Dieser Artikel über die Probleme im Kindergartenbereich wurde in unserer letzten Ausgabe (Nr. 211) unvollständig abgedruckt. Wir veröffentlichen ihn hier noch einmal in der korrekten Version.
Am 24.1. haben sich alle Beschäftigten der städtischen Kindergärten in Wien mit dem Thema Kinderschutz auseinandergesetzt. Derzeit ist die Aufregung um sexuelle Missbräuche an Kindern sehr groß, und dies bedeutet einen zusätzlichen Druck auf uns, die jeden Tag das Vertrauen der Familien verlangen und benötigen, um unsere Bildungsarbeit zu schaffen.
Der Druck ist hoch, wir sind ständig den Erwartungen der Gesellschaft ausgesetzt. Wir müssen den Spracherwerb fördern (die Hälfte der Kinder in Wien hat nicht Deutsch als Erstsprache). Wir müssen die sozialen und emotionalen Kompetenzen absichern, damit sie erfolgreich die Schule bestehen können. Wir müssen eine partizipative und demokratische Atmosphäre schaffen, in der die Kinder mitbestimmen und sich immer selbstbewusster in ihrer Umgebung orientieren können. Freilich kommen Bewegung und Sport dazu, bei dem man einen 360-Grad-Blick haben muss, damit sich keiner in unseren dichtbesetzten Gruppen verletzt. Wir müssen alles dokumentieren, um unsere Professionalität belegen zu können. Und wir müssen breitere Öffnungszeiten gewährleisten, weil, wenn die Betreuungsmöglichkeiten fehlen, dies zu „einer weiteren Schwächung des Arbeitsmarkts“ führt, wie es Tirols ÖGB-Vorsitzender Philip Wohlgemuth befürchtet. Also müssen WIR auch noch den Arbeitsmarkt stützen!!!
Das ist unsere schöne Arbeit, aber wenn die Bedingungen immer schwieriger werden, denkt mal wer daran, dass es einfach zu viel ist? Das Hauptproblem ist die Anzahl der Kinder pro Gruppe. In Wien hat eine Regelgruppe 25 Kinder pro Fachkraft, gegen das empfohlene Verhältnis 1 Fachkraft zu 7,5 Kinder (Bertelsmann Stiftung). Die Kluft ist so groß, dass kaum jemand die Studie für realistisch hält. Aber die Realität ist hartnäckig und besteht darin, dass viele von uns auf den Beruf verzichten, um einem Burn-out auszuweichen. Das wird zu einem Teufelskreis: weniger Fachkräfte, gegen gleiche Leistungen und höhere Belastung, wiederum weniger Fachkräfte. In Deutschland hat der Personalmangel (die Rede ist von 100.000 fehlenden Fachkräften) schon zur Reduktion der Öffnungszeiten und Kindergartenschließungen geführt, genauso wie in Graz im September letzten Jahres. Berufstätige Eltern sind verzweifelt.
Immer wieder liest man von Bildungsoffensive, Förderungen für Ein- und Quersteigern… Klar, das Personal kann nicht herbeigezaubert werden, aber Kündigungen zumindest könnte man schon verhindern! Mehr Erholungsurlaubstage, Doppelbesetzung für jede Gruppe (der Trend in Wien ist genau gegenteilig), höhere Löhne, den eigenen Mitarbeitern so viel Vertrauen entgegenzubringen, um den Rechtsanspruch auf drei Tage Krankenstand ohne ärztliche Bestätigung tatsächlich haben zu können: So könnten einige kleine Schritte in die richtige Richtung aussehen.
Nach dem Skandal um den privaten Kindergarten, dessen Eigentümer das öffentliche Geld von der Stadt Wien (15 Mio. € Euro in drei Jahren!) benutzt hat, um sich luxuriöse „Dienstautos“ anzuschaffen und sich selbst am Essen der Kinder zu bereichern, kann noch wer sagen, dass es kein Geld für die öffentlichen Kindergärten gibt? Das Geld muss zu den Gehältern und Löhnen der Mitarbeiter und in den Ausbau einer bezahlten Ausbildung fließen. Wenn das nicht passiert, wird es immer fraglicher, dass die Elementarpädagogik ihre Leistungen weiter erbringen kann. Dies würde den Anfang der Abschaffung des Sozialstaates bedeuten, auf den wir so stolz sind. Aber falls die Kinder nicht betreut werden können, dann stellt sich die Frage einer allgemeinen Umstellung des sozialen Lebens durch die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich für alle Beschäftigten. Schwere Probleme: radikale Lösungen.
Von Sonia Previato
(Funke Nr. 212/21.3.2023)