1200 Delegierte versammelten sich im Juni zum vierten Gewerkschaftstag der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE). Emanuel Tomaselli war vor Ort und analysiert ihre Perspektiven.
Die PRO-GE ging 2009 aus dem Zusammenschluss von mehreren Arbeitergewerkschaften hervor. Ihr erster Vorsitzender war Kollege Rainer Wimmer, der die neue Organisation über 14 Jahre führte und jetzt an den ehemaligen Organisationssekretär Reinhold Binder übergab.
Organisationsentwicklung
„Mit jeder zusätzlichen Körperschaft und jedem zusätzlichen Mitglied, das wir in diesem Betrieb zur Mitarbeit gewinnen, steigt unsere Gegenmachtsfähigkeit gegenüber dem Kapital.“ (Organisationsbericht 2023)
Die Gewinnung von Mitgliedern und die Gründung von Betriebsräten sind zentrale Kennzahlen für potentiellen gewerkschaftlichen Erfolg, doch diese zeigen nach unten. Der Mitgliederstand ist seit 2018 kontinuierlich von 237.075 auf 228.208 (2022) zurückgegangen, obwohl gleichzeitig 74.500 neue Mitglieder gewonnen werden konnten. Die Hälfte der Neuen bleibt jedoch weniger als fünf Jahre dabei. Die Anzahl der Betriebe mit Betriebsrat hat sich im gleichen Zeitraum von 1637 auf 1590 verringert. Der Anteil der PensionistInnen unter den Mitgliedern ist leicht gestiegen (von 11,37 auf 11,65%), jener der Jugendlichen etwas gesunken (von 6,92 auf 6,15), der Anteil von Frauen auf niedrigem Niveau gestiegen (von 14,82% auf 15,03%). Ein Blick auf die Delegierten des Gewerkschaftstages zeigte außerdem, dass der hohe Anteil von MigrantInnen in der Produktion auf der Konferenz gar nicht repräsentiert ist.
Die KollegInnen an der Spitze versuchen diesen Trends entgegenzusteuern: Potenzialanalysen für Jugendvertrauensräte in organisierten Betrieben, Kundenbeziehungsmanagement mit einem standardisierten „Willkommensprozess“, Werbekampagnen, mehrsprachige Folder für MigrantInnen etc. bringen Teilerfolge. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen konnten stabil gehalten und aus Sicht der Konservierung der Strukturen verbessert werden: Die Abschaffung der Jugendvertrauensräte wurde 2019 verhindert, die Wahlperiode im Betriebsratswesen wurde auf Wunsch des ÖGB von 4 auf 5 Jahre verlängert (2017). Jetzt fordern die Gewerkschaften die Verbesserung des Kündigungsschutzes bei Betriebsratsgründungen, was eine wichtige Forderung ist.
Politische Herausforderungen
Aber die Probleme liegen tiefer und sind politischer Natur. Betriebe, in denen ein starker Betriebsrat für stabile Beschäftigung und Arbeitsbedingungen und daher für relative Zufriedenheit sorgen kann, gibt es kaum noch. Ein Delegierter eines großen Automobilzulieferers formulierte es so: „Zeiten, in denen sie mal Ruhe gaben und zufrieden waren, gibt’s heute nicht mehr, ständig wollen sie rauf mit der Produktivität und runter mit den Löhnen.“
Dies erfordert eine neue Gewerkschaftsarbeit, die auf den Zusammenschluss der mutigen und engagierten Kolleginnen und Kollegen im Betrieb und in der Region abzielt. Wenige Ansätze davon spiegeln sich im Bericht wider. Etwa dass Gewerkschaftsmitglieder die PRO-GE-Ortsgruppe Chemie-Park Linz gegründet haben und eine spezifische Zeitung für die ArbeiterInnen vor Ort herausgeben. Verallgemeinert werden diese Ansätze aktiver Basisarbeit aber nicht. Es liegt also weiter an den mutigen, klassenbewussten und politisch wachen KollegInnen diese Arbeit geduldig weiterzuentwickeln, auch wenn sie dafür keine ausreichende Rückendeckung der Gesamtorganisation bekommen.
Denn die PRO-GE ist ganz auf politische, sozialpartnerschaftliche Lösungen orientiert. Sie will unbedingt einen direkten Draht zur Regierung, die historisch gewachsene Einflussbereiche der Gewerkschaft respektiert. So war die Freude und der Jubel um Andi Babler sehr groß. Nicht mehr die liberale Rendi-Wagner, auch nicht ein Doskozil, der die Rolle des Staates über jene der Sozialpartnerautonomie stellt (Lohnpolitik, staatliche Krankenkasse) steht an der SPÖ-Spitze, sondern ein „echter Sozialdemokrat“.
Die Idee von Sozialpartnerschaft, die „mitgestaltet statt verwaltet“, die einen „sachgerechten Interessensausgleich“ und die „Unabhängigkeit“ in der Lohnpolitik und den Krankenkassen garantiert, sind politisch in der SPÖ nun wieder abgesichert. Die allgemeine Popularität von Babler eröffnet auch die Möglichkeit, dass die Gewerkschaftsbewegung bei Wahlen politisch wieder gestärkt wird. Erleichterung und Aufbruchstimmung waren auf der Konferenz daher stark spürbar.
Eine ausreichende Basis zur Stärkung der Arbeiterbewegung ist dies aber nicht. Unter den heutigen krisenhaften Bedingungen des Kapitalismus sind stabile Beziehungen zwischen den Klassen nicht mehr möglich. Die Beschwörung der Sozialpartnerschaft schwächt so alle anderen Aspekte der gewerkschaftlichen Arbeit. Es gilt, in den Mittelpunkt zu stellen, dass es in erster Linie um die Stärkung der Kampffähigkeit der Klasse gegen das Kapital geht. Dies ist eine praktische Aufgabe in jedem Betrieb und eine allgemeine politische Herausforderung.
(Funke Nr. 215/05.07.2023)