Am 15. Juni sind im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages allein in Wien 10.000 Menschen auf die Straße gegangen. Ein breites Bündnis von mehr als 65 Initiativen und Organisationen aus dem Bildungsbereich hat diesen Protest vorbereitet. Wir sprachen mit Michael Doblmair, der bei der Initiative „Schule brennt“, die den Aktionstag mit initiiert hat, aktiv ist.

Am 15.6. fand die größte, lauteste und zornigste Bildungsdemo seit Jahren statt. Was steht hinter dem Unmut im Bildungsbereich?

Es geht nicht nur um den Mangel von Lehrpersonen, den KindergartenpädagogInnen; Mangel bei den Ärzten, bei der Pflege, etc., es geht vielmehr darum, dass ganz systematisch alle diese Bereiche kaputt gespart und zu Tode reformiert werden. Es geht um den Gesundheitsbereich, den Bildungsbereich und Sozialbereich. Bei der Kundgebung heute [am 4.7 – siehe weiter unten] hat jemand aufgezeigt, wo stattdessen überall das Geld hinfließt – in die Bankenrettung, in die Corona-Rettung, ... Es gibt nicht ein drängendes Problem, sondern ganz viele.

Kannst du uns schildern, wie es zu diesen Protesten gekommen ist?

Nachdem im Herbst vergangenen Jahres der Bildungsbereich schon in Aufruhr war und von den ElementarpädagogInnen über FreizeitpädagogInnen und InklusionsaktivistInnen bis zu den Studierenden und Lehrenden an den Universitäten vielerorts demonstriert, gestreikt und Hörsäle besetzt wurden, wurde es übers Schuljahr wieder etwas ruhiger – in der Zwischenzeit formierten sich aber wichtige Kräfte. Im Westen von Österreich hat sich mit Gemeinsame Bildung 2.0 eine Initiative von BildungsaktivistInnen und LehrerInnen gebildet, die sich den Kampf für eine gemeinsame Schule für alle bis 14 Jahre zum Ziel gesetzt haben. In Wien und in Graz hat sich mit Schule Brennt eine Initiative von LehrerInnen gegründet, die gemeinsam lernen wollen sich gegen die gesellschaftlichen Missstände , die in der Schule ausgeglichen werden sollen und auf dem Rücken der PädagogInnen ausgetragen werden, zu wehren. Im März entstand die Idee zu einem Aktionstag. So wurden schnell Bündnisse geschmiedet und an der Ausgestaltung dieses Aktionstags getüftelt. In gut zwei Monaten wurden österreichweit dutzende Aktionen organisiert.

In der Vergangenheit sahen wir schon oft Bildungsproteste in Österreich. Was ist neu an dieser Bewegung?

Die VeranstalterInnen haben dabei stets betont, dass dieser Tag nur der Anfang für weitere Proteste sein wird. Es ist allen bewusst, dass die neoliberale Umstrukturierung im Bildungssektor nicht mit einer Demo, mit einem Streik oder einer Besetzung abgewehrt werden kann. Dabei bringt das Bündnis den Kampf um ein inklusives Bildungssystem und den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen zusammen. Mit dem Aktionstag haben sich Allianzen geschmiedet von Gewerkschaft über SchülerInnen, Studierenden, ElternvertreterInnen, Lehrenden an Universitäten, InklusionsaktivistInnen. Diese neue Radikalität von unten schuf auch eine Dynamik, die zumindest ansatzweise die Gräben zwischen den Gewerkschaftsfraktionen ebnen konnte. So traten bspw. im Sinne der Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen die drei großen Gewerkschaftsfraktionen (FCG, FSG und ÖLI-UG) beim Aktionstag gemeinsam auf und stellten gemeinsame Forderungen auf. Es wird sich zeigen, ob diese Proteste der Gewerkschaft frischen Wind bringen wird.

Eine der lautesten Slogans der Demonstration war „GöD [Gewerkschaft öffentlicher Dienst] sei nicht feig – es ist Zeit für einen Streik!“ In einem Interview von dir (im Standard) zeigst du dich kritisch gegenüber der Sozialpartnerschaft. Was ist deine Kritik?

Dass Streiks – wenn überhaupt – dann organisiert werden, wenn es für die Gewerkschaften bei den Verhandlungen reinpasst. Die Gewerkschaft spielt oft die Rolle eines Verwalters oder eines Ausgleichs in einem System, das – für die ArbeiterInnen – zutiefst undemokratisch und ungerecht ist. Und deswegen ist es wichtig, dass wir uns von unten organisieren und uns selbst zu wehren lernen. Wir selber müssen aktiv werden, um diese konservative Rolle der Gewerkschaften zu durchbrechen.

Wie äußert sich die sozialpartnerschaftliche Orientierung der GöD?

Das ist jetzt vielleicht ein plumpes Beispiel, aber es ist mir wirklich sauer aufgestoßen. Während am 15.6. 10.000 Leute auf der Straße waren – eine große Masse an Bildungsbeteiligten – postet Herr Kimberger (Bundesvorsitzender der Pflichtschullehrer/innen Gewerkschaft) seine Solidarität mit einem Golfclub. Ich find das beschämend.

Wie steht die Gewerkschaft zu einem Streik?

