Groß-Enzersdorf. Beim Tiefkühlproduzenten Ardo kämpft die Belegschaft für Löhne, von denen man auch leben kann. Konstantin Korn war vor Ort bei der Streikkundgebung und sprach mit den Streikenden.
Lautes Pfeifen, Sprechchöre… Rund 40 Kolleginnen und Kollegen der Frühschicht, die meisten in der weißen Arbeitsmontur, marschieren mit Trillerpfeifen, Gewerkschaftsfahnen und orangenen Plakaten mit der Aufschrift „Hier wird gestreikt“ zum Schranken beim Werkstor. Vor dem Tor hat sich eine kleine Solidaritätskundgebung formiert. Es sind vor allem Betriebsräte aus der Region Gänserndorf und Bruck/Leitha, die den Streik unterstützen. Am Schranken erfolgt die Solidarisierung, Umarmungen, erhobene Fäuste, gemeinsam werden Slogans für höhere Löhne gerufen. Die Belegschaft ist nach einem Warnstreik am Montag heute in den unbefristeten Streik getreten.
Ich frage einen Arbeiter mit einer roten Streikordner-Binde am Oberarm, wie es zu dem Streik kam. „Viele von uns können sich das Leben nicht mehr leisten. Da sind wir dann zu unserem Betriebsrat gegangen und haben gesagt, dass es so nicht weitergeht.“ Der Arbeiterbetriebsratsvorsitzende Dietmar Breiner hat dann das Gespräch mit der Geschäftsführung gesucht, die haben aber abgeblockt und nur eine Einmalzahlung angeboten. Daraufhin wurde eine Betriebsversammlung einberufen, wo 75% für Kampfmaßnahmen stimmten. Die Forderung: 200 Euro netto mehr Lohn!
Die Kollektivvertragsverhandlungen starten eigentlich erst mit Jahresende, nach den Metallern, die normalerweise die Latte für alle KV-Verhandlungen legen. Aber die Belegschaft der Fa. Ardo wollte und konnte nicht länger warten.
Ein Betriebsrat erklärt uns die Situation in Groß-Enzersdorf, wo einst die Fa. Iglo, Teil des Unilever-Konzerns, Tiefkühlgemüse und Eis produzierte. Das umliegende Marchfeld nördlich von Wien ist eines der wichtigsten Gemüseanbaugebiete in Österreich. Von der einstigen Größe des Werks erinnern noch die riesigen Hallen auf dem Gelände, das zwischen Einfamilienhäusern und einem Reitstall liegt. Heute führt das belgische Unternehmen Ardo den Standort in deutlich reduzierter Form. Die Gier nach maximalen, schnellen Profiten hat auch in Groß-Enzersdorf seine Spuren hinterlassen. Und der Profit stimmt: 17 Mio. Euro beträgt der Jahresgewinn der Ardo-Gruppe, der von den ArbeiterInnen erwirtschaftet wird. Gemessen an den harten Arbeitsbedingungen in der Fabrik, bei 22 Grad minus im Kühlhaus, sind die Löhne alles andere als hoch, und die seit Monaten anhaltende Teuerung drückt auf den Lebensstandard.
Eine junge Kollegin, die seit kurzem als Angestellte im Werk arbeitet, hat sich ebenfalls mit den ArbeiterInnen solidarisiert und trägt eine rote Armbinde und eine Warnweste der Gewerkschaft. Sie erzählt mir ebenfalls, wie aus der Belegschaft die Initiative für den Arbeitskampf kam. Plötzlich unterbricht uns eine Kollegin, die neben ihr steht. „Da hinten kommen die Streikbrecher.“ Von der Werkshalle nähern sich die Arbeiter aus der Frühschicht, die nicht mitgestreikt haben. Als sie an den Streikenden vorbeischleichen zum Ausgang erhebt sich ein lautes Pfeifkonzert. Buh-Rufe begleiten die Streikbrecher, die mit gesenktem Kopf oder einem verschämten Lächeln schnell vorbeihuschen wollen. Das Drittel, das heute trotz Streikbeschluss gearbeitet hat, hat ein Gratis-Kebap bekommen, erzählt mir ein Streikender. Und die junge Angestellte von vorher zeigt auf die Kameras beim Eingang und sagt: „Dem Kollegen von der IT haben sie den Auftrag gegeben, die Kameras so zu drehen, dass sie filmen können, wer beim Streik dabei ist.“
Die Kolleginnen erzählen weiter, und zwar mit großer Begeisterung: „Aber heute hatten wir den ersten Erfolg. Eine Leiharbeitsfirma hat bereits ihre Leute zurückgezogen. Pro Schicht haben wir sicher 15-20 Leiharbeiter in der Saison.“ Dass Saison ist, sieht man an den ständig anrollenden Traktoren und LKWs, die Karotten oder anderes Gemüse liefern. Bei jedem Transport wieder ein Pfeifkonzert. „Wir dürfen aber nicht die Einfahrt blockieren. Sonst kommt die Polizei“, erklärt mir ein Arbeiter.
Auf die Frage, wie es jetzt weitergeht, erzählt mir ein anderer Kollege: „Das ist ein unbefristeter Streik. Am Beginn von jeder Schicht wird abgestimmt, ob der Streik weitergeht.“ Noch liegt kein nennenswertes Angebot der Geschäftsführung vor. Die ArbeiterInnen wollen die 200 Euro netto mehr und sind entschlossen weiterzustreiken. Die Kundgebung gemeinsam mit den GewerkschafterInnen hat spürbar Lust auf mehr gemacht. Ein Funktionär der Produktionsgewerkschaft PRO-GE hat der Belegschaft die volle Solidarität zugesagt. Symbolhaft wurde ein großes Gewerkschaftstransparent übergeben. Ein Gewerkschafter meint zu mir: „Das betrifft ja nicht nur die Fa. Ardo, in vielen Betrieben haben wir so eine Stimmung.“
Dieser Streik in Groß-Enzersdorf zeigt, dass es in Teilen der Arbeiterschaft brodelt. Ein siegreicher Streik bei Ardo könnte das Vorspiel zu einer heißen Herbstlohnrunde werden, die bald beginnt. „Dort brauchen wir nicht das übliche Heckmeck mit ewig langem Herumverhandeln, nur damit die da oben oft in die Medien kommen. Unter 10 Prozent mehr Lohn geht bei der Inflation heuer gar nichts.“