sind. Wir gehen seit Monaten nur noch zum Schlafen nach Hause. Ausgelaugt von langen Diensten und Unterbrecherdiensten (man arbeitet in zwei Abschnitten, etwa von 4:41 bis 9:00 und von 13:38 bis 18:44), gequält von unrealistischen Fahrplänen, die weder dem wachsenden Verkehrsaufkommen, der Ampelführung noch der technischen Möglichkeiten alter Garnituren entsprechen. Die Zusammenlegung von Bahnhöfen führt zum Zerreißen von Kollegialität und wechselnde Dienstantrittsorte bedeuten lange Arbeitswege. Pausen sind so kurz, dass man nicht mal aufs Klo gehen kann. Besonders wir Jungen mit den neuen Verträgen sind von diesen Bedingungen betroffen. JungeinsteigerInnen hängen nach ca. drei Jahren den Beruf wieder an den Nagel.
Widerstand
Wenn man mit den Betriebsräten und der Gewerkschaft über Arbeitsbedingungen spricht stößt man auf taube Ohren. Gewerkschaft und Betriebsrat vertreten gegenüber den normalen Beschäftigten die Position des Unternehmens und tun so, als ob sie nichts verstünden. Das Vertrauen in unsere Gewerkschaft younion ist daher in den Keller gefallen. Eine Gruppe von KollegInnen hat in den Medien einen vierseitigen Brief veröffentlichtet, dies kam in der Kollegenschaft extrem gut an: endlich machen wir auf uns aufmerksam! Auch hier hat der Zentralbetriebsrat die Haltung des Unternehmens übernommen, man bedauere, dass Kollegen den Weg der Öffentlichkeit gewählt haben und nicht zu ihm gekommen seien.
Völlig ohne Information und jedwelcher Form der Beteiligung der KollegInnen gingen in unserem Bereich die KV-Verhandlungen vollstatten. Dies ist typisch für das Management und die Gewerkschaft bei uns: irgendwann wird man plötzlich über irgendwas informiert. So auch diesmal: die Löhne sollen im Durchschnitt um 7,32% erhöht werden, niedrige Einkommen um bis zu 11,62%, zusätzlich bekamen wir an Weihnachten und an Silvester jeweils 100€ brutto. Außerdem winken im Februar 500€ Teuerungsbonus; durchhalten!
Management reagiert
Im Herbst bekamen wir einen Brief vom Management, dass man sich für unseren Einsatz dankbar sei und als Dankeschön wurde der Automatenkaffee billiger und wir bekommen drei Euro brutto mehr pro gefahrener Überstunde, allerdings läuft die Dankbarkeit für den Einsatz Ende März ab. Dann bekamen wir zu Weihnachten noch ein kleines Glas Marmelade, was das Fass zum Überlaufen brachte.
Die Arbeitgeberin hat jetzt aber verstanden, dass Trostpflaster nicht mehr genügen, um den öffentlichen Verkehr aufrechtzuerhalten. Es wurde angekündigt, mit der Younion vereinbart zu haben, dass die Arbeitszeit ab 2026 schrittweise auf 35 Stunden verkürzt werden soll (viel zu spät! So lange machen wir das nicht mit) und die Diensteinteilung schnell verbessert werde. Ein „externer Berater“ werde engagiert um „internationales“ Know-How einzubringen, um die Arbeitsbedingungen und die Dienstplanung zu überprüfen. Jetzt müssen wir dranbleiben und aufpassen, dass es schnell geht und in die richtige Richtung.
Alles Know-How ist im Betrieb, wenn nur die Beschäftigten mit einer Stimme reden würden. Wir brauchen keine Managementfirmen, die erfahrungsgemäß (siehe Gesundheitsverbund) die Dinge zusätzlich verschlechtern und das Geld den Privaten zuschieben („optimieren“). Wir brauchen eine Belegschaftsvertretung, die zuhört, unzweideutig auf Seiten der Beschäftigten steht und endlich Debatten in der Belegschaft organisiert. Nirgendwo wird so leicht gestreikt wie auf Schienen, und die Wiener Tramwayfahrer haben eine große Tradition! In den kommenden Gewerkschaftswahlen jetzt im Frühjahr gilt es, die KandidatInnen genau zu prüfen und auf die Probe zu stellen. Und eines ist klar: wird der Personalmangel noch schlimmer, dann steht Wien so oder auf eine andre Art still.
(Funke Nr. 210/19.1.2023)