Nach über einem Jahr Krieg verschlechtern sich die Lebensbedingungen der ukrainischen Arbeiterklasse zusehends. Doch die Gewerkschaften versäumen es, einen klaren Klassenstandpunkt einzunehmen und geben stattdessen die imperialistische Propaganda der Herrschenden wieder.

Der Europäische und der Internationale Gewerkschaftsbund haben den 24. Februar 2023 zum „Tag der Gewerkschaftssolidarität mit der Ukraine“ erklärt. Man horche auf: Nicht zum „Tag der Gewerkschaftssolidarität mit den Arbeitern in der Ukraine und Russland, gegen alle Kriegstreiber und kapitalistischen Profiteure“, wie es die vielleicht etwas sperrige, aber korrekte internationalistische Position wäre. Doch bevor uns vorgeworfen wird, dass wir zu viel erwarten: Diese „Arbeiterführer“ haben es nicht einmal fertiggebracht, den Tag zum „Tag der Gewerkschaftssolidarität mit den Arbeitern in der Ukraine“ zu erklären, was zumindest noch das Bewusstsein über unterschiedliche Interessen von verschiedenen Klassen in

So plappern die Gewerkschaftsspitzen das nationale Interesse „ihrer“ Kapitalisten im Krieg auch fast bis zum kleinsten Detail nach. Der ÖGB-Chef Katzian kann sich daher in Worten für eine Unterstützung aller „Initiativen zur Deeskalation“ aussprechen – im Bewusstsein, dass das genauso gierige wie opportunistische österreichische Kapital gute Geschäfte mit beiden Seiten macht und das auch in Zukunft will.

Grygorii Osovyi, Präsident des ukrainischen Gewerkschaftsbundes FPU, sagte dagegen: „das Wichtigste für uns ist es, diesen Krieg zu gewinnen“. Doch wenn man seine Rede weiterverfolgt, tun sich Risse im rosigen Bild der „nationalen Einheit“ auf:

„Trotz aller Einschränkungen durch den Krieg versuchen wir dennoch, eine klassische Gewerkschaftsarbeit im Land zu leisten. Und das trotz der neoliberalen Angriffe durch die Regierung und das Parlament. Neoliberale Reformen wollen die Situation der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften weiter verschlechtern. Dagegen wehren wir uns natürlich!“

Als interessierter Leser fragt man sich hier natürlich, was das denn heißt, und recherchiert weiter. So findet man schnell heraus, dass etwa das Kriegsrecht bedeutet, dass Streiks und Demonstrationen verboten sind. Das Verbot für Männer (der Arbeiterklasse, wer genügend Geld hat findet natürlich einen Weg), das Land zu verlassen, hat trotz der Mobilisierungen ins Militär zu Lohndruck nach unten geführt. Gleichzeitig hat die Regierung neue Gesetze beschlossen, die es Unternehmern erlauben, Kollektivverträge einseitig aufzukündigen, die Arbeitswoche auf 60 Stunden auszudehnen, sowie Kündigungsschutz, Recht auf Urlaub und andere soziale Rechte aufzuheben.

Bettina Musiolek von der „Kampagne für saubere Kleidung“ schildert in einem Interview die Bedingungen, unter denen tausende Textilarbeiterinnen vor allem in der Westukraine für umgerechnet 154€ im Monat arbeiten – und zwar fast immer für Aufträge europäischer Großkonzerne:

„Die Arbeitsbedingungen in der Ukraine unterscheiden sich kaum von denen in Bangladesch oder Indien. Selbst in China verdienen die Beschäftigten mehr! Die ukrainischen Textilarbeiterinnen werden tagtäglich ausgebeutet: ihre Löhne reichen kaum zum Leben, und zwei von drei Näherinnen arbeiten ohne Arbeitsvertrag und ohne Sozialversicherung.“

Nicht ganz ein Jahr nach Beginn des Ersten Weltkrieges merkte Lenin 1915 an: „Krieg ist ‚schrecklich‘? Ja. Aber er ist schrecklich profitabel!“ Diese einfache Feststellung des Klassencharakters eines imperialistischen Krieges hat auch heute nichts an Richtigkeit eingebüßt.

(Funke Nr. 212/21.3.2023)


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