Einen unbefristeten Streik um höhere Löhne gab es in Österreich schon lange nicht mehr. Konstantin Korn war vor Ort und zieht Zwischenbilanz über den Kampf beim Tiefkühlproduzenten Ardo.

Groß-Enzersdorf im Marchfeld hat eine lange Geschichte als Standort der industriellen Gemüseverarbeitung (Marke Iglo!). Von der einstigen Größe der Fabrik zeugen noch die riesigen Werkshallen, aber unter dem belgischen Eigentümer Ardo blieb davon nicht viel übrig. Nicht ganz 150 Arbeiter sind heute im Werk beschäftigt, das im Dreischichtsystem produziert. Dazu kommen in der Erntesaison noch rund 20 Leiharbeiter pro Schicht.

Die Fabriksarbeit ist fordernd, die Belegschaft ist so bemessen, dass man gerade die Produktionsziele stemmen kann, erzählt uns beim Schichtwechsel einer der Streikenden, der noch die goldenen Jahre im Iglo-Werk erlebt hat. Damals wurde deutlich über dem Kollektivvertrag (KV) bezahlt und es gab üppige Sozialleistungen. Die Nacheigentümer haben davon nicht viel belassen.

Durch die Teuerung reicht für viele der Lohn nicht mehr. Eine Kollegin berichtet uns, dass der Betriebsrat schon seit fünf Jahren versucht, zusätzlich zur KV-Lohnerhöhung eine innerbetriebliche Erhöhung zu erwirken. Aber bislang ohne Erfolg.

Initiative von unten

Diesen Sommer war dann aber Schluss mit lustig. Aus der Belegschaft kam die Initiative, für höhere Löhne zu kämpfen. Daraus entstand eine Dynamik, die einen Bruch mit der üblichen sozialpartnerschaftlichen Logik darstellte. Betriebsrat und Gewerkschaft nahmen die Forderung von 200 Euro mehr Lohn auf und unterstützten die Kampfmaßnahmen. Der Arbeiterbetriebsratsvorsitzende erzählte uns, dass die Belegschaft über das Verhalten der Geschäftsführung sehr ungehalten war und deshalb auch – entgegen seinem Plan – spontan den ersten Warnstreik auf alle drei Schichten ausdehnte und dann einen unbefristeten Streik ausrief.

Dass die Arbeitsniederlegung 14 Tage gehen würde, hat wohl niemand vermutet. Ein Kollege sagte zu uns am dritten Streiktag recht zuversichtlich: „Werdet sehen, nächste Woche ist das Ganze vorbei.“ Die Geschäftsführung hat am Anfang mit dem Angebot einer Einmalzahlung und eines Gratis-Kebaps einerseits und Einschüchterungsversuchen andererseits, taktische Fehler gemacht, die die Stimmung weiter angefacht haben. In der Folge spielte sie auf Zeit, reagierte anfangs gar nicht, und bei den ersten Gesprächen redete sie sich darauf aus, dass sie grünes Licht vom Eigentümer benötigt.

Spaltung

Die „Zuckerbrot und Peitsche“-Politik der Geschäftsführung hatte durchaus Wirkung. Nicht alle, die ursprünglich für Streik gestimmt hatten, zogen dann mit, als es ernst wurde. Neben den Leiharbeitern der Fa. Transfer gab es von Anfang an eine nicht irrelevante Zahl von Streikbrechern. Bei der Kundgebung beim Werkstor am ersten Streiktag erhob sich ein Pfeifkonzert, wie die Streikbrecher gesenkten Hauptes beschämt heimgingen. Doch diese kämpferische Aktion blieb eine Ausnahme. Der „Normalbetrieb“ des Streiks orientierte sich an der gängigen Kultur des ÖGB. Streikende und Streikbrecher gehen beim Schichtwechsel gemeinsam ins Werk, die einen gehen in die Produktionshalle, die anderen in den Sozialraum und vertreiben sich die Zeit mit Tischtennis und Kartenspiel. Streikposten, die unter den Streikbrechern Überzeugungsarbeit leisten, nicht zu arbeiten, gab es keine. Der ganze Streik war sehr defensiv angelegt. So kann es aber auch nicht gelingen, die schwankenden Teile der Belegschaft herüberzuziehen. Versuche der Gewerkschaft, öffentlichen Druck aufzubauen, waren nicht vorhanden. Dabei hätten sich der Mut und das Durchhaltevermögen der Streikenden die volle Solidarität der Arbeiterbewegung und nicht nur ein symbolisches Schulterklopfen verdient gehabt. Eine Blockade der Werkseinfahrt, um die Lieferung von Gemüse durch die Bauern zu verhindern, blieb aus – „Weil wir das nicht dürfen“, wie uns eine streikende Kollegin erklärte.

Streikmethoden

Betriebsrat und Gewerkschaft hofften, den Konflikt mit juristischen Mitteln gewinnen zu können. Wenn der Einsatz von Leiharbeitern vor Gericht als nicht legal beurteilt würde, könnte Ardo die Produktion nicht mehr aufrechterhalten. Wie uns ein Jurist der Arbeiterkammer darlegte, gibt es für diese Frage im streikarmen Österreich aber keinen Präzedenzfall. Selbst wenn man eine einstweilige Verfügung erreichen könnte, würde es wohl 1-2 Wochen dauern, bis dieser Schritt wirksam wäre. Angesichts der Spaltung in der Belegschaft sahen sich die Streikenden nach zwei Wochen nicht mehr in der Lage, den Streik aufrechtzuerhalten. Der Betriebsrat argumentierte, es sei „im Sinne der Sozialpartnerschaft besser“, wenn der Streik beendet würde. Was man bei Verhandlungen ohne das Druckmittel Streik erreichen kann, steht in den Sternen.

Mit einer aktiveren Streikführung hätte man mit Sicherheit einen stärkeren Druck aufbauen können. Das hat man verabsäumt. Ein Streiksieg hätte die Dynamik der gesamten Herbstlohnrunde positiv beeinflussen können, weil es in vielen Betrieben unter den ArbeiterInnen brodelt. Stellen wir uns nur vor, in einem Dutzend Fabriken würden solche Lohnstreiks ausbrechen. Wie immer dieser Lohnkampf letztendlich ausgeht, wir sollten die Erfahrung dieses Streiks sehr genau analysieren und nicht den falschen Schluss ziehen, Streiks würden sich nicht lohnen. Was es jedoch braucht, ist eine ernsthafte Debatte über die Methoden, mit denen Streiks gewonnen werden können.

(Funke Nr. 217/26.9.2023)


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