In Südkorea finden immer wieder krasse Arbeitskämpfe, Massenstreiks und Betriebsbesetzungen statt. Tobias Reinhard über den Arbeitskampf der LKW-Fahrer.

Anders als hierzulande, wo Klassenkämpfe von starken Gewerkschaften und Arbeiterparteien sozialpartnerschaftlich abgefangen und entschärft werden, müssen in Südkorea die ArbeiterInnen ihre Kämpfe in direkten Auseinandersetzungen mit Unternehmern und Regierung ausfechten. Weder gibt es eine Arbeiterpartei in Südkorea, noch sind die Gewerkschaften in den Staatsapparat integriert und stehen oft auf einer halblegalen Basis. Das resultiert in heftigen und spontanen Arbeitskämpfen.

Am 9. Dezember des Vorjahres endete der zweite Massenstreik der LKW-Fahrer in Südkorea. Insgesamt legten erneut, wie schon im Sommer, über 25.000 Autozulieferer und Transportarbeiter der Benzin- und Baustoffindustrie ihre Arbeit nieder und organisierten Blockaden um für bessere Arbeitsbedingungen, Löhne und Arbeitsrechte zu kämpfen. Nach zwei Wochen endete der Streik in einer Niederlage. Keine einzige der Forderungen wurde umgesetzt. Regierung und Unternehmer haben die Zeit des Streiks durchgesessen und die kurzfristigen Ausfälle für langfristige Vorteile hingenommen.

Für die Niederlage gibt es eine Reihe von Gründen. Die im Frühjahr 2022 gewählte rechtskonservative People Power Party und ihr rechtsradikaler Präsident Yoon Suk-yeol sind die direkte Vertretung des südkoreanischen Kapitals. Daneben gibt es eine ganze Reihe von Verstrebungen und personelle Übereinstimmungen mit südkoreanischen Großkonzernen, etwa zum Autohersteller Hyundai. Die Regierung setzte folglich harte Maßnehmen gegen den Streik und schreckte nicht zurück, das Militär als Streikbrechertrupp zur Verfügung zu stellen. Neben den Trucks der Armee waren auch LKW-Fahrer unterwegs, die doppelte Löhne erhielten. Weitere Kollegen wurden durch Sondergesetze zum Fahren gezwungen. Verhandlungen mit der Gewerkschaft wurden gar nicht erst aufgenommen. Eine bremsende Rolle spielte die Cargo Truckers Solidarity Union, die nur halbherzig hinter dem Streik stand und ihn schließlich mit einer Urabstimmung abdrehte, nachdem sie die Propaganda der Regierung weitertrug, dass der Streik das Land in den Ruin treibe.

Ein LKW-Fahrer beurteilte die Situation mit den Worten:

„Unsere Gewerkschaftsführer hätten im Juni nicht ohne eine feste Vereinbarung den ersten Streik beenden sollen. Sie sahen nicht, dass die Regierung ihren Kurs dieses Mal komplett ändern könnte. So ließen sie ihre eigenen Leute einfach ausbluten.“

Diese Analyse trifft den wahren Hintergrund der Niederlage. Im Juni des gleichen Jahres kam es zu einem spontanen Massenstreik der LKW-Fahrer. Dieser hatte zu einer riesigen Welle der Solidarität im Land geführt und überraschte die Bürgerlichen nicht nur, sondern trieb sie stark in die Defensive. Im Hafen von Busan, an dem 80% der Exportladungen abgewickelt werden, sank der Containerverkehr auf ein Drittel. Andere Häfen waren komplett dicht. Die Produktion bei Hyundai sank auf die Hälfte, die Stahlindustrie war durch Lieferstopps in Bedrängnis. In der Halbleiter- und Chipindustrie, etwa Samsung oder SK Hynix, wäre es bei Aufrechterhaltung des Streiks zu massiven Lieferengpässen gekommen – und das vor dem Hintergrund einer globalen Angebotskrise in der Halbleiterproduktion.

Dieser Kampf zeigte die große, potentielle Macht der Arbeiterklasse. Der Hebel im Kampf gegen Ausbeutung wurde an der richtigen Stelle angesetzt. Trotzdem ließ sich die Cargo Union zu einem faulen Kompromiss hinreißen und setzte lediglich minimale Lohnerhöhungen um. Auf den zweiten Streik Ende November schließlich konnten sich die Bürgerlichen vorbereiten und mit der konsolidierten Härte von Staat und Kapital antworten.

Wir können trotzdem optimistisch bleiben! Eine Branche der südkoreanischen Arbeiterklasse hat ihre Schlagkraft unter Beweis gestellt und erste richtige Schlüsse gezogen. Die südkoreanische Bourgeoisie wird angesichts der weltweiten Krise, insbesondere durch die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft und die geopolitischen Spannungen in der Pazifik-Region, in den nächsten Jahren immer mehr in Bedrängnis geraten. Die brutale Realität des südkoreanischen Kapitalismus wird weiteren Generalstreiks Vorschub leisten. Die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt hat die zweitlängsten Arbeitszeiten der OECD-Länder, extrem niedrige Löhne, eine schlechte Gesundheitsversorgung und kaum ein/e junge/r ArbeiterIn kann sich eine eigene Wohnung leisten. Weiter sind die Arbeitsrechte derart ausgehöhlt, dass viele ArbeiterInnen Arbeitsverträge ohne Zusatzleistungen, wie Urlaubsgeld o.ä. haben. All das wird den Klassenkampf befeuern.

Dass sie einen starken Arm hat, hat die südkoreanische Arbeiterklasse einmal mehr bewiesen. Doch um zu gewinnen, braucht sie auch einen Kopf, der diesen starken Arm zu führen weiß. Der Aufbau einer Arbeiterpartei mit Wurzeln in der Gewerkschaftsbewegung ist ein zentraler Schritt für die Arbeiterbewegung in der ganzen Region. Mit einer revolutionären, internationalistischen Perspektive kann eine solche Partei in der kommenden Periode den Kapitalisten richtig Dampf machen – und ihre Herrschaft stürzen.

(Funke Nr. 211/21.02.2023)


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