Die GöD ist sehr stark FCG-dominiert, dadurch sehr stark von der ÖVP dominiert. Das macht, dass sie lieber mit ihren Parteikollegen reden und auf Regierungslinie sind und dann halt eher schauen, dass sie Streiks niederhalten bzw. sich nur dann bewegen, wenn ordentlich Druck aufgebaut wird. Das gleiche gilt in einem anderen Maße für die FSG. Hier gibt es eine starke Verbindung zwischen der FSG in Wien und der SPÖ in Wien und die werden auch tunlichst vermeiden, dass die sich gegenseitig kritisieren, obwohl Kritik auch in Wien im Bildungssystem bitter notwendig ist.

Diese Verbandelung mit der Regierung führt eben dazu, dass die Gewerkschaft nicht ihrer Rolle nachkommt und bei den Arbeitern steht, sondern eher bei der regierenden Seite. Dieser Widerspruch schafft auch Konflikte innerhalb der Gewerkschaft. Während die FCG der Wiener PfichtschullehrerInnen solidarisch mit den Protesten der KollegInnen waren, haben andere Organisationen des FCGs gegen und somit auch gegen die Teile der eigenen Fraktion kampagnisiert.

Diese innerparteilichen Konflikte wird es auch bei der SPÖ – da müssen wir noch stärker werden, um für die progressiven Kräfte ein Angebot sein zu können.

Heute, am 4.7., tagte die Bundesleitung der PflichtschullehrerInnen, wo ein Antrag für Kampfmaßnahmen im Herbst gestellt wird*. Ihr habt heute eine Kundgebung vor der GöD-Zentrale organisiert, um klarzumachen, dass ihr streikbereit seid. Wie wollt ihr die Gewerkschaft weiter unter Druck setzen?

Wir sind nicht naiv, der Lehrmangel wird im Herbst wieder zu Chaos führen. Wir wollen uns im Sommer weiter treffen. Wir werden im Oktober dann wieder Druck machen.

Wie steht es um die Streikbereitschaft im Bildungsbereich?

Wir haben gestern Abend eine Petition gestartet und innerhalb eines Tages haben bislang über 1.000 KollegInnen dafür unterschrieben. Die meisten fragen sich: Warum tun wir nichts? So wie bei Bildung im Mittelpunkt – die streiken und setzen sich ein – so müssen wir das auch machen.

Wir wollen versuchen LehrerInnen zu vernetzen, um sie selbst zu ermächtigen. Das ist das konkrete Ziel von der Initiative von Schule brennt. So können wir die Streikbereitschaft auch organisatorisch umsetzen und dann gilt es weiter Bündnisse zu schmieden.

Was ist deiner Meinung nach die Rolle die Schüler und Studenten in diesem Bildungskampf spielen sollen?

Zum einen können und müssen wir von ihnen Lernen, zum Beispiel das Vorbereitung einer Demo. Und wir müssen gegenseitig Solidarität aufbauen.

Die Demo am 15.6. ist vor allem von LehrerInnen, PädagogInnen und InklusionsaktivistInnen getragen worden. Man darf aber nicht unterschätzen, was Studis im Vorfeld geleistet haben: Sie haben beim Bildungspicknick mehrere Aktionen organisiert und waren aktiv an der Vorbereitung der Demo beteilit. Zu den SchülerInnen, mein Lieblingsbild: An der Spitze der Demo waren SchülerInnen, die gerufen haben: „Streik in der Uni, Streik in der Fabrik – Das ist unsere Antwort auf eure Politik!“ Dann haben Lehrer es nachgeschrien, weil sie absolut recht haben.

Das es zahlenmäßig noch nicht so viele Schüler waren, ist auch dem Thema geschuldet – Inklusion und bessere Arbeitsbedingungen.

Der Bildungsbereich – zusammen mit dem Gesundheits- und Sozialbereich – ist chronisch unterfinanziert, während stets Milliarden-„Hilfen“ für Banken oder Großkonzerne aufgewendet werden. Unserer Analyse nach kann dies im Kapitalismus auch gar nicht anders sein. Was denkst du: Ist ein ausfinanziertes und hochwertiges Bildungssystem im Kapitalismus möglich?

Natürlich geht’s um große Veränderungen, die anstehen. Es ist kein Geheimnis – Der Kapitalismus führt zu Krisen, wie diese in der wir gerade stecken. Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns überlegen, wie eine alternative Gesellschaftsform aussehen kann. Früher hat das Sozialismus geheißen. Diese neue Gesellschaft ist ja nicht einfach da, weil sich irgendwelche Leute sagen, jetzt haben wir morgen den Sozialismus. Es sind die konkreten Kämpfe, die wir führen. Mühsame Kämpfe um Stücke vom Kuchen. Mit dieser Bewegung und diesen einzelnen Schritten konkretisieren sich auch unsere Ideen, wie eine bessere Gesellschaft ausschauen kann.

Wenn du das Bildungssystem vom Systematischen her betrachtest, denkt man immer in der Logik des Kapitalismus – wie wird das finanziert, wie können knappe Ressourcen für die bestmögliche Verwertung vom Menschen aufgewandt werden. Darauf werden Menschen zugerichtet. Die Bewegung schafft eine andere Art zu denken: Wie können wir Menschen inkludieren, gemeinsam Bilden und in ihrer Entwicklung unterschützen? Wie können wir auf eine Gesellschaft einwirken und sie aktiv gestalten?

* Nach dem Ende des Interviews hat die Bundesleitung auf der Versammlung eine Resolution beschlossen, in der sie gegenüber der Bildungspolitik festhält: "Zur raschen Umsetzung unserer Forderungen behalten wir uns entsprechende gewerkschaftlichen Maßnahmen in der gesamten Bandbreite vor!"

[Das Interview führte Martin Halder.]

(Funke Nr. 215/05.07.2023)


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